Die Karriere einer "offiziellen EU"
Definition des Antisemitismus
von George und Doris Pumphrey
In Diskussionen über Israel wurde und
wird immer wieder Bezug genommen auf eine
"Arbeitsdefinition Antisemitismus der EU", um Kritik an
israelischer Regierungspolitik als eine Form des
Antisemitismus zu denunzieren. Dieses "offizielle"
Dokument soll den Beweis dafür liefern. Da es auf der
Internetseite einer EU-Agentur zu finden war, meinten
und meinen selbst Kritiker der israelischen Politik, es
handle sich um ein "offizielles" EU-Dokument.
Die Vorgeschichte
Die Karriere dieser "offiziellen
EU-Definition" begann vor mehr als zehn Jahren. Unter
der Schirmherrschaft der UNO fand im Spätsommer 2001 die
Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban, Südafrika
statt.Die
Delegation der USA und Israels verließen vorzeitig die
Konferenz aus Protest gegen die Forderung, das
israelische Vorgehen gegen die Palästinenser als
Rassismus zu bezeichnen, die auf Seiten anderer
offizieller Delegationen und in der gleichzeitig
stattfindenden NGO Konferenz erhoben wurde.
Der internationale Kampf gegen Rassismus,
der durch diese Konferenz weltweit ins Zentrum der
Aufmerksamkeit gerückt war, war drei Tage nach Ende der
Konferenz vergessen. Mit den Geschehnissen des 11.
September 2001 begann die Barbarei des globalen "Kampfes
gegen den Terror", begleitet von einer umfassenden
Stimmungsmache und Hetze gegen Araber und Muslime.
Von den Auswirkungen des 9/11 Schocks und
der Verunsicherung profitierend, drängte das US State
Department die OSZE dazu, Konferenzen und Treffen zu
organisieren, die sich schwerpunktmäßig mit
Antisemitismus beschäftigen. Die erste fand im Juni 2003
in Wien statt. Laut NY Times gab es anfänglich seitens
einiger OSZE Mitgliedsstaaten erheblichen Widerstand
gegen diese US-Initiative, die Antisemitismus nicht als
separates Problem, sondern generell im Zusammenhang mit
Rassismus und Diskriminierung behandeln wollten.
Besonders seit der Konferenz in Durban
hatten sich zionistische Organisationen zum Ziel
gesetzt, den Widerstand gegen Israels Unterdrückung der
Palästinenser und die stärker werdende antizionistische
Kritik und Verurteilung der israelischen
völkerrechtswidrigen Politik als Antisemitismus zu
brandmarken. Auf der Wiener Konferenz bedauerten
Repräsentanten zionistischer Organisation, das
"Unvermögen" europäischer Regierungen, zu "erkennen,
dass der Antisemitismus nun aus neuen und verschiedenen
Richtungen kommt". Sie warnten davor "dass der neue
Antisemitismus ebenso genozidal werden könnte wie der
der Nazis". Der "traditionelle Antisemitismus" sei gegen
einzelne Juden gerichtet, der "neue Antisemitismus"
richte sich gegen Israel. Letzterer sei "legalisiert"
worden, während die UNO und andere internationale
Institutionen an Israel einen anderen Maßstab anlegen
würden als an andere Länder.
Neben dem Insistieren auf eine
"Singularität des Antisemitismus" – der separat
behandelt und nicht verbunden werden dürfe mit den
Problemen des Rassismus und der Xenophobie – bemühten
sich zionistische Organisation internationale
Institutionen zur offiziellen Anerkennung dieses "neuen
Antisemitismus" zu bewegen und organisierten
umfangreiche Lobbyarbeit bei Politikern, Parteien,
Regierungen und Institutionen.
Während die Konferenz in Wien mit
allgemeinen Empfehlungen endete, einigten sich die
Teilnehmer auf dem Nachfolgetreffen 2004 in Berlin
darauf, das OSZE-Büro für demokratische Institutionen
und Menschenrechte (BDIMR) zu beauftragen,
"antisemitische Vorfälle im OSZE-Raum genau zu
verfolgen" und Länderberichte zu veröffentlichen. Dies
sollte in Zusammenarbeit mit anderen OSZE-Institutionen
geschehen, darunter auch der Europäischen Stelle zur
Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
(EUMC).
Die "Arbeitsdefinition Antisemitismus"
Im Jahr 2004 hatte die EUMC (2007 ersetzt
durch die FRA – Agentur der Europäischen Union für
Grundrechte) in einem Bericht über Antisemitismus in der
EU das Fehlen einer für alle EU-Länder gültigen
Definition des Antisemitismus beklagt.
Auf ihrer Internetseite erschien im Jahr 2005 eine
"Arbeitsdefinition Antisemitismus".
Ohne auf alle in der "Arbeitsdefinition"
genannten Beispiele einzugehen, hier nur ein paar
Anmerkungen zur Erstellung und zum Inhalt dieser
"Definition".
