TRANSLATE
Raji Surani, Rechtsanwalt für
Menschenrechte: "Der Gazastreifen ist in der schlimmsten Situation
seiner Geschichte."
Miguel Angel Medina/El Pais -
Palestina libre_08.01.2014
Surani hat Fälle palästinensischer Opfer vor
spanische Gerichte gebracht. Der Anwalt verurteilt die Änderung der
spanischen Gesetze, um Israel Immunität zu gewähren.
Der Palästinenser Raji Surani verteidigt
seit 37 Jahren Palästinenser, die Opfer der israelischen Armee geworden
sind. Für seine Arbeit hat er zahlreiche internationalen Preise
erhalten, von der Robert F. Kenndy Stiftung bis Amnesty International,
zuletzt vor einem Monat den Right Livelihood Award, und ist für den
alternativen Nobelpreis für Menschenrechte vorgeschlagen. Trotzdem
betrachtet Israel ihn als Terroristen. Wie ist das möglich? "Das
israelische Rechtssystem ist rassistisch und legalisiert Verbrechen der
Besatzung." [...] Der Anwalt verurteilt die Blockade, die die
Bevölkerung des Gazastreifens "in die schlimmste Situation seiner
Geschichte gebracht hat", beklagt, dass die Blockade "das Recht des
Dschungels" eingeführt habe und kritisiert, dass Spanien seine Gesetze
geändert habe, um Israel Immunität zu gewähren. [...]
Wie ist die Situation in Gaza in diesem
Augenblick?
Die aktuelle Situation in Gaza ist die
schlimmste in den 65 Jahren. Seit der Nakba [...] ist es uns nie so
schlecht gegangen wie jetzt. Wir haben seit 47 Jahren eine israelische
Besatzung, 20 Jahren nach den Osloverträgen und 5 nach er Operation
Gegossenes Blei. Seit sieben Jahren leiden wir unter einer Blockade, die
keinen freien Waren- oder Personenverkehr erlaubt, so dass wir sagen
können, dass Gaza wie ein Stall für Tiere ist: wir sind alle
eingesperrt.
Welches ist nach Ihrer Meinung das größte
Problem Palästinas?
Vor zwei Jahrzehnten haben wir von
Selbstbestimmung und einem palästinensischen Staat gesprochen; jetzt
dagegen sprechen wir vom Recht auf Leben, Gesundheit, freie Bewegung und
Nahrung. Wir sind in Gaza in der schlimmsten Situation, die wir jemals
in unserer Gesichte erlebt haben.
Glauben Sie, dass die Verhandlungen zwischen
Israelis und Palästinensern zu einem guten Ende gelangen werden?
In den Verträgen von 1995 wurde gesagt, dass
1999 ein unabhängiger palästinensischer Staat existieren sollte. Zwei
Jahrzehnte später sprechen wir von der Garantie unseres Rechtes auf
Leben. [...] Wir Palästinenser leiden unter dieser Besatzung vor den
Augen der passiven internationalen Gemeinschaft.
Wie weit hat die Schließung des
Grenzübergangs zu Ägypten diese Strangulierung verschlechtert?
Ich denke, man soll nicht eine Situation mit
der anderen vermischen. Wir sind unter Besatzung, Ägypten ist nicht
verantwortlich für die Palästinenser; nach internationalem Recht ist
Israel de Verantwortliche. Als Besatzungsmacht hat Israel nach der
Genfer Konvention die rechtliche Verpflichtung unsere Sicherheit zu
garantieren und (auf) unsere Lebensbedingungen (zu achten); was sie
dagegen tun, ist, das Gesetz des Dschungels anzuwenden. Als die Israelis
die Blockade über den Gazastreifen verhängten, sagten sie, niemand
brauche sich um die Gazawis Sorgen zu machen, da sie die notwendigen
Kalorienzahlen (in den Gazastreifen) lassen würden, damit wir nicht
verhungerten. Das sagte das israelische Gericht selbst.
Ist es parteiisch, wenn man sich an den
Internationalen Strafgerichtshof wendet, damit über die israelischen
Verbrechen geurteilt wird?
Ich vertrete tausende palästinensische
Opfer. Das habe ich in den letzten 37 Jahren gemacht. Ich habe niemals
gedacht, dass man unter Besatzung Gerechtigkeit erlangen kann, aber ich
habe mich trotzdem entschlossen, meine Klienten vor den israelischen
Gerichten zu verteidigen, schon weil viele Sagen, die israelische
Gerichtsbarkeit sei "fantastisch", und weil ich das Völkerrecht
respektiere. So habe ich viele Fälle palästinensischer Opfer vor
israelische Gerichte gebracht, und ich habe sie alle verloren. Und das
nicht, weil ich ein schlechter Anwalt wäre, sondern es gibt ein Problem
mit diesem Gerichtswesen. Es ist ein rassistisches Gerichtswesen, das
die Verbrechen der Besatzung legalisiert: es legalisiert die Enteignung
von Land, die Folter, dieVertreibungen, die illegalen Siedlungen, die
Apartheid...
