Riad
Othman - Sehr geehrte Damen
und Herren, heute wende ich mich aus
gegebenem Anlass auch im Namen
unserer langjährigen israelischen
Partnerorganisation
Breaking the Silence an Sie.
Vorab möchte ich die
Gelegenheit nutzen, mich denjenigen
unter Ihnen, die ich noch nicht
persönlich kennenlernen konnte, als
neuer Nahostreferent für Palästina
und Israel der Frankfurter Hilfs-
und Menschenrechtsorganisation
medico international vorzustellen.
Nachdem ich bis Ende 2015 für drei
Jahre das medico-Büro für Israel &
Palästina in Ramallah geleitet habe,
arbeite ich von jetzt an aus Berlin
weiter zum Thema.
Vor einigen
Tagen erfuhr die seit Monaten in
Israel andauernde Kampagne, die sich
gegen den medico-Partner Breaking
the Silence und andere
Organisationen von Besatzungsgegnern
richtet, einen neuen Höhepunkt.
Am 17. März
strahlte der israelische
Fernsehsender Kanal 2 einen Bericht
aus, der schwerste Vorwürfe erhob:
Breaking the Silence versuche
gezielt, an militärische
Informationen zu gelangen, die der
Geheimhaltung unterlägen, um diese
dann zu veröffentlichen. Die
Organisation gefährde dadurch
vorsätzlich die nationale
Sicherheit. Außerdem werbe sie junge
Leute vor deren Wehrdienst an, um
dann möglichst bestimmte Einheiten
der israelischen Armee ausspähen zu
lassen. Die Reportage stützte sich
dabei auf Filmmaterial, das die
rechtsradikale Siedlerorganisation
Ad Kan heimlich bei Breaking the
Silence durch eingeschleuste
Maulwürfe hatte drehen lassen und
das dann manipulativ so geschnitten
worden war, um die gewünschten
Behauptungen zu stützen.
Breaking the Silence
sieht sich seit Monaten dabei nicht
nur Angriffen durch rechtsextreme
Gruppierungen wie Ad Kan oder Im
Tirtzu ausgesetzt, sondern wird auch
zunehmend von führenden Politikern
und hochrangigen
Regierungsmitgliedern angegangen.
Verteidigungsminister Moshe Ya’alon
reagierte umgehend, indem er die
Aktivist/innen und Mitarbeiter/innen
von Breaking the Silence als
Verräter bezeichnete, obwohl jede
Aussage ehemaliger
Militärangehöriger vor ihrer
Veröffentlichung durch Breaking the
Silence dem Militärischen Zensor der
IDF vorgelegt wird, der dann darüber
entscheidet, ob dadurch das
nationale Sicherheitsinteresse in
Mitleidenschaft gezogen wird.
Premierminister
Benjamin Netanjahu hatte noch vor
wenigen Wochen linke
Kulturschaffende und Andersdenkende
gegen eine Kampagne von Im Tirtzu
mit den Worten in Schutz genommen:
„Ich widerspreche der Verwendung des
Begriffs Verräter.“ Dabei hatte er
sogar ausdrücklich auf Breaking the
Silence Bezug genommen. An der
jüngsten Eskalation bei den
Versuchen, unsere Partner zu
delegitimieren, war diesmal neben
den üblichen Zeitungen und den
sozialen Medien auch der große
Fernsehsender Kanal 2 beteiligt.
Drohanrufe erreichen längst nicht
mehr nur die Aktivisten von Breaking
the Silence direkt, sondern auch
deren Freunde und Familie. Auch die
Großeltern von Direktorin Yuli Novak
erhielten nächtliche Anrufe.
In dieser
aufgeheizten Stimmung äußerte sich
Benjamin Netanjahu auf eine Art, die
selbst bei seiner seit jeher
kritischen Haltung gegenüber
Breaking the Silence und anderen
Besatzungsgegnern dennoch von einer
neuartigen Qualität kündet: Er
übernahm die Schuldvermutung der
radikalen Rechten, kündigte eine
sicherheitsdienstliche Untersuchung
gegen Breaking the Silence an und
stellte einen Bezug zwischen dem
jüngsten Anschlag in Istanbul und
der israelischen Reservist/innen-Organisation
her. In der Türkei waren bei einem
Selbstmordattentat am 19. März auch
israelische Staatsangehörige unter
den Opfern gewesen, was Benjamin
Netanjahu dazu nutzte daran zu
erinnern, dass Israel ein Frontstaat
gegen den Terrorismus sei, den die
israelische Armee bekämpfe, während
Breaking the Silence versuche, die
Soldatinnen und Soldaten zu
diskreditieren. „Diese Schlacht ist
in erster Linie militärisch, aber
auch moralisch. Der zentrale Punkt
in dieser Schlacht ist die Klärung,
dass es keine Rechtfertigung für
Terror gibt, nirgends – nicht in
Istanbul, nicht in der
Elfenbeinküste und nicht in
Jerusalem. Wer Terror nicht
verurteilt, unterstützt Terror.“
Kurz vor dieser
jüngsten Entwicklung führte medico
international ein
Gespräch mit dem Mitgründer und
Sprecher von Breaking the Silence,
Yehuda Shaul, das ich Ihnen am Ende
dieses Schreibens mit schicke.
Für Interessierte
mache ich außerdem auf die soeben im
neuesten
medico-Rundschreiben
veröffentlichte
Reportage meines Kollegen
Christian Sälzer aufmerksam. Darin
begleiten er und Photograph Holger
Priedemuth Yehuda Shaul auf eine
geführte Tour durch das besetzte
Hebron. Daraus ist auch eine hörens-
und sehenswerte
audiovisuelle Führung
entstanden.
Über die
Weiterverbreitung unter Angabe der
Quelle (www.medico.de)
würde ich mich freuen. |