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 "Keinen vernünftigen Menschen wird es einfallen Tinte mit Tinte wegzuwischen aber Blut versucht man noch immer mit Blut zu entfernen." -  B. v. Suttner

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Update: 12-08-23

Der Golem wendet sich gegen seinen Schöpfer

 

Gedanken zum Referendum

 Uri Avnery, 4.5.04

 

Nach einer jüdischen Legende war der Golem ein künstliches Geschöpf, das mit gewaltiger  Stärke ausgestattet war. Rabbiner Judah Loew von Prag, auch als Maharal bekannt, schuf ihn aus Ton und gab ihm Leben, indem er ein Stück Papier mit dem geheimen Namen Gottes unter seine Zunge  legte.

Der Golem half den Juden, sich bei antisemitischen Ausschreitungen zu verteidigen. Aber eines Tages wandte er sich gegen seinen Schöpfer. Er verursachte Verfall und Zerstörung, bis es dem Rabbi letzten Endes gelang, das Stück Papier  unter seiner Zunge herauszuziehen. Der Golem zerfiel zu einem Haufen Ton.

Ariel Sharon ist kein Rabbiner, und die Kabbalah ist für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. Aber er schuf einen Golem: die Siedlerbewegung in den besetzten Gebieten.

Er war sicher, dass der Golem ihm dienen würde. Schließlich haben die Siedler ihm alles zu verdanken. Er war es,  der sie seit Jahrzehnten  nährte,  sie mit großen Budgets ausstattete,  für sie alle seine politischen Positionen, die er hinter einander inne hatte, ausbeutete: das Ministerium für Landwirtschaft, der Verteidigung, das Außenministerium, das Ministerium für Wohnungsbau, Industrie und Handel, für Infrastruktur und  am Ende  das Amt des Ministerpräsidenten.

(Ich erinnere mich, dass ich Sharon  vor etwa 25 Jahren  in seinem Haus besuchte. Es war im Rahmen einer Recherche für einen biographischen Essay, den ich über ihn schrieb. Meine Frau und ich saßen mit Lilly Sharon in der Küche, die uns ihre Köstlichkeiten servierte. Da bemerkte ich, wie im anschließenden Raum  die Führer der Siedler saßen. Sharon ging hin und her und teilte seine Zeit gleichmäßig zwischen uns. Schon damals beobachtete ich , wie die Siedler ihn wie ihren  Schutzherrn behandelten.)

Während all dieser Jahre, von der Zeit an,  als er in den 70er Jahren kommandierender  General des südlichen Sektors war, versuchte er jeden, den er traf – Israelis und Ausländer  gleichermaßen – mit Tiraden  zugunsten der Siedlungen zu überzeugen; er breitete Karten vor ihnen aus ( er hat immer Landkarten bei sich) und forderte sie auf zu handeln. Nach ihm war es lebensnotwendig, Siedlungen aufzubauen, um das ganze Eretz Israel - vom Mittelmeer zum Jordanfluss ( mindestens) - in einen jüdischen Staat zu verwandeln, um die palästinensischen Gebiete in Streifen  zu teilen und die Schaffung eines palästinensischen Staates zu  verhindern, der ein Hindernis für die Ausführung aller Ziele des Zionismus sein würde.

Wie ein Bulldozer ohne Bremsen ebnete er jede Opposition ein. Er sorgte dafür, dass viele 10 Milliarden Dollar den Siedlungen zu gute kamen ( die genaue Summe kann nicht ermittelt werden, da sie in verschiedenen Ecken des Budgets versteckt sind), dass zu ihren Gunsten die Gesetze verbogen wurden und dass die Armeeoffiziere dafür gewonnen wurden, ihnen zu dienen. Auf diese Weise ist ein enges Netzwerk von Siedlungen und speziellen Straßen entstanden mit  vielleicht  250 000 Siedlern – wer zählt sie schon?

 

Als er den Slogan  „einseitige Abtrennung“ prägte, hätte er nicht daran gedacht, dass  die Siedler  wirklich opponieren würden. Schulden sie ihm nicht alles? Sind sie nicht seine verwöhnten Kinder?  Sollten sie ihm nicht unbegrenzt dankbar sein?

Sharon bot ihnen einen Deal an, der  ihm ganz besonders vernünftig erschien ( wie es früher Yossi Beilin erschien, der diesen Deal erfand, und  Ehud Barak, der ihn zu erfüllen versuchte): Gib die isolierten Siedlungen mit ein paar Zehntausend Siedlern auf und bewahre dafür die großen Siedlungsblocks mit 80% der Siedler, die dann Israel einverleibt werden. Opfere ein paar Finger, um den ganzen Körper zu erhalten. Auf diese Weise retten wir nicht nur das Siedlungsunternehmen, sondern gewinnen den größten Teil der Westbank.

 

Aber  nachdem der Golem das Stück Papier unter seiner Zunge hatte,  verhält er sich nach seiner eigenen Logik. Er dachte gar nicht daran, die Dutzende von kleinen Siedlungen aufzugeben, noch dazu, wo dort der harte Kern der messianischen Fanatiker lebt. Ihm war auch klar, dass die Evakuierung der ersten Siedlung einen Präzedenzfall schaffen würde und so gegen alle anderen genützt werden könnte. Die wirklichen Siedler mögen für die Gush Kativ-Siedler  im Gazastreifen, die in erster  Linie berechnende Geschäftsleute sind,  nur Verachtung übrig haben; aber ihnen ist klar, dass die Schlacht um Gush Kativ der entscheidende Test ist.

