Burkhard Müller
schreibt in eine e mail am
12.9.2006
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe in den vergangenen
Wochen zweimal die Gelegenheit gehabt,
mich öffentlich zum Thema
Naher Osten zu äußern:
am 26.August im Wort zum
Sonntag und am 31. August in einer
Morgen-Andachts-Reihe des WDR zum Thema Kain und
Abel.
Auf diese Äußerungen hin habe ich
viele Briefe und Emails bekommen.
Ich habe mich über die große
Resonanz gefreut.
Weil ich privat ein volles und
reiches Leben neben Fernsehen und Radio führe,
ist es mir leider nicht möglich,
auf die vielen Schreiben persönlich zu antworten.
Ich hoffe, Sie haben dafür
Verständnis.
Viele haben mir herzlich gedankt,
haben mich bestärkt und aufgefordert, auch weiterhin
strittige Themen aufzugreifen.
Solche Reaktion tut immer gut.
Darum danke ich herzlich dafür.
Einige haben die Silben gezählt
und festgestellt, dass ich die Wortmenge meiner
Beiträge ungerecht auf Israel und Libanon/Palästina
verteilt habe.
Wer die Worte dieses Briefes
nachzählt, wird feststellen, dass ich mich noch
einseitiger äußere. Das hängt damit zusammen, dass
nahezu alle Briefe aus pro-israelisch/-jüdischer
oder antiislamischer Position heraus argumentieren.
(Nur ein Brief mit der Sicht
eines Palästinensers hat mich erreicht).
Viele haben mich kräftig
persönlich angegriffen.
Ich habe plötzlich ein ganz neues
Bild von mir gewonnen.
Man hat mich als eingebildet,
anmaßend, ahnungslos, naiv, peinlich, selbstgerecht,
überheblich, antisemitisch usw. wahrgenommen.
Ich werde versuchen, darüber
nachzudenken, ob eins dieser Attribute mein
Verständnis über mich selbst bereichern und
vertiefen kann. Vielen Dank.
Allerdings erschreckt mich der
inflationäre Gebrauch des Begriffs „antisemitisch“.
Der Antisemitismus ist zu
gefährlich, als dass man den Begriff so
leichtfertig als Etikett auf alles klebt, was
irgendwie nicht voll auf pro-israelischer Linie zu
bleiben scheint.
Besonders danken möchte ich den
Briefschreibern, die mich ahnungslosen Netz-Nutzer
darauf aufmerksam gemacht haben, dass meine Texte an
verschiedenen Stellen von interessierter Seite ins
Netz gestellt, dort kommentiert und mit dem Aufruf,
jetzt aber dem Verfasser eine Mail zu senden,
versehen wurden.
Diese Erkenntnis hat mir
geholfen, die Flut gehässiger Brief richtig zu
bewerten. Schon vorher waren mir merkwürdige
gedankliche und auch sprachliche Übereinstimungen in
Briefen aufgefallen. Ich erhielt mehrere Briefe mit
gleichem Wortlauf von verschiedenen Absendern. Es
ist mir eine neue Erkenntnis, dass bei diesem Thema
sehr organisiert reagiert wird.
Es gab bedenkenswerte Kritik, für
die ich danke.
Z.B. dass man Abraham nicht
einfach nach „Palästina“ gehen lassen kann; dass
Israelis und Palästinenser keine semitischen
Brudervölker sind.
Sehr ernsthaft schien mir der
Vorwurf, ich als Christ und als Deutscher zumal
könne mir doch nicht erlauben, mich für Israel
Wohlergehen und Wohlverhalten verantwortlich zu
fühlen.
Ich habe dagegen kein Argument.
Allerdings ist es die Realität
meiner Gedanken und Empfindungen, dass ich von
Herzen wünsche, dass Israel Bestand hat, dass es ihm
gut geht, und dass es zu dem Zweck eine
zukunftweisende Politik macht.
Israel habe allein durch seine
Kriege seine Existenz gesichert. „Israel kann keinen
einzigen Krieg verlieren, eine Niederlage kostet
seine Existenz“.
So und ähnlich wurde mir oft
geschrieben.
Ich denke durchaus, dass Israel
militärisch stärker sein sollte als seine Nachbarn-
solange das möglich ist. Aber kann man nicht aus der
Geschichte lernen, dass niemand immer und auf Dauer
siegt? In der Rüstungstechnologie gibt es manchmal
unerwartet Entwicklungen, die Machtverhältnisse
umdrehen.
