Anna Gersman
schreibt: Den Namen habe ich abgekürzt (ER)
Ich habe L.
im Februar 2004 kennen gelernt, als ich drei Monate in
Bethlehem verbrachte, um dort ein Praktikum in einem
Friedenszentrum zu absolvieren.
L. arbeitete
damals als Tischler, seine Schwester nahm an meinem
Englischunterricht teil, der vom Zentrum aus organisiert
wurde. Ich war oft bei ihm zuhause. Seine Mutter kochte
wunderbar und im ganzen Haus zwitscherten Vögel.
Jetzt hat Ls
Werkstatt zugemacht. Es gibt keine Arbeit mehr. L. kann sich
auch keine neue Arbeit suchen, da er aus Bethlehem nicht
hinaus darf. In Bethlehem selbst herrschen über 70 %
Arbeitslosigkeit.
L. hat in
diesem August selbst erlebt, wie es ist, wenn israelische
Soldaten Häuser überfallen. Dies hat er aufgeschrieben. Wenn
du wissen möchtest, wie das geschehen ist, dann hast du hier
die Chance, einen ungefälschten Bericht (gut, ich habe
übersetzt, aber möglichst nah am Originaltext) zu lesen.
Schön, wenn du ihn zur Kenntnis nähmest. Anschließend habe ich
noch ein paar Links zusammengesucht, wo du dich über die
Situation genauer informieren kannst, oder auch die
Möglichkeit hast, dich zu engagieren. Doch primär geht es mir
einfach nur um deine Kenntnisnahme.
Ein palästinensischer
Aufschrei
Name: L.a.k.
Ich bin ein
Jugendlicher wie alle anderen Jugendlichen, die unter
schwierigen Bedingungen leben. Sie leben, ohne etwas über eine
Sache zu wissen, die Zukunft genannt wird. Ohne, dass sie
Hoffnung auf Leben sehen, weil alles unmöglich ist, weil alles
schwierig wird, bis hin zum bloßen Denken ans Leben. Weil Israel
uns keinen Ort lässt, in den wir eintreten können. Damit trifft
es die Seele jedes Palästinensers, der schwach ist und nicht
stark genug, um an die Liebe zum Leben zu denken. Weil sich
aufgrund ihres Schicksals in ihrem Leben nichts Leichtes
befindet. Weil sie daran gehindert werden, glücklich zu sein.
Ich weiß
nicht, wozu diese Ungerechtigkeit gut ist: wir wollen nicht wie
Sklaven leben, wir wollen wie andere Völker leben. Wir wollen
an Feiertagen Frieden, frei von Krieg und Hass erleben. Wir
wollen in Freiheit leben.
In den
Augen der ganzen Welt ist das palästinensische Volk ein Volk von
Terroristen, ein Volk, das das Leben nicht liebt. Und all dies
nur aufgrund der Behauptung Israels, .. das nur auf seinen
Gewinn aus ist und sagt, dieses Volk sei ein ignorantes Volk ,
ein Volk, das keine Sehnsüchte hat. Ein Volk, das nicht denkt,
außer daran, wie und was für Nahrung es für seine Familie
beschaffen kann.
Leider
hinterfragt die Mehrheit diese Einstellung nicht. Suchten sie
die Wahrheit, würden sie ihre falsche Meinung ändern.
Und sie
beschuldigen dieses Volk für das, was es selbst tut.
Israel
erlaubt kein Handeln, außer es dient der Auslöschung dieses
Volkes. Israel findet es von den anderen Völkern seltsam, weil
alles, was mit uns geschieht, für sie keine Relevanz hat. Es
existiert nämlich nichts, das uns das Gefühl gibt, es gäbe
jemanden, der mit uns fühl - im Gegenteil.
Dabei ist
das palästinensische Volk das einzige Volk, für das es keinen
Ausweg gibt, das gemeinsam erscheint, das als letztes hinter
allen anderen Völkern steht, ohne Ausnahme. Die Realität ist,
dass man uns keine Aufmerksamkeit schenkt. Wir sind nicht ein
Beispiel des Bösen.
Ich weiß
nicht, was ich sagen soll, weil allen alles klar ist. Ich
wünschte, da wäre jemand, der mit diesem erschöpften Volk fühlt.
Israel ist
nicht mit dem Versuch zufrieden, uns zu isolieren. Es baut um
jede große Stadt Grenzmauern und -posten, was uns auf unserer
eigenen Erde zu Fremden macht. Uns bleibt nichts, was uns
gehört, nichts von dem, was wir kennen. Wir sind nicht fähig,
für uns selbst zu sorgen, weil sie zu jedem Zeitpunkt kommen
können, um uns in ein Militärcamp zu bringen. Wahrlich, dies ist
nichts Ungewöhnliches und es dringt bis in unsere täglichen
Gedanken hinein.
