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Albträume in Jalazoun: Familien kämpfen mit Trauma nach israelischer Folter

Lauren Jappe/02.12.2015

 

Es ist eine große Versuchung, die Seite des Täters einzunehmen. Alles worum der Täter bittet ist, dass der Zuschauer nichts tut. Er appelliert an den universalen Wunsch nichts Böses zu sehen, zu hören und zu sprechen. Im Gegensatz dazu bittet das Opfer den Zuschauer die Last seiner Qual zu teilen.              Judith Lewis Herman, M.D. "Trauma and Recovery"

 

Um psychiatrische Hausbesuche in Palästina zu verstehen, muss man die westlichen Prämissen Vertraulichkeit, Verschwiegenheit und Zeitgebundenheit für den Patienten vergessen. Obwohl sich einzelne Patienten nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis oft selbst an Behandlungszentren wenden, erfordert die Schwierigkeit zu oder von größeren Städten zu fahren Hausbesuche von Therapeuten. Familien nehmen dann als Gruppe an der Sitzung teil, wodurch es zu einem besseren Verständnis der Situation ihrer Mitglieder kommt und auch das eine oder andere ihrer eigenen Symptome gemildert wird. Überall in Palästina lässt man Familien regelmäßig spüren, dass ihr Haus nicht sicher ist und sie keine Kontrolle darüber haben. Gewalt kann ohne Vorwarnung in eine friedliche Situation einbrechen; sich einer Festnahme zu widersetzen kann Gefahr für den Rest der Angehörigen herbeirufen. Eine vom Ramallah-Behandlungs- und Rehabilitationszentrum für Folteropfer (TRC) durchgeführte Studie untersucht Festnahmen als Trauma induzierende Ereignisse und erklärt, dass "92% der (untersuchten) Festnahmen zu Hause, und die meisten davon ... in der Zeit des Tiefschlafs nach Mitternacht geschehen. Das hat schwere emotionale und psychologische Schädigungen bei den Familien verursacht und die Folgen des emotionalen Leidens und des unmittelbaren Traumas verdoppelt" (The Impact of Detention on Palestinian Detainees' Families in Israeli Prisons", 2011).

Vor zwei Wochen hatte ich das unverhoffte Glück, das Team des TRC zu besuchen und zu Hausbesuchen bei Patienten zu begleiten. Gegründet von Dr. Mahmud Sehwail ist das TRC die führende Organisation auf dem Feld der Psychologie und der Untersuchung der Überlebenden von Folter im Westjordanland. Ihre Arbeit ist  weitgehend auf ehemalige Gefangene fokussiert, und darauf sie zu heilen und wieder in ihre Gesellschaft zu integrieren. Unter der Leitung von Dr. Rania, einer erfahrenen und nachdenklichen (aufmerksamen) Sozialarbeiterin, wurden wir auf dem Weg in das Flüchtlingslager Jalazoun über die Geschichte und die Symptome der Patienten informiert.

Zu meiner großen Überraschung freute sich die Familie, neben ihren regulären Therapeuten zwei Amerikaner zu sich einzuladen, um über die Gewalt zu sprechen, die sie erlebt hatten, und wir wurden mit Tee und Küssen begrüßt. Dr. Rania erklärte die Bedeutung eines solchen Besuches: Patienten haben die Kontrolle über ihre Umgebung und erzählen ihre Geschichte, wenn sie sich dazu bereit fühlen. Tee zu servieren und small talk zu machen ist ein einfacher Weg sich für die Diskussion und das neuerliche Durchleben traumatischer Ereignisse vorzubereiten.

