Nahostportal Krieg im Irak Iran Weltregierung UNO Das neue Imperium  Links für Verständigung Glaube Schreibe :Gegen Gewalt Erhard ARendT

 "Keinen vernünftigen Menschen wird es einfallen Tinte mit Tinte wegzuwischen aber Blut versucht man noch immer mit Blut zu entfernen." -  B. v. Suttner

Artikel von Uri Avnery

Start

 

Die Wetterfahne dreht sich

 

Uri Avnery, 6.12.03

 

Noch ist es keine Flutwelle. Aber es ist mehr als ein Plätschern . Es ist der Anfang einer Welle.

Während der letzten Monate ist in der öffentlichen Meinung eine bemerkbare Wende eingetreten. Dies hat verschiedene Gründe: allgemeine Müdigkeit der endlosen Spirale des Blutvergießens, die Erkenntnis, dass es keine militärische Lösung gibt, die Verschlechterung der wirtschaftlichen Krise, die unermüdliche Aktivität der radikalen Friedensgruppen.

Die Liste der sich häufenden Symptome wird länger: die Bewegung der jungen Leute, die den Armeedienst in den besetzten Gebieten verweigern; die Revolte der 30 Luftwaffenpiloten; die Ayalon-Nusseibeh-Initiative; das Statement der vier früheren Geheimdienstchefs; die Kritik vom Generalstabschef und in dieser Woche der öffentliche Angriff der Reserveoffiziere auf die fortdauernde Existenz der Siedlung Nezarim im Gazastreifen.

Die Genfer Initiative gab dieser Wende in Israel einen großen Auftrieb – und im Ausland ein eindrucksvolles Echo. Die Teilnahme von internationalen Persönlichkeiten bei der feierlichen Zeremonie in der Schweiz verlieh ihr Rang und Prestige. Die Entscheidung des US-Außenministers und des Generalsekretärs der UN, die Verantwortlichen dieser Initiative zu empfangen, war eine öffentliche Anerkennung der Friedensbewegung. (So war es auch mit der warmen persönlichen Botschaft, die von Bundespräsident Rau bei der Friedenspreisverleihung an Sari Nusseibeh und mich - in Köln am 16.11.- vermittelt wurde)

Wenn sich die Windrichtung ändert, beginnt sich die Wetterfahne zu drehen. Das geschieht in diesen Tagen. Einer der sensiblen Journalisten wie Yoel Markus von der Tageszeitung Haaretz begann schon vor einigen Monaten damit, Sharon anzugreifen. Nun wird es in den Medien zur Mode. Dieselben Kommentatoren, die drei Jahre lang als Propagandaagenten der Regierung und dem Armeekommando gedient hatten, haben auf einmal entdeckt, dass alles, was in den letzten drei Jahren getan wurde, schließlich doch ein schrecklicher Fehler war.

Den Experten folgten die Politiker. Die Funktionäre der Arbeitspartei, die eine giftige Attacke gegen Beilin und Co. inszeniert hatten, haben von sich aus ein Friedensprogramm veröffentlicht, das vom Genfer Dokument nicht sehr abweicht. (Aber kaum einer nahm es zur Kenntnis). Das interessanteste Phänomen jedoch ist die Wandlung Ehud Olmerts, des früheren Bürgermeisters von Jerusalem.

Diejenigen, die seit langem Olmerts Karriere verfolgen, glauben, dass er das Abbild eines politischen Opportunisten ist. Er möchte Likud-Parteivorsitzender nach Sharon werden, dem er jetzt noch treu dient. Sein Hauptkonkurrent Benjamin Netanyahu folgt einer extrem nationalistischen Linie. Olmert, der dieselbe Linie verfolgte, hat plötzlich seine Hautfarbe verändert. In der vergangenen Woche hat er eine überraschende Attacke auf die Groß-Israel-Idee und die Siedler losgelassen und schlug einen „einseitigen Rückzug“ vor, indem er behauptete, dass die fortdauernde Besatzung – Gott behüte! - zu einem bi-nationalen Staat führen würde. Er ging, was Israels zukünftige Grenzen betraf, nicht ins Detail.

