Gerechtigkeit für die Kilani-Familie! Worauf wartet Deutschland,
um eine Untersuchung einzuleiten?
30. Juli 2020 - aus dem französischen
überetzt mit Deepl
Anne Paq lanciert
eine wichtige Petition an die deutsche Regierung, das Massaker
Israels an der palästinensisch-deutschen Kilani-Familie in Gaza
nicht länger zu ignorieren. Es ist an der Zeit, dass sie die
Beschwerde eines in Deutschland ansässigen Mitglieds dieser
Familie berücksichtigt!
Gerechtigkeit für die Kilani-Familie! Worauf wartet Deutschland,
um eine Untersuchung einzuleiten?
Im Jahr 2014 wurden während der israelischen Offensive auf den
Gazastreifen, die als "Protective Edge" bekannt ist, sieben
Mitglieder der Familie von Ibrahim Kilani, darunter fünf Kinder,
bei einem israelischen Angriff auf Gaza-Stadt getötet. Da
Ibrahim 20 Jahre seines Lebens in Deutschland verbracht und dort
geheiratet hatte, hatte er für sich und vier seiner Kinder, die
bei dem Anschlag ums Leben kamen, die deutsche
Staatsbürgerschaft erhalten.
Bis heute haben die deutschen Behörden weder eine Untersuchung
eingeleitet noch ihre Verurteilung dieses israelischen
Verbrechens zum Ausdruck gebracht. Ebenso wenig haben sie der
Kilani-Familie ihr Beileid ausgesprochen. Ramsis und Layla
Kilani, Ibrahims Kinder aus seiner ersten Ehe, die beide in
Deutschland leben, suchen Gerechtigkeit für den Tod ihrer
Lieben.
Mit dieser Petition wollen wir ihnen unsere Solidarität
bekunden, Gerechtigkeit für die Kilani-Familie fordern und die
Tatenlosigkeit und das Schweigen der deutschen Behörden
anprangern. Über die Kilani-Affäre hinaus, die sehr sinnbildlich
für die Haltung der deutschen Regierung zu den israelischen
Verbrechen ist, fordern wir, dass Deutschland aufhört, Israel
blind zu unterstützen und gleichzeitig alle Stimmen zum
Schweigen bringt, die die israelischen Verbrechen gegen das
palästinensische Volk kritisieren.
Informationen zum Fall Kilani - Am 21. Juli 2014,
mitten in der israelischen Militäroffensive gegen den
Gaza-Streifen, griff ein israelisches Kampfflugzeug den
Al-Salam-Turm im Zentrum von Gaza-Stadt an und schoss eine
Großbombe ab, die die oberen vier Stockwerke zerstörte. Es wird
behauptet, dass Sha'ban Suleiman Al Dahdouh, ein Angehöriger des
Islamischen Dschihad, das Ziel des Angriffs war. Doch selbst
wenn ein Angriff ein militärisches Ziel hat, muss er nach dem
humanitären Völkerrecht immer verhältnismäßig sein und zwischen
Zivilisten und Kombattanten unterscheiden.
Mehrere Familien befanden sich in dem Gebäude. Elf Zivilisten
wurden bei dem Angriff getötet, darunter fünf Kinder (im Alter
zwischen vier und zwölf Jahren) und vier Frauen aus zwei
verschiedenen Familien: den Familien Al Kilani und Derbas. Die
Familien Al Kilani aus der Stadt Beit Lahiya im nördlichen
Gazastreifen waren aus ihrer Heimat geflohen, nachdem sie
Flugblätter erhalten hatten, die von den israelischen
Streitkräften an die Bewohner ihrer Nachbarschaft ausgegeben
worden waren und in denen sie aufgefordert wurden, das Gebiet zu
verlassen und in den Stadtzentren Zuflucht zu suchen.
Der Fall in Deutschland
In Deutschland haben das Europäische Zentrum für Verfassungs-
und Menschenrechte (ECCHR) und seine Partnerorganisation, das
Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR), im Jahr 2014
im Namen des deutschen Staatsbürgers Ramsis Kilani, der seinen
Vater und seine Halbbrüder und Schwestern bei dem Anschlag
verloren hat, Strafanzeige beim Generalbundesanwalt (GBA)
erstattet. Laut ECCHR "ist Deutschland verpflichtet, Verbrechen
gegen deutsche Staatsbürger wie Ibrahim Kilani zu verfolgen -
auch wenn diese Verbrechen im Ausland begangen werden. Bislang
hat das GBA nur im Fall Kilani einen Überwachungsmechanismus
eingerichtet. Es gibt jedoch genügend Fakten, die darauf
hinweisen, dass ein Kriegsverbrechen begangen wurde. Und als
solches ist das GBA verpflichtet, eine offizielle Untersuchung
einzuleiten, die dann zum Erlass internationaler Haftbefehle
führen sollte. »
Der Fall in Israel - In Israel wurde der Fall vom
Militärgeneralstaatsanwalt (MAG) geprüft und 2015 abgeschlossen.
Die Berufung wurde 2019 abgelehnt. Nach Angaben der UNO wurden
während der Operation "Protective Edge" gegen den Gazastreifen
2.251 Palästinenser, darunter 1.462 Zivilisten, getötet. Von den
getöteten Palästinensern waren 551 Kinder und 299 Frauen. Die
überwiegende Mehrheit der an den israelischen
Militärgeneralstaatsanwalt (MAG) gerichteten Strafanzeigen blieb
unbeantwortet oder wurde bereits abgeschlossen, was darauf
hindeutet, dass, wie in der Vergangenheit, die Urheber schwerer
Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte
nicht vor Gericht gestellt und nicht zur Rechenschaft gezogen
werden. Die israelische Organisation B'tselem, die angedeutet
hat, dass sie beim israelischen Militär keine Beschwerden mehr
einreichen wird, kommt zu dem Schluss, "dass all dies zu der
unvermeidlichen Schlussfolgerung führt, dass im Rahmen der
Operation Protective Edge die Arbeit der Untersuchungsorgane der
Streitkräfte wie bisher nichts anderes tut, als die Illusion zu
erwecken, dass Israel seiner Verpflichtung nachkommt,
Gesetzesverstöße zu untersuchen. »
Andere israelische Militäroffensiven gegen den Gaza-Streifen
sowie die unzähligen Verbrechen, die von israelischen
Streitkräften in anderen Teilen Palästinas begangen wurden,
haben uns gezeigt, dass vom israelischen Rechtssystem keine
Gerechtigkeit erwartet werden kann.