Das Flüchtlingslager Jalazoun liegt an den Hängen der Peripherie von Ramallah. Die UNRWA versorgt Jalazoun spärlich, die meisten Familien dort stammen aus zentralen palästinensischen Dörfern, die 1948 ethnisch gesäubert wurden. Da es ein Zuhause für mehr als 11.000 Menschen auf 253 dunam (ca. 25 qkm) ist, ist der Platz extrem eng in Jalazoun. Das ganze Lage macht den Eindruck zusammengequetscht zu sein. Häuser werden auf Armeslänge (nebeneinander) gebaut; in dem Gebäude, das wir besuchten, wohnten in einer Zwei Zimmer-Wohnung neun Kinder und mindestens fünf Erwachsene.

Der 25-j.Ayman kam zu spät zur Sitzung, obwohl er der offizielle Patient war. Nach einigen geflüsterten Worten und viel Zureden erzählte er von seinen Erfahrungen: vor einigen Monaten war er von Soldaten der israelischen Armee während einer nächtlichen Razzia verhaftet, am ganzen Körper geschlagen und gemeinsam mit den übrigen Männern der Familie in ein israelisches Gefängnis verschleppt worden. Er war vor kurzem freigelassen worden, und jetzt kann er nicht schlafen, sich entspannen oder regelmäßig essen wegen der alles durchdringenden Angst, die Soldaten könnten wieder aufkreuzen, das Haus überfallen und ihn wieder festnehmen. Er hat sich angewöhnt den Großteil des Tages zu Hause zu verbringen und immer, wenn ihn der Schlaf übermannt, dahin zu dösen. Jetzt spricht er stockend über seine Albträume, die wie eine genaue Wiederholung dessen klangen, was wenige Monate zuvorgeschehen war: festgenommen worden zu sein wegen eines unbekannten Verbrechens, von Soldaten attackiert, in einem weit entfernten Gefängnis festgehalten worden zu sein, immer und immer wieder. 

Während unseres ganzen Meetings rauchte Ayman eine Zigarette nach der andern und fuhr sich alle paar Minuten mit der Hand durch sein Haar. Sein zusammen gekrümmter Körper strahlte Wellen von Stress aus. Es konnte scheinbar nicht aufhören zu den Türen und Fenstern zu schauen, und ich begann mir seine Geistersoldaten vorzustellen, wie sie in den Raum einbrechen. 

Judith Herman schreibt:
Traumatisierte Menschen leben das Geschehen von Neuem durch als geschehe es fortwährend in der Gegenwart. Es ist, als habe im Moment des Traumas die Zeit angehalten... (es) wird in einer abnormen Art von Erinnerung codiert (verschlüsselt), die spontan ins Bewußtsein einbricht, als Flashbacks während des Wachzustands oder als Albträume während des Schlafs... Trauma hält durch das wiederholte Einbrechen in das Leben des Überlebenden den Lauf einer normalen Entwicklung an (36).

Würde Ayman in einer anderen politischen Situation leben, könnte er fähig sein sich für den Rest seiner Lebens von der nächtlichen Festnahme loszulösen und das Geschehen in einem Raum durchzuarbeiten, wo er seiner Sicherheit gewiss sein könnte. Aber für einen Palästinenser in einem Flüchtlingslager, dessen Bewohner häufige Razzien, Schlägen und Festnahmen in einem weiteren Kontext von Besatzung und Kolonisierung ihres Stammlandes erleben, wird die Heilung (des Traumas) der Verhaftung schwierig sein. Ohne Anklage (Beschuldigung) neuerlich verhaftet zu werden, ist überhaupt nicht ungewöhnlich, und ist das schlimmste, was jemandem passieren kann, der schon durch seine erste Verhaftung traumatisiert ist. Dr. Rania erklärte uns mehrfach, dass der einzige Weg der Heilung von einem Trauma der ist, den Patienten aus der traumatisierenden Umgebung herauszunehmen, aber in Palästina "können wir das nicht machen". Hier müssen die Überlebenden ihr Trauma, ihre Angst und Furcht unter der Möglichkeit bearbeiten, dass alles in jedem Moment wieder geschehen kann.

