Akko oder Alltag der
Trennungspolitik
Grenzen in Palästina & Israel (5)
10.12.2008
Wir sitzen in
meinem Lieblingscafé hoch auf den
Altstadtmauern, die Sonne scheint
über dem malerischen alten Hafen,
das Mittelmeer ein Dutzend Meter
unter uns. Akko, arabisch Akka, ist
eine Perle am Mittelmeer. Könnte
eine recht schmucke Perle sein, wenn
dieses UNESCO-Welterbe angemessen
gepflegt wäre. Klar umrissen durch
bis zu zwanzig Meter dicke Gemäuer
und Erdwälle, die auch Napoleon
trotz 61-tägiger Belagerung nicht
überwinden konnte, wimmelt es in der
von israelischen Arabern bewohnten
Altstadt von Ratten, die Straßen
sind schmutzig, die Beleuchtung ist
schlecht.
In den
Altstadtgassen hinter uns tummeln
sich Männer und Frauen, die Hände
voller Tüten mit den Einkäufen für
das nahende Wochenende. Ein
Donnerstag wie jeder Donnerstag.
Doch die Ruhe täuscht. Seit Yom
Kippur ist alles anders. Der Araber
Jamal Taufik fuhr mit seinem Auto
und laut aufgedrehter Musik am
höchsten jüdischen Feiertag in einen
vorwiegend jüdischen
Plattenbaubezirk und hatte damit
Ausschreitungen ausgelöst. Etwa
tausend jüdische Einwohner haben
sich zusammengerottet. Mit Slogans
wie "Araber raus" verschafften sie
sich Zugang in die Wohnungen der
wenigen arabischen Familien, die im
Bezirk leben, und setzten diese in
Brand. Die Bewohner haben gerade
rechtzeitig ihre Wohnungen verlassen
können. Bis heute, einen Monat
später, können die arabischen
Familien nicht in ihre Häuser zurück
und wohnen in einem Hotel.
Die friedliche
Koexistenz von Juden und Arabern in
den wenigen gemischten Städten
Israels sei schon immer eine
Schimäre gewesen, sagt Aida
Touma-Suliman, Leiterin der "Frauen
gegen Gewalt", die sich für die
Rechte der arabischen Frauen in
Israels einsetzt. Es bedurfte nur
einer Einzeltat, um die Illusion
platzen zu lassen: "Wir leben nur
nebeneinander, in Akko, Jaffa, Haifa
oder Beer Sheva." Ihr Ehemann sitzt
jeden Tag in einem jüdischen Café.
Neulich luden ihn Stammgäste auf
eine jüdische Hochzeit ein. Sie
waren die einzigen Araber dort. Die
anderen Gäste schauten erstaunt, die
Gastgeber behandelten sie mit
besonderer Vorsicht. Wie seltene
Ehrengäste kamen sie sich vor. Dabei
leben sie nebeneinander seit nunmehr
sechzig Jahren in einer Kleinstadt
mit nicht einmal 50.000 Einwohnern,
ein Drittel von ihnen arabische
Israelis, oder, wie sie sich
manchmal nennen, israelische
Palästinenser.
In
den letzten Jahren wurde auch das
Nebeneinander empfindlich gestört.
Akko war zwar vor der Staatsgründung
vielleicht die wichtigste Stadt
zwischen Jaffa und Beirut, doch
Haifa, die Stadt an der anderen
Seite der Bucht, wurde von Israel
auserkoren, die Hauptstadt des
Nordens zu werden. Im Gegensatz zu
700.000 anderen Palästinensern wurde
die Bevölkerung hier weder
vertrieben noch flüchtete sie
während des Kriegs 1948. Doch Akko
verkam. Nur sozial schwache jüdische
Bevölkerung siedelte sich hier an.
