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Al-Arakib – 60 Jahre und der
Kampf beginnt erst
Oder „Israel bringt die Wüste
zum Blühen“
Adam Keller, Crazy Country, 23.7.11
Al-Arakib ist ein Dorf in Israel nordöstlich
von Beer Sheba. Ein Dorf, das auf keiner Karte erscheint, die
in diesem Land veröffentlicht wurde. Es ist ein Dorf, dessen
Existenz die Regierung Israels nicht anerkennt und die alles in
ihrer Macht tut, um sicher zu sein, dass es nicht länger da
bleibt – und doch, trotz allem, was die Regierung auch macht,
das Dorf ist sehr lebendig. Im Augenblick, wo ich dies
schreibe, singen und tanzen die Kinder von Al-Arakib sehr laut
in der Mitte des Dorfes.
Das Dorf Al-Arakib bestand in der Negevwüste
unter ottomanischer Herrschaft, lange bevor der Wiener Jude mit
Namen Theodor Herzl eine Konferenz in Zürich/ Schweiz
zusammenrief, um zur Schaffung eines jüdischen Staates
aufzurufen. Sheikh Mohammed Sohn von Salem al-Okbi besaß 6000
Dunum Land bei Al Arakib. Er beschäftigte zwölf Arbeiter, die in
jedem Jahr pflügten, säten und ernteten. Er verkaufte den
Überschuss an Händler von Gaza, Jordanien und im Sinai. Die
ottomanische Regierung tat tatsächlich nichts für die
Dorfbewohner, mischten sich aber auch nicht ein und versuchten
sicher nie, sie von ihrem Land zu vertreiben.
1917 kamen die britischen Soldaten vom Süden,
um das Land zu erobern. Sie kamen nahe an Arakib vorbei und eine
Artilleriegranate der sich zurückziehenden Ottomanen traf das
Haus von Sheikh Mohammed und zerstörte es. Aber mit der
Konsolidierung der britischen Mandatsherrschaft wurde das Haus
wieder aufgebaut. Auch die britische Regierung mischte sich
nicht viel in das Leben der Leute ein und ließ sie ruhig auf
ihrem Lande leben. 1948 kam wieder eine neue Regierung, die
Herrschaft des neu errichteten Staates Israel. Und zuerst
dachten die Leute von Al-Arakib, dass sie auch unter diesem
Regime leben könnten, wie sie all die Jahre unter früheren
Herrschern gelebt haben.
Während der ersten zwei Jahre sah es so aus,
als würde das Leben der Dorfbewohner berücksichtigt. Tatsächlich
wurde das Haus von Sheikh Suleiman, Sohn von Muhammad al-Okbi
vom Staat Israel als Gerichtsraum des Stammes benützt, wenn es
Probleme zwischen den Beduinen des Gebietes gab. Dann wurde die
Nationalflagge Israels auf dem Dach des Hauses gehisst.
Diese Illusion wurde an einem einzigen
bitteren Tag 1951 zerstört. Soldaten der IDF kamen im Auftrag
der Militärregierung, unter der die arabischen Bürger Israels
lebten, und befahlen den Bewohnern von Al-Arakib, sofort ihre
Häuser zu verlassen. Nach sechs Monaten könnten sie wieder
zurückkehren, wurde ihnen gesagt. Aber es vergingen Jahre an
ihrem Exilort und der Tag der Rückkehr kam nie. Als 1954 Sheikh
Suleiman zurückzukehren versuchte, kamen sofort Soldaten und
nahmen ihn nach Beersheba in Gewahrsam.