 

Klar, Olmerts empfindliche Nase hat den Wandel in der öffentlichen Meinung gerochen. Aber der Likud-Kandidat für den Ministerpräsidenten wird von etwa 3000 Mitgliedern des Likudzentralkomitees nominiert, einer ausgesprochen extrem rechten Körperschaft, die sogar Sharons sogenannte gemäßigte Vorschläge abgewiesen hat. Es scheint, als ob Olmert glaube, dass auch diese Körperschaft sich wandle.

Sharon hat sich nicht verändert. Für ihn gilt noch immer das Sprichwort von den Flecken des Leoparden. Aber auch er findet es jetzt nötig, immer wieder zu wiederholen, dass er für „schmerzvolle Zugeständnisse“ bereit sei, und deutet an, dass er für einen einseitigen Rückzug ( von wo? wohin?) und um ein Treffen mit dem palästinensischen Ministerpräsident Abu-Ala ( wozu?) bemüht ist. Das hindert ihn nicht daran, mit dem Bau der monströsen Mauer fortzufahren, die palästinensisches Land in Stücke schneidet.

 

Die Palästinenser sind sich ihrerseits der Bedeutung des Wandels der israelischen Meinung sehr bewusst. Abu-Alas Bemühungen, einen Waffenstillstand zu erreichen, sind dafür bestimmt, diesen Prozess zu unterstützen. Auch sie verstehen, dass ein Selbstmordattentäter, der ein großes Blutbad in einer israelischen Stadt verursachen würde, den Aussichten auf einen Wandel sehr schaden würde.

Die Richtung der palästinensischen Seite ist sehr wichtig. Ich erinnere mich an ein Ereignis von vor 31 Jahren in Bologna. Dort fand die erste große öffentliche israelisch-arabische Konferenz nach vielen Jahren der Vorbereitung statt. Ich wurde dazu aufgefordert, die Eröffnungsrede für die israelische Seite aus zu halten. Ich sagte: „Der Vietnamkrieg wird in der amerikanischen Öffentlichkeit gewonnen, der algerische Krieg in der französischen Öffentlichkeit, und der palästinensische Krieg wird in der israelischen öffentlichen Meinung gewonnen werden.

Bevor ich diese Rede hielt, zeigte ich sie einem ranghohen arabischen Vertreter, dem ägyptischen Führer der Linken, Khaled Mohei-al-Din, einem der „freien Offiziere“, die 1952 die Revolution ausführten. Er war mit mir einverstanden. Aber nachdem ich die Rede gehalten hatte, kam ein zorniger Palästinenser auf mich zu und protestierte: „Eure israelische Arroganz kennt keine Grenzen! Glauben Sie denn, dass das, was in Israel geschieht, wichtiger ist als der palästinensische Kampf?“ Ich sagte ihm, dass selbstverständlich ohne den tapferen Kampf der Vietnamesen und der Algerier die amerikanische und französische öffentliche Meinung sich nicht geändert hätten.

Zwei Jahre später erschienen palästinensische Führer, die dieselbe Meinung äußerten. Said Hamami, der PLO-Führer, der die ersten geheimen Kontakte mit uns begann, sagte zu seinen Kollegen: „ Wenn die ganze Welt uns anerkennt außer Israel, was haben wir dann gewonnen?“ Issam Sartawi ging sogar noch weiter und bat Arafat darum, sich darauf zu konzentrieren, die öffentliche Meinung Israels zu ändern und alle Bemühungen diesem obersten Ziel unterzuordnen.

Arafat verstand, dass eine Veränderung der öffentlichen Meinung Israels ein wichtiges Ziel ist, aber akzeptierte dies nicht als das Allerwichtigste. Wir haben darüber viele Male gesprochen. Es scheint, dass er die Bedeutung dieser Bemühungen jetzt mehr als je anerkennt. Das zeigte sich daran, dass er der palästinensischen Delegation in Genf seine Zustimmung gab.