Deutschland muss ermitteln und die Verantwortlichen zur
Rechenschaft ziehen. - Nur durch die internationale
Gemeinschaft können die Palästinenser auf irgendeine Form von
Gerechtigkeit hoffen. Unter der Zuständigkeit des allgemeinen
Rechts können die deutschen Behörden auch Völkermord, Verbrechen
gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in jedem Land der
Welt durch ihre Spezialeinheit zur Verfolgung internationaler
Verbrechen verfolgen. Deutsche Strafverfolgungen für in Syrien
begangene Kriegsverbrechen sind im Gange und zeigen die
Bereitschaft Deutschlands, auf Verbrechen in anderen Teilen der
Welt zu reagieren. Wir fragen daher, warum die deutschen
Behörden nicht handeln, wenn ihre eigenen Bürger durch eine von
einer ausländischen Regierung abgeworfene Bombe getötet werden.
Sechs Jahre nach dem Anschlag, bei dem eine
palästinensisch-deutsche Familie getötet wurde, sind wir der
Auffassung, dass das Schweigen der deutschen Regierung und die
bisherige Untätigkeit der deutschen Bundesanwaltschaft im
Kilani-Fall eine grausame Rechtsverweigerung für die
Kilani-Familie darstellt.
Wir fordern eine sofortige offizielle Untersuchung des Mordes
an Mitgliedern der Kilani-Familie und den Erlass internationaler
Haftbefehle für die Kriegsverbrecher, die dieser Tat für
schuldig befunden wurden.
Darüber hinaus ist Deutschland zu einem Ort geworden, an dem
jede Kritik an Israel und jede Unterstützung für das
palästinensische Volk und sein Selbstbestimmungsrecht
systematisch angegriffen wird. Deutschland schweigt nicht nur zu
den Verbrechen Israels, sondern wendet sich durch seine
Voreingenommenheit zugunsten Israels auch offen gegen die
Gerechtigkeit für das palästinensische Volk, unter anderem durch
Erklärungen, die die Zuständigkeit des Internationalen
Strafgerichtshofs für die Untersuchung der Kriegsverbrechen
Israels an den Palästinensern in Frage stellen.
Wir stehen in Solidarität mit der Kilani-Familie und allen
palästinensischen Familien, die Opfer israelischer Verbrechen
geworden sind und immer noch auf Gerechtigkeit warten, und wir
fordern die Menschen auf, zu handeln und diese Ungerechtigkeit
und die Komplizenschaft von Regierungen, die sie zulassen, zu
bekämpfen.
Quelle
Tage nachdem
sein Vater, seine Stiefmutter und ihre fünf Kinder am 21.
Juli
bei einem israelischen Luftangriff getötet wurden
, kann Ramsis Kilani ihren Tod immer noch nicht beklagen.
Wie schon seit
fast zwei Jahrzehnten seines Lebens trennen Beruf und
Distanz Kilani auch im Tod von seiner Familie.
Der anhaltende
Angriff Israels in Gaza , bei dem seit dem 7. Juli mehr als 1.200
Palästinenser getötet wurden, bedeutet, dass der 23-Jährige
nicht von
Deutschland in die Heimat seiner Familie im
Gazastreifen reisen kann , um als ältester Sohn die
Trauerprozessionen zu leiten.
Ramsis war
nicht in der Lage, ihnen die richtigen Rechte zu zahlen, und
beschloss, seine Familie so zu ehren, wie er es wusste,
indem er sich aussprach.
Wie Ramsis
selbst waren alle sieben seiner ermordeten
Familienmitglieder deutsche Staatsbürger. Die Berliner
Regierung muss jedoch noch eine Verurteilung aussprechen
oder ihr Beileid aussprechen.
Stattdessen hat
es Israel lediglich
gebeten , die Umstände des Mordes zu klären.
Keine
Warnung
Für Ramsis
bedeutete das Schweigen Deutschlands, die Trauer zu
verzögern und es auf sich zu nehmen, die Aufmerksamkeit der
Welt auf den Mord an seinem Vater und fünf Stiefgeschwistern
zu lenken.
„Mir wurde
klar, dass ich für alle Palästinenser die Verantwortung
hatte, die deutsche Öffentlichkeit über die Fakten zu
informieren. Ich wollte nicht, dass der Name meines Vaters
durch den Dreck gezogen wird “, sagte Ramsis.
mehr in der Google Übersetzung >>>
PLO verlangt von Europa Taten und nicht bloß
Worte zur Abschreckung Israels
RAMALLAH, Sonntag, 2. August 2020 (WAFA)
Während die
Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) ein Schreiben
begrüßt, das von europäischen Diplomaten gegen Israels Pläne,
mit dem Bau in einem als E1 bekannten Gebiet von Ostjerusalem zu
beginnen, übermittelt wurde, drängte sie Europa, seinen Worten
Taten folgen zu lassen, um Israel abzuschrecken.
Sowohl der Vertreter der Europäischen Union als auch die
Botschafter von 15 europäischen Ländern haben vor zwei Tagen ein
Protestschreiben an das israelische Außenministerium aufgrund
seiner Absicht, im Gebiet E1, östlich des besetzten Jerusalems
mit dem Bau zu beginnen, übermittelt.
"Wir begrüßen das von den europäischen Botschaftern
unterzeichnete Protestschreiben gegen Israels Pläne, mit dem Bau
in der illegalen Siedlung von "Givat Hamatos" und möglicherweise
in dem sogenannten Gebiet E1 im Außenbezirk des besetzten
Jerusalems zu beginnen“, sagte Hanan Ashrawi, Mitglied des
PLO-Exekutivausschusses. "Dennoch meinen wir, dass sowohl die
Europäische Union als auch die Regierungen dieser 15 Staaten
(Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Vereinigtes
Königreichs, Belgien, Dänemark, Finnland, Irland, Niederlande,
Norwegen, Polen, Portugal, Slowenien und Schweden) umsetzbare
Entscheidungen verabschieden sollten, die Israel abschrecken,
weiterhin auf dem Weg der Illegalität, Straffreiheit und de
facto Annexion zu verharren. Rhetorische Opposition hat Israel
nicht abgeschreckt. Fakt ist, dass Israel ermutigt wird, seine
kriminellen Handlungen drastisch zu eskalieren, weil es darauf
vertraut, dass die Opposition nicht vom Verbalen zum praktischen
Handeln übergehen wird."