In den letzten Jahren zogen viele
Juden, die es sich leisten konnten,
aus der Stadt aus. Um jüdische
Mittelschicht anzuziehen, beschloss
die Stadtverwaltung, die kommunalen
Steuern zu senken. Vergebens. Akko
ist eine wirtschaftlich tote Stadt,
jahrzehntelange Vernachlässigung
sind nicht durch Steuersenkungen
allein wiedergutzumachen. Dafür
ziehen aber immer mehr arabische
Familien aus den umgebenden Dörfern
in die Stadt. Fernab ihrer
Großfamilien fühlen sie sich in der
Stadt freier und zahlen darüber
hinaus geringere Steuern. Die
Altstadt ist ihnen zu
heruntergekommen, zu eng, und so
zogen einige von ihnen in die von
Juden bewohnten Neubaubezirke.
Bild oben: Ein arabisches Paar in
seiner abgebrannten Wohnung nach den
Ausschreitungen jüdischer Einwohner
gegen ihre arabischen Nachbarn
Umgekehrt hat der
Staat das Potenzial der Immobilien
in der Altstadt erkannt – mit ihren
malerischen Gassen und historischen
Bauten. Da es nicht ortsüblich war,
Besitz ins Grundbuch einzutragen und
Israel ein Gesetz erließ, wonach
Palästinenser, die das Land 1948
verlassen haben, ihr Anrecht auf
Eigentum verlieren, gehören die
meisten Häuser der staatlichen
Baugesellschaft. Die arabischen
Bewohner zahlen ein "Schlüsselgeld".
Ihnen gehört damit ein Drittel des
Hauses, und die Bewohner zahlen eine
niedrige Miete und sind unkündbar.
Doch jetzt renoviert die
Baugesellschaft die Häuser sehr
aufwändig, ohne dass die Bewohner
über die Höhe der Kosten
mitentscheiden können. Viele sind
daher nicht in der Lage, ihren
Pflichtteil an der Renovierung zu
zahlen. Schließlich schulden sie für
Renovierung und anfallende Zinsen
für nicht eingehaltene Zahlungsziele
mehr, als ihr Anteil an dem Anwesen
wert ist. Können sie nicht zahlen,
müssen sie ausziehen – mit Verlust.
Frei werdende
Wohnungen werden dann fernab der
arabischen Öffentlichkeit in der
hebräischen Presse zum Verkauf
angeboten zu Preisen, die
Einheimische nicht zahlen können,
und werden entweder von
wohlhabenden, oft im Ausland
lebenden Juden gekauft oder
verbleiben im Staatsbesitz. Nun
möchten jüdische Israelis aus der
Region nicht in die schmutzige und
von Arabern bewohnte Altstadt
einziehen. Deshalb hat die
Stadtverwaltung zwei religiöse
Siedlertalmudhochschulen (Hebräisch:
Jeschiwa, pl. Jeschiwot) in die
Stadt geholt, die bei der
Kaderbildung der rechtsradikalen
Siedlerbewegung eine herausragende
Rolle spielen. Diese religiösen
Studenten sind bereit, in die
Altstadt zu ziehen, um sich an der
Judaisierung (siehe Anmerkung 1
unten) von Akko zu beteiligen. Kein
Teil von Israel soll in arabischer
beziehungsweise palästinensischer
Hand bleiben, geschweige denn eine
so bedeutende Stadt wie Akko. In der
Stadt laufen sie herum wie in den
besetzten Gebieten: bewaffnet, für
alle sichtbar.
Auch Akkos
Bürgermeister zieht die
Judaisierungskarte. Seit den Unruhen
kommen täglich mehrere Busladungen
mit religiösen Juden, die bis in die
Nacht durch die Altstadt
marschieren, tanzen und singen, um
ihrem Anspruch auf sie Ausdruck zu
verleihen. Statt die in Wirklichkeit
schichtspezifischen Probleme
anzugehen, kann der Bürgermeister
damit kurz vor den Wahlen seine
Unfähigkeit, der Stadt neue
Perspektiven zu öffnen, überdecken.
Kampf an zwei Fronten
In einem
arabischen Dorf nahe Akko besuche
ich mit Aida das Frauenhaus der
Frauen gegen Gewalt, das wir von
medico international unterstützen.
