„Gott
will es!“
Uri
Avnery. 11.9.04
Zwei schockierende Manifeste wurden
in dieser Woche öffentlich abgegeben. Beide Manifeste müssen
kommentiert werden.
Das eine erklärt, das
Auflösen von Siedlungen im Gazastreifen sei ein „Verbrechen gegen
die Menschlichkeit“. Es wird dabei nicht erklärt, dass die
Siedlungen auf Landreserven einer Million Palästinenser errichtet
wurden, die zusammengepfercht im winzigen Streifen lebt, und dass
sie diesen außerdem das sehr knappe Wasser stehlen. Ihre Auflösung
– so heißt es in der Erklärung – sei ein „Ausdruck von Tyrannei,
Bosheit und Willkür“. Offiziere und Soldaten werden aufgerufen,
sich an dieser „ethnischen Säuberung“ nicht zu beteiligen.
Dieses Manifest wurde
sowohl vom Vater und Bruder Binyamin Netanyahus als auch von Meir
Har-Zion, dem Lieblingsjünger Ariel Sharons, unterzeichnet, der in
den Fünfzigerjahren dafür bekannt wurde, mit eigenen Händen die
Kehlen einiger unschuldiger Beduinen durchschnitten zu haben – aus
Rache am Mord seiner Schwester. Auch zwei frühere Generaldirektoren
des Büros des Ministerpräsidenten unterschrieben. Die meisten der
Unterzeichner sind nicht religiös.
Das zweite
Manifest besagt, die Halacha ( jüdisches Religionsgesetz) befehle
das Töten von unschuldigen palästinensischen Zivilisten, wenn dies
hilft, jüdische Soldaten zu retten.
Diese Erklärung ist von den
Rabbinern der („sich mit dem Staat) Arrangierten Jeshivot“
unterschrieben worden, von Rabbinern der Westbanksiedlungen und von
anderen religiösen Führern. Später schloss sich ihnen noch einer der
beiden Oberrabbiner – der sefardische – an.
Über die erste Erklärung
habe ich mich nicht besonders aufgeregt. Leute dieser Art
existieren überall auf der Welt. In anderen Ländern werden sie
Faschisten genannt,(aber wegen des Holocaust mögen wir diesen
Ausdruck nicht gern in unserem Land verwenden). Was sie mit einander
verbindet, ist eine primitive atavistische Moral, die besagt, „wir“
sind eine überlegene Rasse, Gottes auserwähltes Volk, eine
Herrenrasse etc. – und „sie“ sind eine minderwertige Rasse,
Untermenschen. Ihnen gegenüber können wir tun, was uns gefällt.
Uns gegenüber dürfen sie gar nichts tun. (In der Erklärung werden
die Siedler aufgefordert, „ihren eigenen Leuten“ gegenüber kein
körperliches Leid anzutun – was ihnen gegenüber den anderen erlaubt
ist.).
Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben
solche Leute Tod und Vernichtung über viele Völker gebracht, auch
über ihr eigenes. Aber einigermaßen normale Völker überwinden dies
schließlich. Ich hoffe, uns gelingt dies eines Tages auch.
Das zweite Manifest ist weit
gefährlicher. Eine religiöse Lehre, die im Namen Gottes zum Töten
von Zivilisten aufruft, muss sehr ernst genommen werden. Solch ein
von Rabbinern der „Arrangierten Jeshivot“ unterzeichnetes Dekret ist
zehnmal schlimmer.
Um dies zu verstehen, muss man
wissen, dass diese Jeshivot in Wirklichkeit militärische Einheiten
sind. Sie stellen ein einzigartiges Phänomen der israelischen Armee
dar: ganze Einheiten, die sich auf eine politisch-ideologische Basis
gründen, gehorchen ihren eigenen Führern.
Als David Ben-Gurion mitten im
48er-Krieg die israelische Armee (offiziell die Israelische
Verteidigungsarmee - IDF –genannt) aufbaute, war er entschlossen,
alle politischen Gruppierungen zu eliminieren. Deshalb löste er
die Palmach auf, die legendäre Elitegruppe , die sich auf die
Kibbuzim gründete und nach links tendierte.
Die jetzige Einrichtung wurde
offiziell geschaffen, um Studenten jüdisch-religiöser Seminare in
die Lage zu versetzen, in der Armee zu dienen, ohne ihre Studien zu
unterbrechen. In der Praxis sieht es aber so aus, dass sie eine
Miliz von Rechtsradikalen - besonders Siedler – darstellen. Während
sie in der Armee dienen, stehen sie nominell unter der Befehlskette
der Armee, praktisch sind sie aber den Rabbinern unterstellt, deren
Position an politische Kommissare der Roten Armee erinnern.
Falls es jemals einen Konflikt
zwischen den Befehlen der Offiziere und den Direktiven der Rabbiner
geben wird, wird die große Mehrheit der Soldaten-Studenten
zweifellos den Rabbinern gehorchen. Sowieso trägt jetzt eine
große Anzahl der Offiziere selbst eine Kippah , was ihre
Zugehörigkeit zum religiösen Lager bestätigt.
