Erlebnisse eines ISM
Aktivisten in Balata
Hey Leute,
erst mal: ich bin wieder frei und außer daß ich
unglaublich müde bin und ich noch gar nicht so richtig glauben kann,
was in den letzten Tagen so passiert ist, geht es mir gut (nur ein
bißchen Schmerzen am Handgelenk und am Rücken; Jammer).
[Uwe hat mit anderen ISMerInnen in den letzten Tagen
während einer militärischen Invasion und Ausgangssperre in Nablus
und im Flüchtlingslager Balata gearbeitet. Anmerkung Heidi]
Zuerst gab’s gestern eine Patrouille mit den Leuten
vom Palestinian Medical Relief. Das Statement des Tages war: Laßt
die Spiele beginnen. Dieser Ausruf beschreibt die Situation in
Nablus ganz gut. Die Soldaten sind nur auf Provokation aus. Erst
wird ein bißchen in der Gegend rumgefahren bis die Kids mit Steinen
schmeißen; das geht dann so ne weile an verschiedenen Orten in der
Stadt, bis die Soldaten anfangen zu schießen oder im einfachsten
Falle Soundgranaten zu schmeißen. Gestern vormittag wurde in einer
Gruppe von ca. 5 Erwachsenen und einem Kind natürlich nur auf das
Kind (ca. 6 Jahre ) geschossen. Sie trafen es in den Hals und wenn
meine Infos stimmen ist es an seinen Verletzungen gestorben [nach
meinen Informationen lebt das Kind noch – H.]. Meine Gruppe und ich
standen nur etwa 100 Meter entfernt und ich mußte glücklicherweise
nicht direkt mit ansehen was da geschah, da die medicals sehr
schnell reagierten; andere ISMer haben es aber hautnah miterleben
müssen.
Die Militärpräsenz in der Altstadt war unglaublich,
in einem Haus sollen über 50 Soldaten gewesen sein. Auch haben sie
ein Haus gesprengt, das innen komplett zerstört wurde. Leider habe
ich meine Bilder nicht mehr da ich sie bei meiner Verhaftung im Haus
in einem günstigen Zeitpunkt alle Bilder gelöscht, um keine
Palästinenser zu gefährden. Somit kann ich leider mit keiner
Dokumentation der Tage in Nablus dienen, was wirklich schade ist, da
einfach unglaubliche Dinge passiert sind. So wurden auch die
Wohnungen anderer Familien komplett verwüstet und ein Beispiel
konnte ich mit eigenen Augen begutachten. Nicht nur, daß sie alle
Schränke, den Boden und die meisten Einrichtungsgegenstände
zerstörten, nein sogar die wenigen Schallplatten, die die Familie
besaß wurden mit einem Messer zerkratz. Mit der Suche nach
Terroristen, die sich nach Angaben einiger Militärs ja alle 10 Meter
aufhalten, hat das ja wohl kaum was zutun. Uns wurde sogar gedroht,
uns zu erschießen ( ich zitiere: mir ist es scheißegal ob ihr aus
Italien, Amerika oder sonstwo herkommt, wenn ihr nicht sofort
verschwindet, erschießen wir euch und das wurde mehrmals mit relativ
eindeutigen Gesichtsausdruck wiederholt). Auch eine Familie bat uns
aus Angst erschossen zu werden lieber zu gehen.
Der absolute Abschuß war ja dann in Balata, wo ich
mich dämlicher weise freiwillig meldete (zumindest dachte ich daß,
als ich stundenlang festgehalten wurde; jetzt bin ich dankbar für
die Erfahrung und daß alles so glimpflich ausgegangen ist). Als wir
nach Balata kamen wurden wir auf ein besetztes Haus hingewiesen, in
das auch gleich Allen, Franz, Tom und ein Medical Mann hineingingen,
um sich zu vergewissern ob die Familie Hilfe benötigt( war ja nicht
das erste Mal daß wir so etwas machten). Die anderen und ich warten
unten und wurden mehrmals mit Soundbombs und Tränengas konfrontiert.
