Warum es noch immer wichtig ist, über Frieden zu
sprechen
- Die Israelis
mögen den Frieden wünschen, aber nach ihren
Bedingungen: ohne den palästinensischen
Widerstand gegen die Besatzung - Raef Zreik -
30.7.17
Die Rhetorik des
„Friedens“ als eine Lösung für den
israelisch-palästinensischen Konflikt trübt das
vorhandene Problem: die Palästinenser wollen
(angeblich) keinen Frieden. . Frieden wird als
das Gegenteil von Krieg angesehen, aber die
Palästinenser sind nicht im Krieg mit Israel –
sie leben unter Besatzung und sie sind mit der
Besatzung im Krieg. Wie bei jeder Besatzung gibt
es die, die die Besatzer sind und die, die
besetzt sind. Und während ein Krieg eine gewisse
Symmetrie annimmt, gibt es nichts Symmetrisches
in der Art einer Besatzung.
Unter Besatzung zu
leben bringt Palästinenser dahin, um ihre
Freiheit, ihre Unabhängigkeit, ihre
Selbstbestimmung und ihren wirtschaftlichen
Wohlstand zu kämpfen. Sie wollen ihre Grenzen
kontrollieren und ihre natürlichen Ressourcen
und die Souveränität ihres Schicksals. Frieden
kann- und ist so gemeint – die Folge ihres
Kampfes sein und kann vorausgesetzt werden, dass
ein Volk, das nicht länger unter Besatzung oder
in Flüchtlingslagern lebt, jeden Grund hat, im
Frieden zu leben. Frieden könnte auch eine
israelische Forderung sein: hinsichtlich des
Endes eines Prozesses, der sicher stellt, dass
der Konflikt nach dem Ende der Besatzung nicht
weitergeht und dass eine gerechte Lösung für das
Flüchtlingsproblem gefunden wird. Aber Frieden
- da mit Ruhe verknüpft und ohne Widerstand
–kann nicht als Vorbedingung für Verhandlungen
sein; Frieden kann nur eine Folge des Prozesses
sein.
Die Argumentation
der augenblicklichen israelischen Regierung ist,
dass die palästinensische Behörde allen
Widerstand gegen die Besatzung aufgeben muss.
Aber wie kann man den Widerstand gegen die
Besatzung beenden, solange die Besatzung weiter
besteht? Der Widerstand wird enden, wenn die
Besatzung vorüber ist, wenn Frieden und der
Beginn von Friedensverhandlungen die Bedingung
für das Ende der Besatzung sein sollen, dann
wäre das wie ein Friedenschluss bei
Aufrechterhaltung der Besatzung.
Auf diese Weise
verewigt der „Friedensprozess“ die Besatzung,
statt, dass er sie beendet. Falls Frieden – d.h.
dass es keine Aufstachelung und keinen
Widerstand gegen die Besatzung gibt - eine
Vorbedingung für Friedensverhandlungen -, ist
unklar, warum Israel einen Wunsch hat, in
Friedensgespräche einzutreten; denn in solch
einem Szenarium wird es schon den Frieden haben,
den es sucht.
Dies ist das
Paradoxe des israelischen Verständnisses der
Logik der Besatzung: wenn es Widerstand gegen
die Besatzung gibt, dann will Israel nicht mit
den Palästinensern in Friedensgespräche
eintreten, weil sie gegen diese aufstacheln
würden. Andrerseits, wenn es keinen Widerstand
gegen die Besatzung gibt, dann gibt es keinen
Impuls, Friedensgespräche zu halten, weil es
dann tatsächlich keinen Konflikt mehr gibt.
Es ist nicht
schwierig, zu sehen, dass der rechte Flügel in
Israel sich gemeinsam darum bemüht, die Grenzen
des internen Diskurses neu zu definieren: wenn
der übliche Konsens ein jüdisch-demokratischer
Staat mit dem Recht der nationalen
Selbstbestimmung für die Juden ist, dann
betrifft dieser Konsens das ganze Land
Israel/Palästina – vom Fluss bis zum Meer.
Jeder, der gegen diese Wahrheit spricht, wird
als Ketzer angesehen. Wenn er jüdisch ist, wie
die Mitglieder von B’tselem oder Breaking the
Silence, dann darf er nicht von der Besatzung
reden. Wenn er Palästinenser ist, dann darf er
der Besatzung nicht widerstehen. Die Verbindung
zwischen beiden ist klar: die Opposition gegen
die Besatzung durchlebt einen schnellen Prozess
der Delegitimierung – im internen israelischen
politischen Bereich als auch in der Beziehung
zu den Palästinensern.
Es gibt in der
nächsten Zukunft keine Chance auf ein
Endstatus-Abkommen. Das ist nicht gut. Aber es
gibt schlimmere Dinge. Eines davon ist das
grundlegende Vokabular zu verlieren, um die
Gerechtigkeit des Kampfes zu beschreiben. Die
Sprache zu verlieren, mit der wir gewöhnlich
von einer gerechteren Welt träumen. Der
„Friedens-Diskurs“, der sich seit Beginn des
Oslo-Prozesses entwickelte und bis heute die
israelische Weltanschauung bis zu einem Punkt
verdreht hat, dass Israelis tatsächlich glauben,
dass Aufstachelung gegen die Besatzung ein
Verbrechen sei und dass Palästinenser besagte
Aufstachelung sein lassen sollen, um
qualifiziert zu sein, um die Besatzung zu
beenden. Auf diese Weise baut die Rechte auf
die von der Linken verkündigten Rhetorik.
Selbst wenn die
palästinensische Behörde Israels Rhetorik
angenommen hat und begonnen hat, die bloße
Existenz von Aufstachelung zu leugnen, müssen
sich die Israelis nichts vormachen. Andrerseits
wer benötigt Frieden mit der PA, die sich der
Besatzung unterwirft und Teile ihres Vokabulars
anwendet. Seien wir deutlich: der Widerstand
gegen die Besatzung ist kein Verbrechen – die
Besatzung selbst ist ein Verbrechen. (dt.
Ellen Rohlfs) |