Die Führer des
nationalistisch-religiösen Flügels – und besonders die Siedler –
sind seit Jahren systematisch darum bemüht gewesen, die Armee von
innen her zu erobern. Während der ersten Jahrzehnte der IDF hatten
die Kibbuzmitglieder einen entscheidenden Einfluss auf das
Armeekommando; aber heutzutage haben die Siedler und andere
nationalistisch-religiösen Leute dies übernommen. Sie füllen die
Ränge der unteren und mittleren Ränge des jüngeren Offizierskorps.
Diese Entwicklung und die verstärkte Besatzung ( der
palästinensischen Gebiete) hat das Aussehen der IDF vollständig
verändert. Sie ist jetzt eine andere Armee.
Die Erklärung der Jeshivot-Führer,
die zum Töten von palästinensischen Zivilisten aufruft, deckt diese
Situation auf. Da kein einziger Führer einer „Arrangierten Jeshiva“
sich dagegen ausgesprochen hat, müssen wir annehmen, dass sie darin
einer Meinung sind.
Auf den ersten Blick ist es nur ein
Gutachten von Fachleuten. Mit der für die Führer dieses Lagers
typischen Heuchelei sagen sie, dies sei – Gott bewahre! – keine
Einsatzorder, sondern nur eine arglose Bemühung der Rabbiner, dem
Volk zu erklären, was die Halacha zu diesem Problem sagt.
Das ist natürlich eine Erklärung
mit Hintergedanken. Die Jeshivot-Soldaten sind täglich in
Situationen verwickelt, in denen sie über das Schießen oder
Nicht-schießen auf Zivilisten entscheiden müssen. Dabei ist ganz
klar, dass ihr Verhalten von der „Meinung“ ihrer Rabbiner bestimmt
wird. Es wird für viele zum Todesurteil.
Schon heute werden jeden Tag
palästinensische Zivilisten getötet. Nur über einen kleinen Teil
dieser Vorfälle wird in den Medien berichtet. Ein alter und
körperbehinderter Mann wurde vor kurzem in den Trümmern seines
Hauses von einem Armeebulldozer begraben, der es so schnell
zerstörte, dass es seiner Familie nicht mehr möglich war, ihn in
Sicherheit zu bringen. Erst gestern wurde ein neunjähriger Junge
getötet, während er zu Hause schlief. Ihn traf das Schrapnell einer
von einem Hubschrauber auf ein Nachbarhaus gefeuerten Rakete. Fast
jeden Tag werden Jungen jedes Alters getötet, während sie Steine
auf Panzer und Soldaten werfen, ( deren kugelsichere Westen und
Helme bedeuten, sie befinden sich nicht in Gefahr).
Es ist unmöglich, - wenn überhaupt -
zu erfahren, wie viele dieser Zivilisten – Männer, Frauen, alte
Leute und Kinder von Jeshivot-Soldaten oder von Soldaten unter dem
Kommando von Kippah tragenden Offizieren getötet wurden. Keiner kann
ohne belastenden Beweis angeklagt werden. Aber es ist klar, diese
rabbinische Interpretation der Halacha hat nun einen Koscherstempel
für solche Akte erhalten. Jeder Anspruch auf den Mythos „reiner
Waffen“ entfällt somit. Sie annulliert nicht nur jedes Mordverbot,
sondern auch die Scham für solche Akte.
Die einzige religiöse Stimme, die
sich gegen dieses entsetzliche Dokument erhob, war die einer kleinen
und mutigen Gruppe, den „Rabbinern für Menschenrechte“. Sie
versuchen, gegen diese schmutzige, messianische Strömung
anzukämpfen, die fast das ganze religiöse Lager Israels überschwemmt
hat. Ihr Statement deckt auf, die Führer der Jeshivot haben die von
ihnen „zitierten“ Talmudsätze absichtlich gefälscht. Der wahre Text
verbietet einem Juden, Unschuldige zu töten, auch nicht, um das
eigene Leben zu retten. Schließlich habe Gott alle Menschen „nach
seinem eigenen Bilde“ geschaffen. (Genesis 1, 27).
Leider wird dieses Statement
keinerlei Einfluss auf die religiöse Miliz innerhalb der Armee und
noch weniger auf die Siedler haben, die jetzt (zusammen) den Ton in
der Armee angeben.
Viele der abscheulichsten
Verbrechen der menschlichen Geschichte wurden im Namen der Religion
begangen. Im Buch Josua steht, Gott habe den Kindern Israels
befohlen, eine allgemeine ethnische Säuberung im Lande Kanaan
auszuführen. Die Kreuzfahrer begingen schreckliche Massaker in
diesem Land – und gegen Juden auf dem Weg hierher – während sie
riefen : „Deus le volt!“ („Gott will es!“) Heute vor drei Jahren
sandte Osama Bin-Laden seine Leuten aus, um Tausende in den New
Yorker Zwillingstürmen im Namen Gottes zu töten.
Möge Gott uns vor jenen bewahren,
die in Seinem Namen reden wollen.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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