Nach ca. 20 -30 Minuten, nachdem ich mehrmals versucht hatte,
Kontakt mit den Leuten im Haus aufzunehmen, ging ich allein nach
oben um nach dem Rechten zu sehen. Die Soldaten waren mit meinen
Freunden und der Familie im obersten Stockwerk verschanzt. Ich ging
nur soweit hinauf um die Tür der besagten Wohnung einsehen zu können
(natürlich betonte ich immer wieder daß ich ein „unarmed
intenational“ bin, der sich um die Gesundheit der Familie sorgt),
aus der schon ein M4 und der Kopf des dazugehörigen Soldaten
rausschaute (ca. 16.00 Uhr, um den ISM bericht richtigzustellen). Er
forderte mich auf, nach oben zu kommen, da meine Freunde mit mir
sprechen wollten. Als ich das ablehnte und ihn meinerseits
aufforderte meine Freunde rauszuschicken, sprang er aus der Tür und
zielte auf mich. So hatte ich meine Chance zu fliehen verspielt. Der
Soldat packte mich und stieß mich in die Wohnung, wobei er mir auf
den Hinterkopf schlug.
Als ich dann in der Wohnung war, stürzten sich
mehrere Soldaten auf mich und schlugen mir ins Gesicht und kickten
mir in den Rücken( was aber zu meinem Glück nicht mit voller Kraft
passierte, sonst hätte ich wohl heute mehr Probleme). Danach wurde
ich in das Zimmer gestoßen, wo meine Freunde mit auf den Rücken
gefesselten Armen am Boden saßen und mit Ansehen mußten wie mich das
gleiche Schicksal ereilte. Nachdem mich der Soldat gefesselt hatte,
schlug er mir noch in die Nieren, bevor er mich auch auf den Boden
stieß. Nach kurzer Zeit wurden den Anderen T-Shirts über die Köpfe
gezogen und mir wurden ( da meine Brille dem T-Shirt im Wege stand)
die Augen mit meiner Bandana verbunden. Als sie uns nach unseren
Pässen fragten beging ich die zweite Dummheit dieses Tages.
Erst gab ich an keinen Paß dabei zu haben, doch
später bekam ich schiß die Soldaten könnten meinen Rucksack
durchsuchen und Ihn finden, und so entschied ich mich doch die
Wahrheit zu sagen. Die meiste Zeit verbaten sie uns, zu reden und
Franz war kurz davor in Ohnmacht zu fallen, da er mit seiner
Erkältung Schwierigkeiten hatte, richtig durch das T-Shirt zu atmen.
Nur Allen, der keinen Paß bei sich hatte blieb
verschont [er wurde freigelassen, H.]. Tom, Franz und ich wurden
gefesselt und in einer dichten Rauchwolke in die Trucks geschubst,
wobei sie Franz und mich in dem Arsch traten. Nach einem kurzen
Umstieg in einen anderen Truck (die Augen hatten sie uns natürlich
schon im ersten Truck wieder verbunden) ging’s ab zum Militärcamp.
Dieses Mal hatten sie mir meine Bandana so fest um die Augen
gebunden, daß ich diese schließen mußte. Als wir ankamen, stiegen
alle aus und nur ich wurde sitzen gelassen. Ich hörte wie sie ihre
Gewehre mehrmals durchluden, und als ich dann auch aus dem Truck
geholt wurde standen wir 3 in einer Linie. Da bekam ich das erste
Mal so richtig Schiß, und als wir dann minutenlang blind über Steine
und Dreckboden laufen mußten, dachte ich sie würden uns irgendwo in
die Berge führen und vielleicht erschießen. Zum ersten Mal vergaß
ich meinen Status des Internationalen, der mich vor so einer Scheiße
beschützt.
Nachdem sie uns auf Steinen sitzen ließen fragte
mich Tom, ob ich irgend etwas sehen kann und als ich das verneinte
gab er mir die erlösende Antwort, daß wir in einem Militärcamp
sitzen würden. Immer wieder versuchten wir eine Konversation
aufbauen, um dieser beschissenen Lage etwas Menschlichkeit zu geben.
Die Fragen was wir überhaupt in Nablus zu tun hatten, wiesen wir
meistens zurück, doch nicht immer konnte ich meine große Klappe
halten und so fand ich mich mal wieder in der Beschuldigung des
Holocaust konfrontiert, die ich energisch zurückwies.
