Vorsicht Barak!
Ran HaCohen, 27.12.07
www.antiwar.com/hacohen/?articleid=12110
Israels „Verteidigungs“-Minister
ist eindeutig der gefährlichste Politiker im Nahen Osten. Ahmadinejad
kann nur davon träumen, so viel Macht zu haben – politisch und
militärisch, konventionell und nicht-konventionell – wie sie Barak schon
besitzt. Netanyahu und andere sehr rechte israelische Politiker sagen
genau das, was sie denken und sind als Extremisten verschrieen; also
sind sie ständig prüfenden Blicken ausgesetzt. Barak ist viel extremer
als Netanyahu, aber er ist ein Extremist in Verkleidung.
Die Person, die
den Oslo-Prozess zerstört hat und die zweite Intifada initiierte, die
Person, die das israelische Friedenslager von innen her zerstörte, indem
sie Legenden über ein „großzügiges Angebot“ verbreitete, das von den
Palästinensern zurückgewiesen wurde, und die Israelis davon überzeugte,
dass sie Arafat „demaskiert“ habe und dass es keinen palästinensischen
Partner gebe – diese Person nennt sich noch immer „ Führer des
israelischen Friedenslagers“. Das ist eine von Baraks gefährlichsten
Zügen: seine inhärente Unwahrhaftigkeit, indem er sich selbst genau als
das Gegenteil von dem hinstellt, was er wirklich ist.
Barak hat sich
nicht verändert. Wie Yedioth Ahronot vor nur wenigen Monaten
verkündigte („Labor-Führer ist weiter rechts als Netanyahu“, 10.8.07)
beschrieb Barak die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen als „Fantasie“
und sagte, „es gibt keinen Unterschied zwischen Hamas und der Fatah“;
und versprach „ich werde in der Westbank keine Straßensperre abbauen“;
und wiederholte sein altes Mantra: „Es gibt keine Möglichkeit, mit den
Palästinensern ein Abkommen zu erreichen“.
Tatsächlich war
Barak von Anfang an gegen den Annapolis-Gipfel. Seine Opposition wurde
nur ein paar Wochen vorher zu einer zurückhaltenden Unterstützung,
nachdem klar geworden war, dass es sich um kaum mehr als einen
Phototermin handelt. Zusätzlich wiederholte Barak Signale – um sicher zu
gehen, dass aus dem neu begonnenen Prozess nichts wird –
Friedensgespräche mit Syrien parallel zu denen mit Palästinensern laufen
zu lassen. Es ist ein typischer Baracktrick: zu Friedensgesprächen mit
Syrien zu drängen, um sich seines falschen Rufs als Mann des Friedens zu
rühmen, indem er jede Aussicht auf Frieden sabotiert. In einem
offiziellen Bericht, der im Jahr 2000 unter dem damaligen
Ministerpräsidenten Ehud Barak geschrieben wurde und der kürzlich auf
hebräisch in Haaretz ( 13.12.07) erschienen ist, schrieb Baraks
Bürochef, dass aufgenommene Verhandlungen mit Syrien zu großem
Misstrauen und zu Hartnäckigkeit auf Seiten der Palästinenser geführt
habe. Außerdem sei das israelische Team nicht in der Lage gewesen,
Verhandlungen mit beiden Fronten gleichzeitig zu führen. Mit andern
Worten: Verhandlungen mit Syrien zu führen, ist eine getestete Maßnahme,
um sicher zu gehen, dass es auf der palästinensischen Spur nicht
weitergeht; Barak spielt diese seine schmutzige Karte zum 2. Mal.
Barak versprach,
nach der Veröffentlichung des Schlussberichtes der Winograd-Komission
die Koalition mit Olmert zu verlassen, da der Bericht wahrscheinlich
Olmert die Schuld für den misslungenen Libanonkrieg im Sommer 2006
geben wird. Nun hat er durch seine „Assistenten“ andeuten lassen, dass
er sein Versprechen nicht halten wird. (Barak spricht nie direkt zu den
Medien; er schickt immer seine Assistenten, um auf seine Absichten
hinzuweisen, damit man ihn nicht für das, was er tatsächlich sagt,
verantwortlich machen kann) Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Baraks
perverse Logik ihn dahin bringt, seine Rückkehr ins Amt des
Ministerpräsidenten zu planen und zwar mittels eines „kleinen“ Krieges.
Wenn Olmert erst einmal offiziell für den schief gelaufenen Libanonkrieg
in Misskredit geraten ist, kann Barak als Verteidigungsminister hoffen,
den Verdienst für einen neuen, erfolgreichen Krieg – eine „große
Operation im Gazastreifen kommt immer näher“ (wie Barak unermüdlich
wiederholt) - einen Krieg gegen Syrien, einen Schlag gegen den Iran oder
eine Kombination von all diesem – in Anspruch nehmen. Solch ein Krieg
würde dann auch ein ausgezeichneter Vorwand dafür sein, sein
Versprechen, die Koalition zu verlassen, zu brechen. Schließlich wäre es
ja „unverantwortlich“ wegzugehen, wenn ein Krieg droht.