 

Nun bleibt die Frage: Falls der Wandel der öffentlichen Meinung in Israel tatsächlich in Bewegung gerät und zu einer großen Welle wird – wie kann dies politisch umgesetzt werden? In anderen Worten, wie wird sie das politische System verändern und in der Knesset eine Mehrheit gewinnen können?

Keine einzige Person in Israel kann diese Frage im Augenblick beantworten.

Yossi Beilin versucht, eine Partei zu gründen, die seine Gefolgschaft mit der Meretzpartei  vereinigt. Das könnte sich als großer Fehler erweisen.

Meretz wurde bei den letzten Wahlen hart geschlagen, verlor die Hälfte seiner Kraft und erhielt nur etwa 5% an Stimmen. Sie wird als elitäre Ashkenazi-(Israelis aus Europa) Partei angesehen, die weit entfernt ist von den wichtigen Sektoren der orientalischen Juden, der russischen Immigranten, der religiösen Juden und sogar der arabischen Bürger. Beilin, selbst ein elitärer Ashkenazi, wird das öffentliche Image der Partei nicht ändern.

Wenn die Genfer Vereinbarungen zum Banner einer am Rande des politischen Spektrums stehenden Partei wird, dann werden sie zu politischer Unwirksamkeit verurteilt sein. Beilin selbst wird den Status eines Führers einer kleinen Partei erlangen – falls er beim Wettbewerb um die Führung in der Partei gewinnen wird, was noch keineswegs sicher ist. Vielleicht würde es für ihn besser sein, den stolzen Status eines Trägers der nationalen Botschaft zu halten, frei von Parteiinteressen.

 

Das zentrale Problem ist die Laborpartei. Sie reagierte auf die Genfer Initiative sehr schäbig. Vom pathetischen Shimon Peres bis zur schrillen Dalia Itzig - von Ehud Barak mit seinen persönlichen psychologischen Problemen ganz zu schweigen - alle griffen Beilin, ihren früheren Parteigenossen, an, den sie am Vorabend der letzten Wahlen hinausgestoßen hatten.

Doch ohne die Laborpartei wird die Linke keine beherrschende politische Kraft werden, um die nächsten Wahlen gewinnen zu können. Die Bildung eines lebensfähigen Ersatzes wird  viele Jahre dauern, und Beilins neue Partei wird in absehbarer Zukunft nicht ihren Platz einnehmen können. Aber in der ganzen Labor-Partei kann man nicht einmal am Horizont einen plausiblen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten erkennen.

Das mag dem Likud noch einmal eine Chance geben. Es ist nicht unmöglich, dass Sharon seine Wählerschaft noch einmal täuschen wird, wie er es bei den letzten beiden Wahlen getan hat, als er sich selbst als „Mann des Friedens und der Sicherheit“ definierte. Er wird über „ schmerzhafte Konzessionen“ reden und Fotos mit Abu-Ala zeigen. Es ist auch möglich, dass ein anderer Likud-Kandidat ohne Prinzipien, wie Netanyahu oder Olmert, mit einer vagen Friedensbotschaft Erfolg haben wird.

 

So oder so: wenn die israelische Linke nicht in der Lage ist, eine starke politische Kraft zu werden, dann wird der Wandel der öffentlichen Meinung ohne Folgen sein: wie ein mächtiger Wind, der in keine Segel bläst, wie Dampf ohne Lokomotive.

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

Alle deutschen Texte von Avnery Uri

 

Start

oo


Das Palästina Portal

Täglich neu - Nachrichten, Texte aus dem besetzen Palästina die in den deutschen Medien fehlen.

Archiv - Themen - LinksFacebook  - Sponsern Sie  -  Aktuelle TermineSuchen

 

      Start | oben

 Impressum           Haftungsausschluss        KONTAKT           Datenschutzerklärung             facebook