Lillian Rosengarten: Essay über
Antizionismus und Antisemitismus
- (Oktober 2016) - Ich widme
diesen Essay dem Antizionisten Hajo
Meyer (1924-2014), politischer
Aktivist, Auschwitz-Überlebender und
Held im Kampf um die Befreiung
Palästinas. Seine Worte lehren mich
immer noch und sein Handeln tröstet
meinen Schmerz.
„Als
Antisemiten bezeichnete man einst
eine Person, die Juden nicht mochte.
Ich bin kein Anti-Jude. Ich bin
Anti-Zionist. Zionismus hat nichts
mit Judentum zu tun.“
Der
Zionismus hat immer jedwede Kritik
mit Antisemitismus, Delegitimierung
oder Schlimmerem gleichgesetzt. Es
dient der Propaganda, die die
Illusion der Juden als „Opfer“
aufrecht erhalten will.
Ultranationalisten, die von ihrer
moralischen Überlegenheit überzeugt
sind, fabrizieren politischen
Terror, um mundtot zu machen und zu
leugnen.
Wer
hätte sich 1945 nach dem Sieg über
Nazi-Deutschland vorstellen können,
dass es binnen weniger Jahre zu
einer bizarren Eskalation kommen
würde, dass eine antisemitische
Giftwolke sich ausbreiten würde,
teilweise angefeuert durch ein Land
mit zwei Gesichtern. Ein Gesicht
zeigt sich als „einzige Demokratie
im Nahen Osten“, während das andere
sich als Fratze von Völkermord und
Besatzung zeigt, die sich über drei
Generationen erstreckt, in denen
palästinensische Kinder in
Gefangenschaft geboren wurden. Das
ist das Gesicht des Zionismus mit
seinem Traum eines jüdischen
Staates, nur für Juden – „Zutritt
für Palästinenser verboten“.
Es
gibt ein alter ego (eine zweite
Ebene), das die Wahrheit trotz
aller Leugnungen durchbricht. Eine
schmerzliche Wahrheit, die viele
immer noch nicht in ihrer realen
Existenz anzunehmen bereit sind. Es
ist die Agenda des israelischen
Zionismus, der der gesamten
palästinensischen Bevölkerung die
Schrecken der Kollektivhaft und des
Genozids auferlegt und sie als
unerwünscht, verhasst und
„minderwertig“ betrachtet.
Für
mich als deutsche Jüdin ist es
unmöglich, diesen Vergleich nicht
anzustellen zwischen dem
zionistischen Unwillen, die
Menschlichkeit der Palästinenser als
gleichwertige menschliche Wesen wie
sie selbst zu betrachten und
Aspekten des Nazi-Rufes nach einem
reinrassigen Deutschland.
Wer
hätte es nach dem Zweiten Weltkrieg
für möglich gehalten, dass ein
weiteres Mal emotionale Manipulation
ähnlich einer internen
Terrorisierung eine neue Kultur der
Angst und Hysterie erfolgreich
kreieren würde, die strategisch auf
Juden abzielt? Was dabei angestoßen
wird, ist eine tief eingegrabene
Hysterie, die im jüdischen
Bewusstsein schlummert. Gerade hier
warten Ängste vor Vernichtung und
Schikane darauf, neu entflammt zu
werden. Die zionistische Intention
zielt darauf ab, Juden aus aller
Welt zusammen zu bringen, um im
„jüdischen Staat“ zu leben und ihn
zu unterstützen; dabei nutzt sie die
kraftvolle Botschaft dieser
Indoktrination. Wir haben es oft
genug gehört: Der jüdische Staat ist
der einzige Ort der Welt, an dem
Juden in Sicherheit leben können und
keine Opfer mehr sind.
Diese
Jüdin kann ich nicht sein. Als
Flüchtling (aus Nazi-Deutschland)
identifiziere ich mich mit den
heimatlosen vertriebenen
Palästinensern, die als Flüchtlinge
gezwungen waren, ihr Land und ihre
Häuser zu verlassen und der
Besatzung oder Zerstörung zu
überlassen, die von Gefängnissen,
Mauern, Checkpoints, bewaffneten
Soldaten und illegalen Siedlungen
umgeben sind. Da der Zionismus 1948
auf einer rassistischen Ideologie
aufbaute, die von der Überlegenheit
des „Auserwählten Volkes“ ausging,
muss ich einige offensichtliche
Fragen stellen.
Haben
Juden, die selbst Opfer waren, das
moralische Recht, ein anderes Volk
zu besetzen und seiner Freiheit zu
berauben? Warum haben wir nichts
gelernt? Noch bedrückender im
Augenblick scheint mir die Frage,
wie es geschehen konnte, dass
Antisemitismus dafür missbraucht
wird, um die zionistische Agenda zu
verteidigen. Da gibt es viele
psychologische Schlussfolgerungen,
die hier erforscht, studiert,
beschrieben und offen diskutiert
werden müssen, um Licht in diesen
unerträglichen moralischen Abgrund
zu bringen. Wir, die wir
anti-zionistisch, aber nicht
anti-jüdisch und selbst Juden sind,
müssen uns den gefährlichen
Versuchen widersetzen, unsere
Gegenhaltung zu diskreditieren,
indem uns fälschlicherweise
Antisemitismus vorgeworfen wird, nur
um die endlose rassistische Gewalt
gegen Palästina und die
Palästinenser zu verschleiern. Diese
Art der internen Terrorisierung
macht nicht nur von der Schuld des
Holocaust Gebrauch, sondern
fabriziert Lügen, um eine illegale,
brutale Besatzung zu rechtfertigen
und aufrecht zu erhalten.
Ich
meine, dass die Diskussion über die
Existenz von Antisemitismus eine
gefälschte ist, weil sie uns in eine
Falle führt und uns vom Eigentlichen
ablenkt. Das Erwachen des
Antisemitismus ist real. Und etwas
daran irritiert mich zutiefst. Es
ist sein Missbrauch, um die Wahrheit
über ein gewalttätiges, unbeugsames
Regime zu vertuschen, das die
palästinensische Nakba kreiert hat.
Es geht nicht darum so zu tun, als
gäbe es keinen wahren
Antisemitismus. Dieser breitet sich
Hand in Hand mit Islamophobie aus.
Vielleicht ist sogar Zionismus an
und für sich antisemitisch, weil er
Semiten diskriminiert und dabei
selbst Juden einschließt. Zionismus
ist keine Religion, sondern eine
politische Bewegung. Für
Gerechtigkeit zu arbeiten und für
das Ende der Besatzung ist nicht
antisemitisch. (...)
Website
www.lillianrosegarten.com
Textquelle:
http://mondoweiss.net/2016/10/consciousness-manufactured-semitism/
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