Die PLO-Beamtin warnte, dass, falls der Plan umgesetzt würde,
„diese israelischen Pläne das besetzte Jerusalem von seiner
natürlichen palästinensischen Umgebung trennen und die besetzte
Westbank in zwei Hälften zerschneiden würden. Sie würden dann
das Kolonialprojekt Groß-Jerusalem mit dem Diebstahl von
strategisch wichtigem palästinensischen Land und der physischen
Behinderung jeglicher Anbindung an einen zukünftigen
palästinensischen Staat vollenden."
Ashrawi sagte: "Während die internationale Gemeinschaft sich mit
der „Möglichkeit“ einer Annexion befasst, setzt Israel sein
Annexions-Schema vor Ort ohne Abschreckungsmaßnahmen um. Das
beinhaltet die erstickende Belagerung und die in aller Stille
vorgenommene ethnische Säuberung von Silwan, Al-Issawiya und
Wadi Al-Joz (Palestinensische Viertel in Ostjerusalem) mittels
Häuserzerstörungen, systematischer Gewaltanwendung, und die
angekündigten groß-angelegten Siedlungsprojekte, die auf der
Vertreibung von tausenden Palästinensern beruhen."
Sie drängte darauf, dass diese Staaten „Israel nicht erlauben
dürfen, in diesen Machenschaften zu verharren. Das Prinzip der
Rechenschaftspflicht wird untergraben und irrelevant, wenn
internationale Akteure darauf bestehen, Israel einen Freibrief
für eklatante Verletzungen der palästinensischen Rechte und für
Verstöße gegen das Völkerrecht zu erteilen."
M.K.
Quelle
Übersetzt von Inga Gelsdorf
Fortschrittliche jüdische Opposition gegen Zionismus Palestine Update Nr. 390 - 25.7.20
Meinung - Ranjan Solomon - Zionismus war viele Jahre lang eine
Minderheitsbewegung in der ganzen von Juden bewohnten Welt. Vor
dem Holokaust war seine politische Bekanntheit minimal. Von
Polen dachte man, es sei das zionistische Herz. Aber auch dort
unterstützten nur 25 bis 30 % der Juden während der Jahrzehnte
zwischen den beiden Weltkriegen den Zionismus. In den USA
versprachen 1933 nur 88.000 der 4 Millionen amerikanischen
Juden, den Zionismus zu unterstützen. In der Tat ist die
„American Zionist Federation“ seit den späten 1920ern sehr stark
geschrumpft. In Ländern, in denen der Zionismus einst ein
mächtiges ideologisches Instrument gewesen war, wie in Ungarn
und Rumänien, wurde er sehr zynisch betrachtet: als eine extreme
Bewegung mit utopischen, wenn nicht sogar gefährlichen
politischen Objektiven. Die Ablehnung des Zionismus war
allgemein ideologisch in ihrer Substanz. Die erste Quelle für
ihre Ablehnung war die Religion. Viele Reformjuden tendierten
dazu, ihr Jüdisch-Sein in der Religion zu sehen und nicht in
ihrer ethnischen Identität. Andererseits glaubten orthodoxe
Juden, dass das jüdische Heimatland erst mit dem Kommen des
Messias auftauchen würde. Dieses wurde zum Streitpunkt. Eine
zweite Angelegenheit war die Frage der Nationalität. Juden haben
realisiert, dass Zionismus ein Hindernis für nationale Identität
sei und eine Bedrohung der natürlichen Bürgerrechte in ihrem
bestehenden Vaterland. Die liberalen Juden lehnten den Zionismus
auch ab, weil er sie ausschließen würde von der säkularen
Tradition und sie isoliert zurücklassen würde. Zuletzt war da
das jüdisch- sozialistische politische Paradigma, das klassische
und ethnische Identität herausforderte. Jüdische Sozialisten
empfanden den Zionismus als diametralen Gegner des Sozialismus
und als eine reaktionäre Abkehr von der Aufgabe, den
Antisemitismus zu bekämpfen und die jüdischen Rechte in der
Diaspora zu verteidigen.
Im beigefügten Interview spricht Sarah Lazare mit Benjamin
Balthaser, einem Professor für multi-ethnische Literatur. Er
betrachtet die verloren gegangene Geschichte des Anti-Zionismus
unter der jüdischen Arbeiterklasse, die man in den 30er und
40erjahren beiseite gestellt hatte. Balthaser diskutiert mit
Lazare über die kolonialen Ursprünge des modernen Zionismus und
das Streiten der jüdischen Linken dagegen in der Begründung, „er
sei eine Form von rechtslastigem Nationalismus, stehe
grundsätzlich gegen den Internationalismus der Arbeiterklasse
und ist eine Form von Imperialismus“. Diese politische
Tradition, argumentiert Balthaser, „unterminiere den Anspruch,
dass der Zionismus den Willen aller jüdischen Menschen
reflektiere und Wegweiser für den heutigen Tag anbiete.“
… Für uns Juden in den Vereinigten Staaten, die versuchen, über
unsere Beziehung nicht nur zu Palästina nachzudenken sondern
auch über unseren eigenen Platz in der Welt als historisch
verfolgte ethnokulturelle Diaspora-Minderheit müssen wir
nachdenken: an welcher Seite stehen wir und mit welchen
weltweiten Mächten wollen wir uns zusammentun … „Wenn wir uns
nicht mit den Scharfrichtern von Rechtsaußen, mit dem
Kolonialismus und Rassismus in die Reihe stellen wollen, gibt es
auch eine jüdisch-kulturelle Fähigkeit für uns zu aktivieren -
eine politische Fähigkeit zu aktivieren“.
Das ist ein langer Text für LeserInnen. Aber in Zeiten, in denen
sich der Zionismus politisch über Verhältnisse erhebt, die er
noch nie erreicht hatte, hilft das Interview, die Zusammenhänge
zwischen dem Zionismus, der seine Wurzeln in der Kolonisation
hat und jenem, der rassistische Ideologie ist, zu verstehen.
Bitte lesen und weit verbreiten. Ranjan Solomon
Eine Bundisten-Kundgebung in Brüssel um 1935.
