„Zeitzeugen
erzählen“
Felicia Langer spricht vor
Oberstufenschülern und Gästen der Freien
Waldorfschule Böblingen
hs
Im Rahmen der
Veranstaltungsreihe „Zeitzeugen erzählen aus
ihrem Leben“ war, nach Israel Arbeiter
(Holocaustüberlebender) und Ezard Reuter
(ehemals Vorstand Daimler Benz AG), am 19.7.
Felicia Langer zu Gast in der Waldorfschule
Böblingen. Die Menschenrechtlerin und
Friedensaktivistin (Jahrgang 1930) erzählte
eindrücklich ausgewählte Ereignisse aus
ihrer reichen Biographie, die ihr Leben und
ihre Arbeit nachhaltig geprägt haben. Als
gebürtige polnische Jüdin floh sie 1939 vor
den einrückenden Nazis aus Polen in die
Sowjetunion. In diesen dramatischen Jahren,
die das Gesicht Europas für immer verändert
haben, lernte sie ihren Mann Mieciu kennen,
mit dem sie nach eigenen Worten „die Liebe
ihres Lebens“ gefunden hatte.
Das Paar
heiratete 1949 in Breslau und wanderte 1950
nach Israel aus. Mit der Geburt ihres Sohnes
Michael 1953 war die Familie komplett.
Felicia entschloss sich Jura zu studieren
und als Anwältin Menschen bei der
Durchsetzung ihrer Grundrechte zu helfen.
Ein Großteil ihrer Verwandtschaft und der
ihres Mannes war dem Wahnsinn des deutschen
Nationalsozialismus zum Opfer gefallen.
Durch ihre eigenen Erfahrungen und die ihrer
Familie, entwickelte sie eine hohe
Sensibilität für Menschenrechtsfragen, die
sie universal und uneingeschränkt verstanden
sehen möchte und fühlte sich verpflichtet
gegen Ungerechtigkeit und Verfolgung
vorzugehen.
Felicia
beschrieb Erlebnisse in ihrer neuen Heimat
Israel, in denen Palästinenser massiv
benachteiligt wurden. Diesen Menschen bei
der Durchsetzung ihrer Rechte zu helfen
wurde fortan zu ihrer Passion. Als erste
israelische Anwältin überhaupt, noch dazu
als Frau, zog sie für ihre palästinensischen
Mandanten vor Gericht und sah sich durch
diesen Tabubruch zunehmend scharfen
Anfeindungen ausgesetzt. Unter Hinweis auf
ihr Buch „Mit eigenen Augen“ dem ersten
ihrer 14 Bücher, schilderte Felicia
Situationen und Sachverhalte, die ihr den
Ruf, Feinde Israels zu unterstützen,
einbrachte. Unbeirrt setzte sie ihre Arbeit
fort bis sie den Eindruck hatte, ihren
juristischen Auftrag in Israel nicht mehr
angemessen erfüllen zu können. Sie und ihr
Mann, der sie während ihrer gesamten
beruflichen Tätigkeit in jeder Hinsicht
unterstützt hatte, entschlossen sich 1990
ihrem Sohn zu folgen, der sich inzwischen in
Deutschland beheimatet hatte. Von hier aus
setzte sie ihr Menschenrechtsengagement
fort, hielt Vorträge, schrieb Bücher und
unzählige Artikel für Zeitschriften.
Regelmäßig erhob sie ihre Stimme für „ihre“
Sache: die rechtliche Gleichstellung von
Israelis und Palästinensern. Damit gewann
sie auch in Deutschland nicht nur Freunde,
sondern sah sich weiterhin Kritikern
ausgesetzt, die sich nicht unbedingt einer
inhaltlichen Auseinandersetzung stellten,
sondern Felicia Langer als Person in Frage
stellen wollten. Aber auch die Zahl ihrer
Unterstützer wuchs kontinuierlich.
Die bereits
mit dem „Alternativen Nobelpreis“ (Human
Rights Award) Ausgezeichnete erhielt erhielt
2009 das „Bundesverdienstkreuz erster
Klasse“ was abermals scharfe Angriffe
provozierte.
Doch weder
diese Anfeindungen, noch persönliche
Schicksalsschläge können die inzwischen
86jährige Friedensaktivistin bremsen. 2015
verstarb ihr über alles geliebter Mann und
Weggefährte Mieciu. Im gleichen Jahr musste
sie sich zwei schweren Operationen
unterziehen. Wenn sie jedoch erzählt, wie
sie danach einem medizinischen Auditorium an
der Universität Tübingen nach der
Betrachtung ihres Operationsverlaufs von
ihrem humanistischen Anliegen berichtet und
dafür spontanen Beifall erhält, ahnt man mit
welch innerer Kraft und Stärke sie immer
noch für die Lebens- und Entfaltungsrechte
der Palästinenser eintritt.
Aus dem
aufmerksam ihren Ausführungen lauschenden
und durchaus kritischen Publikum aus
Schülern und Interessierten im Musiksaal der
Waldorfschule kommt die Frage, wie sie unter
den vielen Schwierigkeiten, Anfeindungen und
Rückschlägen so überzeugt an ihrem Einsatz
festzuhalten vermag. Ihre Antwort: Die Liebe
sei es, die ungeahnte Kräfte frei zu setzen
vermag. Die Liebe mit der sie sich für
andere Menschen einsetzt und die Liebe, die
sie von anderen Menschen, nicht zuletzt von
ihrer Familie erfährt. Eine weitere
Lebensmaxime ist, nicht auf Angriffe und
Schmähungen zu reagieren, auch wenn diese
sehr schmerzhaft sind, um ihnen keine
weitere Nahrung zu geben.
Sie weiß, dass
sie unzählige Unterstützer hinter sich hat,
um ein Beispiel zu nennen, Boris Palmer,
Oberbürgermeister von Tübingen, der sich in
der Auseinandersetzung im Zusammenhang mit
der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes
engagiert hinter sie stellte.
Felicia Langer
fordert die Zuhörer auf, sich kundig zu
machen und ein eigenes Urteil zu bilden über
einen Konflikt der Israel und seine
jüdischen und arabischen Einwohner zu
zerreißen droht und sich für die
Durchsetzung der Menschenrechte zu
engagieren.
Den Besuchern
dieser interessanten „Zeitzeugen berichten“
- Veranstaltung in der Waldorfschule
Böblingen bleibt der Eindruck, einer
Persönlichkeit begegnet zu sein, die ganz in
ihren Überzeugungen aufgeht, radikal zu
ihren Einsichten steht, Kritik nicht scheut
und die Kraft der Liebe zum Menschen und
seinen Möglichkeiten verkörpert.
hs