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 Artillerie-Einsatz der IDF (Israel Defense Forces) in GAZA
Helmut FRANZ

 

Vielleicht können wenige weitere kurzgefasste Erläuterungen zur Grausamkeit des Artillerie-Einsatzes gegen die Zivilbevölkerung in GAZA das Gesamtbild ergänzen. Besonders die Streuung der Geschosse, die nie - auch bei bester Absicht nicht - zu vermeiden ist, bewirkt systemimmanente Ungenauigkeiten bei der Plazierung der Granaten (hier Weisser Phosphor), die schlimme Folgen für die Zivilbevölkerung haben. Deswegen allein schon ist der Artilleriebeschuss von Zielen in umittelbarer Umgebung von Wohnhäusern, Krankenhäusern, Schulen, zivilen Versorgungseinrichtungen und Einrichtungen der Vereinten Nationen als Kriegsverbrechen einzuordnen.

Artillerie streut grundsätzlich und immer. Deswegen ist Artillerie eine Flächenwaffe. Das Geschütz wird je nach geplanter Schussentfernung in die Höhe gerichtet. Je nach der Richtung vom Geschützplatz zum Ziel wird das Rohr zur Seite gedreht. Die Ungenauigkeiten liegen vorwiegend in der Schussweite. Sie können beim gezeigten Geschütz M 109 von wenigen Metern bis über 100 m gehen, im Extremfall sogar bis über 200 m. Die Seitenabweichungen sind deutlich geringer. Das bedeutet, dass es sehr schwer ist, ein Punktziel wie einen Bunker zu treffen. Noch schwerer ist es, den Bunker- oder Stolleneingang zu treffen, um Wirkung zu erzielen. Deswegen haben Artillerie-Beobachter im Krieg - oftmals verbürgt - Feuer auf den eigenen Standort befohlen, wenn der Feind bei ihnen durchbrach. Sie wussten genau, dass sie aufgrund der Streuung sich selbst weniger gefährdeten als den Feind um sie herum.

Für Gaza bedeutet dies, dass die israelische Armee unter Inkaufnahme grosser Gefährdungen für die Zivilbevölkerung mit Artillerie in ein oder über ein dichtbesiedeltes Gebiet schoss. Allein schon die Streuung verbietet einen solchen Einsatz - neben der furchtbaren Wirkung verschiedener Artilleriegranaten wie White Phosphor.

Die Geschütze verschiessen die Granaten mit verschiedenen Treib-Ladungen. Je kleiner die Treibladung, desto geringer die Geschwindigkeit der Granate und der Rohrverschleiss, aber desto grösser die Streuung im Verhältnis zur Schussweite. Die Schussweite wird ebenfalls durch die Treibladungswahl beeinflusst und nicht nur durch das Richten des Rohres in die Höhe .

Nun wird es etwas technisch. Man unterscheidet die innenbalistischen und die aussenbalistischen Einflüsse auf die Streuung.

1. Innenbalistisch:Alle Einflüsse im Rohr vom Rohrverschluss bis zur Rohrmündung.

Das sind hauptsächlich

1.1.: die Verbrennungsgeschwindigkeit der Treibladung. Diese wiederum ist abhängig von

1.1.1.: - der Pulvertemperatur

1.1.2.: - der Granulierung des Pulvers (bei Abweichungen von der Standardgranulierung verbrennt

das Pulver langsamer oder schneller)

1.2.: das Geschossgewicht (jedes Geschoss wird nach Fertigung gewogen und einer Geschoss-

Gewichtsklasse zugeteilt, doch inerhalb der Geschoss-Gewichtsklassen gibt es immer noch

Gewichtsunterschiede mit Einfluss auf die Streuung)

1.3.: die Rohrabnutzung; je abgenutzter das Rohr, desto mehr Pulverdruck entweicht am Ge -schoss vorbei nach vorn aus dem Rohr und verringert die Schussweite. Bei stark abgenutztem (ausgeleiertem) Rohr schlingert die Granate im Rohr, das hat beim Passieren durch die Rohrmündung geringe Abweichungen von der beabsichtigten Schussrichtung zur Folge, die mit steigender Schussweite immer grössere Auswirkungen haben .

1.4.: die Rohrerwärmung; durch Sonne und das Schiessen selbst erwärmt sich das Rohr, damit verändern sich die Druckverhältnisse im Rohr und die Schussweite.

1.5.: Weitere Einflüsse: eine ganze Anzahl von weiteren Faktoren wirken auf die Innenballistik, die hier vernachlässigt werden, weil sie sich zwar summieren und die Streuung vergrössern können, aber in der Regel weniger Einfluss haben

2.: Aussenballistisch: alle Einflüsse auf das Geschoss vom Verlassen der Rohrmündung bis zum Sprengpunkt.

