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Das Palästina Portal - Taeglich neu - Nachrichten, Texte die in den deutschen Medien fehlen. Politisch und finanziell unabhaengig, gegen Gewalt und Rassismus, einem gerechten Frieden verpflichtet
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Die Wahrheit ist eine unzerstörbare Pflanze. Man kann sie unter einem Felsen vergraben, sie stößt trotzdem durch, wenn es an der Zeit ist.
Frank Thiess (deutscher Schriftsteller)
Israel zieht belastende Dokumente über seine Vergangenheit aus dem Verkehr
Aber die Dämonen der Nakba lassen sich nicht vertreiben
Arn Strohmeyer
Wie hätte die Welt wohl reagiert, wenn deutsche Behörden nach dem Krieg 1945 und dem Zusammenbruch des Hitler-Staates versucht hätten, Zeugnisse und Dokumente seiner Verbrechen so zu tilgen, dass die Nachwelt davon keine Kenntnis mehr hätte nehmen können? Einmal ganz davon abgesehen, dass das gar nicht möglich war, weil es zu viele Zeugen der deutschen Untaten gab. Nun sollen die monströsen NS-Verbrechen nicht auf eine Stufe mit Israels Verbrechen an den Palästinensern gestellt werden, Hitlers Untaten haben eine ganz andere Dimension, aber die Nakba von 1948 – also die Vertreibung von 800 000 Palästinensern, der Raub ihres Landes und Eigentums und damit die Zerstörung ihrer Gesellschaft und Kultur – war ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (der israelische Historiker Ilan Pappe).
Israel hat immer alles getan, dieses furchtbare Verbrechen vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu verbergen (was ihm auch weitgehend gelungen ist), aber die jetzt – auf Anordnung von höchster Stelle – laufende Aktion einer Sondereinheit des Verteidigungsministeriums, alle mit der Nakba zusammenhängenden Dokumente auszusortieren und in sicheren Tresoren wegzuschließen oder sogar zu tilgen, um sie für die Wissenschaft und die Medien nicht mehr zugänglich zu machen, ist die direkte Fortführung der Verbrechen von 1948, die ohnehin nie geendet haben, sondern bis heute kontinuierlich andauern.
Aber diese Aktion ist vor allem eins: ein Schuldeingeständnis, also genau das, was der zionistische Staat gerade vermeiden will. Denn wer nichts zu verbergen hat, der braucht auch nichts wegzuschließen. Diese Aktion verrät noch etwas: totalitäres Denken. Mit anderen Worten: Es gilt nur eine Wahrheit in Bezug auf die Vergangenheit in diesem Staat – und das ist das zionistische Narrativ. Was wiederum beweist, wie wenig dieser Staat eine offene demokratische Gesellschaft ist.
Die Palästinenser aus dem Land und dem israelischen Bewusstsein zu verdrängen, hat eine lange Geschichte. Als die ersten jüdischen Siedler nach Palästina kamen, sahen sie die dort seit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden lebenden Menschen gar nicht als solche an. Der israelische Psychologe Benjamin Beit-Hallahmi schreibt über diese Zeit: „Für den Zionismus stellte sich die Frage: Was soll mit diesen Menschen – der indigenen arabischen Bevölkerung – geschehen? Die Antwort war klar: Um einen rein jüdischen Staat zu schaffen, mussten sich die Zionisten von dieser ‚überschüssigen‘ Bevölkerung befreien. Ihre Rechte anzuerkennen und mit ihnen zusammenzuleben haben die Zionisten (von ein paar human gesinnten ‚Kulturzionisten‘ abgesehen) nie in Erwägung gezogen. Um den zionistischen Traum zu erfüllen, eben die Gründung eines eigenen Staates, war man entschlossen, hart gegen die ‚Eingeborenen‘ vorzugehen, was nicht schwer war, denn diese waren schwach, rückständig und arm.“
Wie also mit diesen arabischen Menschen umgehen? Beit-Hallahmi schreibt: „Sie waren nicht Teil einer Gleichung. Sie waren für die Zionisten eigentlich gar nicht vorhanden, waren ‚unsichtbar‘ und kamen in den Visionen und Plänen der Zionisten gar nicht vor. Die einheimische Bevölkerung musste ausgesondert und ausgeschieden (eliminated) werden.“ Der Autor schreibt weiter: „Der Krieg gegen die Eingeborenen (natives) war schlicht und einfach ein Teil der Umwandlung der Natur des Landes, und sie waren ein anderes Element der Natur, man musste sie [die Eingeborenen] erobern und sie bekämpfen wie die Sümpfe, die Hitze und die Malaria.“
Der Zionistenführer und erste israelische Ministerpräsident Ben Gurion glaubte, das Problem dadurch lösen zu können, dass das palästinensische Volk nach seiner Vertreibung in den umliegenden arabischen Völkern „aufgehen“ werde. In 50 Jahren seien die Palästinenser dann von der Welt und der Geschichte vergessen. Aber das war ein großer Irrtum, denn auch 70 Jahre nach der Gründung Israels steht das palästinensische Problem ganz oben auf der der Agenda der internationalen Politik.
Das Wegschließen oder auch Vernichten von Dokumenten passt gut in die gegenwärtige Politik Israels: Die Judaisierung ganz Palästinas (also des besetzten Westjordanlandes) und in Israel selbst (in Galiläa) geht ununterbrochen weiter, was die Vertreibung der dort lebenden Palästinenser bedeutet. Palästinensische Häuser werden zerstört und Dörfer abgerissen, die Flüchtlinge in den Lagern erhalten keine UNRWA-Hilfe mehr, und Israel zahlt die eingenommenen Steuern nicht an die palästinensische Autonomie-Behörde (PA) weiter, wozu es vertraglich verpflichtet ist, d.h. es dreht den Palästinensern schlicht den Geldhahn zu, was die Not sehr vieler Menschen vergrößert. Und in Katar wird ohne die Beteiligung der Palästinenser ein „Frieden“ für dieses Volk ausgehandelt!