Bethlehem,
der 11. August 2004
Am
Mittwoch, den 11.8.2004 wachte ich morgens um 3:30 auf, nachdem
ich eine Frau schreien hörte. Ich ging schnell zur Tür. Doch
bevor ich dort ankomme, bevor ich die Tür aufmachen kann, höre
ich einen kräftigen Schlag. Soldaten stürzen herein, nachdem sie
die Tür eingetreten haben, und fanden mich vor ihnen stehen. Sie
machen mir mit ihren Waffen Angst, weil sie vor mir erschrocken
waren.
Sie
zerschlugen alles im Haus und erlaubten keinem, im Haus zu
bleiben. Meine Schwestern, meinen Vater und meine Mutter
brachten sie nach draußen in die Kälte.
Und während
sie das Haus durchsuchten, nahmen sie mich mit sich, damit ich
in den umliegenden Häusern, die Türen öffnen lasse. Als ich mich
weigerte, diese Häuser zu betreten, blieb der Soldat nicht bei
mir, schlug mich aber. Natürlich betraten sie alle Häuser und
brachten alle, die sich darin befanden, in die Kälte. Was mich
betrifft, so erlaubten sie mir nicht einmal, zu schlucken. Wenn
ich es doch tat, schlugen sie mich noch mehr. Zusätzlich
schmerzte die Kälte, da ich bis auf die Hose nicht angezogen
war. Sie hatten mir nicht erlaubt, mich anzuziehen.
Um sieben
Uhr morgens, also nach 3 1/2 Stunden, gingen sie weg.
Was blieb,
waren die Schreie der Mütter aus Angst um ihre Kinder, denen
sie wenig geben konnten, und um die gequälten alten Männer.
Alle Häuser
ließen sie mit Schmutz zurück. Doch waren sie damit noch nicht
zufrieden. Sie gaben mir den Befehl, nach zehn Tagen in ihre
Dienststelle zu kommen.
Als ich nach
Hause kam, war die Situation sehr schwer. Alle weinten, alle
waren ängstlich, nichts war geblieben, auch nicht das Geld,
alles war gestohlen.
Ich höre
nicht, dass der Staat sagt, er sei ein Rechtsstaat. Es gibt
Militär in ihm. Aber die Wahrheit ist, dass dieses Militär kein
wirkliches Militär ist, sondern eher an eine Mafia erinnert.
Ich weiß
nicht, was das Verbrechen meiner Familie war, das all diese
Gräueltaten rechtfertigt. Ist es passiert, weil ich in meinem
Haus geschlafen habe? Weil ich bei meinem Vater, meiner Mutter
und meinen Schwestern lebe ? – In der Hoffung, dass mir der
Schlaf die gleiche Ruhe und Entspannung schafft wie dir. Es hat
sich alles geändert und ich weiß nicht, was ich machen soll.
Ich bin ein
Jugendlicher, für den es nichts zu tun gibt. Es gibt keine
Arbeit mehr.
Ich
möchte aus diesem Land gehen, weil ich mit dieser Situation
nicht fertig werde, weil mir dieses Land nichts bietet, außer
zwei Möglichkeiten:
Entweder,
dass ich mein Recht verteidige, auf eine Art, die den Israelis
eine Lektion erteilt, oder dass ich Märtyrer werde. Das möchte
ich nicht, weil ich das Leben liebe, weil ich Sehnsucht habe,
und einen Traum der Freiheit.
Wer dies
liest, möge mir, wenn er kann, helfen, aus diesem gequälten
Leben herauszukommen, mein Recht zu bekommen, in Freiheit und
ohne Verletzung der Menschenrechte leben zu können.
Ich weiß
nicht, warum wir, das palästinensische Volk und das israelische
Volk nicht gemeinsam und in Frieden leben können.
Und ich
weiß, dass hier viele das gleiche wollen. Aber die
verantwortlichen Führer wollen es nicht.
Ich möchte
jemanden finden, der mich hier rausholen kann, weil ich nicht
weiß, wie ich es selbst tun kann. Ich habe keine Hoffnung
mehr.
Hilf mir!
L.
Antworten,
Mitteilungen, Fragen werde ich gerne übersetzen und
weiterleiten:
Anna Gersmann (anna(at)gersmann.de)
Ich
stehe auch selber gerne zur Beantwortung von Fragen bereit. Ich
habe drei Monate lang ganz in der Nähe von L. gewohnt und er ist
ein guter Freund von mir geworden.
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