Dankenswerterweise hat die Zeitschrift „Der Semit“ die Rede des
israelischen Präsidenten Schimon Peres in der Ausgabe Nr.04
August/September 2011 verbatim abgedruckt. So kann man sich mit
hehren Worten belehren lassen, was Moral, Liebe und Frieden für
Israel und für Peres selbst bedeuten…
Ein solches Meisterstück der Verdrehung und Umwertung der Bedeutung
wäre selbst dem berühmten George Orwell nicht so ohne weiteres
gelungen, auch wenn sich bei ihm der bekannte Spruch findet, Krieg
ist Frieden….
Den Teil der Rede, den Peres den Mitgliedern seiner Familie widmet,
die Opfer des Holocaust wurden, übergehe ich. Lassen wir die
Ermordeten in Frieden ruhen…Anschließend spricht er aber über die
Verpflichtung des jüdischen Volkes gegenüber den Zehn Geboten, unter
allen Umständen und überall: „Morde nicht!“, „Liebe deinen Nächsten
wie dich selbst!“ und „Suche den Frieden und jage ihm nach!“ Da
klingen in meinen Ohren aber unüberhörbar die Worte etlicher
Rabbiner in Israel – sie beziehen ihr Gehalt von der Regierung -,
die in aller Öffentlichkeit sagen, dass man sogar die Kinder der
Araber töten muss, weil sie künftig als Erwachsene zu Terroristen
werden. Und der „Nächste“, den zu lieben man geboten ist, gilt
ausschließlich für Juden. Dass Israel den Frieden tatsächlich sucht
oder sogar danach jagt, ist schwer zu glauben; im Gegenteil, auf
Friedenssuchende, Juden wie Palästinenser, wird seit geraumer Zeit
intensiv Jagd gemacht.
Bezüglich der Lehre aus dem Holocaust sagt der Präsident: „Und nun
zur bedeutendsten aller Lehren: ‚Nie wieder eine Rassenlehre. Nie
wieder ein Gefühl von Überlegenheit. Nie wieder eine scheinbar
gottgegebene Berechtigung zur Hetze, zum Totschlag, zur Erhebung
über das Recht.’“ Die Rassenlehre in Israel gegen die Palästinenser
hat in der Knesset einen „honorigen“ Platz gefunden, wo in jüngster
Vergangenheit Gesetze verabschiedet wurden, die nicht nur wie bisher
versteckt, sondern offen rassistisch sind. Die israelischen
Friedenskräfte sagen, dass die gegenwärtige Knesset die
rassistischste aller Zeiten ist. Hetze gegenüber den Palästinensern
und Mord und Totschlag insbesondere in den besetzten Gebieten sind
an der Tagesordnung – und der Präsident ist bestens im Bilde.

Aber er appelliert an das deutsche Volk mit den Worten: „Um eine
zweite Schoah zu verhindern, ist es an uns, unsere Kinder zu lehren,
Menschenleben zu achten und Frieden mit anderen Ländern zu wahren.
Die junge Generation muss lernen, jede einzelne Kultur und die
universellen Werte zu respektieren. Die Zehn Gebote müssen immer
wieder neu gedruckt werden.“ – Das sagt der Präsident, der die
israelischen Kriege, die Tausende von Opfern gekostet haben,
gutgeheißen hat. In einem Land, in dem die jungen Generationen nicht
mehr lernen, universelle Werte zu respektieren. In einem Land, das
seit 44 Jahren eine kolonisatorische Besatzung betreibt, in deren
Dienst die junge Generation zu routinierten, grausamen Unterdrückern
erzogen wird. Der Präsident, der das Massaker in Gaza Dezember
2008/Januar 2009, das den bildhaften Namen „Gegossenes Blei“ hatte,
mitgetragen hat, mit etwa 1.440 toten Palästinensern, in der
Mehrzahl Zivilisten, darunter Hunderte von Kindern, in dessen
Verlauf das israelische Militär u.a. weißen Phosphor gegen
Zivilisten eingesetzt hat und zahlreiche Verwundete ohne ärztliche
Hilfe oder sogar auf Grund der Behinderung der Notfallversorgung
qualvoll verblutet sind. Wie es aussieht, hat der Präsident, der
„Vater der atomaren Waffen“ in Israel, die Zehn Gebote längst
vergessen, so wie alle bisherigen israelischen Regierungen.
Aber der Präsident versäumt nicht zu betonen: „Israel ist ein
jüdischer und demokratischer Staat, in dem rund 1,5 Millionen
gleichberechtigte arabische Bürger leben. Wir werden es nicht
zulassen, dass jemand wegen seiner Nationalität oder Religion
diskreditiert wird.“ Von welchem Israel spricht der Präsident da
eigentlich? Solche Lügen kann er nicht einmal in der israelischen
Knesset vorbringen, dazu braucht er den Deutschen Bundestag als
unkritische, gläubige Zuhörerschaft – so wie Benjamin Netanjahu den
amerikanischen Kongress…
Die ca. 1,5 Millionen Araber (d.h. Palästinenser) in Israel sind in
Wirklichkeit Bürger zweiter oder dritter Klasse, wegen ihrer
Nationalität diskriminiert, was Bürgerschaftsrechte, Landnutzung und
Landerwerb, Bildung, Behausung und vieles mehr angeht. Sogar das
Recht auf Trauer über ihre Vertreibung und Enteignung, die Israel zu
verantworten hat, sowie über ihre Entrechtung ist ihnen genommen,
öffentliche Bekundung dieser Trauer ist mittlerweile gesetzlich
verboten. - Ich habe 40 Jahre in Israel gelebt und gegen
diese Diskriminierung gekämpft. Und ich versuche es weiter zu tun.
Präsident Peres spricht auch martialisch gegen den Iran, was für die
israelische „Hasbara“ (Propaganda) obligatorisch ist: „Genau wie
unsere Nachbarn lehnen wir ein fanatisches Regime ab, das die
UN-Charta missachtet.“
Eine Dreistigkeit sondergleichen, die Missachtung der UN-Charta zu
beklagen, angesichts der Tatsache, dass Israel die UN-Charta und
UN-Resolutionen seit Jahrzehnten missachtet, was die israelische
Besatzung und Kolonisierung der palästinensischen Gebiete betrifft,
und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes
ignoriert.
Am Ende noch eine Rede-Perle, die gewissermaßen den Gipfel der
Verzerrung darstellt: „Es gelüstet uns nicht nach Gebieten, die uns
nicht gehören.“
Herr Präsident, wenn nur ein Hauch von Wahrheit in diesem Satz
enthalten wäre, hätte man schon seit Jahren Frieden mit den
Palästinensern und allen arabischen Ländern schließen können! Sie
lügen wissentlich, Herr Präsident, was eine Schande ist.
Wenn es einen Nobelpreis für Betrug mit Worten gäbe, hätten Sie ihn
redlich verdient.
Ich verneige mich vor den Abgeordneten im Deutschen Bundestag, die
nach Ihrer Rede sitzen geblieben sind.
Felicia Langer
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