Machsom Watch Matria[1]
– Juli 2007
Machsom Watch –
eine Organisation israelischer Frauen gegen die Besatzung und
für Menschenrechte, die sich mit einem der härtesten Aspekte der
Besatzung befasst – der Einschränkung der Bewegungsfreiheit der
Palästinenser in den besetzten Gebieten.
Vier Millionen Palästinenser leben unter einer
Schreckensherrschaft von Begrenzungen, beraubt jeglicher Rechte,
nur nicht des Rechts, Angst zu haben.
(Yitzchak Laor, "Haaretz", 8.8.2007)
Jerusalem-Betlehem. Liebe und
Frieden
Als wir ankamen, waren
Dutzende, zu Fuß und in Autobussen, bereits auf dem Weg zur
Arbeit und andere warteten neben dem Checkpoint auf ihren Bus.
Innerhalb von zwei Stunden passierten 1,600-1,800 Personen den
Checkpoint. Fünf der zwölf Kontrollschalter waren geöffnet.
Während der gesamten Zeit unserer Anwesenheit entstand kein
Gedränge vor den Schaltern, denn die Soldaten im ersten
Kontrollabschnitt, der vor unseren Augen verborgen ist, ließen
jedes Mal nur eine begrenzte Zahl von Wartenden durch.
Was macht den Anblick der
Schalter so unerträglich?
Es spielt keine Rolle, wie "effektiv"
der Checkpoint arbeitet, eine Kette von Demütigungen ist
untrennbar mit seinem Funktionieren verbunden.
Die Demütigung besteht darin,
dass vierzig-, fünzig-, sechzigjährige Männer, die nur ihr
tägliches Brot verdienen wollen, Morgen für Morgen gezwungen
sind, eine halbe Stunde, eine Stunde, zwei Stunden in der
Warteschlange zu stehen und der Willkür von jungen Männern und
Frauen ausgeliefert sind, die ihre Kinder sein könnten. Ihre
Autorität beruht auf ihrer Uniform und ihrer Waffe und
ermöglicht ihnen, den Checkpoint um 5 Uhr zu öffnen oder
vielleicht erst um 5.30 und effektiv oder langsam zu arbeiten.
Die Demütigung besteht darin,
dass sie zwischen den beiden Warteschlangen, zwischen
Leibesvisitation und Überprüfung der Papiere, vor aller Augen
ihre Gürtel neu zuschnallen müssen.
Die Demütigung besteht darin,
dass sie eng aneinander gedrängt vor dem Glasschalter stehen, in
dem in einem relativ großzügig bemessenen Raum der
kontrollierende Soldat in einem bequemen Sessel sitzt, ein
Getränk und Verpflegung neben sich.
Die Demütigung besteht darin,
dass es keinen direkten Kontakt mit dem kontrollierenden
Soldaten gibt. Die magnetische oder biometrische Karte muss ihm
durch einen Schlitz zugeschoben werden, die Arbeitserlaubnis
muss gegen das Fenster gepresst werden, so dass er sie von innen
lesen kann.
Nach all dem bleibt noch eine
weitere Demütigung. Der kontrollierende Soldat sitzt gut
geschützt hinter Glas. Selbst wenn zwanzig Fäuste ihre Wut an
dem Glas auslassen sollten, wird dem Soldaten nichts geschehen.
Dennoch ertragen es die Soldaten nicht, dass mehr als eine
Person sich dem Glasschalter nähert oder die angespannt
Wartenden auch nur ihre Stimme erheben aus Ungeduld angesichts
der sich hinziehenden Kontrollen. Die Sicherheitskräfte
verspüren ein Bedürfnis, unter den Eingeborenen für Ordnung zu
sorgen. Das beginnt mit Schreien wie "Verschwindet!", "Geht
zurück!", "Ruhe, alle ruhig jetzt!", "Seid ruhig!". Es geht
weiter mit dem Grenzpolizisten, der die Leute mit dem
Gewehrkolben zurückdrängt. Es endet mit einer erzieherischen
Kollektivstrafe: "Keiner wird durchgelassen, solange nicht alle
ordentlich in der Reihe stehen!", "Erst wenn ihr ruhig seid,
lassen wir wieder Leute durch. Wenn jemand nicht versteht,
übersetzt es ins Arabische!". Heute dauerte diese "Lebenspause"
(so der Militärjargon) nur wenige Minuten, da alles mehr oder
weniger geordnet ablief.
