Hilfsarbeiter der Besetzung
Palästinensische Kollaborateure im Dienste Israels
Jonathan Cook, 12.9.08
www.Counterpunch.org/cook09122008.html
Israel
webt in den besetzten Gebieten an einem dichten Netz von
palästinensischen Kollaborateuren. Für die Rekrutierung
dieser Spitzel nutzt der israelische Geheimdienst die
Abhängigkeit der palästinensischen Bevölkerung aus. Die
Kollaborateure sind schutzlos der Willkür der
palästinensischen Milizen ausgesetzt.
kw. Gaza, Ende August
Abu
Mahmud aus Gaza gehört zu jenen Personen, die in der
palästinensischen Gesellschaft als Abschaum verachtet
werden. Jahrelang diente er dem israelischen
Inlandgeheimdienst Shabak als Kollaborateur. Heute sitzt
er im Gefängnis von Gaza eine Strafe ab.
Zusammengesunken sitzt er in der neu eingerichteten
Gefängnisbibliothek und erzählt nur mühsam von seiner
Vergangenheit, mit der er am liebsten nichts mehr zu tun
hätte. Er bezeichnet sich selbst als Mörder. Wer einmal
als Kollaborateur bekannt ist, der wird in der Regel
gleich umgebracht; wenn nicht, wird er von der
Gesellschaft geächtet und bringt Schande über seine
ganze Familie. Niemand will in eine
Kollaborateursfamilie einheiraten, und nicht selten
versuchen die Kinder von Kollaborateuren durch besonders
militanten Widerstand, das Vergehen ihrer Eltern wieder
gutzumachen.
In eine
Falle geraten
Abu
Mahmud hatte nie die Absicht, mit dem Shabak
zusammenzuarbeiten. Als arbeitsloser Journalist sah er
1996 in einer Lokalzeitung von Gaza ein Stelleninserat,
mit dem ein israelisches Medieninstitut Journalisten aus
Gaza suchte. Abu Mahmud sandte seine Unterlagen, wurde
angestellt und schickte fortan Informationen. Nach einem
Jahr wurde er vom Shabak zu einem Gespräch eingeladen.
«Sie zeigten mir meine handgeschriebenen Briefe. Ich
merkte, dass ich nicht für eine Medieninstitution,
sondern für den Shabak gearbeitet hatte», erzählt Abu
Mahmud. Er wurde vor die Wahl gestellt, weiterhin für
den Shabak Informationen zu sammeln oder zu riskieren,
dass seine bisherige Zusammenarbeit in Gaza publik
würde. Nur schon die Anschuldigung – sei sie nun
gerechtfertigt oder nicht – bedeutet in der Regel
Gefängnis oder den Tod.
Abu
Mahmud blieb keine Wahl, er machte weiter. Statt eines
Lohnes als Journalist habe er fortan den Sold des
Kollaborateurs erhalten, sagt er, will aber dessen Höhe
nicht nennen. Er lieferte Informationen über Nachbarn
und Bekannte und deren Aktivitäten. Ein gezielter
Hinweis schliesslich ermöglichte es der israelischen
Armee, ein Mitglied einer palästinensischen Miliz zu
töten. Das war auch das Ende von Abu Mahmuds
Spitzeltätigkeit. Er wurde kurz darauf von den
palästinensischen Sicherheitsdiensten verhaftet, der
Kollaboration angeklagt und ins Gefängnis gesteckt. Dort
sitzt er seit fünf Jahren. Wie lange er noch bleiben
muss, weiss er nicht. Aber er sagt, die Familie
akzeptiere ihn wieder als einen von ihnen. Sie hätten
verstanden, dass er benutzt worden sei.
Keine
Wahl
«Alle
unsere Kollaborateure sind Opfer, sogar jene, die für
den Tod von anderen mitverantwortlich sind», sagt Shawan
Jabarin, der Direktor des Menschenrechtszentrums al-Haq
in Ramallah. Die Zahl der Kollaborateure sei unbekannt,
aber es müsse sich um Tausende handeln. Anders als in
anderen Konflikten seien die palästinensischen
Kollaborateure nie ideologisch motiviert, sondern würden
in der einen oder anderen Form zur Zusammenarbeit
erpresst. Oft komme es auch vor, dass Palästinenser
willkürlich verhaftet und dann unter der Bedingung
wieder freigelassen würden, Spitzeldienste zu
verrichten. Denn Besetzung bedeute nicht nur Jeeps und
Panzer, sagt Jabarin. «Die israelischen Besatzer
kontrollieren unser gesamtes Leben. Egal ob in der
Wirtschaft, an den Universitäten oder in der Verteilung
von Wasser oder Bewilligungen, wir hängen immer vom
guten Willen Israels ab.»
