Palestine
Update Nr. 139 – 13. Mai 2018 – Meinung - Ranjan
Solomon - Nakba Spezial:
„Wir wollen zurückkehren“ - 70 Jahre Nakba ist wirklich zu
lange! Diese vielen Jahre von praktischem
Freiheits-Diebstahl findet keine Parallele in der
Kriegsgeschichte. Das grausamste Ding im palästinensischen
Leiden ist die Art, wie die Welt offenbar zu der
Unterdrückung durch ihr Schweigen und ihre Gleichgültigkeit
zustimmt. Wir können nicht länger an Neutralität, Balanz
oder Objektivität bei politischen Haltungen glauben,
besonders, wenn staatliche Gewalt angewandt wird, um die
Palästinenser zu dominieren, wie das heute geschieht. Die
Katastrophe, der das palästinensische Volk gegenübersteht,
ist global eine Erklärungsform für Gerechtigkeit, in dieser
Zeit: „Krieg nach Wunsch“. Es ist schwer zu bändigender
Konflikt zwischen zwei gleichen Seiten. Es ist eine
Okkupation durch einen mächtigen Militärstaat, bewaffnet und
unterstützt vom Westen gegen ein verarmtes, staatenloses und
vertriebenes Volk. Trumps Absicht, die US-Botschaft nach
Jerusalem zu verlegen entzündete Gewalt und Protest sogar
bei der Politik fernerstehenden Kreisen. Bei einigen
Protesten, von denen die Palästinenser begleitetet wurden,
versicherten diese, dass ihre Hoffnungen weiterhin
bestünden. Symbol dafür ist der Schlüssel, den sie
mitgenommen hatten, als sie böswillig aus ihrem Heim
vertrieben wurden. Auch wenn die Chancen, dass die erste
Generation der Flüchtlinge niemals wieder ihr Haus sehen –
viele von ihnen sind inzwischen in hohem Alter verstorben –
gering ist, ist für die Palästinenser das Rückkehrrecht ein
nicht verhandelbares politisches Prinzip. Die Schlüssel sind
von Generation zu Generation weitergegeben worden als
Andenken – als Erinnerung an ihr verlorenes Haus und als
bleibendes Symbol für ihre Hoffnung, wieder Gerechtigkeit zu
erlangen.
Die
vierte Generation von palästinensischen Kindern wird jetzt
in Flüchtlingslagern in und außerhalb von Palästina
aufgezogen; sie leben in chronischer Armut und man
verweigert ihnen das Recht, in die Heimstätten ihrer
Familien zu kommen. Heute halten sich sogar diese Kinder
stur an diesen Optimismus. Das kann man erkennen an ihrem
künstlerischen und musikalischen Ausdruck und an dem Gewand,
das sie tragen. Die Ansicht von jungen Männern mit
Halsketten, an denen Anhänger in der Form des historischen
Palästina baumeln, lassen erkennen, dass die Vision des
Rückkehrrechtes in ihrem Inneren intensiv brennt. Die
Rückkehrforderung hat einen wichtigen Identitätswert, und
man muss Respekt haben für die Würde der Palästinenser und
ihre gerechten Forderungen. Und wie ein Echo liegt über
allem die Stimme: „Wir wollen zurückkehren“!
Ein
Überblick über die Nakba (Auszüge aus Artikeln in Al
Jazeera) - Jedes Jahr am 15. Mai erinnern sich die
Palästinenser weltweit – etwa 12,4 Millionen – an die Nakba
oder Katastrophe, und sie denken dabei an die ethnische
Säuberung Palästinas und die nahezu gänzliche Zerstörung der
palästinensischen Gesellschaft 1948. An diesem Tag entstand
der Staat Israel. Die Erschaffung von Israel war ein
gewaltsamer Prozess, der den Hinauswurf von hunderttausenden
Palästinensern aus ihrer Heimat enthielt, um einen Staat mit
jüdischer Majorität zu schaffen, wie das nach dem Trachten
der zionistischen Bewegung zu geschehen hatte. aus H
Zwischen 1947 und 1949 wurden mindestens
750.000 Palästinenser von einer Bevölkerung von 1,9
Millionen zu Flüchtlingen jenseits der Staatsgrenzen
gemacht. Die zionistischen Streitkräfte hatten mehr als 78 %
des historischen Palästinas an sich genommen, etwa 530
Dörfer und Städte ethnisch gesäubert und zerstört, und rund
15.000 Palästinenser in einer Reihe von Massenvernichtungen,
davon mehr als 70 Massaker, getötet.