Foto: YIVO-Archiv
*Die vergessene Geschichte der jüdischen anti-zionistischen
Linken*
Die Wurzeln zum
modernen Zionismus liegen im Kolonialismus. Das war der
Grundstock der Opposition der jüdischen Linken zum Zionismus in
den 1930er- und 1940erjahren, weil er eine Form des
rechtslastigen Nationalismus und Imperialismus darstellt, der
grundsätzlich gegen den Internationalismus der Arbeiterklasse
sind.
Der Antrieb für Israels Premierminister Benjamin Netanyahu zur
gewaltsamen Annexion von bis zu 30 % der besetzten Westbank ist
die Offenlegung der inneren Gewalt, einen jüdisch ethnischen
Staat auf die indigene palästinensische Bevölkerung aufstülpen
zu wollen. Während dieser Plan jetzt aufgeschoben ist, berichtet
die Menschenrechtsorganisation B’Tselem, dass Israel bereits im
Juni mit der Zerstörung von palästinensischen Wohnhäusern in der
Westbank begonnen und in diesem Monat dreißig davon demoliert
hat, eine Zahl, die die Demolierungen in Ostjerusalem nicht
einschließt!
Der Diebstahl und die Zerstörung von palästinensischen
Wohnhäusern und Gemeinschaften ist jedoch nur ein Teil eines
viel größeren – und älteren – kolonialen Projekts. Wie die
palästinensische Organisatorin Sandra Tamari schreibt, „wurden
die Palästinenser gezwungen, Israels Praktiken der Ausweisung
und Landenteignung mehr als70 Jahre lang auszuhalten.“ Heute hat
sich diese Wirklichkeit in ein offenes Apartheid-System
entwickelt: Palästinenser innerhalb von Israel sind Bürger
zweiter Ordnung – und Israel kodifiziert jetzt offiziell, dass
„Selbstbestimmung nur für Juden gilt“. Für Palästinenser in der
Westbank und in Gaza gelten militärische Okkupation, Belagerung,
Blockade und Kriegsrecht – ein System gewaltsamer Herrschaft,
ermöglicht durch politische und finanzielle Unterstützung durch
die Vereinigten Staaten.
Anti-Zionisten argumentieren, dass diese brutale Wirklichkeit
nicht nur ein Produkt einer rechtslastigen Regierung oder das
Misslingen der wirkungsvollen Herstellung einer
Zweistaatenlösung ist. Sie stammt eher aus dem modernen
zionistischen Projekt selbst, einem, das im kolonialen Kontext
erstellt wurde und grundsätzlich abhängt von ethnischer
Säuberung und gewaltsamer Beherrschung des palästinensischen
Volkes. Juden in der ganzen Welt sind unter jenen, die sich
Anti-Zionisten nennen und die sich lautstark gegen die Forderung
wehren, dass der Staat Israel den Willen – oder das Interesse –
des jüdischen Volkes repräsentiert.
Sarah Lazare sprach mit Benjamin Balthaser, einem Fachprofessor
für multiethnische Literatur an der Indiana University in South
Bend. Sein kürzlich erschienener
Artikel
„Als der Anti-Zionismus jüdisch war: Jüdische rassistische
Subjektivität und die anti-imperialistische literarische Linke
von der „Großen Depression“ bis zum „Kalten Krieg“ prüft die
ausradierte Geschichte des Anti-Zionismus unter der in den
1930er- und 40erjahren übergebliebenen jüdischen Arbeiterklasse.
Balthaser ist der Autor eines Gedichtbandes über die alte
jüdische Linke, genannt „Dedication“ und einer akademischen
Monographie unter dem Titel „Anti-imperialistischer
Modernismus“. Er arbeitet an einem Buch über jüdische Marxisten,
sozialistisches Denken und Anti-Zionismus im zwanzigsten
Jahrhundert.
Er redete mit Lazare über die kolonialen Ursprünge des modernen
Zionismus und der Streit der jüdischen Linken darüber, dass er
eine Form von rechtslastigem Nationalismus ist, wird
grundsätzlich in Opposition zum Internationalismus der
Arbeiterklasse und als eine Form von Imperialismus. Gemäß
Balthaser unterminiert die politische Tradition den Anspruch,
dass der Zionismus den Willen aller jüdischen Menschen
wiedergibt und ein Wegzeichen für heute ist. „Als Juden in den
Vereinigten Staaten, die versuchen, ihre Beziehung nicht nur zu
Palästina zu bedenken, sondern auch unseren eigenen Platz in der
Welt als eine historisch verfolgte ethno-kulturelle
Diaspora-Minderheit zu finden, müssen wir darüber nachdenken,
auf welcher Seite wir stehen und mit welchen Kräften in dieser
Welt wir uns zusammentun“, sagt er. „Wenn wir uns nicht mit den
Scharfrichtern der extremen Rechten, mit Kolonisation und mit
Rassismus zusammentun wollen, gibt es für uns auch eine
jüdisch-kulturelle Fähigkeit, uns zu bestimmen – eine politische
Fähigkeit, uns zu bestimmen.
*Das Interview*
*SL*: „Kannst du bitte erklären, worin die Ideologie des
Zionismus besteht? Wer hat sie entwickelt, und wann?*
*BB*
Ein paar Dinge müssen auseinandergebröselt werden. Erstens gibt
es vor allem eine lange jüdische Geschichte, die die Ideologie
des Zionismus vordatiert, die nach Jerusalem schaut, das alte
Königreich Judäa als Sitz eines kulturellen, religiösen und –
kann man sagen – messianischen Verlangens. Wenn du dir die
jüdische Liturgie anschaust, findest du Hinweise, die tausende
Jahre in das Land Zion, nach Jerusalem zurückgehen, das alte
Königreich, das die Römer zerstörten.
Es hat durch die ganze jüdische Geschichte Versuche gegeben –
unglücklicherweise – in das Land Palästina „zurückzukehren“; am
berühmtesten wurde Sabbatai Zevi im siebzehnten Jahrhundert.
Aber meistens verstand man „Israel“ während der längsten Zeit
der jüdischen Geschichte als eine Art kulturelles und
messianisches Verlangen, und es gab nicht den Wunsch, körperlich
dorthin zu wandern - außer kleinen religiösen Gemeinschaften in
Jerusalem und, natürlich, der kleinen Zahl von Juden, die
weiterhin unter der ottomanischen Herrschaft lebten – ungefähr 5
% der Bevölkerung.
