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Auf Jagd nach Kindern und  Umerziehung im Ofer-Gefängnis.

 

Ofra Ben Artzi, Occupation-Magazine    http://www.kibush.co.il/show_file.asp?num=43755

 

Am 15. November 2010 veröffentlichte der IDF-Sprecher folgendes: „Während der Nacht verhafteten die IDF in Judäa und Samaria und im Jordantal elf gesuchte Personen.“ Eine Routinemeldung, wie sie fast jeden Morgen veröffentlich wird. Aber kaum einer hört hin. Wen interessiert es schon? Und wenn unter diesen 11 gesuchten Personen einige Kinder sind, die mitten in der Nacht von Soldaten einer Elitegruppe aus ihren Träumen und Betten gezerrt werden – vor den erschrockenen Eltern die Hände gefesselt und die Augen verbunden werden und in einen Militärwagen gesteckt werden, der sie dann zu einem  Shin Bet-Verhörzentrum bringt. Kümmert sich jemand darum?

 

Ich beabsichtigte, mit Mitgliedern von Machsom Watch ins Ofer-Militärgericht zu gehen, wohin die Kinder gebracht werden, nachdem sie ohne Begleitung ihrer Eltern verhört wurden. Vor zwei Wochen sahen die beiden  Bänke der Angeklagten aus wie in einer Grundschule, aber hier sind die Frauen nicht Mütter oder Lehrerinnen, sondern die Richterin und die Anklägerin. Sie sitzen in Gruppen rechts von der Richterin und tragen die braunen Uniformen der erwachsenen Sicherheitsgefangenen – und ihre Füße sind gefesselt. Es ist unmöglich, sich an den Anblick von Kindergefangenen zu gewöhnen. Das Herz schlägt wild und ich schäme mich, weil sie  in meinem Namen dort sitzen und  mit meinen Steuergeldern werden ihre Uniformen bezahlt,  die Richterin und Anklägerin und selbst die Klimaanlage im Gerichtssaal.

 

In den letzten Wochen ist die Anzahl der verhafteten Kinder dramatisch angewachsen. Ein Verteidiger schätzte, dass am Morgen des 25.Oktobers 2010 zwei Schulklassen auf der Anklagebank saßen – etwa 50 Kinder und Jugendliche. Statistiken von palästinensischen und israelischen Menschenrechtsorganisationen zeigen, dass zu jeder Zeit im Ofer-Gefängnis mindestens 300 palästinensische Minderjährige sind. In dieser Woche erzählte uns ein Anwalt, in letzter Zeit  wären die meisten  im Ofer-Militärgericht behandelten Fälle Minderjährige gewesen. Nach vielen Stunden, die ich bei Gerichtsverfahren und mit Familien und Anwälten verbrachte, glaube ich, dass das, was wir hier erleben, das schreckliche Phänomen einer Jagd ist – es gibt kein anderes Wort -  eine Massenjagd auf palästinensische Kinder.

 

Das sieht folgendermaßen aus: Armeejeeps kommen in ein Dorf und setzen sich neben eine Schule. Sie verursachen absichtlich und geplant Reibereien mit den Schülern. Steine werden geworfen. Dann  erhalten mitten in der Nacht  mehrere Kinder Besuche von Soldaten der Eliteeinheit und werden verhaftet. Ihre Verhaftung endet mit einem Geständnishandel  ( mit Strafrabatt)*  in dem der Minderjährige einen kleinen Verstoß zugibt, um sich selbst vor einer langen Gefängnisstrafe zu  bewahren und seiner Familie Geld zu sparen. Denn als Palästinenser sind die Chancen gering, gegen Kaution - tatsächlich gleich Null – frei gelassen zu werden, selbst wenn die Anklage „Steine werfen“ heißt. Deshalb wird er keinen Prozess durchlaufen, um seine Unschuld zu beweisen. Das System nützt dies voll aus. Die persönlichen Konsequenzen sind eine Vorstrafe. Die gesamte allgemeine Konsequenz  ist, dass Tausende von palästinensischen Kindern und Jugendlichen vorbestraft sind. Im Gegensatz dazu  erhielten jüdische Jugendliche, die einer Untat bezichtigt werden, die mit den Anti-Disengagement-Protesten ( im Gazastreifen) zusammenhingen,  vor etwa einem Jahr eine pauschale Amnestie und zwar nach einem Gesetz, das extra für sie in der Knesset verabschiedet wurde: etwa 400 Strafakte wurden geschlossen und ihre Vorstrafen gelöscht.