Ich wünsche Israel eine stabilere
Grundlage für eine glückliche Zukunft als
militärische Überlegenheit allein. Darum kann nicht
der Sieg, sondern nur der Frieden, nicht die
Unterwerfung, sondern die Versöhnung das Ziel einer
zukunftsweisenden Politik sein.
Ein Anlass für meine Worte zum
Sonntag war der Aufruf des Zentralrates der Juden an
uns Deutsche, im Libanonkrieg die israelische Seite
solidarisch zu unterstützen.
Das hat mich insofern überrascht,
als die Juden in Deutschland m. E. bis dahin bei
aller persönlicher Verbundenheit zu den Menschen in
Israel sorgfältig unterschieden haben zwischen sich
und der israelischen Regierung und nicht für deren
Handeln verantwortlich gemacht werden wollten.
Aber mit Frau Knobloch scheint
die Lobbyarbeit für israelische Politik größeres
Gewicht zu bekommen.
Ich bin ihrem Aufruf gefolgt und
habe – obwohl Deutscher und Christ – mich
darin solidarisch und als guter Freund Israels
verstanden, indem ich die in meinen Augen sehr
falsche Politik kritisiert habe.
Mit innerem Augenzwinkern habe
ich von den Carepaketen der Amerikaner und dem
Hilfswerk „Segen Abrahams“ geredet.
Natürlich weiß ich, dass
sich das nicht eins zu eins umsetzen lässt.
Und ich bin mir bewusst, dass es
angesichts des Hasses auf beiden Seiten großer
Anstrengungen bedarf, bevor man einander die Hand
reichen und dabei Geschenke machen kann.
Natürlich weiß ich, dass es in
Israel bereits vielerlei Gruppen gibt, die sich um
Versöhnung und Ausgleich bemühen, wenn sie auch
während des Libanonkrieges – jedenfalls nach
Presseberichten – sehr still geworden sind.
Aber vielleicht wäre es besser
gewesen – so lerne ich aus kritischen Einwänden -,
ich hätte in meinen kurzen Beiträgen von diesen
guten Ansätzen in Israel selbst berichten sollen.
„Es steht nicht in Israels Hand,
alle seine Feinde zu Freunden zu machen.“
Diesem Satz muss ich natürlich
zustimmen.
Aber Israel kann viel dazu tun.
Vor allem sollte das Militär
bemüht sein, den Hass nicht noch zu steigern.
Ganz so ahnungslos, wie manche
meinen, bin ich nicht. Vertrauenswürdige Augenzeugen
aus meiner Kirche haben erschütternde Dinge aus
Palästina
berichtet. Wenn das Berichtete
stimmt – und ich habe keine Zweifel daran – werden
auch die israelischen Soldaten nicht ohne inneren
Schaden von ihren Einsätzen zurückkommen.
Als Pfarrer der Ev. Kirche im
Rheinland fühle ich mich dem christlich–jüdischen
Dialog verpflichtet. Aber ich bin verwundert, wie
nach so vielen Jahren des Dialogs immer noch ein
Zwang zu bestehen scheint, aus Rücksicht und
Vorsicht sensibel nicht zu sagen, was man vielleicht
denkt. Unterschätzen wir unsere Dialogpartner nicht
möglicherweise? Müsste nicht inzwischen so viel
Vertrauen gewachsen sein, dass auch offen gesprochen
werden kann?
Meine Sorgen im Blick auf den
Nahen Osten sind groß. Aber in einer tieferen
inneren Ebene habe ich Zuversicht. Ich vertraue
darauf, dass die reichen Überlieferungen der Juden
ihnen den Mut und die Visionen schenken, zu einer
anderen, zu zukunftsfähiger Politik zu finden.
Das wird nicht ohne
Auseinandersetzung im Judentum selbst vonstatten
gehen.
In einer Mail von Rolf Verleger,
Mitglied im Präsidium des Zentralrats der Juden,
der wegen seiner Kritik an der israelischen Politik
scharf angegriffen wurde, fand ich den Satz:
„Wir werden aus den reichen
Traditionen des Judentums die Kraft und Inspiration
schöpfen, um eine andere jüdische Stimme hörbarer zu
machen.“
Mit freundlichen Grüßen
Burkhard Müller |