Hier finden arabische Israelinnen,
die innerfamiliären
Gewaltverhältnissen entfliehen, eine
vorübergehende Bleibe. Für sich, für
ihre Kinder. Hier können sie
anfangen, ein neues Leben
aufzubauen. Geschützt. Unterstützt
von Sozialarbeiterinnen und
Psychologinnen.
Aida
kämpft an zwei Fronten: Auf der
einen Seite gegen die Vormacht der
Männer innerhalb der arabischen
Minderheit in Israel, auf der
anderen gegen die Ausgrenzung der
arabischen Minderheit durch die
jüdische Mehrheit. Manche sehen
darin einen Widerspruch. Der
Feminismus würde nicht nur arabische
Traditionen verletzen, sondern den
Zusammenhalt unter den Arabern
schwächen. Sie erwidert, beide
Kämpfe seien miteinander verzahnt:
Starke Frauen seien nur förderlich
für einen erfolgreichen Kampf der
arabischen Minderheit um
Gleichberechtigung. Und umgekehrt:
Der Kampf gegen ethnische
Ausgrenzung bedeutet auch, für
Frauenrechte zu kämpfen, da die
ethnische Ausgrenzung reaktionäre
Kräfte innerhalb der arabischen
Minderheit stärkt und vor allem die
Schwachen in der Gesellschaft
trifft.
Bild oben:
Ausschreitungen in Akka / Akko
- Fotos:
ActiveStills - Photographen für
soziale Veränderung
Die Verzahnung
beider Kämpfe erleben die Frauen
gegen Gewalt tagtäglich: Die
israelische Administration lässt
bewusst kein urbanes arabisches
Zentrum in Israel oder eine
arabische Universität entstehen.
Dadurch werden tradierte
Dorfstrukturen durch den Staat
zementiert. Frauen aus
innerfamiliären Gewaltverhältnissen
lassen sich in solche Strukturen, in
denen die (erweiterte) Familie die
soziale Institution darstellt, nur
schwer integrieren, wenn sie ihre
Ehemänner einmal verlassen haben.
Eine Studie der Frauen gegen Gewalt
weist nach, dass nicht die
tradierten Geschlechterrollen,
sondern die sozioökonomischen Folgen
der ethnischen Ausgrenzung, darunter
die fehlende urbane Mitte, dazu
führen, dass arabische Frauen
regelrecht in die Küche
zurückgedrängt werden.²
Kampf für zwei Staaten oder für
Gleichberechtigung in einem?
Aida ist es
gewohnt, an zwei anderen Fronten
gleichzeitig zu kämpfen. Als
Mitglied der israelischen
kommunistischen Partei stand sie
schon immer hinter dem doppelten
Kampf für Frieden und Gleichheit.
Frieden steht für den Kampf für zwei
Staaten, in denen die Aspirationen
zweier Nationen ihren Ausdruck
finden; Gleichheit steht für den
Kampf um Gleichberechtigung
innerhalb von Israel. 1948, als
Israel gegründet wurde, hofften noch
viele Palästinenser darauf, Israel
verdrängen und sich mit ihren
Brüdern jenseits der israelischen
Grenze wiedervereinigen zu können.
Nicht so die kommunistische Partei,
die schnell zu der Stimme der
arabischen Israelis wurde, die ein
Fünftel der israelischen Bevölkerung
ausmacht, etwa 1,5 Millionen
Menschen. Sie trug maßgeblich dazu
bei, dass die arabische Minderheit
in Israel ihre Zukunft nicht etwa in
einem künftigen Palästinenserstaat,
ihr Heil nicht in panarabischen oder
panislamischen Lösungen suchte,
sondern als nationale Minderheit in
Israel.
Diese Vision
scheint in den letzten Jahren immer
weniger zu ziehen. Viele der
israelischen Araber haben die
Hoffnung auf eine gleichberechtigte
Zukunft in Israel verloren. Im
Oktober 2000 wurden 13 Araber bei
Demonstrationen im israelischen
Norden – dort leben die meisten
arabischen Israelis – von der
Polizei erschossen. Die Wunden sind
bis heute nicht geheilt, zumal eine
Bestrafung der Verantwortlichen auch
heute, acht Jahre später, noch nicht
erfolgt ist; zumal die jüdische
Bevölkerung auf die Demonstrationen
mit einem Boykott arabischer
Geschäfte und Restaurants
geantwortet hat.