Nach langer Bettelei und einem kurzen, erlösenden
Ausflug auf der Toilette (endlich wurden mir für kurze Zeit die
schmerzenden Handfesseln und das Augentuch - mittlerweile hatten sie
mein Bandana gegen dies ausgetauscht, was ich für sehr vorteilhaft
fand, da ich nun wenigstens Silhouetten wahrnehmen konnte -
abgenommen) wurden unsere Hände vorne zusammen geschnürt, und so
konnten wir nach Stunden wieder eine qualmen und mußten auch nicht
mehr mit Wasser gefüttert werden. Ich hätte gern die
Gesichtausdrücke der Soldaten gesehen, als Tom uns einige Witze
erzählte und Franz und ich uns mit den langen Enden der Kabelbinder
[werden als Handfesseln benutzt, H.] einen kleinen Fight gaben und
endlich mal wieder lachen konnten. Als endlich um ca. 23 Uhr die
Polizei auftauchte (mit dem Erscheinen hatte keiner von uns mehr so
richtig gerechnet), wurden uns endlich die schmerzenden Kabelbinder
und Augenbinden abgenommen und wir konnten endlich die stundenlange
Sitzerei auf den unbequemen Steinen oder Knieerei auf dem
Schotterboden beenden.
Zum erstenmal konnte ich den Soldaten in die Augen
schauen und mußte feststellen, daß eigentlich alle in unserem Alter
waren. Während unsrer Tortur machte einer der Perversen sogar ein
Foto von unserer Lage und sagten uns, als sie uns mal wieder
verbaten eine zu rauchen, daß das unsere Strafe für unsere
Anwesenheit in Balata sei. Als wir dann endlich um ca. 24 Uhr auf
der Ariel [eine große Siedlung in der Westbank, H.] Polizeiwache
ankamen, mußten wir uns noch einem stundenlangen Verhör unterziehen
(abwechselnd, so hatte jeder kurze Pausen zwischen den einzelnen
Stationen). Natürlich war uns auch dort verboten untereinander zu
kommunizieren, und sogar unser Telefonatgespräch wurde uns
verweigert. Und immer die bescheuerten Fragen, ob wir uns im klaren
darüber seien, daß wir das Leben der Soldaten gefährdet hätten, und
daß doch fast jeder Palästinenser ein Terrorist sei.
Ich weigerte mich, Angaben über meine Familie zu
machen und unterschrieb nicht mal meine Aussage. Um ca. 2.45 Uhr
durfte ich mich noch einer letzten Körperkontrolle unterziehen und
natürlich auch mein Gepäck wurde fast vollständig beschlagnahmt.
Schließlich fanden Wir 3 uns in einer Zelle wieder, wo wir noch kurz
über die heutigen Geschehnisse plauderten, bevor ich meine erste
Nacht in einem Knast verbrachte.
Früh morgens wurden wir zum Frühstück geweckt und
anschließend nach Tel Aviv ins Deportierungszentrum gebracht (7
Uhr). Nach einer langen Wartezeit bei der uns mal wieder verboten
wurde unseren Anwalt einzuschalten, konnten wir dann letztlich doch
unser Telefonat führen (nach mittlerweile ca. 19 Stunden Haft) und
schließlich wurden wir um ca. 12 Uhr wieder, fast ohne Bedingungen
(wir dürfen uns nicht mehr in closed military zones aufhalten, was
ja als Bedingung völliger Quatsch ist[weil es ohnehin verboten ist,
H.]) wieder freigelassen.
Tja das war meine Story der letzten beiden Tage. Macht euch keine
Sorgen, mir geht es wirklich gut und die letzten Tage meines
Erfahrungsreichen Palästinaaufenthalt werde ich nur noch chillend
verbringen.
Liebe Grüße,
der Entlassene
ISM Media Office (Englisch):
00972-2-277-4602 oder 0097-547-358-579
www.palsolidarity.org
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ISM (International Solidarity Movement) ist
einer Bewegung palästinensischer, internationaler und israelischer
Friedens- und Menschenrechtsaktivistinnen, die mit gewaltfreien
Mitteln für ein Ende der israelischen Besatzung arbeiten und sich
für einen gerechten Frieden in ISrael und Palästina einsetzen.
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