Der zeitgenössische Zionismus, besonders der politische
Zionismus, greift tatsächlich zurück auf dieses weite Reservoir
von kulturellem Verlangen und dem religiösen Text zur
Selbst-Legitimation, und daher kommt die Verwirrung.
Der moderne Zionismus entstand im späten 19ten Jahrhundert als
eine europäische nationalistische Bewegung. Und ich denke, das
ist der Weg, um ihn zu verstehen. Er war eine der vielen
nationalistischen Bewegungen von unterdrückten Minderheiten, die
versuchten, aus den diversen Kulturen von West- und Osteuropa
ethnisch homogene Nationalstaaten zu bauen. Und da gab es im
späten 19ten und anfangs des 20ten Jahrhunderts viele jüdische
Nationalismen, von denen der Zionismus nur einer war.
Da gab es den jüdischen „Bund“, der eine Bewegung der
sozialistischen Linken war und in den frühen 1920erjahren
prominent wurde und einen Länder-übergreifenden Nationalismus in
Osteuropa ausdrückte. Diese Bewegung fühlte, ihr Platz sei
Osteuropa, ihr Land wäre Osteuropa, und ihre Sprache war
Jiddisch. Und sie wollten für Freiheit in Europa kämpfen, wo sie
tatsächlich lebten. Und sie fühlten, dass ihr Befreiungskampf
sich gegen die unterdrückerischen Regierungen in Europa
richtete. Hätte der Holocaust den Bund und andere jüdische
Sozialisten in Osteuropa nicht ausgelöscht, würden wir heute
über jüdischen Nationalismus in einem ganz anderen Kontext
sprechen.
Natürlich gab es auch sowjetische Experimente, um jüdische
autonome Zonen innerhalb von Gebieten zu schaffen, wo Juden
lebten oder innerhalb der Sowjetunion leben konnten; das
berühmteste davon ist wahrscheinlich in Birobidschan *), aber
auch ein sehr kurzlebiges war in der Ukraine. Diese beziehen
sich auf die jiddische Idee des „doykait“, Zuhause-Sein in der
Diaspora, in der jiddischen Sprache und Kultur.
*)Wikipedia: Birobidschan ist heute mit 275.413
Einwohnern die Hauptstadt der „jüdischen autonomen Oblast im
Föderationskreis Fernost, Russland. Sie liegt am Amur-Nebenfluss
Bira, 172 km westlich der Großstadt Chabarowsk.
Der Zionismus ist eine dieser kulturell nationalistischen
Bewegungen. Was ihn besonders machte, war, dass er sich in den
britischen Kolonialismus einpflanzte, eine Beziehung, die
explicit auf die Balfour-Deklaration 1917 zurückging und aktuell
versuchte, ein Land außerhalb einer britischen Kolonie zu
schaffen - Mandat Palästina – und den britischen Kolonialismus
als eine Hilfe zu benutzen, um sich selbst im Mittleren Osten
einzurichten.
Die
Balfour-Deklaration war im Wesentlichen eine Möglichkeit, um das
Britische Empire für seine eigenen Zwecke zu nutzen.
Gewissermaßen kann man sagen, Zionismus ist eine giftige
Mischung von europäischem Nationalismus und britischem
Imperialismus, verpflanzt in das kulturelle Umfeld von jüdischer
Bildersprache und Mythologien, die aus der jüdischen Liturgie
und Kultur kommen.
*SL*
Eines der Selbstverständnisse des modernen Zionismus ist, dass
er die Ideologie vertritt, die den Willen aller Juden darstellt.
Aber du argumentierst in deinem Papier, dass tatsächlich die
Kritik am Zionismus schon in der jüdischen Linken der 1930er und
1940er ziemlich allgemein war, und dass diese Geschichte
weitestgehend verloren ist. Kannst du sagen, worüber es bei
dieser Kritik ging, und wer sich daran beteiligte?
*BB*
Das Witzige an den Vereinigten Staaten, und ich würde sagen, das
stimmt auch für Europa, ist, dass vor dem Ende des Zweiten
Weltkrieges und sogar noch ein wenig nach diesem die meisten
Juden Zionisten verächtlich machten. Und dabei war es egal, ob
du ein Kommunist warst oder ein Reformjude, der Zionismus war
nicht populär. Es gab eine Menge verschiedener Gründe für
amerikanische Juden, um vor den 1940ern den Zionismus nicht zu
mögen.
Da gibt es die liberale Zionismus-Kritik, die von Elmer Berger
und dem American Council for Judaism sehr gern hervorgezogen
wird. Die Angst dieser Leute war, dass Zionismus grundsätzlich
eine Art doppelte Loyalität sei, dass er Juden zugänglich machen
würde für die Ansicht, sie seien keine richtigen Amerikaner, und
dass ihre Versuche, sich in die amerikanische Mainstream-Kultur
einzuklinken, tatsächlich frustrierend waren.
Elmer Berger brachte auch die Idee auf, dass jüdisch sein keine
Kultur und kein Volk sei, sondern einfach eine Religion, und
daher habe man außerhalb des religiösen Glaubens nichts
miteinander zu tun. Das, würde ich annehmen, ist eine
assimilationistische Idee, die aus den 20ern und 30ern kommt und
der Versuch, dem protestantischen Begriff von „Glaubens-gemeinschaften“
ähnlich zu werden.
Aber für die jüdische Linke – Kommunisten, Sozialisten,
Trotzkisten und Links-Marxisten – kam ihre Zionismus-Kritik aus
zwei Quellen: einer Kritik am Nationalismus und einer Kritik am
Kolonialismus. Sie verstanden Zionismus als einen rechtslastigen
Nationalismus und in diesem Sinne als Bourgeoisie. Sie sahen ihn
auf Linie mit anderen Formen von Nationalismus – als einen
Versuch, die Arbeiterklasse mit den Interessen der Bürgerlichen
auf die Reihe zu bringen.
Das also ist eine Kritik am Zionismus. Die andere
Zionismus-Kritik, die m.E. für die heutige Linke aktueller ist,
sagt, Zionismus ist eine Form von Imperialismus. Wenn man sich
die Pamphlete und Magazine, und die Reden, die die jüdische
Linke in den 30ern und 40ern hielt, anschaut, sieht man, wie
sich diese Zionisten an den britischen Imperialismus anglichen.