Der Strom der Menschen, die
den Checkpoint passieren, kann täuschen. Der Betrachter mag sich
mit dem Gedanken trösten, dass "sie schließlich doch
durchkommen". Die zweitausend, die durch den Checkpoint gehen,
sieht man. Die vielen tausende, die keine Erlaubnis bekommen,
Israel zu betreten, sieht man nicht mehr. Seit aus der
provisorischen Straßensperre ein steril abgeschlossener
Kontrollposten geworden ist, macht es keinen Sinn mehr, ohne
Erlaubnisschein aufzutauchen und zu versuchen, die Soldaten zu
überreden oder zu erweichen. Jede Diskussion wird mit dem
Verdikt enden: "Geh' zurück. Du kannst nicht hinübergehen". Nur
aus Versehen kommen noch Menschen ohne passenden Erlaubnisschein
zum Checkpoint – jene, die dachten, ihre Papiere seien in
Ordnung, aber der kontrollierende Soldat verkündet ihnen, dass
das nicht der Fall ist. Ein Mann saß eine Stunde lang auf dem
Fußboden des Checkpoints und wartete auf die Klärung seines
Falls, denn mit seinem Ausweis ist "etwas nicht in Ordnung".
Schließlich rief ihn der Soldat, gab ihm den Ausweis zurück und
befahl: "Geh nach Betlehem zurück". Der Mann hatte schon keine
Energie mehr zu widersprechen und machte sich ohne ein Wort und
ohne Protest auf den Rückweg. Ein anderer konnte nicht
begreifen, was ihm widerfährt: Jeden Tag geht er hier durch,
heute entschieden die Soldaten, dass seine Arbeitserlaubnis
gefälscht ist und er nicht passieren kann. Ein weiterer kam mit
einer Vorladung zu einem Gerichtsverfahren über illegalen
Aufenthalt in Israel. Er behauptete, dass man ihm beim DCO
(District Coordinating Office –
Regionales Koordinierungsbüro)
gesagt habe, dass die Vorladung ausreiche und er
keine besondere Passiererlaubnis brauche. Es stellte sich
heraus, dass das nicht stimmt. Er wurde zum DCO zurückgeschickt,
und zu der Gerichtsverhandlung, die in wenigen Stunden beginnen
wird, wird er nicht erscheinen können. Ein Mann mit einer gültigen
Arbeitserlaubnis erschien mit seinem kleinen Sohn, der einen
Termin für eine Behandlung im Mokassed-Krankenhaus in
Ost-Jerusalem hat. Es stellte sich heraus, dass der Mann Israel
betreten darf, um seine Arbeitskraft zu verkaufen, aber nicht,
um sein Kind zu einer ärztlichen Behandlung nach Ost-Jerusalem
zu bringen.
Und die Tarnsprache, die den
Checkpoint von Betlehem umgibt? Er ist der einzige Checkpoint,
den viele Touristen passieren, die meisten von ihnen Christen,
und um Israels Ansehen willen muss mit aller Macht die traurige
Wahrheit über diesen Ort verborgen
werden. Das jüngste Plakat, das an der Durchfahrt der Autobusse
aufgehängt wurde, zeigt Bilder heiliger Stätten in Jerusalem mit
der Aufschrift "Jerusalem-Betlehem.
Liebe und Frieden."
(Betlehem-Checkpoint, 10.7.2007)
An den Checkpoints im Norden
der Westbank gibt es nichts Neues. Große Dramen spielen sich
hier nicht ab, die Massen kommen nicht hierher und warten nicht.
Sie haben keine Erlaubnisscheine und damit keinen Grund, früh
aufzustehen und Zeit und Geld für den Weg zum Checkpoint zu
verschwenden. Am
Checkpoint Rechan-Barta'a wurde ein Terminal mit acht
Kontrollschaltern gebaut, am Checkpoint Jalame einer mit
sechzehn. In Betrieb sind nur einer oder zwei. Mehr werden nicht
gebraucht. Auch wenn es starken Andrang gibt, zeigt er sich
nicht an den Schaltern, an denen die Papiere kontrolliert
werden, sondern vor dem Eingangstor auf der palästinensischen
Seite oder in den inneren Räumen, die vor unseren Augen
verborgen sind.
