Die schrecklichen Erlebnisse einer
palästinensischen Knesseth-Abgeordneten auf Hilfsschiff
Jonathan
Cook
02/06/2010
Nazareth – Ein palästinensisches Mitglied der israelischen Parlaments,
das an Bord der internationalen Flotte war, die am Montag angegriffen
worden ist, als es versucht hat, humanitäre Hilfe nach Gaza zu bringen,
beschuldigte Israel gestern, die Friedensaktivisten absichtlich getötet
zu haben, um dadurch zukünftige Hilfskonvois zu verhindern.
Haneen Zoubi sagte, israelische Kriegsschiffe hätten das Flaggschiff der
Flotte, die Mavi Marmara umzingelt und hätten es schon ein paar
Minuten, bevor Soldaten sich vom Helikopter, der direkt über ihnen
stand, abseilten, beschossen.
Eingeschüchterte Passagiere wurden von Deck gedrängt, indem sie mit
Wasser bespritzt wurden. Sie sagte, sie sah keinerlei Provokation oder
Widerstand von Seiten der Passagiere, die alle unbewaffnet waren.
Sie fügte hinzu, dass innerhalb weniger Minuten, nachdem der Überfall
begonnen hatte, drei Leichen durch den Hauptraum auf dem Oberdeck
gebracht wurden, in den sie und die meisten anderen Passagiere
eingesperrt worden waren. Zwei hatten Schusswunden am Kopf, was für sie
nach Exekutionen ausgesehen habe.
Zwei weitere Passagiere verbluteten langsam in diesem Raum, nachdem
israelische Soldaten hebräische Botschaften, die die Passagiere ans
Fenster gehalten hatten, ignoriert hatten, mit denen sie um medizinische
Hilfe baten, um die Verwundeten retten zu können. Sie sagte, dass sie
sieben weitere schwer verwundete Passagiere gesehen habe.
“Israel hatte viele Tage Zeit, um diese Militäroperation zu planen,”
sagte sie in einer Pressekonferenz in Nazareth. “Sie wollten viele Tote,
um uns einzuschüchtern und um eine Botschaft zu senden, dass in Zukunft
keine Hilfskonvois versuchen sollten, die Belagerung von Gaza zu
durchbrechen.”
Nachdem sie gestern früh von der Polizei, offensichtlich wegen ihrer
parlamentarischen Immunität, freigelassen worden war, sagte sie, dass
sie nun spreche, während die meisten der Hunderte der Friedensaktivisten
entweder durch Israel auf die Deportation vorbereitet würden oder
anderweitig in Haft seien.
Drei weitere Führungsfiguren von Israels großer palästinensischen
Minderheit, unter anderem Scheich Raed Salah, ein geistiger Führer,
wurden verhaftet, als ihre Schiffe im Hafen von Ashdod anlegten.
Anwälte sagten, dass sie, gemäß israelischem Gesetz, bis zu 30 Tage
ohne Anklage festgehalten und befragt werden könnten.
Zoubi sagte, im Gegensatz zu den israelischen Behauptungen, dass bei
einer Durchsuchung durch die Soldaten, nachdem sie das Schiff in ihre
Kontrolle gebracht hatten, keine Gewehre oder anderweitige Waffen
gefunden worden seien.
Es sei unerlässlich, fügte sie hinzu, dass die Welt eine unabhängige
UN-Untersuchung der Geschehnisse fordern müsse, anstatt Israel zu
erlauben, sich durch eine eigene Militäruntersuchung “reinzuwaschen”.
Zoubi sprach, während Palästinenser in Israel und in den besetzten
Gebieten einen von den politischen Führungspersönlichkeiten initiierten
Generalstreik abhielten. Eine Stellungnahme des politischen Komitees der
palästinensischen Israelis, beschrieb den Überfall auf die Flotte als
„Staats-finanzierten Terrorismus“.
Demonstrationen und Protestmärsche in den meisten der größeren
palästinensischen Städte und Dörfer in Israel verliefen friedlich.
Lokale Analysten beschrieben die Stimmung als wütend aber zurückhaltend,
nicht zuletzt wegen des offen feindseligen Klimas, das sich seit der
Niederschlagung ihrer Proteste während des israelischen Angriffs auf
Gaza vor 18 Monaten, gegen die palästinensische Minderheit entwickelt
hat.
Die Polizei wurde in Alarmbereitschaft versetzt, und Tausende
zusätzliche Polizisten in den Norden, wo die meisten palästinensischen
Einwohner leben, verlegt.
Schon vor
dem Angriff auf die Flotte, war die palästinensische Minderheit, die ein
Fünftel der israelischen Bevölkerung ausmacht, wegen der Teilnahme ihrer
politischen Führungsfiguren am Hilfskonvoi, angegriffen worden. Als die
Schiffe in See stachen, fragte Ynet, Israels meist gelesene
Nachrichten-Internetseite, ob Zoubi eine “Parlamentsabgeordnete im
Dienst der Hamas” sei.
Konfrontiert mit den schweren diplomatischen Konsequenzen, die durch die
Tötung der Friedensaktivisten ausgelöst worden ist, warnten die
politischen Führer der palästinensischen Israelis davor, dass sie
vermutlich in den nächsten Tagen noch weitaus stärkerer Kritik
ausgesetzt sein würden.
Gestern begannen die recht gerichteten Parteien ihre ersten Angriffe auf
Zoubi, indem sie die Aufhebung ihrer Immunität und ihren Ausschluss aus
dem Parlament forderten. Danny Danon, ein Mitglied von Benjamin
Netanyahus Likud-Partei, forderte ihre „Verurteilung wegen Verrats“.
In ihrer Stellungnahme zum Angriff sagte Zoubi, sie habe um 4 Uhr
morgens mindestens 14 israelische Boote gesehen, die ihr Schiff 130
Kilometer von der Küste entfernt, in internationalen Gewässern,
umzingelt hätten.
Sie sagte, die Passagiere seien von Angst ergriffen gewesen als sie den
Lärm hörten und das Chaos sahen, das entstand, als sich das
Spezialkommando auf das Schiffsdeck abseilte. „Ich habe nicht geglaubt,
dass wir noch länger als fünf Minuten zu leben hätten,” sagte sie.
Taleb As-Sana, ein weiterer palästinensischer Knesseth-Abgeordneter,
unterstützte Zoubis Aussage, dass die israelischen Behauptungen, die
Soldaten hätten nur auf die Beine der Passagiere geschossen, falsch
seien. „Ich habe die Verwundeten im Krankenhaus besucht und sie hatten
alle Schusswunden am Kopf und am Körper,” sagte er.
Adalah, ein Rechtszentrum für Israels arabische Minderheit, sagte, dass
gestern neun Anwälten beschränkten Zugang zu den Hunderten von
Zivilisten hatten, die in Beerscheba gefangen gehalten werden und dass
sie versucht hätten, Zeugenaussagen “unter sehr schwierigen Umständen “
zu sammeln.
Adalahs Anwälte und Menschenrechtsgruppen versuchten außerdem
herauszufinden, wer verletzt worden sei und wo sie behandelt würden.
“Unsere Sicht der Dinge ist, dass Israel absichtlich versucht, diese
Arbeit zu behindern, um einen Informations-Blackout durchzusetzen”,
sagte Gaby Rubin, eine Sprecherin von Adalah.
Jonathan Cook
ist Schriftsteller und Journalist und lebt in Nazareth, Israel.
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