Obwohl Trauma in Palästina alltäglich ist – Dr Sehwail schätzt, dass bei 25% der Patienten des TRC PTSD (Posttraumatisches Stress Syndrom) diagnostiziert wurde – ist es überall ein Stigma Psychotherapie zu suchen, sogar hier, unter solch schrecklichen Bedingungen bleibt die Angst als "verrückt" angesehen zu werden, bestehen. Aymans Eltern beschrieben etwas furchtsam die ständige Angst ihres Sohnes, die zeitweise sowohl seine Versuche eine Beschäftigung zu finden als auch ihre Bemühung ihn zu verheiraten vernichtet hat. Dr. Rania war darauf bedacht zu betonen, dass das, was Ayman passiert ist, nicht normal war, aber dass sein Gehirn normal auf das reagiert, was niemals hätte geschehen dürfen. Die Angst lebt in seinem Körper weiter und macht normale Aufgaben und tägliche Rituale zu fast unüberwindlichen Herausforderungen. Ayman erzählte seine ganze Geschichte fast murmelnd und hatte dabei seine Augen auf das zersplitterte Glas der Eingangstür fixiert.

Seine Eltern sprachen während der meisten Zeit unseres Meetings. Sein Vater erzählte uns, das er vor einigen Jahren in einem Porto Ricanischen Restaurant in New Jersey gearbeitet habe. Sein verschlissenes Englisch enthielt gelachtes Spanisch, und er versuchte zu lachen über die Unmöglichkeit jemals wieder eine Reisevisum zu bekommen und das Lager allein hinter sich zu lassen. Inzwischen erklärte seine Mutter ihre neue Taktik für Besucher zu ihrem Haus, um aggressive Soldaten abzuhalten oder wenigstens aufzuhalten: "Ich antworte an der Tür. Er (Ayman) bleibt, wo er ist. Ich gehe, niemand anderer." Ihr Reden war zusammenhanglos, abwechselnd heiter und ernst, sie sprang von einem Thema zum anderen ohne Übergang. Ich versuchte zu behalten und zu übersetzen und jedes neue Thema, so gut ich konnte, zu bearbeiten. Später, im Bus nach Ramallah, sollte Dr. Rania uns sagen: "Ihr könnt sehen, die ganze Familie ist traumatisiert. Sie verstehen das nicht, aber sie sind es."

Ayman und seine Familie haben Glück – für sie gibt es eine Behandlung. Regelmäßige Meetings mit dem Team von TRC wird ihnen helfen Strategien zu entwickeln mit ihrer Qual, ihrer Besorgnis und ihrer Angst fertig zu werden. Auch mit guter Beratung wird ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden nie garantiert sein, vor allem nicht in der maroden Infrastruktur des Flüchtlingslagers. Er (Ayman) ist einer von tausenden jungen Menschen, die durch das israelische Gefängnissystem gegangen sind, das dazu konzipiert ist, die Palästinenser zu schwächen und ihren Widerstand gegen die israelische Besatzung zu unterdrücken. Wir haben 2015, und es gibt jetzt mehrere Generationen (mit) Trauma in Palästina, überlagert, komplex und meist unbehandelt. Was wird der nächste Albtraum sein?

(Die Namen in diesem Artikel wurden geändert.)

Zitierte Arbeiten:
1)
                Herman, Juith Lewis: Trauma and Recovery. New York, NY: Basic 1992. Print
2)
                OCHA. Jalazone Refugee Camp Profile. Ochaopt.org. N.p., n.d.Web.
3)
                Sehwail Mahmud, Khader Rasras, Wisam Sehwail. The Impact of Detention on Palestinian Detainees' Families in Israeli Prisons "Secondary Victims of Torture, Pain and Suffering". Rep.N.p.Treatment and Rehabilitation Center for Victims of Torture, n.d. Print.

 Quelle: www.mondoweiss.net/2015/12/nightmares-families-following?utm_source=Mondoweiss+List&utm_campaign=821f0aeaf4-RSS_EMAIL_CAMPAIGN

Übersetzung: K. Nebauer

 

 

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