(Jalame, 16.7.2007)
Ein 21-jähriger beginnt zu
fluchen, nachdem von ihm verlangt wurde, sein Hemd hochzuziehen
und seinen Oberkörper zu entblößen. Der Kommandant des
Checkpoints verlangt von ihm, die Prozedur noch fünf
mal zu wiederholen. Der Jugendliche erhebt seine Stimme und der
Kommandant und ein weiterer Soldat lassen ihn auf den Treppen
hinter dem leeren "humanitären Notfallpunkt" verschwinden. Die
Kontrollen am Checkpoint werden währenddessen gestoppt, es gibt
laute Protestschreie, aber nichts hilft.
Wenig später wird der Jugendliche in der Zelle eingesperrt, er
bekommt Wasser und wischt sich das Gesicht ab. Ein Bericht an
den "humanitären Notfalldienst" der Armee bleibt ohne Antwort.
Nach seiner Freilassung sprechen wir mit dem Jugendlichen. Er
ist Student an der An-Najach-Universität in Nablus. 21 Jahre
alt. Seiner Aussage nach wurde er mit einem Gewehrkolben an
Händen und Füssen
geschlagen.
(Beit Iba bei Nablus, 4.7.2007)
Nachdem der Wagen zehn Minuten
lang kontrolliert worden war, weigerte sich der Fahrer, sein
Hemd hochzuziehen. Der Soldat entschied, dass eine kleine Demütigung
angebracht sei und verlangte von ihm, einen Zigarettenstummel
aufzuheben. Als er sich weigerte, wurde der Wagen festgehalten.
Nach einem viertelstündigen Wortwechsel entschuldigte sich der
Fahrer bei dem Soldaten und durfte
weiterfahren.
(Jit-Kreuzung bei Nablus, 30.7.2007)
Zunächst sind wir
überrascht, wie leer die Wartehalle vor
dem DCO ist. Vier Männer und eine Frau warten darauf, dass eine
weitere Gruppe zu den Schaltern des DCO vorgelassen wird. Ein
erregter Mann kommt aus dem DCO heraus. Er hat um 13.00 ein
Treffen mit dem amerikanischen Konsul und kam gestern mit einer
Überweisung des palästinensischen DCO hierher, um eine Erlaubnis
für das Betreten Jerusalems zu bekommen.
Man verlangte von ihm, zusätzlich zu dem Brief des Konsulats,
der das Treffen bestätigt, einen Beleg für
die Zahlung der hundert Dollar, die das Konsulat verlangt,
beizubringen, und als er mit dem Beleg von zu Hause
zurückkehrte, sagte man ihm, es sei schon zu spät, um sich um
die Angelegenheit zu kümmern, er solle morgen wiederkommen.
Heute kam er wieder,
und man verlangte von ihm, eine neue, für
heute gültige Überweisung des palästinensischen DCO
beizubringen. Als er sich erregte, schickte man ihn in
Begleitung zweier Wächter aus dem Checkpoint heraus. Der Mann
ist Professor Abu Hilal, Leiter der Abteilung für Verschönerung
des Stadtbildes in der Jerusalemer Stadtverwaltung, als Teddy
Kollek Bürgermeister war und Meron
Benvenisti sein Stellvertreter.
Ein Telefongespräch mit
Elisha, dem Verantwortlichen des DCO, stellt klar, dass die für
heute gültige Überweisung eine notwendige Formalität ist und die
Sache nicht viel Zeit in Anspruch nehmen werde. Elisha sagt
Professor Abu Hilal, er solle ihn anrufen, wenn er zurückkommt
und dann werde er sich um die Angelegenheit kümmern. Auf die
Bitte Professor Abu Hilals hin
warten wir auf ihn. Zwanzig Minuten später kommt er zurück,
aber die beiden Wächter der privaten Wachgeselschaft, Ali und
Fadi, sind anscheinend die Herren des Checkpoints und des
Durchgangs zum DCO, denn sie teilen ihm mit, dass er nicht
hineingelassen wird.
Wieder ein Anruf bei Elisha, der sich nicht vor Ort befindet,
aber verspricht, den Kommandanten des Checkpoints zu schicken,
damit er Professor Abu Hilal zum DCO bringe. Inzwischen werden
zwei Gruppen in den DCO hineingelassen, aber als Professor Abu
Hilal sich dem Durchgang nähert, schicken Ali und Fadi ihn ohne
Erklärung aus der Warteschlange heraus. Noch einige Anrufe, und
nichts geschieht. Schon eine halbe Stunde ist vergangen.