Was die Israelis jetzt mit dem Wegschließen bzw. der Tilgung der Nakba-Dokumente tun, ist der Versuch, einen Schlussstrich unter ihre eigene Vergangenheit ziehen zu wollen. Man will die Erinnerung an sie auslöschen. Es ist ein alter konservativer Irrglaube, dass man sie so bewältigen und Ruhe vor ihren Dämonen finden kann. Es gibt aber offensichtlich so etwas wie ein universal gültiges sozialpsychologisches Gesetz, dass das nicht funktionieren kann. Der deutsche Historiker Eberhard Jäckel hat es am deutschen Beispiel nachgewiesen: Je ferner die Hitler-Zeit rückte, desto näher kommt sie. Auch wenn Holocaust und Nakba Verbrechen von ganz unterschiedlichen Dimensionen sind, das Gesetz ihrer Aufarbeitung ist von ganz ähnlicher Dynamik und Struktur: Nur wer seine Vergangenheit und die seines Volkes schonungslos und aufrichtig betrachtet, wird von ihr frei. Israel tut gerade das Gegenteil: Es flüchtet in die Verdrängung und die innere Unfreiheit.
Das hat seine guten Gründe, wie Ilan Pappe immer wieder aufgezeigt hat. Denn wenn die Israelis ihre Verbrechen an den Palästinensern offen eingestehen und anerkennen würden, würden sie ihren eigenen Opferstatus in Frage stellen und dem ganzen zionistischen Projekt die moralische Legitimation entziehen. Wenn man sich aber weigert, mit dem Kern des Konflikts auseinanderzusetzen, ist man friedensunfähig.
Ilan Pappe schreibt: „Jeder Versuch zur Lösung eines Konflikts muss sich zuallererst mit dessen Kern auseinandersetzen und dieser Kern findet sich meistens in seiner Geschichte. Eine verfälschte oder manipulative Geschichte erklärt oft gut, warum ein Konflikt nicht beendet wurde, während eine wahrhaftige, umfassende Betrachtung der Vergangenheit zu einem dauerhaften Frieden und einer bleibenden Lösung beitragen kann. Wie die Untersuchung des Falles Israel/Palästina zeigt, kann eine falsch verstandene Geschichte der jüngeren oder ferneren Vergangenheit sogar noch direkteren Schaden anrichten: Sie kann die Unterdrückung, Kolonisierung und Besatzung von heute rechtfertigen. Es überrascht nicht, dass in solchen Fällen auch die Gegenwart verfälscht wird, ist sie doch Teil der Geschichte, deren Vergangenheit bereits entstellt wurde. Diese Täuschungen über Vergangenheit und Gegenwart verhindern das Verständnis des fraglichen Konflikts, erlauben eine Manipulation der Fakten und richten sich gegen die Interessen all jener, die Opfer des Konflikts sind.“
Das Verstecken oder Vernichten der Nakba-Dokumente wird Israel nicht helfen, die Dämonen der Vergangenheit wird es damit nicht bannen. Sie werden sich immer wieder ungebeten einstellen. 4.08.2019Homepage von Arn Strohmeyer >>>
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41 Demokraten gingen auf eine AIPAC-gesponserte Reise nach Israel, aber Sie werden das nicht von ihren Twitter-Konten wissen.
Philip Weiss und Michael Arria - 14. August 2019 - Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator - Letzte Woche gingen 41 demokratische Mitglieder des Kongresses nach Israel auf eine Reise, die von der American Israel Education Foundation, einer Niederlassung der AIPAC, unterstützt wurde. "Dies ist die größte Delegation, die jemals Israel besucht hat", prahlte Hausmehrheitsführer Steny Hoyer, der die Reise leitete. Allerdings gab es ein kurioses Element der Jahresreise: Kaum einer dieser Besucher hat über seinen Urlaub getwittert. Abgesehen von Berichten in den israelischen Medien, dass die Dems standen und für Benjamin Netanyahu klatschten, und Sichtungen von ihren republikanischen Kollegen, die dort drüben waren, wüssten Sie kaum, dass die Dems überhaupt gingen.
Im Gegensatz dazu haben 31 Republikaner einen Sturm aus Israel gezwitschert. Briefings von Netanyahu und Besuche von Militäranlagen sind überall in ihren Social Media-Berichten zu finden.
Das Fehlen von Gesprächen mit den Demokraten spiegelt offensichtlich die Bedenken wider, die die demokratische Basis über die besonderen Beziehungen zwischen den USA und Israel hat. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage zeigt, dass eine Mehrheit der Demokraten Sanktionen gegen Israel wegen Siedlungen befürwortet, auch wenn das Parlament mit überwältigender Mehrheit dafür stimmt, die Kampagne für Boykott, Veräußerung und Sanktionen zu verurteilen. weiter im von google übersetztem Text >>> Quelle
Palestine Update Nr.268 – 23. Juli 19 – Judaisierung von Jerusalem: Könnte es noch schlimmer werden?
Baraah DaraziDavid Ben Gurion (C), Israels erster Premierminister, erklärte am 15. Mai 1948 die Unabhängigkeit des Staates Israel – nach dem Votum der UNO zur Teilung Palästinas am 29. November 1947
Kürzlich haben die Palästinenser 52 Jahre markiert, seitdem Israel begonnen hatte, den östlichen Teil von Jerusalem einschließlich der Al-Aqsa-Moschee zu besetzen. Heuer jedoch kam zur Erinnerung an den Naksa-Tag eine neue Herausforderung dazu, nämlich der sogenannte Friedensplan, den die Donald Trump-Administration gebastelt hatte, um angeblich den Palästina-Israel-Konflikt zu lösen und als ersten Teil dieses Planes verfügte, den Wirtschafts-Workshop in Bahrain abzuhalten. Eine alte Herausforderung bleibt jedoch intakt und kann zurückgeführt werden auf den offiziellen Standpunkt der Araber, der eine weitere Verschlechterung für das Thema Palästina ist und eine Hinwendung zu warmen Beziehungen mit Israel zeigt.