 

Wie der Maharal hat Sharon seinen Golem unterschätzt. Er behandelte ihn als Diener. Wie kann er Respekt vor einem Geschöpf haben, dass er mit eigenen Händen erschaffen hat? Nun macht er die Erfahrung, dass es leichter ist, einen Golem zu erschaffen, als ihn  wieder aufzulösen.

In den unzähligen Interviews, die Sharon über das letzte Wochenende gab, erklärte er, dass die Siedler nur eine kleine Minderheit des Volkes seien. Und in der Tat, sogar nach den Siedlern selbst, sind es nur 4% der Bürger Israels. Aber die Zahl gibt nicht die tatsächliche Macht zum Ausdruck. In einer demokratischen  Gesellschaft überwältigt eine kleine fanatische und hoch motivierte Minderheit eine große, aber gleichgültige und schlaffe Mehrheit.

 

Sharon verlässt sich auf die Tatsache, dass die Siedler in Israel nicht beliebt sind. Sie sind gewalttätig und  unbändig; sie reden, kleiden und benehmen sich anders, sogar ihre Körpersprache ist anders. Der normale Israeli sieht sie als bizarre Sekte an. Zu guter Letzt hat der Israeli auch die Tatsache zur Kenntnis genommen, dass die Siedlungen Milliarden verschlingen, die Israel zur  wirtschaftlichen und sozialen Wiederherstellung  dringend benötigt.

Aber im Laufe von Jahrzehnten haben die Siedler einen großen Kontroll- und Propaganda-Apparat aufgebaut. Langsam und geduldig  haben sie die Armee unterwandert, in der sie nun Schlüsselpositionen einnehmen, die früher Kibbuzmitglieder inne hatten. Ihre unabhängigen Medien dehnen sich aus, während die Linke im Laufe der Jahre buchstäblich all ihre unabhängigen Medien aufgaben. Die Siedler sind im Besitz großer Fonds, nicht nur  das Geld, das durch Hunderte von Kanälen aus dem Staatshaushalt fließt, und nicht nur die großen Gaben amerikanisch- jüdischer Multimillionäre, sondern auch aus dem großen Fonds der amerikanischen, fundamentalistischen Christen.

 

Man mag sich fragen: welche Torheit ritt Sharon, als er vorschlug,  nur die Likudmitglieder sollten die Entscheidung über den Plan treffen?  War ihm  nicht klar, dass dies das einzige Schlachtfeld war, wo die Siedler mit überlegener Stärke gebieten? Er fiel in seine eigene Falle.

Warum? So ist es gewöhnlich mit siegestrunkenen Generälen: aus purer Arroganz und Verachtung für die Gegner. Auf dem Gipfel seiner Macht  träumte er nicht von den Hausbesuchen en masse, den emotionalen Appellen, den gut geschmierten logistischen Maschinen der Siedler, die mit dem Geld des Staates geschaffen wurden.

Die meisten Siedler sind diszipliniert. Wie jede messianische Sekte gehorchen sie ohne Vorbehalt ihren Führern, den „Yesha-Rabbinern“ ( Yesha ist die hebräische Abkürzung für Judäa, Samaria und Gaza) Dies ist eine totalitäre Struktur, im wörtlichsten Sinne: totaler Glaube, totale Organisation, totale Disziplin.

„Mein Kopf unterstützt den Scharonplan, aber mein Herz unterstützt die Siedler,“ bekannte ein Likudmitglied. Das ist ganz natürlich: Wenn ein  Siedlerpaar mit  Baby – und da gibt es immer ein Baby im festgebundenen Babytuch – zu seiner Wohnung kommt und fragt: „Willst du uns aus unserem Heim verjagen?“ – wie kann er dem widerstehen? Schließlich hat er sein ganzes Leben gehört, dass es das nationale Ziel sei, das ganze Eretz Israel zu besitzen, dass die Siedler das Salz der Erde seien, dass man die ganze übrige Welt vergessen könne – und plötzlich kommt dieser Mann, Sharon, und sagt das Gegenteil?

 

Doch muss daran erinnert werden, dass nur  weniger als 2  %  der israelischen Wählerschaft in diesem Parteireferendum gegen den Sharonplan gewählt hat. Bei den letzten Wahlen erhielt der Likud weniger als 30% der Stimmen.  Weniger als ein Viertel von diesen  sind Likudmitglieder, die berechtigt waren, an diesem Referendum teilzunehmen. Von diesen haben nur die Hälfte tatsächlich abgestimmt. Und von diesen haben weniger als zwei Drittel gegen den Plan gestimmt. Diese sind zusammen mit den Siedlern, die keine Likudmitglieder sind, der Golem.

Nur ein positives Ergebnis hatte dieses Referendum: plötzlich wacht die Öffentlichkeit auf und begreift, dass der Golem in ihrer Mitte lebendig ist. Schon vom ersten Augenblick an gab es die warnende Schrift an der Wand: die Siedlerbewegung saugt das Mark aus dem Staat, sie ist ein Hindernis für den Frieden, sie ist eine Gefahr für die israelische Demokratie und  selbst für die Zukunft des Staates .

Jetzt sieht die allgemeine Öffentlichkeit auch die Gefahr, die durch den rasenden Golem repräsentiert wird.

Noch ist es Zeit, das Stück Papier unter seiner Zunge zu entfernen. Noch.

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

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