Israel .... wie Südafrika behandeln!
- Ilan Pappe
Israel muss behandelt werden wie man Südafrika behandelte:
Sanktionen,
Boykotte
Von Prof. Ilan Pappe
Prof. Ilan Pappe ist einer der prominentesten "neuen
Geschichtswissenschaftler" Israels. Im Mai 2002 drohte Pappe der
Ausschluss
von seiner Universität, der Universität von Haifa, weil er einen
jüdischen
Doktoratsstudenten unterstützte, dessen Dissertation ein Massaker
an
Palästinensern durch israelische Soldaten dokumentierte. Das
Ausschlussverfahren wurde aufgrund des Protestes von Akademikern
aus aller
Welt gestoppt. Nick Everett vom Wochenmagazin Green Left Weekly
sprach mit
Pappe während seines jüngsten Besuches in Australien.
Green Left Weekly, 1. September 2004
http://www.greenleft.org.au/back/2004/596/596p16.htm
Besuchen Sie die Homepage von Green Left Weekly.
Was brachte die gegenwärtige Intifada (Aufstand) in Palästina zum
Ausbruch, und was ist die Politik Israels ihr gegenüber?
Die Intifada ist das Ergebnis der Frustration der Palästinenser
gegenüber
dem unerträglichen Auseinaderklaffen zwischen dem Gerede über
Friede und
Versöhnung und den wirklichen Gegebenheiten vor Ort. Während die
Diplomaten,
die am Abkommen von Oslo 1993 beteiligt waren, über Frieden und
Unabhängigkeit sprachen, bestand die Besatzung vor Ort weiter.
Sie wurde
in
Wirklichkeit schlimmer - weitere Siedlungen wurden gebaut,
weitere
Straßenblockaden errichtet, und die israelische Politik wurde
härter und
grausamer.
Immer seit dem Ausbruch der zweiten Intifada benutzen die
israelischen
Politiker und Generäle dies als Vorwand, mit Gewalt ihre eigenen
Pläne ins
Spiel zu bringen, wie die palästinensische Frage gelöst werden
sollte.
Es
ist falsch, die Haltung der israelischen Regierung als
"Abweichung", als
einen dramatischen Umschwung in der Politik Israels anzusehen.
Die von
Premierminister Ariel Sharon geführte Regierung verkörpert die
israelische
Politik eher als dass sie davon abweicht.
Sharon hat auch etwas gelernt, was er in seiner ersten Regierung
nicht
verstand - wenn man Worte anwendet wie Rückzug,
Palästinenserstaat und
"Friede", kann man seinen eigenen Mittelweg vorgeben - Teile des
Westjordanlandes in einer Weise an Israel annektieren, dass es
nicht
fanatisch oder extrem ausschaut, sondern es der einzige Weg zum
Frieden
ist.
Und daher unterstützen die UNO und natürlich die USA und die EU
Sharons
"Friedensplan".
Und der Friedensplan von Sharon ist sehr klar -
er war
darüber sehr ehrlich - er will die Siedlungen in Gaza nicht, er
will nur
die
Hälfte des Westjordanlandes.
Die Arbeiterpartei hat ihre Begründung gefunden, um zu erklären,
warum
die
meisten ihrer Mitglieder nun die Sharon Regierung unterstützen,
mit einer
riesigen Demonstration in Tel Aviv Sharon unterstützen.
Das
Friedenslager
kam zur großen Demonstration in Tel Aviv, um Sharon zu
unterstützen. Das
ist
unglaublich. Aber der Grund ist, weil es Sharon gelang, sie
ebenfalls mit
den Worten "Friede", "Rückzug" und "Palästinenserstaat" zu
hypnotisieren.
Es gibt eine Übereinstimmung im Zentrum der israelischen Politik
darüber,
was diese Vereinbarung sein soll: sie besteht darin, sich soviel
wie
möglich
von Palästina anzueignen und die Palästinenser davon zu
vertreiben. Das
bedeutet, dass die Israelis dort Mauern bauen, was sie als die
Grenzen von
Israel ansehen, was den Palästinensern nur 10-15% des ehemaligen
Palästina
übriggelassen wird.
Sie würden das, was vom ursprünglichen
Palästina
geblieben ist, in zwei Gebiete aufteilen - die West Bank und den
Gazastreifen - und darauf Mauern und Sperren errichten. Sie
würden zwei
Gefangenenlagern gleichkommen.