Zwischen 1948 und 2019 hielt Jerusalem viel aus unter israelischer Besetzung. Sein westlicher Teil wurde von seiner arabischen Präsenz komplett gesäubert und in ein jüdisches Gebiet umgewandelt, während sein östlicher Teil einem nicht enden wollenden Prozess der Judaisierung unterworfen wird, die von Israel geleitet sein Antlitz und seine Identität auf dem kulturellen, demographischen und religiösen Sektor zu verändern soll. Um dahin zu gelangen hat Israel verschiedene Mittel benutzt, um aus Jerusalem eine Stadt mit jüdischer Mehrheit zu machen und versucht, es als „ewige Hauptstadt des jüdischen Volkes“ zu deklarieren. Auf dem demographischen Gebiet hat die Besatzung eine Politik eingesetzt, die auf die Verkleinerung der arabischen Präsenz in Jerusalem – 2016 auf 38 % geschätzt – auf die niedrigst mögliche Anzahl hinzielt. Unterschiedliche Mittel wurden ausgenutzt, um dieses Ziel zu erreichen, darunter Siedlungsbau und -ausdehnung, Einschränkung von Baugenehmigungen und Zerstörung von Häusern der Jerusalemiten, um dem Siedlungsprojekt zu dienen.
*Die Besetzung in Zahlen* - Hier sagen Zahlen viel aus: Ein von Haaretz veröffentlichter Bericht von 2015 erwähnt, dass nur 7 % der in Jerusalem zwischen 2011 und 2015 bewilligten Baugenehmigungen in Jerusalem an palästinensische Nachbarschaften gegangen sind. Weil Jerusalemiten jährlich ungefähr 2000 Wohneinheiten benötigen, lebt die Hälfte von ihnen heute in nicht genehmigten Häusern. Seit 1967 hat Israel mehr als 5000 Häuser zerstört und erst kürzlich hat sein Höchstgericht den städtischen Behörden das Recht zugestanden, alle 60 Gebäude in der Nachbarschaft Silvan von Wadi Yasoul zusätzlich zur Genehmigung der Demolierung von 16 Apartmenthäusern mit rund 100 Wohnungen im Wadi al-Hummus Nachbarschaft von Sur Baher zu zerstören. Zu anderen Möglichkeiten gehören die Wegnahme des Status für ständigen Wohnsitz für Jerusalemiten ihre Ortsverweisung aus der Stadt. Es sei angemerkt, dass Israel seit 1967 mehr als 15.000 Jerusalemiten das Heimatrecht (Status der Ständigen Wohnsitzes) weggenommen hat; die Anzahl der von dieser Maßnahme Betroffenen liegt jedoch weit über dieser Ziffer.
Die Trennungsmauer, die die Ostseite von Jerusalem umzieht, ist ein anderes Mittel, um demographische Veränderungen herbeizuführen, weil ihr Verlauf so geplant ist, dass er ganze arabische Nachbarschaften, die Heimat von rund 100.000 Jerusalemiten, auf die Seite der Westbank verlagert. Einschlägige Gesetzesmacher in der israelischen Knesset haben vorgeschlagen, dass diese Nachbarschaften einer Regionalbehörde unterstellt und aus den städtischen Grenzen der Okkupation entfernt werden.
Zusätzlich zu dem oben Gesagten hat Israel seine Politik der Judaisierung gekrönt mit der totalen Nichtbeachtung der Rechte der Jerusalemiten, wie sie vom Völkerrecht bedingt wurden. Diese scheußliche Situation im östlichen Teil von Jerusalem wurde kürzlich von Israels Staats-Rechnungsprüfer kritisiert, unabhängig davon, dass sich sein Standpunkt auf die Idee gründet, dass Jerusalem unter israelischer Souveränität vereinigt ist, und dass sein Ostteil nicht weniger (städtische) Dienste zu erhalten habe als die Bewohner im westlichen Teil.
So hat der Bericht, der am 2. Juni 2019 erlassen wurde, den Mangel an sozialen Diensten und Bildungseinrichtungen sowie nachlässiger Gesundheitsfürsorge und einer hohen Armutsrate bekannt gegeben. Es wurde darin auch der Verdacht geäußert, dass die „Interior Ministry’s Population and Immigration Authority“ (Bevölkerungs- und Einwanderungsbehörde des Innenministeriums) sich nicht genügend bemüht habe, ausreichende und realistische Dienste für die Bewohner der Ostseite von Jerusalem vorzusehen.
Zusätzlich zu den demographischen Veränderungen in Jerusalem sind auch israelische Versuche am Wege, um die arabischen und muslimischen Seiten der Stadt durch die Auferlegung religiöser und kultureller Veränderungen umzugestalten. Das zeigt sich in den Drohungen gegenüber christlichen Heiligen Stätten und in den Angriffen auf muslimische Heilige Stätten, besonders die Al-Aqsa Moschee, die einer gefährlichen Politik der Judaisierung ausgesetzt ist, um den Forderungen von Tempelbewegungen zu dienen.
Israels Politik in Bezug auf Al-Aqsa kann zusammengefasst werden in seinen unbarmherzigen Versuchen, den historischen Status Quo vor der israelischen Okkupation der Moschee 1967 durch Versuche, eine örtliche und zeitliche Trennung herbeizuführen, und sie unter israelische Souveränität zu bringen und gleichzeitig die jordanische Schutzverwaltung zu beenden.
Kulturelle Judaisierung ist auch augenscheinlich in den sogenannten Nationalparks, mit denen Siedlern und biblischen Narrativen gedient werden soll, und indem man die arabischen Namen der Dörfer, Gegenden und Straßen in Jerusalem durch hebräische Namen ersetzt. In diesem Kontext hat die Okkupation seit 1948 mehr als 22.000 Namen in Jerusalem judaisiert und erst kürzlich beschloss die Stadt Jerusalem, fünf Straßen in der Silvan Nachbarschaft nach jüdischen Rabbinern zu benennen.
