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Antisemitismus-Hysterie in Bremen
Aber
niemand kann die Antisemiten konkret ausmachen
Arn Strohmeyer
Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es
ziemlich lächerlich und eher eine Posse. Seit Jahren machen
die Anhänger Israels in der Stadt – Die
Deutsch-Israelische-Gesellschaft (DIG), die Jüdische
Gemeinde, Vertreter von Parteien, die Antideutschen und auch
die Bremer Medien – wachsenden Antisemitismus in der Stadt
aus, die Stadt sei eine „Hochburg des Antisemitismus“, heißt
es. Die Jüdische Gemeinde fühlt sich sogar bedroht – nur wer
bedroht sie, muss man fragen? Von Attacken in diese Richtung
ist nichts bekannt. So muss man denn nach wirklichen Gegnern
mit der Lupe suchen. Da geraten die Nahostgruppen (früher
waren es zwei, heute gibt es nur noch eine) und die
Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (DPG) ins Visier sowie
eine Gruppe, die bisher sehr friedlich eine BDS-Aktion
durchgeführt hat. Es wird mit allen Mitteln versucht,
Veranstaltungen dieser Gruppen – selbst wenn sie jüdische
oder israelische Referenten eingeladen haben – zu
verhindern. Natürlich hat man das auch mit der
Nakba-Ausstellung versucht – aber ohne Erfolg.
In diesem Zusammenhang kam es einmal zu
einer absurden Szene. Mitglieder der Jüdischen Gemeinde
demonstrierten vor dem Bremer Überseemuseum gegen eine
Veranstaltung des israelischen Menschenrechtsaktivisten
Reuven Moskovitz. Als dieser die gegen ihn gerichteten
Schilder und Transparente sah, ging er auf die Bremer Juden
zu und fuhr sie an: „Seid Ihr verrückt geworden? Ich lebe in
Israel und weiß, was dort los ist. Ihr lebt hier im sicheren
Bremen und habt keine Ahnung von den Vorgängen dort“
Es herrscht eine regelrechte
Antisemitismus-Hysterie in der Stadt, zu der die Medien
nicht unerheblich beitragen. So durften im Weser-Kurier
mehrere Israel-Anhänger – so der Vertreter der Jüdischen
Gemeinde, zwei Politiker der Grünen und der zweite
Vorsitzende des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles,
Rabbi Abraham Cooper, – ihre warnende Stimme erheben und
darauf hinweisen, wie weit es mit dem Antisemitismus in
Bremen schon gekommen und wie nötig Gegenwehr sei. (Woher
der Rabbi in Los Angeles wohl so gut über die Bremer
Zustände Bescheid wusste?) Nur ein Vertreter der DPG kam im
Weser-Kurier zur Wort. Die TAZ steht ohnehin den
Antideutschen nahe.
Die Stimmung wurde auch von dem
israelischen Kampagne-Journalisten Benjamin Weinthal kräftig
angeheizt, der sich massiv einmischte und ultimativ die
Absage von Veranstaltungen oder Raumvermietungen an
„Antisemiten“ forderte. In der „Jerusalem Post“ (einer sehr
rechten israelischen Zeitung) berichtete er mehrmals über
die „antisemitische Hochburg Bremen“. Ständiges Angriffsziel
dieser Kreise ist neben der BDS-Gruppe die
Palästina-Mahnwache, zu der sich Bremer Persönlichkeiten,
ohne eine feste Gruppe zu bilden, jeden Samstag vor dem
Bremer Dom versammeln, um für die Freiheit und
Selbstbestimmung der Palästinenser zu demonstrieren – was ja
nicht ohne Kritik an Israels Politik geht, denn die ist nun
mal für die völkerrechtswidrige Besetzung fremden
Territoriums und für die Unterdrückung eines ganzen Volkes
verantwortlich. Auf den Transparenten der Mahnwache stehen
Parolen wie: „Kritik an Israels Politik ist kein
Antisemitismus!“, „Wir fordern das Ende der Besatzung!“,
„Israels Armee vernichtet die Lebensgrundlagen der
Palästinenser“, „Gegen die Zerstörung von Häusern, Brunnen
und Olivenhainen!“ sowie ein Zitat des früheren israelischen
Botschafters in Deutschland, Avi Primor: „Der Antisemitismus
nimmt nicht zu, sondern die Sympathien für Israel nehmen
ab!“. Außerdem wird eine große Landkarte gezeigt, auf der zu
sehen ist, wie das Land der Palästinenser durch den
israelischen Siedlungsbau immer mehr schrumpft. Alles
antisemitische Parolen? Nein, schlichte Tatsachen.
