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Uri Shani
 

   (Dies ist der Anfang des ganzen Kapitels, es ist für ein Buch geschrieben, das im www.aphorisma.net herauskommt.)
Kultur und Opposition

 Kultur ist da von Bedeutung, wo sie die Frage der Zensur aufwirft. Dies ist mein Ausgangspunkt bezüglich dieses Aufsatzes, und die Frage, die ich mir stelle: Warum wird die Zensur bei uns so wenig angewendet? Anders gefragt: Warum ist die israelische Kultur eine Kultur von Jasagern?

Die Zensur kommt immer dann, wenn es obszön wird. Im geschlechtlichen, religiösen oder politischen Sinn. Und am Obszönsten ist es natürlich, wenn die drei durcheinander gemischt sind. Dann klappert die Zensurschere ganz aufgeregt.

Ich werde in diesem Artikel einigermaßen viel von Theater sprechen, einerseits weil dies mein Beruf ist, und andererseits weil dies, meiner Meinung nach, eine Form hoher kultureller Entwicklung darstellt.

  

Drei Sorten der Zensur

Außer der Zensur ‘von oben’ ist natürlich die effizienteste Zensur die Selbstzensur, und die macht Überstunden in Israel. Man könnte natürlich darüber diskutieren, ob und inwieweit diese Selbstzensur bewusst oder unbewusst ist, aber ich möchte den Herrn Freud nicht aus seinem ewigen Schlag wecken. Eine andere Differenz scheint mir relevanter: Wie Biermann so schön sagte: “Im Osten fragte ich: ’Wird’s verboten?’ Hier frage ich: ‘Wird’s verkauft?’

Und da kommen wir auch schon zur dritten Art von ‘Zensur’, die vielleicht den wichtigsten Teil der Frage ausmacht: der Druck des Konsens, der immer noch sehr stark ist und immer noch tiefe Wurzeln hat. Wer innerhalb dieses Konsens Kultur macht, oder mit anderen Worten konstitutionelle Kultur[1] macht, hat volle Freiheit zu schöpfen, was er oder sie will. Aber wer oppositionelle Kultur macht, hat es schwerer. Der Kulturschaffende kann mutig sein (kommt zwar eher selten vor, aber immerhin – es gibt’s), die Zensur drückt vielleicht zwei Augen zu (was immer häufiger ist), aber das Publikum wartet schon mit der Schere. Entweder du wirst ignoriert oder angegriffen.

Schauen wir uns zu Beginn einmal ein paar Beispiele dieser drei Sorten an.

 

Die offizielle Zensur
Die israelische Zensur ist britisches Erbstück. Jeder Zeitungsartikel, jedes Theaterstück und jeder Film muss durch die Scheren der Zensur.

Ich erlaube mir hier, ein kurzes Filiton von Hanoh Levin zu übersetzen, vor allem darum, weil dieser umstrittener und wichtiger Künstler so erstaunlich wenig aufs Deutsche übersetzt wurde.

 

Aus dem Tagebuch eines Zensors

(nach der Zensur des Stückes “Der Patriot” [Oktober 1982, Libanonkrieg. Der Übersetzer])

 

Mein liebes Tagebuch, wie jede Nacht – ein paar Worte vom Herzen, vor dem Schlaf. Auch heute, mein Tagebuch, wie an jedem Tag, hab ich eine Seele in Israel gerettet[2]. Er war eine tragische Figur in einem alten Stück, ein Neger, ein General, mutig, aber pathologisch eifersüchtig. Er heiratete eine weiße aristokratische Frau, die ihn liebte, aber unendlich litt unter seinen jähzornigen Eifersuchtsausbrüchen, bis zum bittren Ende, da er sie erwürgte. Mein liebes Tagebuch, ich weiß gar nicht, woher mir plötzlich dieser Gedanke einfiel, aber gleich zu Beginn des Stückes erkannte ich, ohne den geringsten Zweifel, den schrecklichen Ursprung des Bösen: Die überschwelligen Gelüste des armen Negers! Angesichts seiner Leiden konnte ich mein Erbarmen nicht mehr zurückhalten, ich nahm die Schere, und gleich nach seiner ersten Szene traten zwei türkische Soldaten auf und schnitten ihm die Eier zusammen mit dem Penis ab. Nach einer halben Minute hatte sich der arme Neger beruhigt, all seine Eifersuchtsausbrüche während des Stücks waren wie weggefegt. Aber jetzt, liebes Tagebuch, konnte ich die Frau natürlich nicht so lassen, mit Gemahl ohne Geschlechtsteile, denn da könnte ihr ja die Lust kommen und sie zum Betrug verführen. Darum hab ich nach der nächsten Szene zwei weitere türkische Soldaten auf die Bühne gebracht, die ihr die Brüste abschnitten, die Gebärmutter herausrissen und die Klitoris abfeilten. Ach, mein Tagebuch, die Liebesszene der beiden war jetzt süß und ruhig. Aber damit war die Arbeit noch nicht beendet. Da war noch ein Intrigant, ein Schwindler, der es auf das Eheglück der Beiden abgesehen hatte. Mitten in seinem Monolog, da er seine Pläne dem Publikum preisgab, stürmten noch zwei Soldaten auf ihn, Türken natürlich, die packten ihn und schnitten ihm die Eier ab. Alle Motivation für Bosheit und Unfug verschwand sogleich. So stand er jetzt, auf einer Bühne voller türkischer Soldaten hinter ihm, schwach, apathisch und passiv, beendete seinen Monolog mit Müh und Not und verschwand.