Das sind hauptsächlich:

2.1.: Wetter wie Lufttemperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Regen, Hagel, Schnee, Windrichtung, Windstärke. Diese verursachen Abweichungen von der geplanten Schussentfernung (Bspl: Bei starkem Rückenwind fliegt das Geschoss weiter als bei starkem Gegenwind). Bei starkem Seitenwind erfolgt entsprechende Richtungsabweichung

2.2.: Drall; im Geschützrohr wird der Granate durch Züge und Felder eine Drehung mitgegeben. Wie ein Kreisel, auf den Kräfte (Luftwiderstand,Wind) einwirken, weicht das Geschoss rechtwinklig zu diesen Kräften ab und das hat ebenfalls Einfluss auf Flugbahn und Treffgenauigkeit

Bei der Bildung des Feuerkommandos wird versucht, alle diese relevanten Werte einzubeziehen, die Einfluss auf die Streuung haben. Das gelingt jedoch nur annäherungsweise - mit der Folge, dass es immer zu Abweichungen von der geplanten Flugbahn und damit zur Streuung kommt.

2.3.: Zünderstreuung.

Nebelgranaten WP (White Phosphor) werden entweder mit einem radargesteuerten Boden- abstandszünder oder mit einem Doppelzünder verschossen. Beim Radarzünder fliegt das Geschoss auf seiner (weit oder kurz, rechts oder links) streuenden Flugbahn, wird aber ziemlich genau in 15 m Höhe gesprengt. Der Doppelzünder wird entweder als Bodenaufschlagszünder verschossen oder als Uhrwerk-Zeitzünder. Im Aufschlagsfall entsteht je nach der Streuung ein grosser Feuerball in Zielnähe oder im Flächenziel, wenn es gross genug ist. Für eine Batterie mit 6 Geschützen - wie im Fernsehen gezeigt, ist eine Zielausdehnung von 100 m Tiefe und 200 m Breite ideal. Man kann die Seitenrichtung der Geschütze aber auch so einstellen (indem man die Stellungsunterschiede der einzelnen Rohre herausrechnet, dass alle 6 Geschosse theoretisch auf densekben Punkt treffen, was praktisch wegen der Streuung nicht gelingen kann. Die Ausdehnung des Feuers kann dann etwa 50 mal 50 Meter betragen - immer noch eine grosse Treff-Fläche in zivil bewohntem Gebiet. Bei der Verwendung als Doppelzünder wird durch Drehung des Zünders ein Uhrwerk eingestellt, das mal mehr oder weniger schnell abläuft. Das Geschoss fliegt nun entlang seiner schon streuenden Flugbahn und die Granate wird aufgrund der Fertigungstoleranzen des Doppelzünders, seiner Lagerzeit, dem mehr oder weniger schnellen oder einwandfreien Lauf des Uhrwerkes früher oder später gesprengt - Das hat ebenfalls bedeutsame Abweichungen vom geplanten Sprengpunkt über dem Zielpunkt oder der Zielfläche zur Folge.

Das Explosionsbild der Phosphorgranaten über Gaza deutet daraufhin, dass einige wenige Male mit radargesteuerten Bodenabstandszündern, aber mehr mit Doppelzündern geschossen wurde. Ein- oder zweimal konnten im Fernsehen auch Phosphor-Bodendetonationen erkannt werden. Ob diese wegen fehleingestellter Doppelzünder - was auch immer wieder bei ungeübten Kanonieren - wie Reservisten der IDF - vorkommt oder ob das beabsichtigt war, kann von hier nicht beurteilt werden.

Doch ganz offensichtlich wurde mit kleineren Treib-Ladungen geschossen. Die Schussentfernung von den Geschützstellungen zu den Zielgebieten in Gaza war gering. So brauchte man keine grossen Treibladungen verwenden und konnte die Rohrabnutzung verhaltnismässig gering halten. Das wird bei der Artillerie grundsätzlich angestrebt. Bei grossen Treibladungen ist die Rohrabnutzung über 100 Mal so gross wie bei kleineren Treibladungen. Allerdings ist bei kleinen Ladungen die Streuung im Verhältnis zur Schussentfernung gross. Bei kleinen Treibladungen fliegt die Granate langsamer und die ballistischen Einflüsse wirken intensiver auf ihre Flugbahn.

Dazu muss erläutert werden, dass Granaten in einer direkten, in einer unteren und in einer oberen Flugbahn zum Zielgebiet geschossen werden können. Stellen Sie sich vor, sie werfen mit einem Stein auf ein Gartenhaus, das nicht weit entfernt von Ihnen steht und vor dem ein Kind spielt. Sie können den Stein ganz schnell mit grosser Kraftanstrengung am Kind vorbei direkt gegen eine Wand des Gartenhauses werfen. Bei der Artillerie wäre das vergleichbar ein direktes Richten auf das Ziel wie mit einer Panzerkanone, mit grosser Ladung und grossem Rohrverschleiss. Sie können auch in einer flachgebogenen Kurve über das Kind - untere Winkelgruppe / untere Flugbahn / unter ca. 45° - auf das Dach des Gartenhauses werfen. Wenn zwischen ihnen und dem Gartenhaus kein kind, sondern ein hoher Baum steht, können Sie andererseits auch steil nach oben werfen, über ca. 45° - damit der Stein über den hohen Baum fliegt und von oben fast senkrecht auf das Dach fällt - obere Winkelgruppe / obere Flugbahn. Der Stein ist im letzten Fall dann viel länger in der Luft unterwegs, seine Flugbahn ist viel länger - und seine Streung ist meist grösser. Ein anderes anschauliches Beispiel dazu ist ein Gartenschlauch. Bei grossem Wasserdruck schiesst das Wasser rasant fast geradeaus wie bei der Feuerwehr. Wenn Sie die Schlauchmündung nach oben richten, spritzt das Wasser auf immer weiter entfernte Rasenstücke - bis zu einer Erhöhung von etwa 45 °. Richten Sie das Schlauchende noch höher, über 45°, wird das Wasser höher als weiter gespritzt, das Wasser kommt quasi wieder zurück in Ihre Nahe, je höher Sie den Schlauch richten.

