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Israelisches
Textbuch 'schlecht für Araber, schlecht für Juden'
Das
aktuelle Textbuch beschreibt Araber als Immigranten im eigenen Land
Jonathan
Cook - 10.03.2016
Führende Persönlichkeiten der großen palästinensischen Minderheit in
Israel haben begonnen an einem alternativen Lehrplan für arabische
Schulen zu arbeiten, was sie als einen "revolutionären" Schritt zur
Unterrichtsautonomie bezeichnen.
Es ist
das erste Mal in der Geschichte Israels, dass die palästinensische
Minderheit versucht hat, die Kontrolle über das Curriculum des
israelischen Unterrichtsministeriums zu erringen, das an arabischen
Schulen gelehrt wird.
Dieser
Schritt ist eine Reaktion auf die Entscheidung des israelischen
Unterrichtsministeriums das Textbuch für Staatsbürgerkunde zu
revidieren, das einen zentralen Bestandteil des Matrikulationsexamens
darstellt.
Traditionell ist Staatsbürgerkunde das einzige Fach, in dem das selbe
Textbuch für jüdische und arabische Schulen benützt wird.
Die
Änderungen haben eine Protestwelle von israelischen Verbänden der
Staatsbürgerkundelehrer ausgelöst. Sie haben ihre Mitglieder gedrängt,
das neue Textbuch zu boykottieren, das in wenigen Wochen herausgegeben
werden soll.
Der
Schritt wird wahrscheinlich auf hartnäckigen Widerstand der israelischen
Beamten stoßen. Aufeinanderfolgende Regierungen haben eine Förderung der
Lehrautonomie für die palästinensischen Bürger Israels abgelehnt.
Die 1,6
Millionen israelischen Palästinenser sind ein Fünftel der Bevölkerung.
Beamte
des Unterricht(sministeriums) wurden beschuldigt, demokratische Werte
niedriger einzustufen, um den jüdischen Charakter stärker zu betonen.
Mohammes Barakeh, Chef des High Follow-up Committees, einer Koalition
der größten politischen palästinensischen Fraktionen in Israel, sagte
gegenüber Al-Jazeera, er habe die Entscheidung, den Lehrern an
arabischen Schulen einen alternativen Staatsbürgerkundekurs zu geben,
gut geheißen.
Er
sagte, das neue Textbuch des Ministeriums habe das arabische
Unterrichtssystem auf einen "kritischen Punkt" getrieben.
"Unsere
Lehrer sind jetzt gezwungen, uns als Einwanderer in unserem eigenen Land
darzustellen. Und unseren Schülern wird beigebracht, dass die jüdische
Identität des Staates weit wichtiger sei als seine demokratische," sagte
er. "Es ist für uns an der Zeit, die Initiative zu ergreifen und unsere
Kinder die wahre Bedeutung der demokratischen Werte zu lehren."
Auch
wenn die palästinensischen und jüdischen Schüler in Israel getrennt
sind, ist das Curriculum für arabische Schulen immer streng von
jüdischen Beamten kontrolliert worden, sagte Asad Ghanem,
Politikprofessor an der Universität von Haifa gegenüber Al-Jazeera.
Das
Follow-up Committee hat Ghanem die Verantwortung für die Kontrolle der
Entwicklung eines alternativen Curriculums für Staatsbürgerkunde
übertragen, das für das nächste Schuljahr im September fertig sein soll.
Die
palästinensische Führung in Israel ist zunehmend besorgt über die
Richtung, die das Unterrichtssystem seit Naftali Bennet genommen hat,
einem Führer der weit rechts stehenden Siedler-Partei Jüdisches Heim,
der das Unterrichtsministerium im letzten Frühjahr übernommen hat.
Dirasat,
ein Thinktank für Recht und Sozialpolitik mit Sitz in Nazareth, wird das
Schreiben des neuen Curriculums, das an die arabischen Schulen geschickt
werden soll, übernehmen. Die Direktorin Dalia Halabi sagte, eine
Kontrolle des bestehenden Curriculums durch Dirasat und ACRI, eine
israelische Zivilrechtsorganisation, habe festgestellt, dass es
zunehmend rechtslastig und nationalistisch geworden sei.