Obwohl die Veranstaltungen der Kritiker
der israelischen Politik und die samstägliche Mahnwache sehr
friedlich ablaufen, erhöhten die Vertreter der Israel-Lobby
ständig den Druck auf die politisch Verantwortlichen in der
Stadt. Die Grünen brachten eine große Anfrage in der
Bürgerschaft ein, die an den Senat gerichtet ist. Darin
heißt es: „Auch in Bremen wächst die Sorge vor einem
erstarkenden Antisemitismus [...] Diese Befunde fordern dazu
auf, antisemitischen Angriffen und Ressentiments entschieden
entgegenzutreten – sowohl auf der Handlungs- als auch auf
der Einstellungsebene, bleibt viel zu tun.“ Die Grünen
verlangen vom Senat detaillierte Auskünfte über
antisemitische Strömungen, Aktivitäten und Straftaten und
wollen wissen, was der Senat künftig dagegen zu tun gedenke.
Die Antwort der Stadtregierung liegt noch nicht vor.
Aber der Bremer Bürgermeister, Carsten
Sieling, sah sich vor allem nach dem massiven Angriff des
Rabbis aus Los Angeles genötigt, die Ehre der Stadt zu
verteidigen. Er schrieb in einem Gastkommentar des
Weser-Kurier: „In den vergangenen Wochen gab es
vereinzelte Versuche, Bremen oder einzelnen Institutionen zu
unterstellen, antisemitischem Denken und Handeln nicht
entschieden genug entgegenzutreten. Dagegen verwahre ich
mich im Namen des Senats, aber auch im Namen aller
Bremerinnen und Bremer ganz ausdrücklich. Wer solche
Behauptungen aufstellt, verfälscht nicht nur die
Wirklichkeit, sondern er fügt unserem Land und seinen
Bürgerinnen und Bürgern großen Schaden zu.“ Da Sieling sich
in einem Nebensatz auch dazu bekannte, dass Kritik an
Israels Politik möglich sein müsse, rief diese Stellungnahme
bei der Lobby nicht gerade Begeisterung hervor.
Nun lud die TAZ (Ausgabe Nord) zu einer
Podiumsdiskussion unter dem Titel „Sind wir antisemitisch?“
ein, an der neben Bremer Lokalgrößen als bundesweit bekannte
Experten der deutsch-jüdische Psychologie-Professor Rolf
Verleger und Dr. Peter Ulrich vom Zentrum für
Antisemitismus-Forschung in Berlin teilnahmen. Es wurden
zunächst die üblichen Argumente ausgetauscht. Richtig munter
wurde es aber, als der ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete
der Grünen, Walter Ruffler, aus dem Publikum heraus den
TAZ-Moderator Benno Schirrmeister direkt ansprach: „Ich habe
mir die Parolen, die diese Leute bei der Mahnwache tragen,
angeschaut. Es waren eine ganze Reihe. Ich habe sie mir alle
aufgeschrieben und sie sorgfältig durchgelesen. Ich
persönlich habe nichts Antisemitisches in diesen Parolen
finden können.“ Ruffler fügte hinzu, dass er den zweiten
Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Grigori Pantelejew, der
sich ständig über ansteigenden Antisemitismus in Bremen
beklage, um ein Gespräch gebeten habe, um die Vorwürfe zu
konkretisieren. Pantilejew ist aus „Zeitgründen“ zu dem
Gespräch aber nicht bereit. Ruffler hakte nach und fragte
den TAZ-Moderator, wo denn der Antisemitismus in der Stadt
in Erscheinung trete. Die bremischen Vertreter auf dem
Podium und der Moderator konnten die Frage nicht
beantworten.
