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Hebron als ein Beispiel
Gedanken von Felicia Langer
In Hebron, der zweitgrößten palästinensischen Stadt
im Westjordanland, habe ich Anfang 1968 meine juristische Tätigkeit
für die Palästinenser begonnen. Das erste Gefängnis, das ich in den
besetzten Gebieten besucht habe, war in Hebron. Die Stadt ist ein
Symbol der kolonialen israelischen Besatzung geblieben.
Als ich zum ersten Mal in das Gefängnis von Hebron
kam, bemerkte ich auf dem großen Hof eine Frau mit einem kleinen
Kind und einige Yeshiva-Studenten (der religiösen Hochschule). Neben
ihnen lag diverser Hausrat. Auf meine Frage, was sie dort machten,
antwortete mir einer der Soldaten: „Das sind die Siedler von Hebron.
Das sind die, die nicht arbeiten, aber garantiert viel Geld
kriegen.“
Das war meine erste Begegnung mit den Angehörigen der
neuen Siedlung in der „Stadt der Väter“. Danach sah ich sie öfter im
dortigen Militärgericht versammelt, wo sie die Verhandlungen
verfolgten. Sie verhehlten ihre Freude nicht, wenn einer der
„Eingeborenen“ bestraft wurde, deren Gefängniszellen nur wenige
Schritte von den Räumen entfernt lagen, in denen sie untergebracht
waren.
Ich beobachtete dort einmal eine Szene, die sich in
mein Gedächtnis einbrannte: Im Gefängnishof standen lange Tische,
beladen mit Delikatessen, um die herum sich die Siedler
niederließen. Ich bahnte mir einen Weg durch die fröhlichen Reihen
und ein Gefängniswärter erklärte mir, dass sie eine Hochzeit
feierten und da seien sie eben glücklich. Die Stimmen der Feiernden
drangen durch die Gitterstäbe. Ich konnte mich nur wundern, wie sie
hier fröhlich sein konnten, zwischen den Gefängnismauern, und was
die Einwohner von Hebron, eingezwängt in ihren finsteren Zellen,
beim Klang der heiteren Lieder wohl fühlen mochten. Ich fragte mich
auch, wie die Siedler seelenruhig im Schutz unserer Panzer leben
konnten, mit der militärischen Stärke des Regimes als Garantie für
ihre Existenz vor Ort. Wie erklärten die Kindergärtnerinnen und die
Lehrerinnen den Kindern diese Nachbarn, die Häftlinge, mit den
gelblichen Gesichtern, denen ein täglicher Spaziergang von einer
Viertelstunde vergönnt war? Und was sagten die Erzieherinnen, wenn
sie zusammen mit ihren Schützlingen auf Massen von Frauen und
Kindern stießen, die ihre Verwandten besuchten? Wie brachten sie den
Kindern die Begriffe von Gut und Böse bei, um sie sicher durchs
Leben zu geleiten? Und was für eine Schule konnte das sein, der der
Gefängnishof als Spielplatz diente?
Später wurde den Siedlern ein Ort erbaut, an dem sie
sich selbst einsperrten, aus Angst vor den Besitzern des Landes, die
enteignet worden waren. Aber der pionierhafte Anfang im Hof des
Gefängnisses von Hebron wird für immer den Charakter dieser Art von
Besiedlung kennzeichnen.
Die Siedler sind wie ein artfremdes Gewächs in der
Landschaft. Zuerst hatten sie Wohnwagen, dann Fertighäuser und heute
„Cottages“, umgeben von Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen. Sie
bedrohen die Umgebung mit ihrer Gier nach Land, das sie den Händen
der rechtmäßigen Besitzer entreißen wollen. („Zorn und Hoffnung“F.L.)
In den siebziger Jahren haben sie die Siedlung Kiryat
Arba gebaut. Am Anfang auf 12.000 Donum privatem Land. Das Gebiet
war entvölkert, nachdem man die Häuser und die Weinstöcke zerstört
hatte. Im Jahre 1995 haben dort 6000 Siedler gelebt. Von dort stammt
Baruch Goldstein, der Mörder von betenden Palästinensern in der
Haram-al-Ibrahimi-Moschee – beziehungsweise der Machpela-Höhle - in
Hebron. Ich schrieb ein Buch über dieses Massaker, weil ich es als
meine Pflicht angesehen habe, die Tat zu recherchieren. Das Buch
nannte ich: „Wo Hass keine Grenzen kennt“.
So habe ich dieses Massaker und die Zeit danach
empfunden: „Vor mir liegt eine schwarzumrandete Namensliste von 29
Personen. Es sind die Opfer des Massakers in der
Haram-al-Ibrahimi-Moschee beziehungsweise der Machpela-Höhle in
Hebron im Westjordanland. Ihnen widme ich dieses Buch. Sie wurden am
Freitag, dem 25. Februar 1994, am 15. Tag des Ramadan im Jahr der
Hedschra 1414, am frühen Morgen massakriert, als sie betend in
Richtung Mekka niedergekniet waren. Ihre Namen und einige Angaben zu
ihrer Person sind im Anhang dieses Buches zu finden.
Der Ort, an dem das Verbrechen verübt wurde, gilt
jüdischen, christlichen und muslimischen Überlieferungen zufolge als
Grabstätte von Abraham, Sarah, Isaak, Rivka, Jakob und Lea und ist
daher allen drei Religionen heilig.“
Als ich im Oktober 1994 nach Hebron fuhr, um die
Familien der Ermordeten zu besuchen, traf ich auch die leidgeprüfte
Familie von Saber und lernte seine Frau, seine vier Kinder und seine
Schwägerin kennen. „Die beiden Frauen waren am Tag des Massakers
auch beim Gebet in der Moschee gewesen.