"Es
ermutigt die Schüler nicht kritisch zu denken und zu fragen", sagte sie
gegenüber Al-Jazeera. "Es zielt auf Indoktrination." Ghanem sagte, die
Kontrolle über Staatsbürgerkunde sei sehr wichtig, da es die Werte für
die nächste Generation bestimme.
"Seit (Bejamin)
Netanyahu 2009 an die Macht kam, haben sich die israelischen Bemühungen
intensiviert, die Position der palästinensischen Minderheit in jedem
Bereich zu delegitimieren – Politik, Bildung und Kultur", sagte er.
Das vom
Follow-up Committee erarbeitete Textbuch möchte die Sichtweisen der
palästinensischen Minderheit über größere historische und politische
Themen darstellen, die vom israelischen Curriculum immer ausgeschlossen
worden sind, sagte Ghanem.
Dort
würde über die Nakba diskutiert, die Massenenteignung von Palästinensern
während dem Krieg von 1948, in dessen Zug Israel gegründet wurde, sowie
eine kritische Analyse der Definition von Israel als jüdischem Staat.
"Im
Augenblick bezieht sich das Curriculum auf uns eher in den Begriffen
unserer konfessionellen Identitäten – als Muslime, Christen, Drusen –
als über die Anerkennung unserer palästinensischen Identität", sagte er.
"Das muss sich ändern." Er sagte, er hoffe, dass andere Teile des
Curriculums des Ministeriums, besonders in den Fächern Geschichte und
Religion, in der Zukunft auch neu geschrieben würden.
Das
Follow-up Committee beabsichtigt außerdem, das neue
Staatsbürgerkunde-Material für Eltern online zugänglich zu machen.
Halabi
sagte, manche Lehrer hätten "große Angst" vor Racheakten durch das
Unterrichtsministerium, wenn sie das alternative Curriculum übernähmen.
"Wir können sie nicht allein an die Front stellen", sagte sie. "Wir
müssen sie unterstützen."
Ghanem
sagte, der Bruch mit dem offiziellen Curriculum sei unvermeidlich
geworden, nachdem die Arbeit des Unterrichtsministerium am neuen
Staatsbürgerkunde-Textbuch – das seit 2000 nicht aktualisiert worden ist
– unter Bennet rasch beschleunigt wurde.
Beamte
des israelischen Unterrichtsministeriums haben zugegeben, dass kein
Mitglied der palästinensischen Minderheit bei der Ausarbeitung des
Textes einbezogen wurde. Ghanem sagte, er sei vor zwei Jahren, vor der
Amtszeit von Bennet, wegen seiner Kommentare zu einem frühen Konzept
kontaktiert worden und habe es scharf kritisiert. (Daraufhin) habe er
nichts mehr vom Ministerium gehört.
"Es ist
einfach undemokratisch, dass kein einziger arabischer Vertreter am
Schreiben des Buches beteiligt worden ist, wenn es um so sensible Themen
geht", sagte er und fügte hinzu: "Das Buch ist nicht nur schlecht für
arabische Schüler, es vermittelt Werte, die auch für jüdische Schüler
schlecht sind."
"Es
lehrt sie nur die formalen Aspekte der Demokratie – Wahlen,
Mehrheitsprinzip, Gewaltenteilung – und leugnet ihre substantive
Bedeutung: Gleichheit vor dem Recht und Minderheitenrechte.
Amru
Aghbaria, der einzige Palästinenser im Fachausschuss des Ministeriums,
der zum Staatsbürgerkunde-Curriculum eine beratende Funktion hatte, ist
vergangenen Dezember zurückgetreten. In seinem Rücktrittsschreiben sagte
er, er sei "als Feigenblatt für einen unsauberen Prozess" benützt
worden.