Die Häuser des Dorfes wurden zerstört und dem
Erdboden gleich gemacht, auch das Haus, das der Staat Israel als
Gerichshof benützte und das Haus, in dem 1949 die 1. Wahl für
die Knesset stattfand. Und im Landregister von Israel wurde
notiert, dass dieses Stück Land ein „unbebauter und unbesetzter
Besitz“ sei und deshalb Besitz der „Entwicklungsbehörde“ sei,
also Staatsland. Und als die Al-Okbis wieder versuchten,
zurückzukommen und 1973 ihr Land zu bearbeiten versuchten,
wurden sie angeklagt, sie hätten widerrechtlich Staatsland
betreten. Dasselbe geschah mit Nuri Al-Okbi, dem Enkel von
Sheikh Mohammad, der selbst kein Sheikh ist , sich aber als
Aktivist für die Rechte seines Volkes, die Beduinen, einsetzt.
Er stellte ein Zelt auf ein kleines Stück Land seiner Vorfahren
und lebte mehrere Jahre darin Tag und Nacht, bis die Polizei kam
und ihn verhaftete, weil er Staatsland betreten habe. Ein
Gericht warnte ihn streng, eine Wiederholung brächte ihm eine
lange Gefängnisstrafe ein.
Und nicht nur ihm. Hunderte der Al-Turis,
Nachbarn der Al-Okbis, die auch 1951 vertrieben worden waren,
kehrten in organisierter Weise zum Land ihrer Vorfahren bei
Al-Arakib zurück, neben dem Friedhof, wo ihre Familienmitglieder
seit Hunderten von Jahren begraben lagen – Land, von dem der
Staat während der Jahrzehnte, die es in seinem Besitz hatte,
keinen Gebrauch machte. Sie bauten ihre Hütten wieder auf und
bearbeiteten die Felder und pflanzten Olivenbäume und brachten
wenigstens in einem Teil des Landes des Al-Arakib-Dorfes das
Leben wieder zurück.
Die Behörden waren alles andere als erfreut.
Zerstörungs- und Vertreibungsbefehle wurden den Bewohnern
mitgeteilt. Die Kornfelder wurden aus der Luft mit Gift
besprüht. Nachdem das Oberste Gericht das Giftsprühen aus der
Luft verboten hatte, begann die israelische Landverwaltung, neu
keimendes Getreide unterzupflügen. Doch die unerschrockenen
Bewohner bearbeiteten weiter ihr Land und säten noch einmal.
Genau vor einem Jahr am 27.Juli 2010
mobilisierten die Polizei, die Grenzpolizei und Israels
Landverwaltung nicht weniger als 1300 bewaffnete Männer, die von
Bulldozers und schwerer Ausrüstung begleitet waren, um das Dorf
zu überfallen und es von allen Seiten zu umgeben. Sie zerstörten
alles, rissen die Olivenbäume bis zum letzten aus. Nun war es
wieder „unbearbeitet und unbewohnt“ wie es war, als der Staat es
auf seinem Namen registrierte.
Aber dies waren nicht die 50er-Jahre und
dieses Mal ließ man das Land nicht jahrzehntelang ungenutzt
liegen. Die Bewohner gaben nicht auf, sie kamen zurück und
bauten am nächsten Tag ihre Hütten wieder auf, um Schutz vor der
Wüstensonne und den kalten Nächten zu haben. Und wieder kam die
Polizei und zerstörte alles und wieder bauten die Bewohner auf.
So ging es das ganze Jahr – mindestens 24 mal. Die Gewalt der
Polizei nahm bei den Verhaftungen der Dorfbewohner, der
jüdischen und arabischen Freiwilligen, die ihnen zur Hilfe
kamen, zu. Und wieder wurde das Dorf noch in derselben Nacht
aufgebaut und so ging es weiter …
Unterdessen erhielt der Jüdische National
Fond eine Direktive von der Regierung, einen Wald dort
anzupflanzen, wo die Häuser von Al-Arakib standen und die
Olivenbäume von den Bewohnern gepflanzt waren. (Die Bäume, die
der JNF an ihre Stelle zu pflanzen plante, tragen keine
Früchte..) „Die Wüste zum Blühen bringen!“ ist der alte Slogan
von JNF scheint jetzt ein bisschen weniger attraktiv. Die
Dorfbewohner appellierten ans Distriktgericht. Der Richter
ermahnte den JNF, vor Ort keine neue Fakten zu schaffen,
solange die umstrittenen Besitzrechte des Al-Arakib Landes noch
nicht entschieden worden sind.