Was hat zur Nakba geführt?
Die Wurzeln der Nakba stammen aus dem
Auftauchen des Zionismus als politischer Ideologie im späten
19ten Jahrhundert in Osteuropa. Die Ideologie basiert auf
dem Glauben, dass Juden eine Nation sind oder eine Rasse,
die ihren eigenen Staat verdient. Von 1882 an begannen
tausende osteuropäische und russische Juden sich in
Palästina anzusiedeln, getrieben von antisemitischer
Verfolgung und Pogromen, denen sie im russischen Kaiserreich
gegenüberstanden und der Aufforderung durch den Zionismus.
1896 schloss der Wiener Journalist
Theodor Herzl, dass das Heilkraut gegen die Jahrhunderte
alten antisemitischen Gefühle und Angriffe in Europa die
Schaffung eines Judenstaates sei. Obwohl einige der Pioniere
der Bewegung ursprünglich einen Judenstaat in Ländern wie
Uganda und Argentinien unterstützten, riefen sie bald nach
der Staatenbildung in Palästina nach dem biblischen Konzept,
dass das Heilige Land von Gott den Juden versprochen worden
sei. In den 1880ern betrug die Gemeinde der
palästinensischen Juden, bekannt unter dem Namen Yishuv
(Jüdische Ansiedlung) bis zu 3 % der gesamten Bevölkerung.@
Im Gegensatz zu den zionistischen Juden, die später nach
Palästina gekommen waren, hatten die originalen Yishuv nicht
im Sinn, einen modernen Judenstaat in Palästina zu
errichten. 1917, vor dem Beginn des britischen Mandats (1920
– 1947) brachten die Briten die Balfour-Deklaration heraus,
in der versprochen wurde, „der Einrichtung einer nationalen
Heimstatt für das jüdische Volk in Palästina zu helfen“. Die
Juden glaubten, die Balfour-Deklaration würde ihre Kontrolle
über Palästina nach dem Krieg sichern. Von 1919 an nahm die
Einwanderung der Zionisten nach Palästina - von den Briten
unterstützt - dramatisch zu. Weizman, später Israels erster
Präsident, war dabei, seinen Traum zu realisieren und
Palästina „so jüdisch zu machen wie England englisch ist“.
Zwischen 1922 und 1935 wuchs die jüdische
Bevölkerung von 9 % bis auf fast 27 % der Gesamt-bevölkerung,
wobei zehntausende palästinensische Pächter von ihrem Land
gehen mussten, weil die Zionisten das Land von abwesenden
Landbesitzern gekauft hatten. 1936 zettelten
palästinensische Araber einen Aufstand gegen die Briten und
ihre Unterstützung für die zionistische Siedler-Kolonisation
in großem Ausmaß an, bekannt unter dem Namen „Arabische
Revolte“. Die britischen Behörden schlugen den Aufstand, der
bis 1939 dauerte, mit großer Gewalt nieder; sie zerstörten
mindestens 2.000 palästinensische Häuser, brachten 9.000
Palästinenser in Konzentrationslager und unterwarfen sie
peinlichen Befragungen bis hin zur Folter, und sie
deportierten 200 palästinensische nationalistische Führer.
Mindestens 10 % der palästinensischen männlichen Bevölkerung
waren bis zum Ende des Aufstands getötet, verwundet, ins
Exil geschafft oder eingesperrt worden.
1944 erklärten etliche zionistische
bewaffnete Gruppen Britannien den Krieg, weil dieses der
jüdischen Einwanderung nach Palästina in einer Zeit, wo
Juden vor dem Holocaust flüchteten, Grenzen zu setzen
versuchte. Früh im Jahr 1947 kündete die britische Regierung
an, sie würde das Unheil, das sie in Palästina geschaffen
hatte, den Vereinten Nationen übergeben und damit sein
Kolonialprojekt beenden. Am 29. November 1947 nahm die UNO
die Resolution 181 an und empfahl damit die Teilung von
Palästina in einen jüdischen und einen arabische Staat. Zu
dieser Zeit bildeten die Juden in Palästina ein Drittel der
Bevölkerung und besaßen weniger als 6 % des gesamten
Landbesitzes. Nach dem UNO-Teilungsplan wurden ihnen 55 %
des Landes zugesprochen und damit viele der großen Städte
mit einer palästinensisch-arabischen Mehrheit und dem
wichtigen Küstenstreifen von Haifa bis Jaffa. Dem arabischen
Staat würden die wichtigen Agrarländer und Seehäfen
weggenommen werden, was die Palästinenser dazu führte, den
Vorschlag zurückzuweisen.