Dennoch, das ist noch nicht die ganze Geschichte und während dieses der laufende Trend ist, den Israel verfolgt, scheint die Zukunft nicht heller zu sein. Eine kürzlich von der „International Crisis Group“ (internationalen Krisengruppe) veröffentlichte Analyse hat prophezeit, dass 2045 Juden eine Minderheit sein werden in Jerusalem, was Israel veranlassen müsse, mehr Maßnahmen durchzuführen, um eine solche Situation nicht aufkommen zu lassen. Namentlich würden palästinensische Nachbarschaften, die östlich der Trennungsmauer liegen, weggenommen und damit de facto der Großteil von Ostjerusalem annektiert werden.
*Ein Bombenplan* - Während die Szene in Jerusalem von Judaisierung überhäuft wird, bringen US-Präsident Donald Trump und seine Administration einen komplett schiefen Zugang zu Gunsten der israelischen Narrative und seiner Interessen in den Blick.
Darunter fällt zum Beispiel die Anerkennung von Jerusalem zur Hauptstadt von Israel durch die Übersiedlung der Botschaft der USA in die besetzte Stadt und durch die Absage an die laufenden Bemühungen, das Rückkehrrecht (der palästinensischen Vertriebenen) aufzuheben. Der Wirtschafts-Workshop in Bahrain, der im Juni 2019 stattgefunden hat, ist eine weitere Demonstration der amerikanischen Unterstützung für israelische Interessen, die Palästinenser dazu bringen sollen, ihre Rechte auf wirtschaftliche Investitionen zu verhandeln, was schließlich den Interessen der Okkupation dienen würde. Noch schlimmer ist der arabische offizielle Standpunkt gegenüber der Entfaltung von Entwicklung und Akzeptanz amerikanischer Pläne in der Region und Förderung der Normalisierung mit Israel, während es weiterhin auf den Rechten der Palästinenser herumtrampelt.
Dieses Umfeld hat es für Israel noch bequemer gemacht, die weitere Judaisierung von Jerusalem voranzutreiben, und damit seine Bemühungen zu verstärken, um noch mehr Fakten zu setzen. Die für Juden zu erwartenden Zukunftsaussichten, in der Stadt zu einer Minorität zu werden, macht es für Israel wahrscheinlicher, bis zur Erschöpfung daran zu arbeiten, die Entwicklung zu einer solchen Veränderung der demographischen Balance zu verhindern, besonders nach den Knesset-Wahlen im September 2019 und bevor Trump komplett beschäftigt sein wird mit der für 2020 vorgesehenen
Präsidentschaftswahl. In diesem Licht sagt ein Satz alles aus über die Judaisierung der Ostseite von Jerusalem: „Es kommen noch härtere Tage…“ (Übersetzung: Gerhilde Merz)
14. 8. 2019
Wenn ein Bischof die Wahrheit über Israel ausspricht, spulen Politiker, Kirchenleute und Journalisten gleich ihre Antisemitismus-Vorwurfs-Litanei ab - 7.08.2019 - Arn Strohmeyer
Da redet ein deutscher protestantischer Bischof Tacheles in Sachen Israel – und Journalisten Politiker und die Spitzenvertreter der Kirche fallen gleich rudelweise über ihn her und stellen ihn in die antizionistische bzw. antisemitische Ecke. Man muss ihre Vorwürfe hier gar nicht wiederholen, es sind immer dieselben, sie werden routinemäßig wie eine Litanei abgespult, wenn es jemand wagt, Israels Politik gegenüber den Palästinensern oder Deutschlands Politik gegenüber dem zionistischen Staat zu kritisieren. Schon lange und erst recht nach dem BDS-Beschluss des Bundestages ist Artikel 5 des Grundgesetztes (Meinungs- und Informationsfreiheit) so gut wie außer Kraft gesetzt.
Was war geschehen? Der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche Hans-Jürgen Abromeit hat ein paar Wahrheiten ausgesprochen, die in Deutschland eben auf dem Index stehen: Die Deutschen betrieben aus dem Schuldbewusstsein des Holocaust heraus eine „Überidentifikation“ mit dem Staat Israel. Es würde ganz bewusst – besonders von der Kirche – nicht zwischen dem biblischen und dem heutigen Staat Israel unterschieden. Die Sicherheit Israels werde zur deutschen Staatsräson erklärt, die berechtigten Interessen der Palästinenser (auch ihre Sicherheit) spielten dabei aber keine Rolle.
Der Bischof fügt noch eine berechtigte Kritik am Zionismus hinzu, der in ein „leeres“ Land eingedrungen sei, in dem eine arabische Mehrheit lebte, dort durch Einwanderung [und Vertreibung, muss man hinzufügen] eine neue Bevölkerungsmehrheit geschaffen hat und nun dort einen Besatzungsstaat aufrechterhält, der Frieden unmöglich macht.
Für Kenner der Geschichte des Zionismus, Israels und des deutsch-israelischen Verhältnisses sind das keine sensationellen Neuigkeiten, offenbar aber für deutsche Politiker, Medienleute und Kirchenvertreter. Mit anderen Worten lässt sich Abromeits Aussage so interpretieren: Die deutsche Politik hat sich ein ideales Israel-Wunschbild geschaffen (psychologisch gesehen eine Projektion), an dem man unbedingt festhält, ja festhalten muss. Die furchtbaren Verbrechen der Nazis verlangen nach Sühne und psychischer Entlastung. Man hofft die Erlösung dadurch zu erlangen, indem man zum Philosemitismus übergewechselt ist und sich vollständig mit dem Staat Israel und seiner Politik (also mit dem zionistischen Projekt) identifiziert – also auf diese Weise Sühne für den Holocaust leisten will.