Ich glaube nicht, dass die Israelis etwas dagegen haben, diese
zwei
Bantustans -oder Gefangenenlager - Palästina zu nennen, und zu
behaupten,
das sei die Lösung. Ich glaube, die israelische Regierung spürt,
dass sie
jetzt eine günstige Gelegenheit mit der US-Regierung von
Präsident Bush
hat,
und dass sie wohl in Zukunft keine so günstige Gelegenheit mehr
haben
wird.
Daher glaube ich, dass die gegenwärtige Politik darauf
ausgerichtet ist,
eine solche "Lösung" oder Abmachung festzumachen.
Ein anderes Problem für die israelische Regierung ist, dass sie
spürt,
die
demografische Schlacht verloren zu haben. Mit anderen Worten, es
spielt
keine Rolle, wie es die Grenzen gestaltet - ob 1%, 2% oder 10%
des
Westjordanlandes annektiert werden - die demografische Balance,
welche
Israels Führung in Atem hält, wird sich rapid verändern.
Wenn man das Wachstum beider Bevölkerungsgruppen vergleicht, so
sieht
man,
dass die Israelis in 10 oder 15 Jahren ihre Mehrheit verlieren
werden.
Wie
man es auch dreht und wendet, welche Machtspiele man auch macht,
am Ende
des
Tages wird die israelische Regierung eine Minderheit
repräsentieren.
Einst war es nur den extrem rechts stehenden Politikern
vorbehalten,
über
Transfer und Vertreibung zu reden, sonst war es ein Tabu. Nun ist
dieses
Thema ins Zentrum gerückt. Gelehrte von hohem Rang und Politiker
sprechen
offen über die Notwendigkeit, Palästinenser zu vertreiben. Sie
argumentieren
damit, das sei der einzige Weg für Israel, um zu überleben.
Wir haben eine israelische Regierung, die mit den Palästinensern
keine
endgültige Übereinkunft aushandeln will, sondern mit Gewalt
diktieren
will,
was Israel ist und was Palästina.
Was ist Ihr Eindruck von der Stimmung im palästinensischen Volk
und ihre
Antwort auf diese Politik?
Zwei Themen sind sehr wichtig hier. Das eine ist der totale
Zusammenbruch
der sozialen, politischen und ökonomischen Infrastruktur der
palästinensischen Gebiete unter der Besatzung. Das bedeutet, man
braucht
Nichtregierungs-Organisationen und eine zivile Gesellschaft, um
die
Gesellschaft von unten aufzubauen. Das geschieht, aber es
geschieht unter
der Besatzung - eine fast unmögliche Aufgabe. Das ist eine sehr
ernste
Herausforderung.
Das zweite Thema ist die Demokratisierung der Institutionen, die
den
Flüchtlingsgruppen erlauben würden, eine größere Rolle in der
künftigen
Entscheidungsfindung zu haben. Die Osloer Abmachung hat die
Flüchtlingsgruppen- fast die Hälfte des palästinensischen Volkes
- völlig
von irgendwelcher Mitbestimmung über ihre Zukunft ausgeschlossen.
Was ist die gegenwärtige Wirkung von internationalen Freiwilligen
in
Israel, die von Organisationen wie der International Solidarity
Movement
(ISM) koordiniert werden? Gibt es Aussichten über eine erneute
Friedensbewegung in Israel, und welche Art von internationaler
Solidarität
können wir anbieten?
Die ISM ist eine sehr bedeutende Bewegung, besonders in der
Rolle, dass
sie Menschen außerhalb Israels und Palästinas aufmerksam machen,
was
vorgeht. Doch ich glaube nicht, dass dies die Besetzung stoppen
kann, noch
dass es eine große Wirkung auf die öffentliche Meinung in Israel
hat.
Wir brauchen eine schärfere politische Wirkung im Hinblick auf
Israels
Position in der Welt. Man sollte sich viel Mühe geben, Druck auf
Israel
auszuüben. Die Hoffnung auf eine Friedensbewegung in Israel von
Innen ist
bewundernswert, aber nicht sehr wahrscheinlich.
Die Gefahren, die
auf die
Palästinenser zukommen, sind so ernst und schwerwiegend, dass es
hilfreich
wäre, einige Energie darauf zu verwenden, Druck auf Israel von
der Welt
außerhalb auszuüben.
