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Sven Severin, „Shalom ist nicht Frieden“
Die Emotionalen Wurzeln des Nahost-Konflikts

Rezension von Ekkehart Drost, 9.5.2015

Sven Severin, im Klappentext als „typischer Seiteneinsteiger“ apostrophiert, arbeitete zunächst als freier Journalist und Redakteur für Dokumentarsendungen verschiedener TV-Sender. In den letzten Jahren befasste er sich zunehmend mit der jüdischen Geschichte und dem Antisemitismus. Sein im Februar 2015 erschienenes, 250 eng beschriebene Seiten starkes Buch „Shalom ist nicht Frieden“, spiegelt seine diesbezüglichen profunden Kenntnisse wider.

Braucht es überhaupt ein neues Buch über den viel beschriebenen Nahost-Konflikt, fragt Severin am Anfang. Seine Antwort mag nicht jedem gefallen und ist sicher auch diskussionswürdig: Bis heute sehe jedermann im „israelisch-palästinensischen Desaster“ einen rein politischen Konflikt, während eine Analyse auf der mythischen und mystischen Ebene, wie er sie vorzunehmen gedenke, bislang fehle.

Als Vertreterin der ersten Position bezeichnet er Petra Wild und setzt sich mit ihrem Begriff des „Siedlerkolonialismus“ auseinander. Er hält ihn für „nicht zwingend“, denn „er erklärt nicht hinreichend die beharrliche Weigerung der dort inzwischen als Mehrheit lebenden jüdischen Bewohner, ein faires Zusammenleben mit der dort verbliebenen und beheimateten Bevölkerung auf der Basis gegenseitiger Achtung zu schaffen.“ (S. 13) Severin spricht von den „als Mehrheit lebenden jüdischen Bewohnern“, also den Siedlern in der Westbank. Hier wäre eine stärkere Differenzierung zwischen den sehr unterschiedlichen Siedlergruppen angebracht gewesen. In seinem Buch „Israel schafft sich ab“ (Kapitel „Neugründung Israels“ S. 221ff.)  weist Gershom Gorenberg auf die Bedeutung dieser Differenzierung gerade für den Prozess einer Zwei-Staaten-Regelung hin.

Severin ist der Auffassung, dass der aus der Geschichte übernommene Begriff der Kolonisation auf die Besetzung Palästinas nicht anwendbar sei. „Motive der Kolonisation spielten zwar anfänglich (bei den Engländern) noch eine Rolle, aber dann wurden sie relativ bedeutungslos, spätestens zu dem Zeitpunkt, als die Briten das Land 1947 verließen und dort die jüdische Siedlerbevölkerung (Jischuw) allein unter der autochthonen Bevölkerung zurück ließen.“ (S. 12)

Der Rezensent kann dem Autor nur zum Teil zustimmen, wenn er „heute, nach 65 Jahren jüdischer Herrschaft (...) nur noch ein einziges Motiv“ sieht, nämlich „das Interesse, das dort fälschlicherweise angenommene ´leere` Land durch die eigene Ethnie und die eigene Glaubensgruppe zu bevölkern und die ursprünglich vorhandene Bevölkerung aus diesem Umfeld ´verschwinden` zu lassen.“ (S. 13). Man darf sich nicht durch jüngste Äußerungen von Benny Alon, einem ehemaligen Minister unter Sharon, aber auch von vielen anderen höchstrangigen Vertretern des Staates, vor allem von Naftali Bennett und Avigdor Lieberman, verblenden lassen, wenn sie fordern: „Macht ihnen das Leben so schwer, dass sie von sich aus weggehen.“ (S. 65)

In Shir Hevers Standardwerk über „The Political Economy of Israel´s Occupation“ (2014 auf Deutsch erschienen), finden sich unzählige Belege für die Verflechtung der israelischen Wirtschaft  mit den Besetzten Gebieten, wobei der Begriff „Verflechtung“ eher ein Euphemismus für „Ausbeutung“ ist. Ganz abgesehen davon zeigte auch Yotam Feldmans Dokumentarfilm „The Lab“ die Bedeutung der Westbank für die Erprobung neuer Waffensysteme durch die israelische Waffenindustrie.

Severins Schwerpunkt liegt, wie er betont, auf der Analyse der mythischen und mystischen Ebene. Seine fundierten historische Kenntnisse zeigen sich im Kapitel „Herzls Traum ist in Erfüllung gegangen“, eine kompakte und gut lesbare Darstellung dessen, was in Palästina seit dem Ende des 18. Jahrhunderts geschehen ist. Bei der Besetzung Palästinas 1947/1948 lässt Severin vor allem den Historiker  Ilan Pappe, dessen Bahn brechendes Werk „Die ethnische Säuberung Palästinas“ in Israel wenig bekannt ist (bei uns zuletzt wieder bei Haffmanns&Tolkewitt erschienen), sowie den langjährigen Sekretär der Mapam Partei Simcha Flapan sprechen, beide international renommierte Chronisten eines der düstersten Kapitel der jüdisch-israelischen Geschichte.