Das Explosionsbild der Phosphor-Granaten zeigt in einigen Fällen deutlich, dass vermutlich in der oberen Winkelgruppe geschossen wurde. Das erkennt man daran, dass die Phosphorbrocken nach der Detonation der Granate verhältnismässig steil herabgeschleudert werden. Wird in der unteren Winkelgruppe geschossen, fliegen nach der Sprengung der Granate die Phosphorbrocken fächer-förmig verhältnismässig flach weiter - eben in einem Winkel unter 45° - und nach 10 / 20 / 30 m, also weiter unten, erst deutlich steiler herab. Die Gründe, warum die israelische Artillerie auf diese mutwillige Idee kam, kann nur eine Untersuchung offenlegen. Diese Untersuchung muss ergeben, in welchen Winkelgruppen geschossen wurde und warum das geschah. Eine genaue Auswertung aller vorhandenen Bilder von möglichst vielen Granatsprengpunkten über Gaza (unter Berücksichtigung des Blickwinkels)  könnte hier Klärung schaffen.

In der Bundeswehr darf kein Befehl befolgt werden, der ein Verbrechen zur Folge hat. Bei den Israelis wird das offensichtlich anders gehandhabt.

Schlussfolgerung: Die Verwendung von Phosphor-Artilleriemunition im GAZA-Krieg war schon aus sich heraus wegen der Wirkung dieser Munition und der grundsätzlichen Streuung der Artillerie ein Kriegsverbrechen. Der hauptverantwortliche korrupte Ministerpräsident Olmert als Oberbefehlshaber der Armee bzw. alle Mitglieder seines "Sicherheitskabinetts" sowie die Truppenkommandeure - die von ihren Artillerie-Offizieren über diesen Artillerie-Einsatz beraten wurden - und alle beteiligten Artilleriekommandeure (vom Batteriechef über den Bataillons-kommandeur bis zum Regimentskommandeur und ggf. noch aufwärts) sollten sich vor Gericht verantworten müssen. Olmert steht in dringendem Tatverdacht schwerer Kriegsverbrechen. Dass er seine Offiziere nun verstecken muss, ihre Namen nicht genannt und ihre Bilder nicht gezeigt werden, ist das Eingeständnis der Schuld aller Beteiligten. Um im artilleristischen Sprachgebrauch des Einsatzes von Nebel White Phosphor zu bleiben: mit Nebel blendet man den Feind. Aus falschverstandener Artillerie-Kameradschaft die Blendung der Justiz durch die israelische Zensur zu ermöglichen, indem man schweigt, die Kriegsverbrechen totschweigt und damit verschleiert, darf nicht sein. Jede Kameraderie muss unterbleiben angesichts der schrecklichen Ereignisse in GAZA.

Mendig, den 28. Jan 2009 Helmut Franz

 

Ich hoffe, mit diesen Erklärungen eines für Zivilpersonen verhältnismassig unbekannten Gebietes und den Erläuterungen zum artilleristischen Fachwissen die Offenlegung der Problematik voranzubringen. Ich habe mich um Einfachheit und Eingängigkeit bemüht. Deswegen werden ausgesprochene Fachleute ggf. Verbesserungen vorschlagen können. Doch die Anschaulichkeit geht mir vor.

Mit herzlichen und mit besten Grüßen  Helmut Franz

p.s.: Man sagt mir in Diskussionen, wie dumm die Palästinenser sind, indem sie immer wieder (mit Intifada, mit Selbstmordattentaten, mit Kassam-Raketen) gegen die Israelis kämpfen. Das mag man dumm nennen. Aber seit 1948 raubt Israel den Palästinensern ihr Land, ihren Lebensraum und ihre Existenz. Sie verteidigen sich. Waren die Resistane, oder die Aufständigen im Warschauer Ghetto, oder die vielen Freiheitskämpfer der Geschichte - Beispiele gibt es genug - dumm oder tapfer? Waren Andreas Hofer oder Graf Stauffenberg dumm? Oder doch tapfer?

Israel muss sich besinnen, wenn es Frieden wirklich will, den Landraub für Erez Israel aufgeben und die vertriebenen Flüchtlinge finanziell abfinden. Sonst werden weiter für jeden toten Palästinenser 3,4 oder 5 neue frische Kämpfer aufstehen.

Die Zeit drängt und die demoskopische Bombe tickt - wie ein Doppelzünder der Artillerie.

Helmut Franz

 

 

 

 

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