Haben Sie Gerichte in anderen Staaten
angerufen?
Da die israelische Gerichtsbarkeit für die
Palästinenser blockiert ist, müssen wir zu Alternativen greifen,
deswegen haben wir uns an Großbritannien und an Spanien gewandt. Der
(spanische) Nationale Gerichtshof hat einen unserer Fälle zugelassen,
den einer Bombardierung eines Gebäude, um einen Hamasführer zu töten,
wobei weitere 14 Personen starben, darunter 11 Kinder. 2009 beschuldigte
der Gerichtshof den damaligen israelischen Verteidigungsminister,
Benjamin Ben Eliezer, und weitere sechs Militärs. Zu diesem Zeitpunkt
mischte sich Europa ein, um diese Verbrechen zu decken. Ich war sehr
schockiert zu sehen, dass sich der (ex-Außenminister Miguel Angel)
Moratinos bei (der israelischen ex-Außenministerin) Tzipi Livni
entschuldigte und versprach, zur Vermeidung von Konsequenzen die
Gesetze zu ändern. Und dann änderte er die Gesetze, um diese
verdächtigen Kriminelle zu schützen. Und sie sind keine verdächtigen
Kriminellen, weil ich das sage, sondern weil es das spanische Gericht
selbst gesagt hat. Das gleiche geschah in Großbritannien, und das ist
sehr Besorgnis erregend und erschwert unsere Arbeit als Vertreter der
Opfer.
Wie werden Sie weiter gehen, um universelle
Gerechtigkeit zu erlangen?
Wir haben lange gewartet, um uns an den
Internationalen Gerichtshof wenden zu können und Gerechtigkeit zu
fordern. Bevor der (spanische) Staatsanwalt Ocampo seinen Posten
verließ, sagte er, Palästina müsste als Staat anerkannt werden; das
geschah am 29. November 2012 und trotzdem hat dieses Gericht bis heute
absolut nichts gemacht. Wir möchten, dass in den besetzten Gebieten das
Recht eingehalten wird, und dass Israel aufhört mit den Verbrechen gegen
die Zivilbevölkerung. Wir möchten Gerechtigkeit für die Opfer, aber
Europa ändert die Gesetze, um diesen Verbrechern größere Immunität zu
gewähren, entgegen dem, was seine eigenen Gerichte sagen, wie wir das in
Spanien und Großbritannien gesehen haben. Das wird nur zur Folge haben,
dass Israel die Palästinenser noch mehr züchtigt.
Die Palästinensische Autonomiebehörde meint,
erst das Ergebnis der Friedensverhandlungen abzuwarten, bevor man nach
Den Haag geht.
Das ist sehr dumm. Ich bin ganz gegen diese
Idee. Es ist für jeden (politischen) Führer eine Schande, sein eigenes
Volk nicht vor em, was es erleidet, zu verteidigen. Seit wann
widerspricht die Einhaltung des Rechts dem Frieden und der Sicherheit?
Wenn man in den letzten 20 Jahren etwas gelernt hat, dann dass die
Opferung der Menschenrechte, der Einhaltung des Rechts und der
Demokratie für Frieden und Verhandlung absurd ist. Das ist es, was man
seit den Oslo-Verträgen gemacht hat, und so sind wir schließlich in die
schlimmste Situation in unserer Geschichte geraten.
Trotzdem hält die Bestrafung der Bevölkerung
des Gazastreifens an.
Im Gazastreifen sind etwa 70% der Leute
arbeitslos und hat kein Einkommen, und mehr als 80% ist von der
humanitären Hilfe der UNRWA abhängig und 90% leben unter der
Armutsgrenze. Es ist die größte humanitäre Katastrophe des 21.
Jahrhunderts: ungefähr 2 Millionen Menschen eingesperrt auf 365
Quadrat-kilometern. Dabei haben wir eine der höchsten Zahlen an
Uniersitätsabschlüssen in der Welt. Alle internationalen
Menschenrechtsorganisationen einschließlich des Roten Kreuzes sagen,
dass die Blockade eine ungerechte Kollektivstrafe ist, und dass sie
vollständig aufgehoben werden muss.
Quelle:
http://www.palestinalibre.org/articulo.php?a=48394
Aus dem Spanischen übersetzt: K.Nebauer
|