Die Aktivitäten der JNF-Bulldozer in
Al-Arakib wurden sogar jenseits der israelischen Grenze gehört
und das britische Fernsehen brachte eine Sendung darüber. Der
britische Ministerpräsident David Cameron verkündete das Ende
seiner Position als „Ehrenschirmherr des JNF“. Der JNF war
eine von mehreren registrierten Wohltätigkeitsvereinen, in denen
der britische Ministerpräsident diese Position inne hat. Aber es
wurde etwas peinlich im Lichte der wenig karitativen Aktivitäten
in Al-Arakib.
Tatsächlich sollte das Problem schon
seit Jahren gelöst sein, als die Regierung Israels eine
fact-finding Kommission ernannte, die vom früheren Richter
Eliezer Goldberg geleitet wird, um das Problem mit den Beduinen
zu lösen. Die Regierung überlegte länger als ein Jahr, hörte
Zeugnisse, schloss die Beduinen sogar selbst mit ein. Ihre
Empfehlungen gingen dahin, die „nicht anerkannten“
Beduinendörfer im Negev anzuerkennen, was dann auch für
El-Arakib gegolten hätte. Aber viele einflussreiche Leute in der
Regierung und der Knesset mochten diese Empfehlungen gar nicht.
Ein neues Komitee wurde ernannt, dem Ehud Praver, aus dem Büro
des Ministerpräsidenten, vorstand. Dieses 2. Komitee hat die
Meinung der Beduinen gar nicht erst gehört und entschied, dass
die meisten nicht anerkannten Dörfer zerstört und etwa 30 000
Menschen in Townships ( mit großer Arbeitslosigkeit) umgesiedelt
werden sollen. …
Unterdessen geht das Leben in
Al-Arakib wie üblich weiter. Die letzte Zerstörung fand am
letzten Donnerstag statt. Gestern kamen Dutzende von Aktivisten
aus Tel Aviv und Jerusalem und aus den Dörfern Galiläas, die ein
Sommerlager im Negev abhalten , um an den Jahrestag der
Zerstörung von 2010 zu gedenken, ja sogar
amerikanisch-christliche Aktivisten von CPT, die gewöhnlich in
Hebron sind, kamen, um Al-Arakib zum 25. ( manche sagen zum 27.)
Mal wiederaufzubauen. Zwölf feste und solide Hütten wurden
errichtet. Am Freitagnachmittag wurde ein allgemeines Gebet für
Muslime, Juden und Christen gehalten. ….
Es ist nicht so, dass sich jemand
Illusionen macht. Die Polizei wird wiederkommen und die
errichteten Hütten wieder zerstören, die wieder durch neue
ersetzt werden. Die Regierung Israels hat ihre Absicht nicht
aufgegeben, Al-Arakib von der Erdoberfläche zu tilgen – aber die
Bewohner werden nicht aufgeben.
(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs)
Epilog der Übersetzerin:
Die Geschichte ist nicht zu Ende:
heute – am 27.7.11 - steht in Haaretz,, dass Israel die
Beduinen für die Unkosten wiederholter Zerstörungen ihrer Hütten
verklagt. Ein noch nie da gewesener Rechtsstreit bemüht sich,
1,8 Millionen NIS (isr. Schekel) von den Negevbeduinen zu
bekommen. Die israelische Landverwaltung sagt, die Angeklagten
hätten Häuser auf Land gebaut, das dem Staat gehört. ( meine
Meinung: sollten nicht die Beduinen 1,8 Mill. Wiedergutmachung
bekommen für die 25fache Zerstörung ihrer Hütten ???)
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