Warum
erinnern sich die Palästinenser am 15. Mai an die Nakba?
- Kurz nach dem Beschluss der UNO Resolution 181 brach Krieg
aus zwischen den palästinensischen Arabern und bewaffneten
zionistischen Gruppen, die im Unterschied zu den
Palästinensern durch den Kampf an der Seite der Briten im
II. Weltkrieg bestens geschult und bewaffnet waren.
Zionistische paramilitärische Gruppen starteten einen
schlimmen Prozess von ethnischer Säuberung in Form von breit
angelegten Angriffen mit dem Ziel einer Massenvertreibung
von Palästinensern aus ihren Städten und Dörfern, um so den
jüdischen Staat zu gründen; das fand seinen Höhepunkt in der
Nakba. Die britischen Besatzungsbehörden hatten angekündet,
sie würden ihr Mandat in Palästina am Abend des 15. Mai 1948
beenden. Acht Stunden vorher kündete David Ben Gurion, der
Israels erster Premierminister wurde, an, dass die
zionistischen Führer in Tel Aviv eine
Unabhängigkeitsdeklaration ausriefen. Das britische Mandat
endete um Mitternacht, und am 15. Mai entstand der
israelische Staat. Obwohl die Vertreibung der Palästinenser
aus ihrem Land durch das zionistische Projekt bereits
während des britischen Mandats im Laufen war, begann die
Massenvertreibung, als der UN-Teilungsplan vorlag. In
weniger als sechs Monaten vertrieben zionistische bewaffnete
Gruppen 440.000 Palästinenser aus 220 Dörfern.
Ist die Nakba vorüber?
Während das zionistische Projekt den
Traum einer Schaffung „einer jüdischen Heimat“ in Palästina
1948 wahr wurde, hat die ethnische Säuberung und Vertreibung
der Palästinenser nie aufgehört. Während des
arabisch/israelischen Krieges 1967, gemeint ist die „Naksa“
(„setback“), besetzte Israel die übrig gebliebenen
palästinensischen Gebiete in Ostjerusalem, der Westbank und
dem Gazastreifen und hält diese bis heute besetzt. Während
unter dem UNO-Teilungsplan 55 % an Israel fallen sollten,
hält es heute 85 % des historischen Palästinas unter
Kontrolle. Die Naksa führte zur Vertreibung von einigen
430.000 Palästinenser, von denen die Hälfte aus den 1948
besetzten Gebieten stammten – so wurden sie zweimal
Flüchtlinge. Wie während der Nakba benutzen die israelischen
Streitkräfte militärische Taktiken, die die Grundsätze des
Völkerrechts verletzen, wie Angriffe auf Zivilisten und
Vertreibung. Die meisten Flüchtlinge gingen in das
benachbarte Jordanien, andere flohen nach Ägypten und
Syrien. Und wie ist die Situation heute?
Die mehr als 3 Millionen Palästinenser,
die in der besetzten Westbank und in Ostjerusalem leben,
sind konfrontiert mit Hauszerstörungen, willkürlichen
Arretierungen und Vertreibungen, wenn Israel die „100plus“
Kolonien „nur für Juden“ ausweitet, und palästinensisches
Land stiehlt, um das tun zu können. Die Bewegung der
Palästinenser ist durch militärische Checkpoints und die
Trennungsmauer eingeschränkt, die ihre Fähigkeit, frei zu
reisen versperren. Der Gazastreifen, wo mehr als 2 Millionen
Palästinenser leben, ist seit mehr als einem Jahrzehnt von
Israel belagert, wobei sich die Kontrolle über den Luftraum,
die See- und Landgrenzen bezieht; der Gazastreifen hat auch
drei israelische Angriffe durchgemacht, die das Gebiet
nahezu unbewohnbar machten. Innerhalb von Israel sind die
1,8 Millionen Palästinenser eine unfreiwillige Minderheit in
einem Staat für die Juden. Rechtsgruppen zählen mehr als 50
Gesetze auf, die sie als nicht-jüdisch diskriminieren, wie
z.B. jene, die die Erinnerung an die Nakba kriminalisieren.