Die
Rekrutierungsmethoden für Kollaborateure sind
entsprechend einfach. Jabarin beschreibt die gängige
Methode folgendermassen: Wer beispielsweise an einer
ausländischen Universität studieren oder sein Kind im
Ausland medizinisch versorgen lassen will, braucht eine
Bewilligung der Militärverwaltung. Er wird zu einem
Interview mit dem Shabak vorgeladen, wo man ihm ein
Angebot macht: «Wir geben dir eine Bewilligung, wenn du
mit uns zusammenarbeitest.» Jabarin weist darauf hin,
dass Zivilisten gemäss den Genfer Konventionen nicht
dazu erpresst werden dürfen, einer Besatzungsmacht
Informationen zu liefern.
Selbstjustiz gegen Straffreiheit
Der
Übergang zwischen dem Gazastreifen und Israel von Erez
ist unter den Palästinensern bekannt und gefürchtet für
diese Erpressungsversuche. Ein Inhaber einer IT-Firma
aus Gaza, der in den vergangenen Jahren regelmässig nach
Israel reiste, um seine Geschäftspartner zu treffen,
erzählt, wie er diesen Frühling in Erez länger als
gewöhnlich vom Shabak verhört wurde, als er eine
Reisebewilligung für Israel beantragte. Nebst Fragen zu
seinem Lohn wurde der Geschäftsinhaber auch gefragt, ob
er Interesse an einer Zusammenarbeit habe. Seit seinem
Nein erhält er keine Reisebewilligungen mehr.
Kollaborateure sind jedoch nicht nur Opfer israelischer
Erpressung, sie sind auch der Willkür ihrer eigenen
Landsleute ausgesetzt. Unter den vertrauensbildenden
Massnahmen der israelisch-palästinensischen Verträge
befindet sich die Bestimmung, dass im Gegenzug zur
Freilassung palästinensischer Gefangener durch Israel
jene Palästinenser Straffreiheit geniessen, die mit
Israel kollaboriert haben. Hamdi Shakura, der Direktor
der Abteilung für Demokratie im palästinensischen
Menschenrechtszentrum von Gaza, sieht darin den
Sündenfall. «Leute, die in kriminelle Akte gegen ihre
eigenen Mitbürger verstrickt sind, sollten vor ein
Gericht gebracht und bestraft werden», sagt er.
Palästinensische Gerichte hätten zwar weiterhin
Kollaborateure verurteilt und ins Gefängnis gebracht,
berichtet Shakura, diese seien von israelischen Soldaten
in vielen Fällen aber wieder befreit worden. Das habe
dazu geführt, dass militante Gruppen das Recht in die
eigenen Hände nähmen, um die Kollaborateure zu
bestrafen. Die Milizen führen nun eigene
Gerichtsverhandlungen durch, in denen die Angeklagten
meist unter Gewaltanwendung zu einem Geständnis
gezwungen und erschossen werden. Im vergangenen Jahr
wurden neun Palästinenser von Milizionären unter der
Anschuldigung der Kollaboration umgebracht, und sieben
wurden verletzt.
Falsche
Anschuldigungen
Bei der
Selbstjustiz der Gruppen kommt es immer wieder zu
falschen Anschuldigungen, die tragische Folgen haben
können. Fayez Abu Tabak, der seit fünf Jahren im
Gefängnis von Gaza sitzt, liefert dafür ein Beispiel.
Der Geheimdienst, der von der Fatah kontrolliert wird,
hatte ihn der Kollaboration und der Beihilfe zur Tötung
eines Fatah-Mannes in Hebron angeklagt. Das reichte, um
ihn ins Gefängnis zu stecken, ohne dass sein Fall je
genau untersucht worden wäre. Nun hat ein von der Hamas
eingesetztes Komitee bestätigt, was Abu Tabak seit
Jahren sagt: Der angebliche Tote aus Hebron lebt. Jetzt
hofft Abu Tabak, bald freizukommen.
Für
jene, die aufgrund eines falschen Verdachts umgebracht
wurden, kommt freilich jede Überprüfung zu spät. So
starb Fadil Dahmash am 10. Juli im Gefängnis von Gaza,
nachdem er von den Kuds-Brigaden, dem militärischen Arm
des Islamischen Jihad, der Kollaboration beschuldigt und
gefoltert worden war. Als die Kuds-Milizionäre Fadil den
Sicherheitskräften übergaben, behaupteten sie, sie
hätten ihn aus einem israelischen Fahrzeug in der Nähe
des Grenzzaunes steigen sehen. Wie die Familie sagt, war
Fadil aber psychisch krank und wäre zu keiner Form der
Kollaboration fähig gewesen.
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