Eine solche Haltung hat aber ihren Preis: Die deutsche Politik schweigt vollständig zu den Verbrechen, die Israel an den Palästinensern begangen hat und begeht, sieht man von einer leisen und folgenlosen Kritik an der Siedlungspolitik ab. Man muss dem aber entgegenhalten: Wenn der von Deutschen begangene Holocaust wesentlich zur (gewaltsamen) Entstehung des Staates Israel auf dem Boden Palästinas beigetragen hat, dann folgt daraus, dass Deutschland auch eine historische Verantwortung für die Palästinenser hat, die es wegen seiner einseitigen Fixierung auf Israel aber gar nicht wahrnimmt.
Man bewegt sich also in einer Wunschwelt, die wesentliche Elemente der Realität ausblendet. Diese Nicht-Wahrnehmung der Realität der israelischen Politik betrifft auch die immer wieder beschworene „Wertegemeinschaft“ zwischen beiden Staaten. Wie kann es gemeinsame Werte zwischen dem Staat des deutschen Grundgesetzes und dem brutalen Besatzungsstaat Israel geben, dessen zionistische Staatsideologie ganz offen deutlich macht, dass sie mit Menschenrechten und Völkerrecht nichts zu tun hat, sondern ihre eigenen Gesetze besitzt (so die frühere und wohl auch künftige israelische Justizministerin Ajelet Shaked).
Die so viel gepriesene deutsch-israelische Solidarität stellt sich in Wirklichkeit als ein großes Dilemma heraus. Denn die deutsche Politik hat sich zum engsten Verbündeten des nicht nur anachronistischen, sondern auch verbrecherischen israelischen Siedlerkolonialismus gemacht, denn Deutschland sichert mit seiner Unterstützung dieses Staates politisch, wirtschaftlich und militärisch dessen völker- und menschenrechtlich illegale Herrschaft über das palästinensische Volk ab. Um sich der deutschen Schuld am Holocaust zu entledigen, lädt man so ohne Skrupel neue Schuld auf sich.
Bischof Abromeit hat so nicht nur gegen die Dogmen der deutschen Israel-Politik verstoßen, sondern auch gegen eine der wichtigsten Dogmen seiner Kirche: die Nach-Auschwitz-Theologie. Diese sucht auf Grund der Schuld, die sie mit ihrem Mitläufertum in Hitlers „Drittem Reich“ auf sich geladen hat, durch den Dialog mit den Juden die größtmögliche Nähe zwischen einem neu konzipierten Christentum und dem Judentum herzustellen. Sie hält an der Auffassung fest, dass Gott einen Bund mit dem auserwählten jüdischen Volk geschlossen hat und dass dieser Bund heute noch gültig ist und fortbesteht. Das heutige Israel ist in dieser Sicht die Fortsetzung des jüdischen Staates des Alten Testaments, die Israelis sind die „Kinder Gottes“.
Was heißt: Die Nach-Auschwitz-Theologie unterscheidet nicht zwischen dem Israel des Alten Testaments und dem heutigen säkularen Staat Israel. Verdrängt werden so die massenhaften jüdisch-israelischen Menschenrechtsverbrechen an den Palästinensern. Dass diese auch ein Recht auf Gerechtigkeit, Menschenwürde und Selbstbestimmung haben, sieht die Nach-Auschwitz-Theologie nicht vor. Ja, sie rechtfertigt sogar die jüdische Landnahme in Palästina, weil sie ja von Gott abgesegnet sei.
Dagegen hatte schon der Amerikaner Mark Bravermann in seinem Buch Verhängnisvolle Scham. Israels Politik und das Schweigen der Christen Protest erhoben. Seine Anklage gipfelte in der Forderung: „Die Aufgabe, die sich die Glaubensgemeinschaften heute gegenüberstehen, ist es nicht, einen christlich-jüdischen Dialog um ihrer selbst willen zu führen oder eine Versöhnung im Hinblick auf vergangene Sünden und Tragödien zu erreichen. Vielmehr ist gewissenhaft und bewusst das Augenmerk darauf zu richten, die Grundursache für den israelisch-palästinensischen Konflikt zu beseitigen: die Vertreibung der Palästinenser und die Etablierung von Apartheidstrukturen der Diskriminierung. Wir stehen vor einer prophetischen Herausforderung, die uns vereinigen muss – dabei ist es ohne Bedeutung, ob wir Christen, Juden, Muslime, Amerikaner, Deutsche, Südafrikaner oder Israelis sind.“
Der deutsche Theologe Peter Bingel argumentierte ganz ähnlich: „Im Anblick des Staates Israel, wie er sich inzwischen entwickelt hat, und angesichts des menschenverachtenden Nationalismus müssen alle Kirchen dringend unterscheiden lernen zwischen einem Israel des Glaubens und der Bibel, wie es jahrhundertelang ihrem Israel-Verständnis entsprach und noch entspricht, und dem gegenwärtigen politischen Israel, das im Nahen und Mittleren Osten seine enorme Macht zu menschen- und völkerrechtswidrigem Handeln nutzt.“
Die deutsche Politik steht vor demselben Dilemma wie die Nach-Auschwitz-Theologie: Israel ist in ihrer Sicht die historische Antwort auf Auschwitz. Solidarität mit diesem Staat ist dann folgerichtig eine moralisch verstandene „Wiedergutmachung“, also gleichzeitig durch Abtragen der Schuld eine Aufarbeitung der Vergangenheit. Aber diese Selbstfreisprechung bringt die deutsche Politik (wie oben schon angedeutet) in ein Dilemma: Sie segnet indirekt die Verbrechen Israels an den Palästinensern ab, was einen Verrat an diesen Menschen bedeutet. Wurden früher die Juden diffamiert und geschmäht, dann sind es heute die entrechteten Palästinenser. Jedes Eintreten für ihre Menschenwürde – siehe BDS! – wird im heutigen Deutschland allem Gerede von westlichen Werten zum Trotz als „Antisemitismus“ angesehen und auch geahndet.