Heute gibt es etwa 7,98 Millionen palästinensische
Flüchtlinge und im Inneren umgesiedelte Personen, die nicht
in der Lage sind, in ihre ursprünglichen Wohnstätten und
Dörfer zurückzukehren. Um die 6,14 Millionen davon sind
Flüchtlinge und ihre Nachkommen jenseits der Staatsgrenzen;
viele davon leben unter schlimmsten Bedingungen in mehr als
50 Flüchtlingslagern, die von der UNO in benachbarten
Ländern eingerichtet wurden. Lesen
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Der
neue Palästinenser und die Hoffnung auf Rückkehr -
Die erste Generation, die die Nakba 1948 erlebte, nahm
jahrelang die Last der Rückkehr auf ihre Schultern. Sie
nahmen ihren Hausschlüssel mit und in aller Eile notwendige
Dinge, weil sie glaubten, sie kämen ja bald wieder da. Sie
dachten, sie gingen nur für ein paar Tage oder Wochen. Die
mutigen arabischen Streitkräfte waren hochgestimmt, die
Besatzer zu zerstören und innerhalb von Stunden zu
zermalmen. Die tapferen arabischen Streitkräfte glaubten,
sie wären nur für einige Tage losgezogen, um dann siegreich
und triumphierend heimzukehren, nachdem sie die Invasoren
vernichtet und besiegt weggeschickt hätten. Die Zelte der
Flüchtlinge wurden aufgestellt und ein Jahr später durch
Gebäude mit Blechdächern und Namensschildern ersetzt. Diese
Lager breiteten sich in Palästina aus und in der Levante.
Die Palästinenser realisierten die Verschwörung und fingen
an, sich ein Herz zu nehmen und sich mit dem
palästinensischen Widerstand zu verbinden, in allen seinen
Formen und Namen.
Die ganze Welt hat daran gearbeitet, die
Palästinenser zu zähmen und zu kontrollieren. Sie zielten
darauf hin, die Palästinenser mit dem falschen Versprechen
eines palästinensischen Staates in den Außengrenzen von 1967
zur Aufgabe zu zwingen. Jedoch fanden sich die neuen
Palästinenser vor der Anklage, unredlich zu sein, und sie
blieben allein und hilflos ohne jegliche Unterstützung und
Macht. Die scheinheilige Welt, die den Friedensprozess
sponsert, ist zurzeit damit beschäftigt, die Palästinen-ser
zu unterdrücken. Das kommt daher, dass zum ersten Mal in
Jahrzehnten das Hauptanliegen im Handeln des
Volkswiderstandes die Rückkehr ins 1948 besetzte
palästinensische Land ist, und der Schauplatz dieses Akts
sind die direkten Grenzen der 1948 okkupierten Territorien.
Diejenigen, die die Geschichte Palästinas
beobachten, glauben, dass es das wichtigste Ergebnis dieser
Volksbewegung ist, die palästinensischen Erinnerungen der
alten und neuen Generationen von PalästinenserInnen wieder
zu beleben. Sie glauben auch, dass eine solche Volksaktion
mit dem Fingerzeig auf die Schande direkt auf die Besatzung
deutet, und die Besetzung der direkte Grund für alles ist,
was die Palästinenser dadurch und durch deren Folgen auf die
Menschen zu leiden haben.
Die Volksbewegung sagt auch allen
Ländern, die den Friedensprozess finanziert haben, dass die
Täuschung und der Betrug, die sie in den vergangenen Jahren
praktiziert haben, entlarvt wurde. Die Bewegung sagt auch,
dass die Übergabe historischer Rechte der Palästinenser ein
Fehler war, der wieder gut gemacht werden muss, denn die
Welt gibt den Intentionen der Palästinenser, an einigen
Stellen eine Vereinbarung und historische Versöhnung zu
erreichen, keine Bedeutung. Keines der Länder weltweit
brachte es zuwege, dem voreingenommenen Sponsor des
Friedensprozesses entgegen zu treten, und daher sind alle
Versuche, den toten Friedensprozess wieder zu beleben, ob
von Europäern, Arabern oder anderen – gescheitert.
Trotz der Einfachheit dieses Widerstandes
hat er doch die Berechnungen der Besetzer gestört, und sie
suchen ständig nach einem Weg, die Volksbewegung vor dem 15.
Mai, dem 70. Erinnerungstag an die Nakba, zu beenden.
(Dieser Artikel konnte leider erst am 23.5. fertig übersetzt
werden.) Lesen Sie den ganzen Artikel
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(Übers. Gerhilde Merz)
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