Die Israel-Anhänger wichen in der
Diskussion mangels konkreter Belege für Antisemitismus auf
die Rufe einiger arabisch-stämmiger Jugendlicher bei der
großen Bremer Demonstration gegen den Gaza-Krieg 2014 aus.
Die Jugendlichen hatten „Kindermörder Israel!“ gerufen. Ob
diese Jugendlichen hier allerdings ganz bewusst einen aus
dem Mittelalter stammenden wirklich antisemitischen Topos
benutzten, wie der DIG-Vorsitzende Dr. Hermann Kuhn
behauptete, muss doch stark bezweifelt werden. Die jungen
Leute hatten wohl eher die Bilder und Nachrichten im Kopf,
die sie auf den arabischen Fernsehsendern gesehen hatten.
Denn Israels Krieg forderte bei sehr geringen eigenen
Verlusten 2145 palästinensische Tote, darunter 577 Kinder.
Über die Randerscheinungen bei diesen
Demonstrationen, die meistens sehr friedlich verliefen,
hatte der renommierte Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz
damals angemerkt: „Ich sehe überhaupt keine neue Qualität.
Ich würde auch gern die Wortwahl ‚antisemitische
Ausschreitungen‘ hinterfragen. Es haben sich zum Teil
seltsame Leute zusammengerottet. Einige haben blödsinnige
Parolen gerufen. Das wird von Interessenten mit großem
Widerhall als Wiederaufflammen des Antisemitismus
dargestellt. Ich beobachte die Szene seit 30 Jahren. Seit 30
Jahren wird damit Politik und Stimmung gemacht.“ Benz
sieht die größere Gefahr heute viel mehr in der Feindschaft
gegenüber Muslimen. Die Islamophobie arbeite mit ganz
ähnlichen Argumentationsmustern und Stereotypen wie der
Antisemitismus. Gemeinsam sei diesen Vorurteilen die
Einteilung in Gut und Böse sowie das Phänomen der
Ausgrenzung: „Das Feindbild der Juden wird heute durch das
Feindbild der Muslime ersetzt. Wieder geht es um die
Ausgrenzung einer Minderheit. Es ist höchste Zeit, die
Diskriminierungsmechanismen zu verstehen und schließlich zu
verhindern.“ Solche Ansichten gelten bei Bremer
Israel-Freunden sicher als reine Ketzerei, sind aber gerade
angesichts der AfD-Erfolge hoch aktuell.
Es klingt schon komisch: Bremen – die
„antisemitische Hochburg“, aber niemand kann die Antisemiten
konkret ausmachen. Das Dilemma der Israel-Anhänger ist: Sie
können einerseits ja nicht zugeben, dass Israels Politik
heute der Hauptgrund für Kritik an diesem Staat ist, die
dann schnell zum Antisemitismus wird. Und andererseits: Die
wirklichen Antisemiten, die Juden hassen, weil sie Juden
sind, und all die schändlichen Stereotypen auf sie anwenden,
sind rar geworden oder sie treten nicht öffentlich in
Erscheinung. Die Aktivisten, die Israels Politik
kritisieren, berufen sich dabei aber auf die Menschenrechte
und das Völkerrecht – also universalistische Prinzipien. Und
wie soll man diese Kritiker der israelischen Politik dann
als „Antisemiten“ angreifen? Bei der Hatz auf „Antisemiten“
in Bremen handelt es sich psychologisch gesehen um ein
hysterisches Phänomen. Rolf Verleger bemerkt dazu trocken:
„Ich denke, in der Stadt gibt es kein besonderes
Antisemitismus-Problem, sondern ein besonderes
Antisemitismus-Jäger-Problem.“ |