Die Krise der
arabischen Israelis hat viel mit der
Trennungspolitik Israels zu tun.
Israels Mainstream hat verstanden,
dass er nicht das ganze Land, sprich
die besetzten Gebiete annektieren
kann. Dann müsste Israel nämlich so
viele Palästinenser absorbieren,
dass die jüdische Mehrheit in naher
Zukunft dahin wäre. Unter Ariel
Scharons Federführung wurde die
Trennungspolitik begonnen. Israel
beansprucht seither möglichst viel
palästinensisches Land mit möglichst
wenigen Palästinensern. Das Endziel
ist ein größtmögliches Israel mit
möglichst wenig Nichtjuden. Den
Palästinensern in den besetzten
Gebieten bleiben lediglich dicht
gedrängte, voneinander getrennte
Enklaven. Die Trennungspolitik in
den besetzten Gebieten hat wiederum
Rückwirkungen auf Israel selbst.
Auch hier setzt sich die
Trennungsidee durch, die arabische
Minderheit in Israel wird hierdurch
zu einem Fremdkörper, von dem es
sich zu trennen gilt. Der Traum von
Gleichberechtigung und Respektierung
nationaler Minderheiten passt hier
nicht mehr rein. Neulich wurde Aida
vom ANC nach Südafrika eingeladen.
Ihr sind während der Reise Zweifel
gekommen: "Wir stehen heute noch für
die Schaffung zweier
gleichberechtigter Staaten. Und wir,
die arabische Minderheit in Israel,
verstehen uns als fester Bestandteil
Israels. Die israelische
Administration arbeitet jedoch an
einer Einstaatenlösung mit Enklaven
für die Palästinenser. Ist der Kampf
für zwei Staaten durch die von der
israelischen Politik geschaffene
Realität nicht obsolet geworden?
Müssen wir nicht unsere Position
überdenken? Sollten wir etwa von dem
ANC lernen und – angesichts der
Trennungspolitik – nicht anfangen,
für Gleichberechtigung innerhalb
eines Staats zu kämpfen? Können und
sollen wir Palästinenser einem
Diskurs folgen, der auf den
nationalen palästinensischen
Anspruch auf Selbstbestimmung
verzichtet? Und stattdessen einen
Kampf für gleiche Rechte für alle
innerhalb eines Staats kämpfen?!"
Das wäre das Ende des Traums von
einem Palästinenserstaat neben
Israel, gleichzeitig das Ende des
Zionismus.
Aida zweifelt
auch an einer solchen Lösung:
"Eigentlich leben wir alle –
jüdische und arabische Israelis
sowie die Palästinenser in den
besetzten Gebieten – schon seit 41
Jahren, seit der Eroberung der
besetzten Gebiete, in einem Staat.
Von Gleichberechtigung keine Spur.
Werden sich die jüdischen Israelis
jemals auf 'one (wo)man, one vote'
einlassen?" Aida ist sich sicher,
die Mehrheit der Juden in Israel
würde nie auf den Zionismus
verzichten. Sprich: auf einen
jüdischen Staat: "Viel eher werden
sie auf das Attribut 'demokratisch'
verzichten. Eine Einstaatenlösung
liefe also auf eine Art Apartheid
hinaus." Keine schöne Aussicht.
1
Judaisierung (Hebräisch: Yihud) ist
ein im israelischen Diskurs positiv
besetzter Begriff zur Beschreibung
der fortwährenden Besiedlung des
Landes.
2
Zur Problematik arabischer
Akademikerinnen in Israel siehe
meinen Blogbeitrag vom 20. Januar
dieses Jahres "Arabische
Akademikerinnen auf dem israelischen
Arbeitsmarkt".
Zuerst erschienen
in der Kommune 6, 2008.
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