 

Sogleich begann der zweite Akt, und unser Neger betrat nun die Bühne sauber, rein, ohne Dummheiten im Kopf, ohne Genitalien, seine Lenden verbunden mit sterilen Bandagen. Er setzte sich zu Tisch zum Teetrinken mit seiner Frau, die ja auch, jetzt, verbunden war mit ähnlichen Bandagen. Und so saßen sie beisammen, still, und tranken Tee, während die türkischen Soldaten dahinterstanden und warteten, bis mir gegen Schluss des zweiten Aktes nichts übrig blieb als das Natürliche und Logische zu tun in ihrer Situation – sie zum Judentum zu bekehren. Zuerst wechselte ich dem Neger die Hautfarbe, dann brachte ich einen Rabbi, aber als dieser gerade den Feldherrn in seinem Schloss in Zypern beschneiden wollte, entdeckte ich, dass dies nicht mehr möglich war, nachdem ich dem Neger die Geschlechtsteile abgeschnitten hatte. So fügte ich sofort im dritten Akt eine zusätzliche Szene im Operationssaal hinzu, zehn Ärzte transplantierten dem weißen Neger einen neuen Penis, dann kam der Rabbi und beschnitt ihn, und sofort kamen noch zwei türkische Soldaten, die ihm den beschnittenen Penis wieder abschnitten. Wir haben da zwar ein bisschen übertrieben in diesem Akt mit Genitalien, aber dafür hatten wir jetzt auf der Bühne einen weißen Juden, koscher, vom Rabbi bestätigt, und ohne Gemeinheiten im Sinn.

Der vierte Akt begann mit Schwung. Unserm Juden gab ich einen schönen Bart, eine Kippa, und so, als schöner Jude mit sanfter Stimme, wie konnte ich ihn Kommandant in Zypern lassen? Was schert sich ein Jude um die Türkenkriege? Sogleich machte ich ihn zum Hasan (Vorbeter) und gab ihm einen neuen Namen – Ottl. Reb Ottl der Vorbeter. Und was soll schon ein bekannter Vorbeter in Zypern? Da gibt’s ja gar keine jüdische Gemeinde! Ich wollte auch die türkische Garde loswerden. Blitzschnell, nach dem vierten Akt, brachte ich ihn nach Eretz Israel, ihn und seine gute Frau, die mal Desdemona hieß, und heute – Frau Dina bat Mina, lang soll sie leben.

Im fünften Akt, liebes Tagebuch, befindet sich unser Paar auf einem Hügel in einer Siedlung im Westjordanland. Und wer kommt plötzlich gen Abend, am Schluss des Stückes? – Hugo, mal Jago, Hugo Kohn, zuvor linker Journalist aus Argentinien, der wegen der antisemitischen Verfolgung ein brennender Zionist geworden ist, ist zur Religion zurückgekehrt, und gelangt zur neuen Siedlung gegenüber von Dschenin mit seiner Frau – ehemals Emilia – jetzt Malka. Und so stehn die vier am Ende des Stückes: Reb Ottl, Dina bat Mina, Hugo und Malka, die Lenden verbunden mit sterilen Bandagen und aus dem Mund strömen Psalmen. Die Bühne ist leer von Türken.

Liebes Tagebuch, das wär’s für heut. Morgen muss ich ran an ein Stück über einen dänischen Prinzen, mit Vatermord, Rachelust und was auch immer. Ich denke, auch in diesem Fall lohnt es sich, zuerst einmal die Eier abzuschneiden und alles zu beruhigen. Der Rest kommt dann von selbst. Die Gebiete lechzen nach Siedlern! Gute Nacht, liebes Tagebuch.

 Uri Shani, April 2003

[1] Diesen Begriff übernehme ich von Amir Orian
[2] Anspielung auf den bekannten jüdischen Satz: Wer eine Seele in Israel rettet, rettet eine ganze Welt.

Quelle:  Uri Shani

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