Hebron für Anfänger
Ran Hacohen, www.antiwar.com , 18.1.06
Hebron ist wieder in
den Schlagzeilen. Mehr als jeder andere Ort stellt diese geteilte Stadt
den israelisch-palästinensischen Konflikt in einer Nussschale dar. 1967
von Israel besetzt, sahen die Palästinenser, wie das Herz ihrer Stadt
von israelischen Siedlern eingenommen wurde, deren Gegenwart nach dem
Völkerrecht dort illegal ist, aber von allen israelischen Regierungen
unterstützt wurde. Um der 500 israelischen Siedler willen, die von 130
000 Palästinensern umgeben waren, teilte das Hebron-Abkommen 1997 die
Stadt mit 80% des Gebietes unter palästinensische Verwaltung, während
der Rest – tatsächlich das Stadtzentrum in israelischer Hand blieb. Die
30 000 Palästinenser im Zentrum wurden täglich von den Siedlern
schikaniert - unterstützt von der israelischen Armee, die mehr als 101
Hindernisse und 18 bemannte Kontrollpunkte rund um das von Israel
kontrollierte Gebiet errichtet hatte. In einem klaren Prozess von
ethnischer Säuberung leben nur noch ein paar Tausend Palästinenser in
diesem Teil der Stadt (Meron Rapoport, Haaretz 17.11.05)
In der vergangenen
Woche verkündete Israel seine Absicht, etwa 50 Siedler auszusiedeln, die
illegal Hebrons Großhandelsmarkt übernommen hatten. Die Siedler von
Hebron gingen auf die Straße, vandalierten und griffen meist unschuldige
Araber an , aber auch die israelischen Soldaten und die Polizei. Eine
isr. Tageszeitung nannte es die „jüdische Intifada“.
Wie gewöhnlich, gibt
es drei Versionen über das, was in Hebron vor sich ging: die
nationalistische Geschichte, formuliert in Ausdrücken wie Juden gegen
die arabischen Einheimischen zusammen mit einem langen historischen
Gedächtnis; die liberale Geschichte mit Ausdrücken des Staates, der
Israelis, Palästinenser und den Rechtsregeln; und die der Realität, die
irgendwo im Kleingedruckten verborgen liegt.
Die Nationalistische
Geschichte
Der nationalistische
Bericht ist in der langen Geschichte der Juden gegen die einheimische
Bevölkerung verankert . Ihre Wurzeln liegen in der Zeit des Patriarchen
Abraham – aber diese mythische Vergangenheit wollen wir überspringen und
gleich zur Gegenwart kommen, die1929 begann. Bis dahin – so heißt es -
lebten Juden und Araber friedlich neben einander in Hebron. Aber am 23.
August 1929 endete die Idylle, als die Araber eine große Zahl Juden
umbrachten (der Hintergrund und die genaue Zahl spielen hier keine
Rolle) da sie zu all den anderen getöteten Juden an anderen Orten und zu
andern Zeiten hinzugefügt wurden. Ein großer jüdisch-amerikanischer
Historiker nannte dies die „weinerliche Konzeption der jüdischen
Geschichte“.
(die Übers. fügt
hinzu: 69 Juden wurden nicht von Hebroniten getötet, sondern von
aufgehetzten Arabern von auswärts – über 100 wurden von ihren arab.
Nachbarn in Hebron geschützt und gerettet.)
Das in diesen Tagen
umstrittene Gebiet – Hebrons Großmarkt – gehörte seit 1807 der jüdischen
Gemeinde, so dass die Präsenz der selbsternannten Nachkommen, der
Siedler, als ganz selbstverständlich genommen wird. Nur die herzlose,
defätistische, unjüdische Regierung Israels versäumt es, dies einzusehen
und will die Juden aus ihren eigenen Häusern verjagen und sie den
Nachkommen der Mörder von 1929 geben.
Da die Politik des
„gewaltfreien Widerstands“ der Siedler bei der Deportation aus dem
Gazastreifen und einigen Westbanksiedlungen im letzten August nicht die
gewünschten Früchte einbrachte, ist es jetzt an der Zeit, die Regierung
und die israelische Öffentlichkeit abzuschrecken, in dem man ihnen
zeigt, dass der Preis weiterer Vertreibung unerträglich hoch sein wird.