 

Seitdem die Westbank 1967 besetzt wurde, sind palästinensische Minderjährige vor Militärgerichten unter Anklage gestanden. Erst vor kurzem wurde eine Order entlassen, dass ein Militärjugendgericht errichtet würde und neue Order sind  veröffentlicht worden, die sich mit Prozessverfahren befassen, wenn Minderjährige vor Gericht angeklagt werden. Dies ist eine kosmetische Maßnahme, die ihnen nicht den besonderen Schutz gewähren, den israelische Kinder  - einschließlich derer die in Siedlungen in der Westbank leben, - erhalten. 1991 ratifizierte Israel die internationale Konvention der Kinderrechte, nach denen ein „Kind als menschliches Wesen  unter 18 Jahren definiert“ wird. Anscheinend sind palästinensische Kinder Supermenschen,  vielleicht Supermänner, weil sie nach israelischer Sicherheitsgesetz-gebung schon mit 16 das Erwachsenenalter erreicht haben. Dies ist eine Verletzung internationaler Konventionen, eine andauernde Ungerechtigkeit und rassische Diskriminierung. Und tatsächlich baten im letzten Jahr die Civil-Rights-Vereinigung und die Yesh Din( Menschenrechts)Organisation den militärischen Generalanwalt darum, Schritte zu unternehmen, um das Gesetz zu modifizieren.

 

Als ich im Gerichtssaal des Militärrichters Sharon Rivlin-Ahai saß, der ernannt worden war, sich die Fälle von Minderjährigen  im Ofer-Militärgericht montags und donnerstags vorzunehmen, kam zu meinem Schmerz und meiner Scham die quälende Frage: Warum gibt sich die stärkste Armee im Nahen Osten selbst mit palästinensischen Kindern und Jugendlichen in solch einem Ausmaß  und solchem Eifer ab? Warum verschwenden sie so viel Ressourcen und so viel Gedanken um sie? Was haben sie davon?

 

Meine Schlussfolgerung aus der gesammelten Erfahrung meiner Gruppe ist klar und sehr besorgniserregend.  Wie ich es sehe, glauben diejenigen, die sich so sehr mit der jungen Generation der Palästinenser beschäftigen, nicht an eine politische Lösung. Wir haben es hier mit einer gut geplanten Maßnahme zu tun, die ein Stadium in einer allgemeinen israelischen Politik darstellt, die das Ziel hat, in  nächster Zukunft weiter über die Palästinenser zu herrschen. Die Politik der Kriminalisierung von Tausenden von Minderjährigen, die einige von ihnen zu Kollaborateuren und zu Beschuldigern macht, zerbricht und zerstört die nächste Generation. Diese  vorbereitende Behandlung „trifft zutiefst das Bewusstsein“ der jungen Generation und gewöhnt sie an das Leben von Erwachsenen unter Besatzung – nicht mit Würde und in ihrem eigenen Staat.

 

Ich nehme an, dass diese Politik kompetent von Expertenteams  und Beratern verschiedener Fachgebiete ausgedacht wurde.

Wird eine dieser ranghohen gelehrten Persönlichkeiten, die diese kriminelle Politik praktizieren, eines Tages das Schweigen brechen?

 

Die Autorin ist Mitglied der Machsom-Watch-Organisation.

 

* Plea bargain: „Diejenigen, die so tollkühn sind, sich des ihnen zur Last gelegten Verbrechens für unschuldig zu erklären und auf einem Prozess bestehen, werden im Falle ihrer Verurteilung zu doppelt so langen Strafen verurteilt, wie derjenige, der sich von vornherein wegen eines geringfügigen Deliktes für schuldig erklärt.“ ( von George Pumphrey mir zugeschickt und betrifft die Praxis in den USA und anscheinend auch in Israel)  Ich frage mich nur: Hat das noch etwas mit Gerechtigkeit zu tun ?? ER

 

(dt. Ellen Rohlfs)

 

 

 

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