Wenn Bischof Abromeit von „Überidentifikation“ mit Israel spricht, dann benutzt er einen Begriff, den ein Jude geprägt hat. Der Israeli Moshe Zuckermann schreibt in seinem Buch Der allgegenwärtige Antisemit oder die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit: „Nachvollziehbare deutsche Schuldgefühle haben die öffentliche Sphäre Deutschlands über Jahrzehnte in entscheidendem Maß geprägt, zuweilen merkwürdige (Re-)Aktionen zeitigend, nicht zuletzt im Bereich der staatsoffiziellen Politik. Wenn das Diktum ‚Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen!‘ stimmt, dann mag sich in der performativen Überidentifizierung [Hervorhebung durch A.Str.]mit Juden eine Art Schuldabtragung, mithin eine selbsterteilte Vergebung, manifestieren. Wenn man selbst Jude sein darf, ist man nicht mehr ‚Täter‘, sondern Opfer, hat also etwas nagend Quälendes an sich ‚wiedergutgemacht‘.“
Bischof Abromeit befindet sich also in bester deutsch-jüdischer intellektueller Gesellschaft und liegt mit seinem Vorstoß vollständig richtig. Wenn man ihm für seine Aussagen Antisemitismus vorwirft, dann müsste man das logischerweise auch Moshe Zuckermann vorhalten. Dieser hat darauf eine passende Antwort: „Wenn Deutsche sich anmaßen, Juden und erst recht jüdische Israelis wegen ihrer Israelkritik des Antisemitismus zu bezichtigen, dann ist das als nichts anderes zu begreifen als ein deutsches Befindlichkeitsproblem. Man kommt in diesem Zusammenhang nicht umhin, von Hitlers verlängertem, Arm zu sprechen.“ Zuckermann sieht da „ein Residuum eines latenten antisemitischen Ressentiments am Werk, das sich – im heutigen Deutschland tabuisiert – neue Wege und Bahnen der eigenen Manifestation sucht. Nur Antisemiten können Juden als Antisemiten besudeln, um sich selbst von der erbärmlichen Unwirtlichkeit ihres deutschen, allzu deutschen Antideutschseins zu erlösen.“
Dem Bischof kann man nur zurufen: Bleiben Sie standhaft! Sie sind auf der Seite der Wahrheit und der Menschlichkeit!
Palästina" - Vortrag im Seminar der 124. Blankenburger Allianzkonferenz, 1. August 2019 - Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit, Greifswald
Seit Jahrzehnten kommt der Nahe Osten nicht zur Ruhe. Seit der Gründung des Staates Israel 1948 gab es sechs Kriege zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten, und bis heute fordern die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern immer wieder Tote und Verletzte. Es gibt kaum eine Familie sowohl auf der Seite der Israelis als auch auf der Seite der Palästinenser, die nicht Mitglieder in diesem Konflikt verloren hat. Dadurch ist die Kluft, die die beiden Völker in diesem Land trennt, kaum überwindbar.
Als Christ lese ich die Bibel auch mit der Frage, was unsere Heilige Schrift zu einem möglichen Frieden beitragen kann. Was sagt der Tanach, die hebräische Bibel und unser Altes Testament dazu? Gibt es im Neuen Testament Aussagen, die zum Thema beitragen? Fördern diese Texte den Frieden, oder verhindern sie ihn gar? Gibt es Hoffnung auf ein friedliches Miteinander von Israelis und Palästinensern, von Juden, Christen und Moslems? Ich meine, dass es Hinweise zu einer biblischen Vision für Frieden zwischen Israel und Palästina gibt. Bevor wir jedoch dazu kommen, möchte ich versuchen, in diesem Vortrag über die Hintergründe des Konfliktes zu informieren, die unterschiedlichen Narrative von Israelis und Palästinensern zu verstehen, und zeigen, wie auch wir als Christen und als Deutsche in diesen Konflikt verwickelt sind.
In der Regel ist es so, dass wir in Deutschland in der Regel wenig über die differenzierten Hintergründe des Israel-Palästina-Konfliktes wissen. Das hält die meisten aber nicht davon ab, eine feste Meinung dazu zu haben und feste Standpunkte einzunehmen. Ich versuche täglich dazu zu lernen, einen möglichst neutralen Standpunkt einzunehmen und Verständnis für die berechtigten Sichtweisen beider Seiten aufzubringen. Aber was sind berechtigte Sichtweisen?
Das Bild ist unglaublich komplex. Hinter jedem Erlebnis stehen geschichtliche Vorgänge, ohne die die Gegenwart gerade in Israel und Palästina nicht verstanden werden kann. Ich werde mich bemühen zumindest den wichtigsten Teil dieser Hintergründe zu erläutern, damit deutlich wird, was heute im Land der Bibel geschieht. >>>
Definiert Israels Regierung, was heute Antisemitismus ist? - Ein israelischer Historiker kritisiert die zu große deutsche Identifikation mit der zionistischen Ideologie - Arn Strohmeyer - 9.08.2019 - Antisemitismus ist in Deutschland wieder ein Thema geworden. Über seine angebliche Zunahme berichten deutsche Medien fast jeden Tag. Nun soll diese Form des Rassismus hier auch gar nicht verharmlost werden, die es zweifellos in einem Teil der Bevölkerung gibt. Auf der anderen Seite besteht kein Zweifel daran, dass Antisemitismus in hysterischer Weise hochgepuscht wird, denn alle Umfragen belegen, dass die Vorurteile gegenüber Muslimen viel größer sind als gegenüber Juden. Islamophobie wird aber ganz offensichtlich klein gehalten, über die Gründe darf man spekulieren.
Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz wiederholt seit Jahren: „Ich sehe überhaupt keine neue Qualität des Antisemitismus. Ich würde auch gern die Wortwahl ‚antisemitische Ausschreitungen‘ hinterfragen. Ich beobachte die Szene seit 30 Jahren. Seit 30 Jahren wird mit dem Thema Politik und Stimmung gemacht.“ Benz sieht die größere Gefahr heute viel mehr in der Feindschaft gegenüber Muslimen. Die Islamophobie arbeite mit ganz ähnlichen Argumentationsmustern und Stereotypen wie der Antisemitismus. Gemeinsam sei diesen Vorurteilen die Einteilung in Gut und Böse sowie das Phänomen der Ausgrenzung: „Das Feindbild der Juden wird heute durch das Feindbild der Muslime ersetzt. Wieder geht es um die Ausgrenzung einer Minderheit. Es ist höchste Zeit, die Diskriminierungsmechanismen zu verstehen und schließlich zu verhindern.“
Nun wird in deutschen Mainstream-Medien der Antisemitismus-Begriff so gut wie nie hinterfragt. Ob es um eine Attacke auf einen Kippa-Träger, Schmierereien an Synagogenwänden oder Vandalismus auf jüdischen Friedhöfen, BDS oder Kritik an Israels menschen- und völkerrechtswidriger Politik geht – alles wird über einen Kamm geschert und fällt in den meisten Medien unter den pauschalen Begriff Antisemitismus. Aber Antisemitismus ist eine Ideologie und man kann sie auf ihre Ursachen und Auswirkungen hin untersuchen und kritisch hinterfragen. Differenzierung tut da not!
Das leistet in vorbildlicher Weise ein israelischer Historiker. Sein Name: Daniel Blatman. Er lehrt an der Hebräischen Universität in Jerusalem (sein Fachgebiet ist der Holocaust) und er ist zugleich der Chefhistoriker des Warschauer Ghetto-Museums. Ein Mann also, den man wahrhaftig nicht unter Antisemitismus-Verdacht stellen kann. Er spricht in einem jetzt erschienenen Aufsatz von der „Verzerrung des Antisemitismus“ besonders in Deutschland und einer „Hexenjagd“ auf alle, die den gängigen Antisemitismus-Begriff nicht akzeptieren und womöglich noch Israels Politik kritisieren. Als Beispiel nennt er den erzwungenen Abgang des Direktors des Jüdischen Museums in Berlin Peter Schäfer, eines international hoch geachteten Judaisten. Sein Konzept passte bestimmten jüdischen Kreisen in Israel und Deutschland nicht, also musste er gehen. „Hexenjagd“ eben.
Blatman nennt die Veränderung („Verzerrung“) des Antisemitismusbegriffs eine „Revolution“. Warum? Er setzt den traditionellen, vertrauten Antisemitismus, der durch Feindseligkeit, Hass und Dämonisierung gegenüber Juden und Judentum gekennzeichnet war und ist (es gibt ihn ja noch) und sich in Mythen und Stereotypen ausdrückt von dem neuen funktionalen Antisemitismus ab, der auf dem Prinzip beruht, dass jeder, den bestimmte Juden als antisemitisch definieren wollen, als solcher auch definiert wird.“
Was Blatman dann definitorisch ausführt, ist für das deutsches Mainstream-Verständnis ein solcher Tabubruch, dass man es wörtlich anführen muss: „Mit anderen Worten, es handelt sich [bei dem funktionalen Antisemitismus] nicht mehr um einen Antisemitismus, der zwischen Juden und Nichtjuden nach Kriterien wie Religion, Kultur, Nationalität oder Rasse unterscheidet – sondern um einen, der zwischen Antisemiten und Nicht-Antisemiten unterscheidet, nach Kriterien, die von der israelischen Regierung und von Juden und Nicht-Juden, die ihn unterstützen, in Deutschland und anderen Ländern aufgestellt werden.“
Und weiter: „Was hier geschieht ist nicht weniger als eine historische Revolution im Verständnis des Antisemitismus: Antisemitische Deutsche definieren nicht mehr, wer ein Jude ist, der aus der Gesellschaft verbannt werden muss, sondern bestimmte Juden definieren, wer ein Antisemit oder ein Philosemit ist, und die Deutschen nehmen ihre Meinung an.“
Das ist harter Tobak. Denn diese Definition bedeutet nicht mehr und nicht weniger, dass die Führung in Israel festlegt, was Antisemitismus ist und was nicht und dass man im Ausland – besonders in Deutschland – diesen Vorgaben brav und gehorsam folgt. Die tägliche Erfahrung lehrt, dass dies keine Verschwörungstheorie ist. Die treue und blinde Anhängerschaft der israelischen ideologischen Vorgaben reicht von kleinen antideutschen Zirkeln und Postillen, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft über die Springer-Presse bis in den Bundestag und das Bundeskanzleramt.
Wenn man die Antisemitismus-Vorwurfs-Ideologie kritisch hinterfragt, dann muss man eine Antwort auf die Frage finden: cui bono? Was soll diese Ideologie leisten, wem soll sie letztlich nutzen und welches Ziel verfolgt sie? Der israelische Psychologe Benjamin Heit-Hallahmi hat schon von fast dreißig Jahren die Antwort auf diese Fragen gegeben: Der Antisemitismus-Vorwurf wird in erster Linie benutzt, um jede Kritik am israelischen Vorgehen gegen die Palästinenser abzublocken und zum Schweigen zu bringen.
Beit-Hallahmi schreibt: „Das Ziel dieser Verteidigung ist, den Zionismus mit einer Mauer der Immunität zu umgeben, so dass keine rationale Diskussion seiner Ziele und Implikationen mehr möglich ist. So eine Immunität braucht der Zionismus in der Tat, weil er durch normale politische Standards nicht verteidigt werden kann.“ Da wird dann eben Antisemitismus und Antizionismus gleichgesetzt, um zum gewünschten Ziel des Abwürgens jedes Diskurses über die israelische Politik zu kommen. Der von Israel definierte und vertretene Antisemitismus ist also auch eine Verteidigungs- und Rechtfertigungsstrategie des Zionismus und seiner äußerst unmoralischen, weil von Gewalt diktierten Politik. Ein anderes Mittel zur Rechtfertigung des Zionismus ist die Dämonisierung der Araber bzw. Palästinenser als „Antisemiten“ oder sogar als „Nazis“. Den Palästinensern wird dann unterstellt, dass sie den Genozid der Nazis an den Juden fortsetzen wollten – Ergebnis einer Projektion, also einer seelischen Übertragung eigener feindlicher Regungen und Aggressionen auf den „Anderen“, den „Feind“.