Diese waren sich auch sehr der Tatsache bewusst, dass der
Mittlere Osten kolonisiert war, zuerst von den Ottomanen und
dann von den Briten. Sie sahen den palästinensischen Kampf um
Befreiung als einen Teil der globalen anti-imperialistischen
Bewegung.
Natürlich sahen sich jüdische Kommunisten nicht als Bürger eines
Nationalstaates, sondern als Teil des weltweiten Proletariats:
Teil der weltweiten Arbeiterklasse, Teil der Weltrevolution. Und
so würde der Gedanke „Heimatland“ im Blick auf den schmalen
Land-streifen am Mittelmeer – unabhängig von irgendeiner
kulturellen Nähe zu Jerusalem – genau gegen alles sein, an was
sie glauben.
Als der Holocaust in den 1940ern ernst zu werden begann, und die
Juden aus Europa in alle Richtungen flohen, die ihnen möglich
waren, stimmten einige Mitglieder der kommunistischen Partei
dafür, dass man Juden erlauben sollte, nach Palästina zu gehen,
wenn sie der Vernichtung entgehen wollten, und es war natürlich,
dass Palästina der einzige Ort war, wohin man gehen konnte.
Aber das heißt nicht, dass man dort einen Nationalstaat gründen
konnte. Man muss mit den Menschen zurechtkommen, die dort leben
– so gut, als man möglicherweise kann. Es gab eine
kommunistische Partei von Palästina, die sich für jüdische und
palästinensische Zusammenarbeit zur Vertreibung der Briten
einsetzte und zur Schaffung eines binationalen Staates, der sich
aus einer Menge von Gründen – einschließlich des jüdischen
Siedlungsprojekts – in der Praxis als härter erwies als in der
Theorie.
Jedenfalls, verstand die jüdische Linke in den 1930ern und
1940er kritisch, sei der einzige Weg, auf dem der Zionismus in
Palästina in der Lage war, wirksam zu werden, ein koloniales
Projekt und die Vertreibung der indigenen Palästinenser aus dem
Land. Earl Browder, Vorsitzender der Kommunistischen Partei,
erklärte in einer Rede im Manhattan Hippodrome, dass ein
Judenstaat nur durch die Vertreibung von einer Viertelmillion
Palästinenser gebildet werden könne, was die Zuhörer zu dieser
Zeit schockierte – aber tatsächlich war die damals geschätzte
Zahl am Ende dramatisch niedriger als die tatsächliche.
*SL*
Du hast kürzlich in einem Zeitungsartikel geschrieben:
„Vielleicht ist die eindringlichste Narrative über den
Zionismus, auch unter Gelehrten und Schriftstellern, die dessen
marginalen Stand vor dem Krieg kannten, dass der Holocaust die
Meinung der Juden veränderte und ihn als notwendig erkannte.“ Du
stellst fest, dass einige große Lücken in dieser Narrative sind.
Kannst du erklären, welche es sind?
*BB*
Ich würde das ein wenig verändern, um zu sagen, dass ich in
diesem Kontext wirklich über die kommunistische und die
marxistische Linke spreche. Ich bin in einer linkslastigen
Familie aufgewachsen, wo die Meinung genau über die Frage des
Zionismus geteilt war – aber nichtsdestoweniger gab es da die
durchdringende Idee, dass der Holocaust die Meinung allgemein
veränderte, und jedermann schloss sich dieser Meinung an, sobald
Details über den Holocaust bekannt wurden, Zionisten und
Anti-Zionisten gleichermaßen.
Es ist unleugbar korrekt zu behaupten, dass ohne den Holocaust
wahrscheinlich kein Israel zustande gekommen wäre, und wenn auch
nur wegen des einen Faktums, dass es nach dem Krieg keine
massive Einwanderung von jüdischen Flüchtlingen gegeben hätte,
weil diese zweifellos in Europa geblieben wären. Ohne diese
Einwanderung von Juden, die den Krieg von 1948 bestreiten und
direkt hernach Israel bevölkern konnten, ist es zweifelhaft, ob
ein unabhängiger Staat Israel Erfolg gehabt hätte.
Eine Sache jedoch fand ich sehr überraschend, als ich mir die
linke Presse in den 1940ern vornahm – Publikationen der
Trotzkistischen Sozialistischen Arbeiter Partei, der
Kommunistischen Partei und der Schriften von Hannah Arendt.
Sogar nachdem der Umfang des Holocaust im Wesentlichen
verstanden wurde, blieb deren offizielle Position immer noch
anti-zionistisch.
Sie mögen nach Juden gerufen haben, denen erlaubt war, sich in
jenen Ländern wieder mit vollen Rechten und voller Bürgerschaft
anzusiedeln, von denen sie ausgewiesen worden waren oder
massakriert wurden, oder denen erlaubt wurde, in die Vereinigten
Staaten einzuwandern, oder sogar nach Palästina auszuwandern,
wenn sie nirgendwohin anders hätten gehen können (was oft der
Fall war). Aber sie waren noch total gegen eine Teilung und die
Errichtung eines „Staates nur für Juden“.
Was wichtig ist zu verstehen über diesen Moment: Zionismus war
eine politische Wahl – nicht nur für die imperialen Westmächte,
sondern auch für die jüdische Führerschicht. Sie hätten eifriger
für die jüdische Einwanderung in die USA kämpfen können. Und ein
großer Teil der zionistischen Führer kämpfte in der Tat gegen
die Immigration in die Vereinigten Staaten.
Es gibt eine Reihe von Geschichten, über die die jüdische
kommunistische Presse berichtet, wie Zionisten mit den Briten
und Amerikanern zusammenarbeiteten, um Juden zu zwingen, in das
(britische) Mandat Palästina zu gehen, obwohl sie eigentlich
lieber in die Vereinigten Staaten oder nach England hätten gehen
wollen. Es gibt ein berühmtes Zitat von Ernest Bevin, dem
britischen Sekretär im Außenministerium, der sagte, dass der
einzige Grund, warum die USA Juden nach Palästina sandten,
gewesen sei „dass sie nicht noch mehr von ihnen in New York
haben wollten“. Und die Zionisten waren damit einverstanden.
Während dieses wie eine uralte Geschichte erscheinen mag, ist es
dennoch wichtig, weil es den gesunden Menschenverstand zerreißt,
der die Bildung von Israel umgibt. „Ja, kann sein, es hätte
Frieden geben können zwischen Juden und Palästinensern, aber der
Holocaust machte alles das unmöglich.“ Und ich würde sagen, dass
diese Debatte nach 1945 zeigt, dass es dort einen langen
günstigen Moment gegeben hat, in dem anderes möglich gewesen
wäre, und eine andere Zukunft eintreten hätte können.
