Rede Paula
Abrams-Hourani
Demonstration gegen Krieg und Besatzung im
Nahen Osten,
Wien, 30.9.2006
Wie viele von Ihnen bereits wissen,
konzentriert sich die Arbeit der
Gruppen, die ich vertrete - nämlich Frauen in
Schwarz (Wien) sowie Jüdische
Stimme für einen gerechten Frieden (Österreich)
- auf die Besetzung des
palästinensischen Landes, also Gaza und das
Westjordanland inklusive
Ost-Jerusalem. Das sind die Gebiete, die seit
fast 40 Jahren unter der
israelischen Militärbesatzung leiden.
Ich habe diese Woche ein in Gaza lebendes
Familienmitglied gefragt, welche
Punkte sie für die wichtigsten hält, die ich
hier hervorheben sollte. Sie
arbeitet für eine palästinensische
nichtstaatliche Organisation und konnte
kürzlich ins Westjordanland fahren - was derzeit
ja fast eine Unmöglichkeit
für Palästinenser ist - um dort ihren kleinen
Sohn abzuholen, wobei sie die
meiste Zeit dieser Fahrt mit dem Warten an den
vielen Strassensperren
zubrachte.
Sie schickte mir also ihre Liste - und ich habe
mir dann Folgendes
überlegt:
Soll ich die Apartheid-Mauer im Westjordanland
erwähnen, die die
Palästinenser von anderen Palästinensern trennt,
von ihrem Land, Familien
und Lebensunterhalt. Große Gebiete für illegale
jüdische Siedlungen sind im
Westjordanland geraubt worden, wodurch
Palästinenser mehr und mehr
eingekerkert sind? - Diese Mauer hat
Palästinenser und Palästinenserinnen
in Ghettos eingeschlossen, macht Geisterstädte
aus ihren Ortschaften, und
das am Beginn des 21. Jahrhunderts und ohne,
dass die übrige Welt dies
verurteilt.
Oder sollte ich von der Mauer reden, worüber
man hier nicht spricht , die
unsichtbare Mauer an den nördlichen und
östlichen Grenzen des Gaza-Streifen
(Erez und Karny)? - Diese Mauer wird seit
Jahren stillschweigend von der
Weltgemeinschaft sanktioniert. Darüber wird
nicht gesprochen, im Gegensatz
zur Trennungsmauer im Westjordanland, deren
Existenz im Jahre 2004 vom
Internationalen Gerichtshof verurteilt wurde,
ein Urteil allerdings, das
Israel ignoriert hat. Die Mauer rund um Gaza
hindert Palästinenser den Gaza
Streifen zu verlassen, so zum Beispiel
Patienten, die dringend medizinische
Spezialbehandlung im Ausland benötigen; und auch
Studenten, die an
Universitäten im Ausland studieren und ausreisen
müssen. Sie behindert den
Import und Export von Waren, also
Nahrungsmittel, Medikamente, Treibstoff -
lauter Dinge, die zum täglichen Leben und zur
Gesundheit notwendig sind.
Erst kürzlich hatte man einem bekannten
palästinensischen Künstler, der zur
Mitwirkung beim Steirischen Herbst in Graz
eingeladen war, die Ausreise aus
Gaza unmöglich gemacht. Am Dienstag dieser Woche
hat John Dugard, der
Gesandte für Menschenrechte bei den Vereinten
Nationen, erklärt, dass der
Gaza-Streifen ein Gefängnis für Palästinenser
sei, wo ein Leben
unerträglich, erschreckend und tragisch ist, und
wo der jüdische Staat
offenbar den Schlüssel weggeworfen hat.
Soll ich erwähnen, dass der Übergang bei Rafah
seit Monaten geschlossen
ist, so dass Palästinenser den Gaza-Streifen
weder verlassen noch einreisen
können. Rafah, dieser Grenzposten, der
angeblich von der EU geleitet ist,
aber total von der israelischen Armee
kontrolliert wird, wie alles in den
Besetzten Gebieten? Die Schließung bei Rafah,
die viel Schaden und manchen
Tod herbeiführte von alten und kranken Menschen
und schwangeren Frauen,
welche dringend ärztlicher Behandlung
bedurften, weil die medizinische
Behandlung innerhalb Gazas nicht ausreichend
ist, z.B. Spezialbehandlungen
wie Chemotherapie, Dialyse und so weiter. Diese
Abriegelung hat Tausende im
Sommer 2005 noch vor den palästinensischen
Wahlen gezwungen, in brütender
Hitze zu warten, weil sie nicht in ihre Häuser
und Wohnungen in Gaza zurück
konnten. Im heurigen Jahr haben wiederum
Tausende verzweifelt bei Rafah
gewartet auf die Erlaubnis Gaza zu verlassen
wegen medizinischer Behandlung,
oder wegen Geschäften oder einfach wegen ihres
Studiums im Ausland. Das
bedeutet in einer Menschenmenge eingequetscht zu
sein, in Autos und
Lastwägen gedrängt, Stunden und Tage zu warten.
Das sind Bilder, die man
nicht vergisst, wenn man solche gesehen hat.