Ungleich den Arabern haben Juden jedes fast denkbare Recht im Land
Israel zu leben – aber nicht das Recht, von andern Juden aus ihren
Häusern vertrieben zu werden oder jüdisches Land an Araber zu geben.
Die liberale Geschichte
Die Liberalen haben
ein kürzeres historisches Gedächtnis, aber eine legalistischere und
humanistischere Orientierung. Es wird nicht geleugnet, dass das Areal um
den Großmarkt den Juden gehörte. Als jedoch 1948 der Staat Israel
gegründet wurde, besaßen die Juden nur einen kleinen Prozentsatz des
Landes. Nachdem die meisten Palästinenser es verließen ( oder
weggetrieben wurden, wie besser informierte Liberale sagen würden),
wandte Israel legale, pseudo-legale und illegale Maßnahmen an, um fast
allen palästinensischen Besitz zu übernehmen: Land, Häuser und Besitz.
Sogar Palästinenser, die nur aus ihrem Haus flohen und innerhalb Israels
blieben, wurden als „gegenwärtig Abwesende“ bezeichnet, damit ihnen der
Besitz weggenommen werden konnte. Wenn Besitzrechte für den Markt in
Hebron geltend gemacht werden, dann sollten sie universal geltend
gemacht werden. Da Juden sich enormen arabischen Besitz angeeignet
haben, würde das Prinzip über Besitz in Hebron den Weg zu arabischen
Forderungen in Jerusalem, Jaffa, Haifa und tatsächlich überall in Israel
ebenen.
Dazu kommt, dass
die Besetzung des Großmarkts in Hebron durch Siedler sogar gegen das
israelische Gesetz war. Die Regierung gibt zu und verkündet wiederholt
die Absicht, die Hausbesetzer zu vertreiben. Der Verteidigungsminister
Shaul Mofaz machte kürzlich eine Eingabe an den Obersten Gerichtshof,
die Siedler zum 15. Februar aus dem Markt zu entfernen. Die Zeit ist
gekommen, dass Sharons moderate Regierung – jetzt unter seinem
vertretenden Nachfolger Olmert glücklicherweise diese moralischen,
rechtlichen und politischen Erwägungen versteht und endlich bereit ist,
sie in die Tat umzusetzen. Die Hebron-Siedler sind auf jeden Fall
Hooligans und die Regierung sollte dafür gelobt werden, dass sie ihnen
endlich zeigt, wer in diesem Land das Sagen hat. Es wird höchste Zeit,
dass der Großmarkt in Hebron den palästinensischen Kaufleuten wieder
zurückgegeben wird – es wäre ein kleiner, aber bedeutsamer, aber längst
überfälliger Schritt Israels, zu den Grenzen von 1967 zurückzukehren.
Die Realität
Das sind tatsächlich
zwei wunderbare Geschichten – doch beide haben mit der Wirklichkeit
wenig gemeinsam. Man erinnere sich, dass die Hausbesetzer den Großmarkt
einfach übernehmen konnten, weil die palästinensischen Kaufleute
vertrieben worden waren. Der Markt war 1994 von Israel nach dem
Goldstein-Massaker, bei dem ein jüdischer Siedler 29 betende Muslime in
der Abrahams-Moschee ermordet hatte, als vertrauens-zerstörende
Maßnahme geschlossen worden. (apropos „töten und in Besitz nehmen) Im
Hebroner Abkommen von 1997 versprach Israel, den Markt an die
Palästinenser zurückzugeben, damit er wieder geöffnet werden kann. Eine
Mauer sollte ihn von den Siedlerwohnungen trennen.
Doch Israel beachtet
Verträge nur in äußersten Ausnahmefällen – und Hebron ist keine solch
seltene Ausnahme.
Die nationalistische
und die liberale Geschichte sind an einem sehr wichtigen Punkt falsch:
beide glauben fälschlicherweise, dass Israel beabsichtigt, den Markt an
die Palästinenser zurückzugeben. Israel denkt gar nicht daran. Alles,
was Israel im Augenblick benötigt, ist eine gute Schau, die wie der
liberale Traum aussieht – besonders am Vorabend der Wahlen. Da ist es
wünschenswert als resolute, moderate und sich an die Gesetze haltende
Regierung dargestellt zu werden. Aber es wird der nationalistische,
kolonialistische Traum sein, der verwirklicht werden wird. In einer
gemeinsamen Bemühung der israelischen Regierung, Polizei, Armee und
den Siedlern hatte Israel einen ziemlichen Erfolg bei der ethnischen
Säuberung von palästinensischen Bewohnern von Hebrons Zentrum. Die
Wiedereröffnung des Marktes könnte den Handel im Herzen der Stadt wieder
beleben und Israels Errungenschaft ins Gegenteil verkehren.