Er bemerkte auch, die neuen Regierungsmitglieder für 2014 hätten
angegeben, dass die Hälfte der palästinensischen Schüler beim
Staatsbürgerkunde- Examen durchgefallen seien, während es zwei Jahre
zuvor 37% gewesen seien. Die Durchfallquote bei jüdischen Schülern habe
nur 21% betragen. Ghanem sagte, die große Zahl der im Examen
durchgefallenen Schüler spiegle die Schwierigkeiten für palästinensische
Schüler mit dem existierenden Curriculum wider.
"Traurigerweise hören sie nicht auf, weil wir ein alternatives Textbuch
erarbeiten. Wir können unsere Schüler in demokratischen Werten
unterrichten, aber sie müssen noch versuchen das Examen nach Maßgabe des
Plans des Unterrichtsministeriums zu bestehen."
Palästinensische Führer haben lange die massiv diskriminierenden Budgets
und das Fehlen von tausenden Klassenräumen und Lehrern bei
(gleichzeitiger) Begünstigung der jüdischen Schulen beklagt.
In der
Folge haben palästinensische Schüler im Durchschnitt viel schlechtere
Prüfungsergebnisse als gleichaltrige Juden; der Abstand wächst jedes
Jahr.
Die
Ängste, dass sich die Situation mit der Einführung des neuen
Staatsbürgerkurses des Ministeriums verschlechtern werde, haben sich im
Januar, als Bennet die Änderungen verteidigte, vergrößert. "Schämen wir
uns der Tatsache, dass der Staat Israel ein jüdischer Staat ist?", hat
er im Armee-Radio gesagt.
Letzten
Monat soll er den wichtigsten Wissenschaftler des Ministeriums, Ami
Volansky, wegen seiner Bemühungen, Rassismus an israelischen Schulen
gegenüber ethnischen Minderheiten zu bearbeiten (zu bewältigen)
entlassen. Es war (ihm) um eine Reaktion auf den Mord an dem
palätinensischen Jugendlichen Mohammd Abu Khdeir durch israelische
Jugendliche im Juli 2014 gegangen.
Obwohl
das Ministerium das neue Textbuch für Staatsbürgerkunde unter größter
Geheimhaltung erarbeitete, beanstandeten leitende jüdische Pädagogen,
die den endgültigen Text gesehen haben, es sei von faktischen
Ungenauigkeiten durchlöchert s, mache die palästinensische Minderheit
schlecht und berücksichtige demokratische Werte nicht.
Avital
Aviram, die vor kurzem verlangte, dass ihr Name aus dem endgültigen
Textbuch entfernt würde, sagte gegenüber Al-Jazeera, sie sei "sehr
unglücklich" über die Änderungen, die an ihrem Kapitel vorgenommen
worden seien.
Dazu
hätte eine "hoch irreführende" Bemerkung eines palästinensischen
Knesset-mitglieds 1949 gehört, der die israelische Demokratie gelobt
hätte. Sie wies darauf hin, dass die palästinensische Minderheit damals
unter Militärherrschaft gelebt habe und ein solches Zitat nicht die
öffentliche Meinung eines Großteils der Bevölkerung widerspiegle. Sie
sagte: "Man verweigert uns das Recht, das vervollständigte Textbuch zu
sehen. Wenn es ausgewogen und fair wäre, wozu dann all diese
Geheimhaltung?"
Das
Unterrichtsministerium war für eine Stellungsnahme nicht erreichbar.
Seit
Bennet das Unterrichtsministerium übernommen hat, gibt es dort
Kontroversen. Ein Roman über eine Romanze zwischen einem Juden und einer
Palästinenserin wurde von den Schulen verbannt, weil es zu Mischehen
animiere.
Gelder
für Bildungs-"Pluralismus" wurden eingefroren, und links gerichteten
Gruppen wie Breaking the Silence wurde das Betreten von Schulen
untersagt.
Vergangenen Monat traten sechs Mitglieder des Rates für Höhere Bildung
zurück und beschuldigten Bennet, bei der Besetzung von Posten seine
Macht zu mißbrauchen. Etwa 1.500 Akademiker haben geäußert, dass sie
kein Vertrauen zu Bennet hätten.
Quelle:
www.aljazeera.com/news/2016/03/israeli-textbook-bad-arabs-bad-jews-160308091457575.html
Übersetzung: K. Nebauer |