Sehr aufschlussreich ist die Formulierung Blatmans, dass bestimmte Juden definierten, wer Antisemit oder ein Philosemit sei und dass die Deutschen diese Meinung annähmen. Hat nicht kürzlich ein protestantischer Bischof von „Überidentifikation“ der Deutschen mit Israel gesprochen und für diesen Tabubruch verbale Prügel von allen Seiten bekommen? Solche Reaktionen sind immer verräterisch, weil sie psychologisch gesehen aussagen, dass da einer eine sehr unbequeme Wahrheit ausgesprochen hat, die man schnell wieder im Orkus der Verdrängung verschwinden lassen muss. Aber die empörten Reaktionen bestätigen genau das, was der Bischof behauptet hat, dass es eine Überidentifikation mit Israel gibt.
Dabei hatte der Bischof mit Überidentifikation nur einen Begriff angeführt, den der Israeli Moshe Zuckermann seit Jahren benutzt. Er schreibt in seinem Buch Der allgegenwärtige Antisemit oder die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit: „Nachvollziehbare deutsche Schuldgefühle haben die öffentliche Sphäre Deutschlands über Jahrzehnte in entscheidendem Maß geprägt, zuweilen merkwürdige (Re-)Aktionen zeitigend, nicht zuletzt im Bereich der staatsoffiziellen Politik. Wenn das Diktum ‚Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen!‘ stimmt, dann mag sich in der performativen Überidentifizierung [Hervorhebung durch A.Str.]mit Juden eine Art Schuldabtragung, mithin eine selbsterteilte Vergebung, manifestieren. Wenn man selbst Jude sein darf, ist man nicht mehr ‚Täter‘, sondern Opfer, hat also etwas nagend Quälendes an sich ‚wiedergutgemacht‘.“ Bisweilen spricht Zuckermann in noch schärferer Form sogar von einer Symbiose der Deutschen mit Israel.
Blatmans Satz, dass bestimmte Juden definieren, wer ein Antisemit oder ein Philosemit ist und dass die Deutschen diese Meinung annähmen, bedeutet ja auch die völlige Identifizierung mit dem von der israelischen Führung ausgegeben Antisemitismus-Begriff. Der deutsche Mehrheitsdiskurs debattiert also gar nicht, was Antisemitismus wirklich ist und wann er wirklich vorliegt, sondern man übernimmt kritiklos die israelische Definition und identifiziert sich aus Schuldgefühlen heraus mit einer Ideologie, die die Zionisten – wie Blatman und Beit-Hallahmi bestätigen – ersonnen haben, um ihren mit äußerster Gewalt geschaffenen Staat zu rechtfertigen, zu verteidigen und zu schützen. Moshe Zuckermann weist immer wieder auch darauf hin, dass Israel für diesen Zweck nicht davor zurückscheut, den Holocaust „in perfider Weise“ zu instrumentalisieren.
Überidentifikation mit etwas oder jemandem anderen ist aber psychologisch gesehen immer ein infantiles bzw. neurotisches Phänomen. Es zeigt an, dass ein Individuum oder ein Kollektiv noch nicht zur eigenen vollen Identität gefunden hat, weil es sich in Abhängigkeit von jemandem anderen befindet. Eine wirklich erfolgreiche Aufarbeitung der monströsen deutschen Vergangenheit kann also nur im Abbau, der Loslösung beziehungsweise der Emanzipation von der Überidentifikation oder der Symbiose mit Israel liegen – und damit auch von dem von dort vorgeschriebenen Antisemitismus-Begriff. Das würde die Antwort auf die Frage bedeuten, was ist wirklich Antisemitismus und wann und wo liegt er wirklich vor? Und wann und wo wird nur der von der israelischen Regierung für ihre Zwecke instrumentalisierte funktionale Antisemitismus gehorsam nachgebetet.
Eine Option für die deutsche Politik wäre: Israel öffentlich und unmissverständlich daran zu erinnern, auf welchen Säulen der deutsche Rechtsstaat (zumindest idealiter) beruht: auf dem liberalen deutschen Grundgesetz, den Menschenrechten und dem Völkerrecht. Das heißt: dass die Beziehungen ohne Wenn und Aber auf dieser Basis stattfinden müssen. Man könnte Israel dann die volle Unterstützung zusichern, ein selbstbestimmter Staat zu sein und zu bleiben, aber es muss ein Rechtsstaat Israel sein. Deutschland könnte auf diese Weise sein neurotisch-pathologisches Verhältnis zu diesem Staat bereinigend aufarbeiten, und damit gleichzeitig seine verbrecherische Vergangenheit in moralisch einwandfreier Weise bewältigen.
Blatman schreibt in seinem Aufsatz: „Es gibt eine bittere historische Ironie, jeden in Deutschland, der die gegenwärtige Politik Israels kritisiert, unterschiedslos als antisemitisch zu bezeichnen. So dient Deutschland dem brutalen und rassistischem Konzept des Zionismus im heutigen Israel.“ Deutschland sei, schreibt er, zu einem führenden Mitglied der Koalition der „Verzerrer des Antisemitismus“ geworden – Stichworte: funktionaler Antisemitismus, Hexenjagd, totale Identifizierung mit Israel. Der Deutsche Bundestag mache sich zum willigen Helfer („Fußmatte“) für Israel, seine Interessen und seinen Antisemitismus-Begriff. In Israel habe man einmal vom „neuen, anderen Deutschland“ gesprochen, das die Versöhnung mit dem Täterstaat möglich machte. Blatman hat große Zweifel, ob es dieses „andere Deutschland“ noch gibt, wenn es heute um Antisemitismus geht.
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