Wie könnte die
Lösung aussehen? Aufmerksame Haaretz-Leser konnten es gerade wenige
Tage, bevor das Problem in die Schlagzeilen kam, am 5.1.06 lesen:
„Das
Verteidigungsministerium hat mit der Hebroner Stadtgemeinde den
Pachtvertrag gekündigt, der palästinensischen Kaufleuten die Möglichkeit
gab, im Großmarkt der Stadt zu arbeiten. Das heißt, dass die Kaufleute
des Großmarktes nicht in der Lage sein werden, zu ihren Läden
zurückzukehren, selbst wenn die IDF die Siedler als Hausbesetzer von
dort entfernt.“
Was will Israel also
tun? Der Oberste Gerichtshof soll sich nicht mehr mit der Sache
befassen. Der Staat würde die Hausbesetzer nur durch „autorisierte“
Siedler ersetzen. Die Zivilverwaltung kommentierte schon: die
Ankündigung wurde der Hebroner Stadtbehörde gegeben, um mit der
Reaktion des Staates auf die Petition beim Obersten Gerichtshof
mithalten zu können.“ Tatsächlich – so fügte Haaretz noch hinzu –„ ist
nicht klar, ob der Pachtvertrag legal beendet sein kann, und es ist
möglich, dass dies eine längere legale Debatte mit sich bringt, die
Jahre dauern könnte“ – doch dies bedeutet nur Jahre, in denen die
Siedler und die Armee den Rest der Palästinenser aus dem Zentrum von
Hebron vertreiben können.
Und warum sind die
Siedler auf die Straße gegangen? Außer dem allgemeineren Hintergrund
übe die junge, radikalisierte Generation der Siedler, die sich nach dem
Abzug aus dem Gazastreifen gedemütigt fühlte und nun eifrig dabei ist,
zu vandalieren und zu terrorisieren, gibt Haaretz noch einen besonderen
Grund an:
„Die Siedler Hebrons
weisen die Möglichkeit, die Hausbesetzer aus dem Großmarkt zu
evakuieren, nicht zurück, wenn andere jüdische Siedler, die die Läden
und Gebäude legal mieten, ihren Platz einnehmen. Die Siedler fordern
jedoch, dass die neuen Familien so schnell wie möglich einziehen, um
sicher zu gehen, dass die Läden ständig bewohnt sind ,(...) aber (...)
die Siedler haben noch keinen schriftlichen Kompromissvorschlag zu
dieser Sache erhalten.“
So werden alle
Akteure ihre faire Schau erhalten: der Oberste Gerichthof kann als
Verteidiger der Justiz hingestellt, die Siedler können als fanatische
Zeloten vorgestellt werden, die letzten Endes verlieren. Die Regierung
kann als stark und für den Frieden porträtiert werden. Und während die
ganze Welt salutiert, wird Israel die Palästinenser weiter enteignen.
Post scriptum
Der Erfolg der
gegenwärtigen Schwindelschau scheint alle Erwartungen zu übertreffen.
Die ganze Welt interpretiert den Austausch der einen Gruppe Siedler mit
einer anderen als einen großen Schritt in Richtung Frieden. Daraus
ergibt sich - wie Haaretz in der Hebräischausgabe vom 17.1. zitiert -
dass ranghohe israelische Armeeoffiziere sagen, sie haben noch keine
Instruktionen von der politischen Ebene erhalten, wann sie die Siedler
vom Großmarkt in Hebron evakuieren sollen. Sie rechnen damit, dass dies
nicht vor den palästinensischen Wahlen nächste Woche geschehen wird.“
Wenn die Welt so
leicht getäuscht werden kann, warum sollte Israel dann das Spiel mit den
Tränen beenden?
(dt.
Ellen Rohlfs)
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