Ich sollte noch die Bombardierung des
Elektrizitätswerks durch die
israelische Armee erwähnen, angeklagt von der
israelischen
Menschenrechtsorganisation B'Tselem als
Kriegsverbrechen. Es könnte bis 14
Monate dauern bis es repariert wird.
Soll ich über die Probleme der Wasserversorgung
im Gazastreifen sprechen?
Diejenigen, die nicht das Geld haben Wasser in
Flaschen zu kaufen - und man
muss bedenken, dass alle Käufe in den Besetzten
Gebieten der israelischen
Besatzungsmacht zu gute kommen - alle diese
Menschen sind seit Jahren
gezwungen salziges Wasser zu trinken, was zu
einer der höchsten Raten an
Nierenerkrankungen in der ganzen Welt geführt
hat. Bedenken Sie bitte, dass
der Gaza-Streifen und das Westjordanland einen
Bevölkerungsanteil von mehr
als 50% Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren
hat. Man kann sich also
vorstellen, wie sehr deren Gesundheit leidet.
Dazu kommt das Abwasser- und Müllproblem, die
offenen Gossen, die
Abfallberge wegen des Zusammenbruchs der
Infrastruktur und weil die Arbeiter
nicht mehr bezahlt werden können und somit alles
liegen bleibt.
Dann gibt es die zerstörten Ortschaften,
Häuser, Wohnungen, Schulen,
Universitäten, Geschäfte, Straßen, Brücken. Was
ist mit den
palästinensischen Zivilisten, die als
Zielscheiben dienen? Es wurden viele
Artikel in den Medien weltweit veröffentlich -
allerdings nicht hier in
Österreich - über die in den vergangenen Wochen
im Gaza-Streifen getöteten,
verwundeten oder verstümmelten Kinder, während
die Welt sich auf den Krieg
im Libanon konzentrierte. Die englische Zeitung
"The Independent" brachte
einen Bericht mit der Schlagzeile "Der
Gaza-Streifen: Das Vergessene Volk".
Ein couragierter Journalist namens John Pilger
schrieb vor einigen Monaten
einen Artikel unter dem Titel "Der Krieg gegen
Kinder". Innerhalb von 31
Tagen während der so genannten "Operation Summer
Rain" wurden 31 Kinder von
der israelischen Armee getötet; Verwundete und
Verstümmelte gab es viel
mehr, von denen viele für den Rest ihres Lebens
behindert sein werden. Man
denke nur an das Massaker am Strand von Gaza, wo
9 von 10 Mitglieder einer
einzigen Familie getötet wurden; die einzige
Überlebende ist ein 12-jähriges
Mädchen. Das passierte bevor der israelische
Soldat Gilad Shalit von den
Palästinensern gefangen genommen wurde.
Vor ungefähr zwei Wochen gab es einen weiteren
Bankraub durch die
israelische Armee in der West Bank in der Höhe
von ca. 1,4 Millionen
US-Dollar - einfach gestohlen von Wechselstuben
und Banken. - Ich sage
"einen weiteren", weil schon vor einigen Jahren
die israelische Armee
einige Millionen Dollar aus Banken in der West
Bank gestohlen hatte; dieses
Geld war von individuellen Konten geraubt
worden. Auch darüber wurde in den
Medien im Westen, bis auf einige wenige
Zeitungen, nicht gesprochen.
Soll ich die gezielten Tötungen erwähnen von
den Menschen, die Israel als
verdächtige Terroristen definiert? Tötungen, die
zahllose Leben unschuldiger
Menschen gekostet haben?
Was ist mit den ca. 10.000 palästinensischen
politischen Gefangenen, von
denen viele in Administrativhaft sind, die in
israelischen Gefängnissen
schmachten? Im Gegensatz zu dem Soldaten Gilad
Shalit kennt keiner ihre
Namen. Könnte dies unterschwelliger Rassismus
sein, das heißt, dass wir im
Westen einigen Leben mehr Wichtigkeit
zuschreiben als anderen? Wenn man
weiß, dass derzeit ungefähr 450 Jugendliche
unter 18 Jahren unter diesen
Gefangenen sind, dass seit 1967 tausende
palästinensischer Kinder gefangen
genommen wurden, viele gefoltert und in
israelischen Gefängnissen gehalten
ohne dass sie ihre Eltern oder Rechtsanwälte
sehen durften, dann müssen wir
doch zugeben, dass diese Zahlen schockierend
sind, und dass es eine Schande
ist, dass dieser Zustand zugelassen wird. Aber
weil darüber kaum gesprochen
wird und die Medien nichts erwähnen, kümmern wir
uns nicht darum.
Soll ich über das Versagen der westlichen und
arabischen Länder sprechen,
über die Täuschungen und Manipulationen? Über
den Mangel an einem echten
Willen, die israelische Besatzung zu beenden?
Oder darüber, dass weltweit fast alle
Regierungen geschwiegen haben zu dem
beispiellosen Verhalten Israels, gewählte
Repräsentanten und offizielle
Persönlichkeiten der palästinensischen Regierung
zu verhaften?