 

Severin zeigt am Beispiel von Hebron, wie die Neugründung von Siedlungen in der Westbank abläuft und erläutert auch die hierzulande wenig bekannte israelische Rechtsauffassung. Wer Assaf Gavrons famoses Buch „Auf fremdem Land“ gelesen und die Chuzpe kennen gelernt hat, mit der Siedler aus einem Outpost nach und nach mit Unterstützung höchster Militärkreise eine Siedlung entstehen lassen, wird dieses Vorgehen hier in der politischen Realität studieren können (S. 162 ff.): Aus einem scheinheiligen Antrag junger Soldaten 1968, lediglich den Sederabend in einem Hotel in Hebron verbringen zu dürfen, entwickelte sich mit Unterstützung Moshe Dayans eine Siedlung in Hebrons palästinensischer Altstadt H2 mit derzeit etwa  800, zumeist Gewalt bereiten Siedlern, geschützt durch 2000 israelische Soldaten. „Hebron is hell“, bezeichnen die dort arbeitenden internationalen Freiwilligen die dortige Lage. Hier wurde auch die Reservistenorganisation „Breaking the silence“ gegründet. Ihre Ausstellung über die von ihnen und ihren Kameraden begangenen Gräueltaten nannten sie: „From Hebron to Tel Aviv.“

 

Severins „Blick von Außen“, sein Urteil über die israelische Politik, wird geschärft durch sein intensives Studium der diesbezüglichen israelischen Literatur. Kompetente und langjährige israelische Beobachter dienen als Zeugen für das „Paket der Gewalt“ (S. 64), das die Regierungen und Behörden für die Palästinenser geschnürt haben und in zunehmendem Maße weiter schnüren. Belege für eine rassistische israelische Politik, die der deutschen Politik und Öffentlichkeit wieder und wieder zur Kenntnis gebracht werden müssen, damit der tumbe Antisemitismusvorwurf allmählich vielleicht doch zum Verstummen kommt, findet Severin in Daniel Grossmanns Buch „Der geteilte Israeli“ sowie bei Amos Elon „Der missbrauchte Staat“ (S. 64)  Eine behördliche Anordnung dient hier als Beispiel von etlichen ähnlichen Maßnahmen: „Der Regierung obliegt es, einen Weg zu finden, um die Genehmigung von Zuwendungen an kinderreiche Familien der arabischen Bevölkerung zu streichen, (...) und sie der Jewish Agency oder der zionistischen Gewerkschaft zukommen zu lassen, damit sie nur Juden zukommen.“

 

Sven Severins intensive Bearbeitung der „emotionalen Wurzeln des Nahost-Konflikts, wie der Untertitel des Buches lautet, gipfeln im Schlusskapitel unter der Überschrift „Strafe und Leid“ (S. 196ff.) Auf sechs Säulen basiere die „geheimnisvolle Kraft der religiösen Zionisten“, nämlich 1. Das Monopol der Geschichtsinterpretation 2. Interpretationsmonopol für Ethik und Moral 3. Das Vergeltungsprinzip und die Angst. Erinnerung als Ritual 4. Herrschaft über die Frau 5. Ausschaltung alles Feindlichen 6. Hybris.

Dennoch, so der Autor, existiere „ein lebensfähiges Judentum jenseits der Orthodoxie“, wie sie in den sechs Säulen zum Ausdruck komme: „Viele Juden wollten lediglich den Stolz der alten Tradition als zitierfähige Geschichte in Erinnerung behalten, sozusagen als Lernstoff für ihre Kinder. Sie wollten sich auf das stützen, was als bewunderte Fähigkeiten des Judentums sich allmählich auch im Laufe seiner Geschichte und vor allem in den letzten Jahrhunderten als liebenswerte Eigenschaften entwickelt hatte: Intellektualismus, Bildung, Fleiß, Stehvermögen, Ironie, Schlagfertigkeit, Vorausdenken, praktische Klugheit, künstlerische Sensibilität“ (S. 232).

„In Israel,“ so Severin, „muss man sich entscheiden, zu welcher Fraktion man gehören will. Kompromisse gibt es kaum. In der ´ultra-orthodoxen Arche` gibt es nur ein striktes Innen und ein Außen. Draußen bleiben müssen nicht nur die nichtjüdischen Amerikaner und Europäer, sondern draußen sind auch jene Juden mitten in Israel, die auf der Seite des Völkerrechts stehen und nur durch den kulturellen Druck der Kleriker trotz allem immer wieder konservativ wählen, im Grunde allein um eines einigermaßen ruhig gestellten Gewissens willen.“ (S. 233)

 

Das große Verdienst des Autors Sven Severin ist es, die übergroße Bedeutung des Judentums für den inner-israelischen Diskurs herausgearbeitet und damit auf die restriktive Rolle der Religion bei einem Verständigungsprozess zwischen den beiden semitischen Völkern hingewiesen zu haben. Gideon Levy schreibt, es gäbe „kein anderes Land in der westlichen Welt, in dem Religion einen solch eisernen Griff um den Staat hat wie Israel.“ (S. 234)

Severins Fazit und Forderung daraus ist eine „von innen heraus einsetzende Tora- und Talmudexegese auf der Basis historischer Erkenntnisse, wie sie bereits in Archäologie und Geschichte (von Richard E. Friedman,  Israel Finkelstein, Ilan Pappe, Shlomo Sand und vielen anderen) und des Friedenslagers eingeleitet worden ist. Eine solche Bewegung sollte den Gläubigen die Chance geben, Tora- und Talmudgebote ohne Schuldgefühle allmählich auf ihre sozial verträgliche Bedeutung einzugrenzen.“


Gabriele-Schäfer-Verlag, Herne
ISBN 978-3-944487-18-2
17x24 cm (B5), kartoniert, 250 Seiten
25,00 Euro
 

 
 

 

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