Hilfe!
Friedenstreiber!
Uri Avnery, 16.9. 06
RATEN SIE, wessen Worte
dies sind: „ Diesen Krieg anzufangen, war ein Skandal
…Es wäre möglich gewesen, das Problem mit den Raketen
im Süd-Libanon auf diplomatische Weise zu lösen … Die
Offensive der letzten zwei Kriegstage, in der 33
Soldaten getötet wurden, nachdem die Resolution der
Feuerpause schon akzeptiert worden war, war reine
Propaganda des Ministerpräsidenten … der
Ministerpräsident, der Verteidigungsminister und der
Generalstabschef müssen zurücktreten…“
Richtig, es war von Gush
Shalom gesagt worden.
Aber das ist nichts
Neues. Neu daran ist, dass gestern der frühere
Generalstabschef Moshe Ya’alon diese Statements fast
Wort für Wort wiederholt hat.
„Bogie“ Ya’alon ist das
Gegenteil von Gush Shalom. Keiner käme auf die Idee, ihn
einer Randgruppe zuzuordnen. Er kommt mitten aus dem
Zentrum des Establishments. Er gehört zur Rechten. Er
war verantwortlich für einige der grausamsten Akte der
Besatzung.
Es gibt noch einen
Unterschied: Gush Shalom sprach dies aus, als das
Geschehen noch voll im Gange war, mitten im Krieg, als
es noch möglich gewesen wäre, das Leben der 33 Soldaten
zu retten. Zu jener Zeit waren diese Statements äußerst
unpopulär, ja, grenzten an Verrat. Weil kein
israelisches Medium bereit war, sie zu drucken,
veröffentlichte Gush Shalom sie als bezahlte Inserate.
Jetzt kommt Ya’alon daher und wiederholt sie – jetzt,
nachdem sich der Wind gedreht hat und sie populär
geworden sind.
Ya’alons Motive sind
nicht wichtig. (Wie man sich vielleicht erinnert, hatte
Ariel Sharon ihn seines Postens enthoben und ihn vor
einem Jahr durch Dan Halutz ersetzt, um den Weg für die
„Trennung“ - den Siedlertransfer aus dem Gazastreifen -
zu erleichtern. Wichtig ist, dass dies nun von einer
Person mit höchster militärischer Glaubwürdigkeit gesagt
wurde. Wenn solch eine Person erklärt, dass 33 Soldaten
für keinen militärischen Zweck geopfert worden sind,
sondern nur für die persönlichen Interessen Ehud
Olmerts, dass der Krieg an sich völlig unnötig war und
dass das Problem der Hisbollah-Raketen auf
diplomatischem Wege hätte gelöst werden können – dann
haben sie noch mehr Gewicht.
Das ist nicht nur
wichtig in Bezug auf das, was vor ein paar Wochen
geschah, als die Führung davon sprach, an der
nördlichen Grenze laure eine schreckliche Gefahr,
sondern ist heute noch wichtiger, wenn dieselbe Führung
vor einer noch größeren „Bedrohung“ von wo anders
warnt.
IN DEN Korridoren der
Macht in Jerusalem wird ein Schrei laut: „ Hilfe!
Frieden nähert sich dir, Israel!“
Ein schrecklicher Feind
hat sich verschworen, uns Frieden aufzuerlegen. Er
nähert sich uns von zwei Seiten in einer großen
Zangenbewegung.
Ein Arm dieser Offensive
ist die palästinensische Einheitsregierung, die gerade
im Werden begriffen ist.
Der andere Arm ist die
Entscheidung der Arabischen Liga, den arabischen
Friedensplan wieder zu beleben.
Vom Gesichtspunkt der
Regierung Israels aus gesehen ist diese Offensive weit
gefährlicher als alle Raketen Hassan Nasrallahs
zusammen.
DIE PALÄSTINENSISCHE
Regierung der Nationalen Einheit ist vor allem dafür
bestimmt, die internen palästinensischen Probleme zu
lösen.
Seitdem das
palästinensische Volk Hamas gewählt hat, herrscht auf
der palästinensischen Straße Anarchie. Die ständigen
Auseinandersetzungen zwischen dem Präsidenten, der der
Fatah vorsteht, und dem Ministerpräsidenten, der zur
Hamas gehört, haben gerade einen Zustand der Lähmung
geschaffen, während das palästinensische Volk
angesichts der existentiellen Herausforderungen
dringend Einigkeit benötigt.