Es gibt zwei Themen, die von Aktivisten in der Welt, und auch
innerhalb
Israels vorangetrieben werden sollten. Ich möchte die zwei Themen
nicht
vermischen.
Das erste Thema ist kein Friedensthema. Wenn man sich damit
beschäftigt,
die Sache Palästinas in Schutz zu nehmen, beschäftigt man sich
nicht bloß
mit dem Frieden - man hat ein viel dringenderes Programm, welches
heißt,
die
Palästinenser in Palästina zu retten. Ich bin mir nicht sicher,
dass man
die
israelische Regierung daran hindern kann, ihre nächsten Schritte
in ihrer
Politik von Zerstörung und Vertreibung zu setzen, indem man über
Friedensgespräche redet.
Ich denke, man sollte beginnen, sich Gedanken zu machen darüber,
was
eine
Aktivistengruppe tun kann, um eine Atmosphäre zu schaffen, in
welcher
Israel
als Paria-Staat gilt, solange diese Politik andauert. Sprecht
über
Sanktionen, sprecht über Boykotte, sprecht über alles, was die
Botschaft
an
den Mann bringt, dass genug genug ist, dass ein solches Verhalten
eines
Staates, der beansprucht, Teil der zivilisierten Staatenfamilie
zu sein,
nicht toleriert werden kann.
Das ist ein Thema, das viel Koordination und Nachdenken verlangt.
Es
gibt
derzeit eine eindrucksvolle Bewegung von Kapitalabzug in den USA,
die in
Gang gekommen ist, welche als ein mögliches Modell angesehen
werden kann.
Der Boykott von Südafrika begann in einem irischen Supermarkt, wo
ein
Angestellter sich weigerte, die Rechnung für Käufer zu machen,
welche
südafrikanische Waren in ihren Einkaufswagen hatten.
Das zweite Thema ist das Thema einer langfristigen Lösung in
Palästina.
Es
ist wichtig, die ganze Vorstellung neu zu überdenken. Ob wir nun
das
Konzept
einer Zwei-Staaten-Lösung für gut halten oder nicht, ich glaube,
die
Tatsachen vor Ort werden in einigen Monaten zeigen, dass die
Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr durchführbar ist.
Was bedeutet das? Wie gehen wir an die Sache heran? Wir müssen am
Rückkehrrecht von palästinensischen Flüchtlingen nach Israel
arbeiten im
Sinne einer symbolischen Idee und eines realen Gedankens. Man
kann zu
keiner
Lösung der Palästinafrage kommen, wenn die Flüchtlinge nicht
daran
beteiligt
sind. Und man kann zu keiner Lösung kommen, wenn die
Palästinenser in
Israel
nicht daran beteiligt sind.
Wie sehen Sie die Bedeutung des Hungerstreiks von
palästinensischen
politischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen?
Der Hungerstreik von politischen Gefangenen in israelischen
Gefängnissen
ist entsprechend dem Beispiel des Hungerstreiks von Iren in
britischen
Gefängnissen eine sehr wichtige Entwicklung. Zunächst ist es eine
palästinensische Strategie von Gewaltlosigkeit. Es ist sehr
schwierig, in
Israel Gewaltlosigkeit zu praktizieren. Ich bin sehr in Sorge
über die
israelische Reaktion auf diesen Hungerstreik. Der Minister für
Innere
Sicherheit, Tzahi Hanegbi, hat gesagt: "Sie können streiken bis
zum Tod".
Israel wird eine Politik zugestanden, die kein anderes Land in
der
westlichen Welt praktizieren könnte. Der Hungerstreik ist nicht
genug,
aber
es ist ein Zug in die richtige Richtung. Ich glaube nicht, dass
Selbstmordbomben der richtige Weg sind, weder militärisch noch
politisch.
Hungerstreik als eine gewaltlose Strategie ist der richtige Weg,
aber es
besteht keine Chance, wenn wir nicht eine internationale
Atmosphäre
schaffen, in welcher Israel behandelt wird, wie Südafrika
behandelt wurde.
Prof. Ilan Pappe hat zahlreiche Bücher geschrieben, von denen
wenige ins
Hebräische übersetzt wurden.
Sein neuestes Buch ist "A History of
Modern
Palestine: One Land, Two Peoples". [Eine Geschichte des modernen
Palästina:
Ein Land, zwei Völker].
Übersetzung: Helmut Höftberger (Linz)
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