Dass die demokratisch abgehaltenen
palästinensischen Wahlen im Jänner 2006,
die von so vielen Menschen gelobt wurden, nur
dazu führten, dass nun Hunger
herrscht, Verzweiflung und eine kollektive
Bestrafung aller Palästinenser
durch anhaltende Blockaden und Boykotts nachdem
die Hamas die Wahl gewonnen
hatte.
Soll ich sagen, dass nie totale Offenheit und
Ehrlichkeit herrschte in
Bezug auf den Friedensprozess. In der Tat hat es
noch keinen wirklichen
Friedensprozess durch Verhandlungen ebenbürtiger
Partner gegeben.
Die Friedensgespräche von Oslo, die
hauptsächlich von den Vereinigten
Staaten geführt wurden, also einem nicht
unparteiischen Partner, führten nur
zu noch mehr Raub palästinensischen Gebietes und
brachten somit den Verlust
von Jobs, brachten mit sich Armut, Verzweiflung,
Frustration und Aggression.
Dieser so genannte Friedensprozess ist jetzt im
Grunde genommen
eingefroren. - Alles konzentriert sich darauf,
ob die Hamas Israel
anerkennt oder nicht. Niemand denkt daran, ob
Israel palästinensische Rechte
und die Selbstbestimmung dieses Volkes
anerkennt, wobei auch vergessen wird,
dass Israel nicht willens war mit der PLO und
Arafat zu verhandeln, die
Israels Existenzrecht anerkannt hatten. Es ist
augenfällig, dass Israel
keinen Frieden sondern nur noch
palästinensisches Land haben möchte, denn
seit Jahrzehnten nimmt es den Palästinensern
Stück für Stück davon weg.
Soll ich darauf hinweisen, dass die Welt sich
im Hinblick auf die
israelische Besatzung mitschuldig macht? Egal
welche oder wie viele
Kriegsverbrechen von Israel begangen wurden -
und wir haben sie in den
letzten Wochen deutlich zu sehen bekommen - es
gab nie Sanktionen oder
Strafen. Nie gab es ein "NEIN" bei Übertretungen
internationalen Rechts,
beim Ignorieren von Resolutionen der Vereinten
Nationen.
Nie gab es ein wirkliches "NEIN" zum Bau der
illegalen jüdischen
Siedlungen, zum Bau der illegalen Mauer, nie ein
"NEIN" zu mutwilligem
Töten oder Prügeln von Palästinensern und deren
Kindern durch die
israelische Armee beziehungsweise die jüdischen
Siedler, und auch nicht zum
Verprügeln oder gar Töten von unbewaffneten
Palästinensern, Israelis oder
auch internationalen Friedensaktivisten.
Im Falle der 2002 erfolgten Zerstörung und
Tötungen im Flüchtlingslager
Jenin hatten weder die Vereinten Nationen noch
Generalsekretär Annan genug
Mut, auf einer wirklichen Untersuchung zu
bestehen, nicht einmal nachdem
einer ihrer höheren Beamten von der israelischen
Armee angeschossen wurde
und in einer Strasse in Jenin verblutete.
Sollte man daran erinnern, dass die EU im Jahr
2002 keine Forderungen an
Israel wegen der Zerstörung der
palästinensischen Infrastruktur durch die
israelische Armee stellte, die mit EU-Geldern
aufgebaut war, also mit dem
Geld von Steuerzahlern.
(Und jetzt wird die Welt wieder für die
Zerstörungen durch die israelische
Luftwaffe im Libanon bezahlen, nicht zu reden
von der großen
Ölkatastrophe, die durch israelische
Bombardierungen von Öltanks im
Mittelmeer entstand.)
Ich komme mit einer letzten Bemerkung zum
Schluss.
Wenn gegen die israelische Besatzung nicht
immer und immer wieder
protestiert wird mit Hilfe von Boykotts und
Sanktionen und wenn die
Palästinenser nicht endlich eine wirkliches
Selbstbestimmungsrecht, ihre
Unabhängigkeit und ihre Freiheit bekommen, so
wird das ein Grund für Krieg,
Gewalttätigkeiten und Instabilität in dieser
Region sein und womöglich in
der ganzen Welt.
Wir alle, die wir uns um die Menschen in dieser
Region und um ihre Zukunft
sorgen, müssen alles in unserer Macht Stehende
tun, durch Proteste und durch
entsprechende Beeinflussung unserer gewählten
Politiker, damit ein Frieden
im Mittleren Osten bewirkt werden kann.
Das heißt aber, mehr zu tun als alle paar
Monate Demonstrationen zu
veranstalten. Es bedeutet ständige und
fortlaufende Arbeit und braucht
Mut, Ausdauer und Überzeugung. Das aber ist
jetzt eine Notwendigkeit, denn
der Friede im Mittleren Osten ist von größter
Wichtigkeit für uns alle.
--
Mit friedlichen
Grüßen, "Jüdische Stimme für gerechten Frieden
in Nahost" homepage:
www.nahostfriede.at
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Viele fragen sich, was kann ich angesichts
dieser politischen Lage
überhaupt tun? Gegen Unrecht kann man nicht
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