Die "European Jews for a Just Peace" (EJJP),
eine Föderation jüdischer Friedensorganisationen in zehn
europäischen Ländern, bezeichneten die
"Arbeitsdefinition Antisemitismus" als "äußerst
problematisch" und kritisierten die fehlende Transparenz
an seinem Zustandekommen und die einseitige Auswahl
jüdischer Organisationen und Wissenschaftler an ihrer
Erarbeitung.
Die "Arbeitsdefinition" beginnt mit den
Worten, der Antisemitismus sei eine "bestimmte
Wahrnehmung von Juden", die aber nicht näher benannt
wird. Es folgen ein paar Beispiele von
"Verhaltensformen", die "unter Berücksichtigung des
Gesamtkontextes" als Antisemitismus gelten können. Die
EJJP kritisiert in ihrem Brief an die EUMC,
dass diese schwammige Definition des Antisemitismus
willkürlicher Interpretation Tür und Tor öffnet.
Mit der Bemerkung "unter Berücksichtigung
des Gesamtkontextes" werden dann auch "Beispiele von
Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Staat Israel"
eingeleitet. Wer aber entscheidet, wie der
"Gesamtkontext" interpretiert werden soll? Die
"Arbeitsdefinition" lässt auch hier der Willkür freien
Lauf. Diese Definition mache alle, "die den Staat Israel
in jeder legitimen Weise kritisieren, zu verdeckten
Antisemiten", schreibt die EJJP.
Die "Arbeitsdefinition" zählt unter
Antisemitismus "das Abstreiten des Rechts des jüdischen
Volkes auf Selbstbestimmung" im Zusammenhang mit dem
Staat Israel. Das aber würde, laut EJJP, bedeuten, "dass
alle Juden Selbstbestimmung mit Zionismus gleichsetzen"
würden. Das sei aber weder in der Vergangenheit noch
heute zutreffend. Die EJJP erinnert daran, dass es eine
"lange und respektierte Tradition in der jüdischen
Geschichte und Kultur" sei, dass nicht alle Juden den
"jüdischen Staat" als einzige Form der Selbstbestimmung
sehen und wünschen. "Die Annahme, dass alle Juden die
gleiche Meinung vertreten, ist per se eine Form des
Antisemitismus."
Antisemitismus sei, laut
"Arbeitsdefinition", "die Anwendung doppelter Standards,
indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von
keinem anderen demokratischen Staat erwartet und
verlangt wird." Ein Argument, dass immer wieder gegen
die Kritiker der israelischen Regierungspolitik
vorgebracht wird, die von Israel nichts anderes
verlangen, als dass es das Völkerrecht respektiert. Nur
wird dabei vergessen, dass der "doppelte Standard" in
der internationalen Politik nicht gegen, sondern
zugunsten Israels angewendet wird. Denn wie könnte es
sonst sein, dass nach den massiven und kontinuierlichen
Verstößen gegen das Völkerrecht, die "internationale
Gemeinschaft" Israel nicht schon längst mit Sanktionen
belegt hat?
"Antisemitismus" sei "das Bestreben, alle
Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel
verantwortlich zu machen", vermerkt die
"Arbeitsdefinition". Das aber sei, so die EJJP, die
"Kehrseite" der Position, die von der israelischen
Regierung und vieler Zionisten vertreten wird, "die
keinen Unterschied zwischen den Interessen Israels und
jenen von Juden weltweit" machen. Dass Israel sich
anmaßt, im Namen der Juden weltweit zu sprechen und zu
handeln, "nährt genau das, was die EUMC als potentiellen
Indikator des Antisemitismus identifiziert".
Zionisten reagierten schnell. Am 6.
November schrieb Shimon Samuels, Direktor für
internationale Beziehungen des Simon Wiesenthal Zentrums
an die damalige Außenbeauftragte der EU, Catherine
Ashton, und forderte die "sofortige Wiedereinstellung"
der "Arbeitsdefinition Antisemitismus" auf die
Internetseite. Am 29. November antwortete ihm die
Generaldirektion Justiz der Europäischen Kommission,
dass die Kommission und die Union eine Definition des
Antisemitismus weder eingeführt haben, noch vorhatten
eine einzuführen. Außerdem sei die FRA [und demnach
davor die EUMC] eine unabhängige Agentur. Weiter heißt
es in dem Brief, die EUMC habe ein Dokument mit dem
Titel "Arbeitsdefinition Antisemitismus" online gestellt
und seitdem hätten sich vor allem NGOs auf dieses
Dokument als "EU Definition" bezogen. "In aller
Autonomie hatte die FRA dieses Dokument bis vor kurzem
online" und habe es dann mit anderen nicht-offiziellen
Dokumenten von seiner Internetseite entfernt.”
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