Barak weiß nur
zu gut, wie man Israel in einen Krieg führt, sogar – wenn es nötig ist -
hinter dem Rücken der Regierung: es war der junge Generalmajor Barak,
der in den frühen 80ern seinen Vorgesetzen in der Armee empfahl, ein
Täuschungsmanöver anzuwenden, um die israelische Regierung und
Öffentlichkeit in einen Krieg in den Libanon zu verführen.
Ruanda ist
reicher
Viele der
ausländischen Nachrichten der allgemeinen Medien fallen unter
„Infotainment“: „Mann beißt Hund“, „Gast verspeist den Gastgeber“
„Frau reinigt Katze chemisch“. Diese Art von Berichten wird - dem Stil
und dem Inhalt nach – immer öfter für solche aus dem Gazastreifen
angewandt, einer Region unter sehr effektiver israelischer Kontrolle –
nur eine Autostunde von Tel Aviv entfernt . Wir sind informiert über den
Preis einer Schachtel Zigaretten im belagerten Gazastreifen – mehr als
$15 - während 63% der Bevölkerung von weniger als $2,5 pro Tag leben
müssen, was sogar unter der Armutsrate in Ruanda liegt. Wir beobachten
schmunzelnd einen TV-Bericht über einen Softgetränkehersteller im
Gazastreifen, der kein CO2 bekommen kann. Er findet einen
originellen Weg, um Sodapop herzustellen, indem er ein anderes Gas
verwendet. Oder über den dramatischen Preisanstieg von Eseln, da es
kein Benzin für Fahrzeuge gibt, sodass der Transport von Waren nun mit
Tieren erledigt wird. Großartige Bilder: der Softgetränkehersteller
zeigt stolz seine chemische Erfindung und schlägt alle Vermutungen von
Krebsverursacher in den Wind. Ein halb verhungerter Esel wird für $60,
$75, $ 100 angeboten, weil der Verkäufer sagt, er könne sich das Futter
nicht mehr leisten. Der Hamasführer Ismael Haniyeh gratuliert seinem
Volk zum muslimischen Feiertag von Eid ul-Adha und gibt zu, dass es im
ausgehungerten Gazastreifen keine Lämmer mehr zu opfern gibt.
Hermetisch unter
Belagerung abgeschlossen und nach Jahrzehnten der Besatzung und Jahren
der Intifada, während der Israel die geringe Infrastruktur, die der
Streifen jemals hatte, zerstörte, folgten viele Monate des totalen
Embargos – von wenigen Grundnahrungsmitteln abgesehen. Es gibt keine
Wirtschaft mehr. Dazu die täglichen Überfälle israelischer Panzer und
das außergerichtliche Töten durch israelische Flugzeuge. Nun wurde noch
die Benzinzufuhr und bald auch die Stromlieferung fast ganz gesperrt .
Der Gazastreifen ist mit seinen 1,5 Millionen Menschen, davon 80%
Flüchtlinge nun nicht mehr nur der Welt größtes Open-Air-Gefängnis. Es
ist ein großes vom israelischen Militär geführtes Labor für Experimente
an Menschen.
Einige dieser
Berichte kommen zusammen mit den „guten Nachrichten“ über das
Versprechen der internationalen Gemeinschaft, die mehr als $7,5
Milliarden der palästinensischen Behörde für die nächsten drei Jahre
versprochen hat. Einige israelische Kommentatoren bezeichneten die
versprochene Summe als die größte, die jemals irgend einem Führer
gegeben wurde, obgleich sie bedeutend kleiner ist als die
US-Militärhilfe, die der Regionalmacht, Israel, in beliebigen drei
Jahren gegeben wird. Andere rechneten schnell aus, dass jede
palästinensische Familie über $1000 im Monat „verdienen“ würde, wenn die
Summe gleichmäßig verteilt würde; aber sie fügten triumphierend gleich
hinzu: wir wissen alle, dass der größte Teil davon in die korrupten
Taschen der Fatah-Führung geht und nicht zu den Armen, die ihren Esel
verkaufen. Ein dramatischer Seufzer der Verzweiflung und
Selbstgerechtigkeit: noch einmal kann den Palästinensern die Schuld für
ihre eigene Not zugewiesen werden. Keiner macht sich die Mühe, einen
Gedanken weiter zu denken z.B. zu fragen; warum bemüht sich Israel so
sehr, die korrupte Fatah-Führung am Leben zu erhalten, obwohl sie die
Unterstützung der eigenen Bevölkerung verloren hat und aus dem
Gazastreifen geworfen wurde – eben genau wegen ihrer Korruption.
Der öffentliche
Diskurs in Israel stellt gerne Fragen – aber nur in der Art, wie sie
Präsident Shimon Peres in der letzten Woche gestellt hat: „Kein
einziger israelischer Siedler oder Soldat ist jetzt im Gazastreifen –
warum schießen sie dann auf uns?“ Ja, weshalb wohl?
(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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