Vielleicht (klingt es) ironisch, aber die Sowjetunion tat mehr
als jede andere Einzelmacht, um die Vorstellungen der Jüdischen
Marxistischen Linken über Israel in den späten 1940ern zu
verändern. Andrei Gromyko, der Botschafter der Sowjetunion in
den Vereinten Nationen, erschien 1947 und unterstützte die
Teilnahme an den Vereinten Nationen, nachdem er erklärt hatte,
die westliche Welt hätte nichts getan, um den Holocaust zu
stoppen, und plötzlich lag dies auf dem Tisch. Alle diese
jüdischen linkslastigen Veröffentlichungen, die den Zionismus
schlecht machten, waren – wörtlich am ‚nächsten Tag‘ – für die
Teilung und die Bildung des Nationalstaates Israel.
Du musst verstehen, für die Menge der jüdischen Kommunisten und
sogar Sozialisten war die Sowjetunion das gelobte Land – nicht
der Zionismus. Das war der Ort, an dem sie - gemäß der
Propaganda - den Antisemitismus ausgerottet hatten.
Das russische Kaiserreich war während des späten 19ten und des
frühen 20ten Jahrhunderts der Platz mit dem meisten
Antisemitismus vor dem ‚In-Erscheinung-Tretens‘ des Nazismus.
Viele der Mitglieder der Jüdischen Kommunistischen Partei oder
deren Familien waren aus Osteuropa und sie hatten sehr lebendige
Erinnerungen von Russland als dem Schmelztiegel des
Antisemitismus. Für sie war die russische Revolution ein Bruch
in der Geschichte und eine Chance für einen Neustart. Und das
geschah natürlich nach dem Zweiten Weltkrieg, nachdem die
Sowjetunion gerade die Nazis geschlagen hatte.
Dass die Sowjetunion den Zionismus annehmen würde, ging wie eine
Schockwelle durch die linkslastige jüdische Welt. Die
Sowjetunion veränderte ihre Politik ungefähr ein Jahrzehnt
später, indem sie sich ungefähr in den 1960ern offen dem
Anti-Zionismus zuwandte. Aber für diesen kurzen Umkehrpunkt
entschied sich die Sowjetunion ganz fest für eine Teilung, und
das scheint, was in Wirklichkeit die jüdische Linke veränderte.
Ohne diese Art von Legitimation sind wir alle gerade dabei, die
jüdische Linke, wie sie jetzt erscheint, auf einem wichtigen Weg
zu Positionen zurückkehren zu sehen, die sie ursprünglich
eingenommen hatte, was heißt, dass Zionismus ein rechtslastiger
Nationalismus ist, und dass er auch rassistisch und
kolonialistisch ist. Wir sehen die jüdische Linke zu ihren
ersten Prinzipien zurückkehren.
*SL*
Das ist eine gute Erklärung für einige Fragen, die ich dir
stellen wollte bezüglich der Bedeutung der anti-zionistischen
Geschichte bis zum heutigen Tag. Für viele Leute legt Israels
Plan, sehr große Teile von palästinensischem Land in der
Westbank zu annektieren – auch wenn er zurzeit zurückgestellt
wurde – die Gewalt des zionistischen Projekts, die jüdische
Gesetzbarkeit auf die palästinensische Bevölkerung zu legen,
klar. Und wir sehen, wie einige prominente liberale Zionisten
wie Peter Beinart öffentlich erklären, dass die
Zweistaaten-Lösung tot ist und ein Staat auf der Basis von
gleichen Rechten der beste Weg sei. Siehst du jetzt den
wichtigen Moment gekommen, sich mit der Geschichte des jüdischen
Anti-Zionismus zu verbinden? Siehst du Öffnungen oder
Möglichkeiten, die Einstellung der Leute zu verändern?
*BB*
In seiner Art kommt Beinart’s Brief 70 Jahre zu spät*). Aber er
ist dennoch ein sehr wichtiger kultureller Schwenk in dem
Ausmaß, dass er Teil einer liberalen jüdischen Einrichtung ist.
Ich würde auch sagen, dass wir uns in einem ganz anderen
historischen Moment befinden. In den 1930ern und 40ern konnte
man wirklich über eine Art globalem revolutionärem Gefühl und
einer wirklichen jüdischen Linken reden, die in Organisationen
wie der Kommunistischen Partei, der Sozialistischen
Arbeiterpartei und der Sozialistischen Partei angesiedelt waren.
Und das kannst du wieder in den späten 1960ern sehen. (Anm. der
Übersetzerin: Pal. Update Nr.386)
Studenten für eine demokratische Gesellschaft, die auch eine
sehr beträchtliche jüdische Mitgliedschaft aufzuweisen hatten,
stärkten dem Anti-Zionismus in den 1960ern zusammen mit der
Sozialistischen Arbeiterpartei formell den Rücken und formten
Allianzen mit dem Studenten-Koordinierungskomitee für
Gewaltlosigkeit, das in den späten 1960ern eine offizielle
anti-zionistische Stellung innehatte.
Du denkst vielleicht nach über einen globalen revolutionären
Rahmen, in dem die Befreiung von Palästina ein wesentlicher Teil
war, du könntest auch über die Popular Front für die Befreiung
von Palästina und die Palästinensische Befreiungsorganisation
(PLO) als Teil der Herstellung einer globalen revolutionären
Bewegung nachdenken.
Heute leben wir in einem viel mehr zerstückelten Raum.
Gleichzeitig aber sehen wir die Wiedergeburt – oder vielleicht
Fortdauer – der palästinensischen Bewegungen für zivile Rechte,
und die palästinensische Zivilgesellschaft ruft lautstark nach
Dekolonialisierung – beides aus ihren eigenen
Befreiungstraditionen, aber auch, indem sie sich die Modelle des
südafrikanischen Befreiungskampfes zum Vorbild nehmen.
Für zeitgenössische Juden, die fortschrittlich sind und sich an
der linken Seite sehen, kommt sehr plötzlich die Erkenntnis,
dass es tatsächlich kein Zentrum mehr gibt, dass die liberale
zionistische Position nicht mehr existiert. Das Zentrum ist
wirklich weggefallen!