Schließlich erscheint eine Polizistin/Soldatin namens
Ilana und tadelt mit einer Zigarette zwischen den
Lippen Professor Abu Hilal für die
"Maschakil" (Probleme), die er im DCO gemacht habe. Sie weigert
sich ihn hineinzulassen, solange er sich nicht entschuldige, und
dieser stolze Mann, ein Freund des verstorbenen Königs Hussein
und einer der führenden Beamten in
der Stadtverwaltung des vereinigten Jerusalem, sieht sich
gezwungen nachzugeben, sagt, dass er vergessen möchte, was war,
und entschuldigt sich.
Ein Kopfnicken zwischen den Wächtern und Ilana, und das
Drehkreuz bewegt sich. Professor Abu Hilal betritt den DCO. So
geht es einem, wenn man sich über
die blinde und demütigende Bürokratie an den Checkpoints und
DCOs aufregt – alles zu tun, um
die Leute zu aufzuregen, ist Pflicht, aber dass
sie sich aufregen lassen, ist unter allen Umständen verboten.
(Oliven-Checkpoint, Jerusalem, 16.7.2007)
An den "humanitären"
Notfalldienst der Armee - Zur Kenntisnahme
Am Checkpoint Shaked-Tura,
einer der "Lebensgefüge" genannten
Checkpoints, wurde
einem Einwohner des Dorfes Daher Al-Malih in der Zone zwischen
der Grenze und dem "Sicherheitszaun" nicht erlaubt, seiner
Tochter, die in Tura, auf der palästinensischen Seite des Zauns,
lebt, einen Ventilator zu bringen. Ein Ventilator gehört auch in
diesen heißen Tagen nicht zum Lebensgefüge
der Palästinenser.
(Shaked, Norden der Westbank,
30.7.2007)
Am Checkpoint Rechan-Barta'a
sahen wir einen Mann, der von einem anderen getragen wurde. Am
Drehkreuz musste der Mann, der bei einem Arbeitsunfall im
östlichen Barta'a am Fuß verletzt worden war, auf einem Bein hüpfen.
Man hatte dem Verletzten nicht ermöglicht, im Taxi den
Kontrollpunkt für Fahrzeuge zu passieren. Wir konnten all das
nicht sehen und nicht versuchen zu helfen, denn Betonmauern
halten den Blick ab. Der Verletzte und sein Helfer setzten ihren
Weg zum Krankenhaus in Jenin im Taxi fort.
(Rechan-Barta'a,
30.7.2007)
Einige Kilometer vom
Checkpoint entfernt erreichte uns die Nachricht, dass es in
Chawara eine "Lebenspause" gibt und tausende dort warten. Jeeps
mit Verstärkung treffen ein und die Atmosphäre ist sehr gespannt.
Die Soldaten behaupten, dass sich ein Terrorist am Checkpoint
befindet. Sie rennen von einer Seite zur anderen und vertreiben
die Wartenden bis zu den Stufen, die zum Parkplatz führen.
Eine Familie mit einem etwa sechsjährigen Jungen mit
Lähmungserscheinungen erscheint. Er sitzt in einem Wagen,
gelähmt und mit entstelltem Körper und Gesicht.
Das Kind fühlt
sich nicht gut und fällt ab und zu nach vorne. Ich wende mich an
den Kommandanten des Checkpoints und bitte ihn, das Kind und
seine Eltern nach Nablus hineinzulassen,
aber er geht auf meine Worte nicht ein und weigert sich sogar,
die Familie auch nur anzusehen. Nach einer halben Stunde
verliert der Junge das Bewusstsein, und kein Puls ist zu spüren.
Ein Sanitäter kümmert sich rührend um ihn,
bringt ihn in den Schatten, und schließlich kommt der Junge
wieder zu sich. Er streichelt liebevoll das Gesicht des
Sanitäters und kichert. Passieren lässt man ihn nicht.
(Chawara bei Nablus, 10.7.2007)
Auf die jüdischen
Herbstfeste fällt dieses Jahr der muslimische Fastenmonat
Ramadan. Die israelische Regierung ist verpflichtet, den
Angehörigen aller Religionen die freie Ausübung
des Kultus zu ermöglichen, die sie für
ihre Bürger verlangt.
[1]
"Matria" ist abgeleitet von
dem hebräischen Verb "lehatria", das "(als Alarmzeichen)
in die Posaune/ins Horn blasen" und "Protestgeschrei
erheben" bedeutet.