Die Fatah dominiert die
moderne palästinensische Nationalbewegung seit ihrer
Gründung durch Yasser Arafat vor fast 50 Jahren. Sie
hat sich mit der Niederlage nicht abgefunden. Aber ein
Volk, das um seine reine Existenz kämpft, kann es sich
nicht erlauben, dass seine beiden Hauptgruppierungen
gegen einander kämpfen, statt gemeinsam für die
nationale Befreiung zu kämpfen.
Außerdem muss die
Blockade hinzugefügt werden, die der palästinensischen
Behörde durch Europa und die USA – auf Befehl von Bush
- auferlegt wurde. Dies ist ein noch nie da gewesener
Versuch, ein ganzes Volk buchstäblich auszuhungern,
damit es seine demokratisch gewählte Regierung absetzt.
Die nationale Einheitsregierung ist dafür bestimmt, die
öffentliche Ordnung wieder herzustellen und die
internationale Blockade aufzubrechen.
Damit dies geschieht,
muss die Regierung einige Hindernisse umgehen. Aus
religiösen Gründen ist es für die Hamas schwierig,
Israel offiziell anzuerkennen. Dies hat nichts mit
Antisemitismus zu tun, wie behauptet wird, sondern mit
der Tatsache, dass nach dem Islam das Land Palästina
eine religiöse Stiftung (WAKF) ist, die Allah gehört.
(Ähnlich dem jüdisch fundamentalistischen Glauben, dass
Gott dieses Land uns versprochen hat. Wer einen Teil
davon aufgibt, begeht eine tödliche Sünde) Aber der
Islam öffnet hier eine Hintertür, indem er eine
langfristige „Hudna“ (Waffenstillstand) möglich macht,
die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern kann.
Um dieses Problem zu
lösen, sollte die von der Hamas angeführte
Einheitsregierung erklären, dass sie sich dem
„Gefangenen-Dokument“, den UN-Resolutionen, den zwischen
Israel und der PLO unterzeichneten Abkommen und dem
arabischen Friedenplan verpflichtet weiß – alle
basieren auf der Anerkennung Israels. Das sollte jedem
genügen, der wirklich einen israelisch-palästinensischen
Frieden wünscht.
So weit dies unsere
Regierung betrifft – so liegt genau hier der Hase im
Pfeffer.
DER ZWEITE Zangenarm
einer Friedensoffensive ist die Wiederbelebung des
arabischen Friedensplanes.
Dieser Plan wurde
ursprünglich von Abdallah, dem damaligen Kronprinzen
und jetzigen König von Saudi Arabien ersonnen. Er wurde
beim Gipfeltreffen der arabischen Staatshäupter in
Beirut (März 2002) angenommen.
Der Plan lautet etwa so:
die ganze arabische Welt wird Israel anerkennen und mit
ihm Frieden machen, wenn es sich auf die Grenzen von
1967 zurückzieht und die Schaffung eines
palästinensischen Staates mit der Hauptstadt
Ost-Jerusalem möglich macht.
Die israelische
Regierung von Jerusalem hat diese Initiative sofort
zurückgewiesen – im Hebräischen sagt man „auf der
Schwelle“. (Jede Friedensinitiative wird „auf der
Schwelle“ zurückgewiesen, um ihr - Gott bewahre – nicht
zu gestatten, einen Fuß in die Tür zu setzen). Der Plan
wurde in einer Schublade abgelegt, und seitdem hat sich
eine dicke Staubschicht darauf gelegt. Nun haben die
schlimmen Araber entschieden, diesen Plan abzustauben
und ihn wieder auf den Tisch zu legen.
GEGEN DIESE Gefahr der
arabischen Friedenstreiber ruft die Olmert-Regierung
alle Kräfte zusammen. Obwohl die ganze politische und
militärische Führung damit beschäftigt ist, nach dem
Libanon-Fiasko für ihr Überleben zu kämpfen, hat sie
sich angesichts dieser erschreckenden Bedrohung
zusammengeschlossen.
Zippi Livni wurde Hals
über Kopf in die USA geschickt, um die Gefahr
abzuwenden. Sie bemühte sich, Präsident Bush (der
„zufällig“ den Raum betrat, als sie mit Condoleezza
Rice sprach und der sie „Zippi“ nennt), davon zu
überzeugen, das tödliche amerikanische Veto gegen eine
friedensunterstützende Resolution des Sicherheitsrates
anzuwenden. Sie wird sich mit noch zig anderen
Regierungshäuptern und Außenministern treffen, um dafür
zu werben, sie möchten Israel doch vor dieser
Bedrohung bewahren helfen.