Mai, Sabers Frau, und ihre Schwester, Salwa Dana,
berichteten mir, dass sie beim Verlassen der Jawliyah (dem
Gebetsbereich für Frauen) sahen, wie Soldaten das nahegelegene Tor
schlossen und auf die Leute schossen, auch auf jene, die die
Verwundeten trugen. Mai erlitt eine Fehlgeburt. Sie nimmt das
gefasst hin. Das sei Gottes Wille.
Sie erzählte mir, dass sie am Tag vor meinem Besuch
mit ihren Kindern in die Altstadt gegangen sei. Siedler hätten sie
dort verflucht, angespuckt und geschrien, dass es noch mehr
Goldsteins geben werde. Der Bruder des Ermordeten zeigte mir eine
vernarbte Wunde an seinem Kopf, das Mal einer Verletzung durch einen
Siedler. Salwa Dana, Mais Schwester, berichtete, dass ihre Familie
wegen der ständigen Angriffe der Siedler aus der Altstadt hierher zu
ihrer Schwester ziehen mußte.“
Die Liste des Grauens von damals ist erschreckend und
auch die Meldungen über die zahlreichen Pilger zum Grab von Baruch
Goldstein in Kiryat Arba… Auch nach dem Massaker gab es kein Ende
des Grauens für die Palästinenser. Die Armee war damit beschäftigt,
Demonstranten zu töten, die ihren berechtigten Zorn nach dem
Massaker ausdrücken wollten.
Die Friedenskräfte in Israel haben Solidarität mit
der leidenden palästinensischen Bevölkerung zum Ausdruck gebracht.
Die bekannteste Organisation ist „Breaking the Silence“, deren
Mitglieder als Soldaten in den besetzten Gebieten, aber
insbesondere in Hebron, gedient haben, wie z.B. Jehuda Schaul. Sie
berichten über die Verletzung der Menschenrechte der Palästinenser,
auch aus ihrer eigenen Erfahrung.
Auch das Komitee der Jugend gegen Siedlungen
versucht, die Situation in Hebron zur Sprache zu bringen.
Die Meldungen, die die Gegenwart in Hebron schildern,
zeigen, dass sich das Schicksal der Palästinenser unter Besatzung
nicht geändert hat. Hebron ist dafür ein Beispiel.
Die Bewegung „Jugend gegen Siedlungen“ berichtet und
zeigt auch in Videos, wie ein israelischer Soldat ein
palästinensisches Kind tritt und schlägt. Die Mitglieder der
Organisation sagen, dass man über eine solche Gewalt durch
israelische Soldaten eigentlich jeden Tag berichten könnte.
Die Organisation „Yesh Din“ berichtet über eine
Provokation gegen einen Aktivisten während des Ramadan, wobei sein
Haus beschossen wurde, und beendet den Bericht
mit den Worten: „Welcome to
occupied Hebron, where the rule of law crawls for die.”
Haaretz schrieb Anfang August über 1300 Bewohner von
acht Dörfern südlich von Hebron, die man vertreiben will und die
sich gegen diese Vertreibung an den Obersten Gerichtshof in
Jerusalem gewandt haben. Die Antwort der Armee durch die
Staatsanwaltschaft auf diesen Antrag war, daß dort ein
Trainingslager sei und dass durch die Räumung der Dörfer die Armee
wertvolle Zeit spart, was den Zutritt zu dem Trainingslager
betrifft. Man könnte es ruhig sagen: „Time is money“, zum Teufel mit
den Menschen, wenn es sich um Palästinenser handelt. Haaretz hat das
mit bitterer Ironie kommentiert.
Am 20. August 2012 schrieben die „Australians for
Palestine“ (siehe Palästina Portal): „Murad ist 23 Jahre alt und er
hat noch die Straße Shouhada in Erinnerung, bevor sie zu einem
desolaten Zustand verkommen ist mit Soldaten, Siedlern und Check
Points. Der Ort war so lebendig, er war nicht nur das Herz von
Hebron. Er war das Herz der südlichen Westbank. Das liegt jetzt
beinahe zwanzig Jahre zurück. Heute sind die Läden verwüstet,
geschlossen von der israelischen Armee. Und der Markt, der Souk,
liegt auch verwaist.
Seit 1994 ist es den Palästinensern nicht mehr
erlaubt, durch die Shouhada-Straße zu fahren. Alles dies wurde für
die wenigen Siedler gemacht, die in dieser Straße
leben. Am Ende des Berichts sagt
Murad: „They could shoot me and it would be okay. It is worse. It is
killing me slowly every day. It is killing all of us each day.”
Zum Schluß ein Zeugnis von einem Politiker, dem
Vorsitzenden der SPD und Bundestagsabgeordneten Sigmar Gabriel
(Facebook 14. März 2012): „Ich war gerade in Hebron.

Das ist für die Palästinenser ein rechtsfreier Raum.
Das ist ein Apartheidregime, für das es keinerlei Rechtfertigung
gibt.“
Sigmar Gabriel wurde für die Äußerung attackiert, was
man auch erwarten konnte. Er hat versucht, es „eleganter“ zu
formulieren, aber der Kern der Aussage ist geblieben: „Ich halte die
Verhältnisse in Hebron für unwürdig.“ Er sagte es als Freund von
Israel…
Ich möchte es sagen als eine Menschenfreundin.