Und wir stehen dieser sehr starken Entscheidung gegenüber: Geh
entweder auf die Seite der Befreiung – oder du gehst an die
Seite der israelischen Rechten, die hier immer ausschließende
und genocidale Bestrebungen vertreten hat – jetzt aber scheinen
diese ganz nackt dazustehen! Und darum glaube ich, wachen Leute
wie Beinart auf und sagen: „Ich will nicht an der Seite der
Scharfrichter stehen.“
Die Geschichte der alten jüdischen Linken und die neue jüdische
Linke der 1960er zeigen uns, dass das nicht neu ist.
Jeder Befreiungskampf geht von den Unterdrückten selbst aus, und
so ist die palästinensische Befreiungsbewegung dabei, ihre
Termine für Kämpfe festzulegen. Aber für Juden in den
Vereinigten Staaten, die versuchen, über ihre Beziehung
nachzudenken nicht nur mit Palästina, sondern auch, um ihren
eigenen Platz in der Welt zu finden als historisch verfolgte
ethno-kulturelle Diaspora-Minorität, müssen wir nachdenken, an
welcher Seite wir stehen, und mit welchen weltweiten Mächten wir
zusammengehen wollen.
Wenn wir nicht mit den Scharfrichtern von Rechtsaußen, mit
Kolonialismus und mit Rassismus zusammengehen wollen, gibt es
für uns noch eine kulturelle Fähigkeit, um uns dahin zu bewegen
– eine politische Fähigkeit, um uns die Richtung zu geben. Diese
Geschichte der anti-zionistischen jüdischen Linken zeigt, dass
eine wichtige historische Rolle in der Diaspora die Solidarität
mit anderen unterdrückten Menschen ist.
Das ist der Ort, von wo wir historisch gesehen am meisten Stärke
gewonnen haben. So betrachte ich dieses nicht, indem ich sage:
„Wir wollen die Kommunistische Partei der 1930er und 1940erjahre
nicht wieder herstellen“. Wir sagen: „Wir wollen etwas Neues
schaffen, aber die Vergangenheit kann eine kulturelle Fähigkeit
sein, die wir heute anwenden können.“
*SL*
Wer oder was ist verantwortlich für die Ausrottung dieser
Geschichte des jüdisch-linken Anti-Zionismus?
*BB*
Ich möchte die Vernichtung nicht nur der Sowjetunion oder dem
Zionismus zuschreiben, denn wir müssen auch den Kalten Krieg
bedenken und wie der Kalte Krieg die alte jüdische Linke
zerstört hat und sie wirklich in den Untergrund trieb und ihre
Organisationen erschütterte. So, glaube ich, müssen wir auch
anschauen, wie die Wendung zum Zionismus verstanden wurde als
etwas, das die Juden in der Nachkriegs-Ära normalisieren würde.
Mit der Exekution der Rosenbergs, der Red Scare*) der späten
40er und der 50erjahre und der praktischen Bannung der
Kommunistischen Partei, die während der 1930er und 1940erjahre
zur Hälfte jüdisch war, war für viele aus dem jüdischen
Establishment der Anschluss an den amerikanischen Imperialismus
ein Weg, ihre Gegenwart in den USA zu normalisieren. Und
hoffentlich ist dieser Moment zu einem gewissen Grad vorüber
gegangen.
*) Red Scare (rote Angst) ist die Darstellung der
weitverbreiteten Angst vor einer potentiellen Erhebung oder
Anarchie des Kommunismus durch eine Gesellschaft oder einen
Staat. (Kommt von den roten Fahnen für 2 Perioden in der
US-Geschichte, die mit diesem Namen bezeichnet werden)
Wir können die Leere und Unfruchtbarkeit sehen, die mit unserem
Anschluss an ein amerikanisches imperiales Projekt geschehen
würde, mit Leuten wie Bari Weiss und Jared Kushner. Wieso sollte
jemand wie Bari Weiss, die sich selbst als liberal bezeichnet,
sich mit den reaktionärsten Kräften im amerikanischen Leben
verbünden?
Es ist eine blutige Matrix von Assimilierung und Weiß-sein, die
aus dem Spießbürgertum des Kalten Krieges in den 1950ern
hervorging. Israel war Teil dieses Paktes mit dem Teufel. Ja,
ihr könnt wirkliche Amerikaner werden: Ihr könnt auf gute
US-Universitäten gehen, ihr könnt in den Vorstädten wohnen,
eintreten in den Mainstream des amerikanischen Lebens solange
ihr für uns das eine kleine Ding tut: dem amerikanischen
Imperium den Rücken stärken.
Hoffentlich kann mit dem Auftauchen neuer
Graswurzel-Organisationen in den Vereinigten Staaten unter Juden
und Nicht-Juden, die die Rolle der USA bei der Unterstützung des
Zionismus hinterfragen, diese Rechnung anfangen sich zu
verändern. Mit dem Aufkommen von JVP (=Jewish Voice for Peace),
IfNotNow (=Wenn nicht jetzt), den Demokratischen Sozialisten
Amerikas, und der Bewegung Black Lives Matter (= Schwarze Leben
sind wertvoll), die sich wehren gegen die Unterstützung der USA
für den Zionismus, hat der gesunde Menschenverstand in der
jüdischen Gesellschaft angefangen, sich in einer andere Richtung
zu bewegen, besonders in der jüngeren Generation. Die Schlacht
ist noch lange nicht vorüber, aber das alles macht mich
bezüglich der Zukunft ein kleines Bisschen
optimistischer.
*Quelle:
https://facebook.us14.list-manage.com/track/click?u=70813d3d15ac4637582781b8e&id=fe59778d82&e=bb7a291c18*
Georg Meggle ist Analytischer Philosoph. Und als
solcher Experte für Begriffsexplikationen. Zu den von ihm
explizierten Begriffen gehören u.a.: Kommunikatives Handeln,
Sprachliche Bedeutung, Terroristische Akte,
Abschreckungsstrategien, Humanitäre Interventionen,
Kollateralschäden, Täuschungsakte, Kollektive Identitäten - und
für diesen Beitrag am wichtigsten: Antisemitismus. Sein neuester
Beitrag dazu:
Genau wann bin ich Antisemit?.
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Texte die in den deutschen Medien fehlen. Gegen Gewalt und Rassismus, einem
gerechten Frieden verpflichtet, Politisch und finanziell unabhängig