Zu diesem Zweck nahm sie
aus dem Dachboden des Außenministeriums einen
diplomatischen Papierfetzen mit, der „Road Map“ genannt
wird. Der israelischen Regierung war es nie in den Sinn
gekommen , dieses Abkommen auszuführen, dessen einziger
Zweck es von Anfang an war, den Eindruck zu wecken,
dass Präsident Bush im Nahen Osten etwas erreicht
habe. Aber alle Parteien wussten von Anfang an, es ist
ein Dokument, das nicht ausgeführt werden kann.
Israel und die USA
werden deshalb erklären, dass der arabische Plan den
Frieden schädigen werde, weil er der Road Map
widerspricht. Die palästinensische Einheitsregierung,
wenn sie zustande kommt, muss boykottiert werden, weil
nicht alle ihre Mitglieder explizit den Staat Israel
anerkennen - als ob alle Mitglieder der israelischen
Regierung bereit wären, den Staat Palästina und seine
Regierung anzuerkennen, geschweige denn der Gewalt
abzuschwören und alle bestehenden Abkommen auszuführen).
Deshalb muss die Blockade des palästinensischen Volkes
weitergehen, bis es auf die Knie geht.
WARUM ERSCHRECKT die
Friedensoffensive die israelische Regierung so sehr ?
Wenn jemand am 4. Juni
1967 gekommen wäre und uns erzählt hätte, dass die ganze
arabische Welt bereit wäre, mit uns in den damals
bestehenden Grenzen Frieden zu machen und dass auch die
palästinensische Führung bereit wäre, ein Ende mit dem
historischen Konflikt zu machen, dann hätten wir uns
gefühlt, als wäre der Messias nahe.
Aber am 5. Juni 1967
begannen wir einen Krieg, der alles verändert hat. Wir
hatten bald ganz Palästina und zusätzlich weite Gebiete
unter Kontrolle. Wir erklärten damals, dass wir sie nur
vorübergehend halten wollen, um mit ihnen zu handeln,
aber wie allgemein bekannt , kommt mit dem Essen auch
der Appetit. Wir begannen, Gebiete zu annektieren
(Ost-Jerusalem mit seiner Umgebung und die Golanhöhen)
und bedeckten die Westbank mit Siedlungen.
In den Augen der
israelischen Führung ist die Friedensinitiative – jede
Friedensinitiative – nichts als eine üble Verschwörung
der Friedenstreiber, um uns die besetzten Gebiete zu
rauben. Sie würde uns zwingen, das Siedlungsunternehmen
abzubrechen, mit dem wir seit 1968 ohne Unterbrechung
fortfuhren und das auch jetzt in vollem Schwunge ist,
und sie würde uns zwingen, bestehende Siedlungen
abzureißen.
Die Zangenbewegung der
Friedenstreiber könnte an Fahrt gewinnen und
internationalen Druck schaffen, dem man schwer
widerstehen kann. Das ist der Grund für die panische
Angst in Jerusalem.
DIE ARABISCHE
Friedensinitiative könnte erfolgreich sein, wenn sie
der israelischen Öffentlichkeit direkt und eindeutig
zur Wahl gestellt würde: Frieden ohne die besetzten
Gebiete - oder die besetzten Gebiete ohne Frieden.
Nach sechs großen und
mehreren kleineren Kriegen, sollten wir eigentlich dahin
neigen, dass der Blut- und Geldpreis viel zu hoch ist,
und – noch wichtiger – dass er keinen Sieg bringt,
sondern die Last für die israelische Gesellschaft nur
um ein Vielfaches vermehrt..
In den sechs Jahren der
Torheit zwischen den 1967er und den 1973er-Kriegen
prägte Moshe Dayan den Satz: „Besser Sharm el-Sheik am
südlichen Ende der Sinai-Halbinsel) ohne Frieden, als
Frieden ohne Sharm el-Sheik!“
Solche Slogans kosteten
etwa 2700 israelischen (und wer weiß, wie vielen
ägyptischen und syrischen ) Soldaten im Yom
Kippur-Krieg das Leben. Später gaben wir Sharm el-Sheik
und den ganzen Sinai zurück und bekamen dafür den
Frieden mit Ägypten. Dayan selbst spielte bei den
Friedensverhandlungen eine Rolle.
Wie viele Soldaten und
Zivilisten - israelische und arabische - müssen denn
noch sterben, bis wir endlich begreifen, dass Frieden
mit dem palästinensischen Volk und der ganzen
arabischen Welt für Israel unermesslich wertvoller
wäre, als an den besetzten Gebieten und den Siedlungen
festzuhalten ?
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert) |