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Täglich neu - Nachrichten, Texte aus dem und über das besetzen Palästina - Information statt Propaganda

 Kurznachrichten  -  Archiv  - Themen  -  Links  -  15. März 2023   - Sponsern Sie  -  Aktuelle Termine  - Facebook  - Suchen

 


Seit gestern Abend heftige Regenfälle im Gazastreifen
Quelle

Um das Video zu sehen, auf das Bild klicken

Pink Floyd - Lied für Palästina


Mitgründer von Pink Floyd Roger Waters geht gerichtlich gegen geplante Absage von Auftritten in Deutschland vor

Die Stadt Frankfurt will ein Konzert von Ex-Pink-Floyd-Musiker Roger Waters verbieten – mit Verweis auf dessen »israelfeindliches Auftreten«. München plant Ähnliches. Nun wehrt sich der 79-Jährige juristisch.

Der Spiegel online - 15.03.2023

Der Streit um die Konzertreihe von Roger Waters in Deutschland bekommt ein gerichtliches Nachspiel. Der Musiker und Pink-Floyd-Mitbegründer will juristisch gegen die geplante Absage seiner Konzerte in Frankfurt am Main und München vorgehen.

Waters sei der Ansicht, »dass dieser eklatante Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen, ernsthafte und weitreichende Folgen für Künstler und Aktivisten in der ganzen Welt haben könnte, wenn er nicht angefochten wird«,  mehr >>>

David Grossman und 999 weitere israelische Künstler fordern Absage von Netanyahus Berlin-Besuch

»Auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur«: Mit drastischen Worten warnen 1000 israelische Künstler und Schriftsteller die Ampel-Koalition vor einem Treffen mit Premier Netanyahu.

14.03.2023

Brisanter Brief: Rund 1000 israelische Künstler und Schriftsteller haben in einem Schreiben an die Botschafter Deutschlands und Großbritanniens die Absage der anstehenden Besuche von Regierungschef Benjamin Netanyahu in ihren Ländern gefordert.

Die israelische Zeitung »Haaretz« berichtete am Dienstag, zur Begründung hätten sie geschrieben, Israel befinde sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und »auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur«.   mehr >>>

 

Erklärung anlässlich Benjamin Netanjahus Besuch in Deutschland

Stand: 14. März 2023

Die Erklärung auf Deutsch und Englisch sowie eine Liste der Erstunterzeichner finden Sie hier.

Diese Woche besucht der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu Berlin. Der Besuch kommt zu einer Zeit, in der seine Regierung Gesetze verabschiedet, die, wenn sie nicht aufgehalten werden, das Ende der Demokratie in Israel bedeuten.

Daher fordern heute mehr als 25 jüdische und israelische Intellektuelle, Kunst- und Kulturschaffende und Figuren des öffentlichen Lebens die Bundesregierung auf, klar gegen die antidemokratische Politik der Regierung Netanjahus Stellung zu beziehen und ein Zeichen der Unterstützung an die demokratische Zivilgesellschaft in Israel zu senden.


Die gesamte Erklärung:

"Erklärung anlässlich Benjamin Netanjahus Besuch in Deutschland"

Stand: 14.03.2023

Als Jüdinnen und Juden in Deutschland, als Bürger:innen und Einwohner:innen dieses Staates, denen die Sicherheit und die Zukunft eines demokratischen Staates Israel am Herzen liegt, protestieren wir gegen den Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu in Berlin. Der Besuch kommt zu einer Zeit, in der seine Regierung Gesetze verabschiedet, die, wenn sie nicht aufgehalten werden, das Ende der Demokratie in Israel bedeuten. Andere Verbündete Israels wie die Vereinigten Staaten halten daher einen Besuch Netanjahus zum jetzigen Zeitpunkt für unangebracht. Es liegt nun an der Bundesregierung, in aller Öffentlichkeit ein klares und deutliches Zeichen sowohl an die israelische Regierung als auch an die demokratischen Kräfte in Israel zu senden.
Daher fordern wir die Bundesregierung auf, sich klar und öffentlich von der antidemokratischen und rassistischen Politik der Regierung Netanjahus zu distanzieren und Stellung zu beziehen:

• gegen die Änderungen des Justizwesens, die darauf abzielen, die demokratische Gewaltenteilung abzuschaffen und den Schutz der Rechte marginalisierter Gruppen auszuhebeln.

• in Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Proteste für Demokratie in Israel, die von Netanjahu, Mitgliedern seiner Koalition und seines engsten Kreises wiederholt verunglimpft wurden.

• gegen das im israelischen Koalitionsvertrag klar benannte, völkerrechtswidrige Ziel, den Anspruch auf das ganze Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer zu bekräftigen und dieses Gebiet zu besiedeln sowie gegen die bereits in Teilen vollzogene de facto Annexion der besetzten palästinensischen Gebiete.

• gegen Menschenrechtsverletzungen und gegen die von Regierungsmitgliedern unterstützte Siedlergewalt, wie kürzlich im palästinensischen Huwara.

Benjamin Netanjahu trägt als Premierminister die Verantwortung für die antidemokratischen Gesetzesvorhaben seiner Regierungskoalition, für die rassistischen und gewaltverherrlichenden Hetzreden seiner Kabinettsmitglieder und für Angriffe auf die demokratische Staatsform, die am 14. Mai 1948 beschlossen wurde. Die heutige Regierung repräsentiert weder jüdische noch demokratische Werte und kann kein Partner für einen auf gemeinsamen Werten basierten Dialog für die Bundesrepublik Deutschland sein. Diese Haltung sollte die Bundesregierung gegenüber Netanjahu klar zum Ausdruck bringen und jede Begegnung mit den rechtsradikalen Ministern seiner Regierung Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir kategorisch und öffentlich ausschließen.

Auch rufen wir Jüdinnen und Juden in Deutschland und die jüdischen Gemeinden und Institutionen auf, Netanjahu während seines Besuches keine Bühne zu bieten.

Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland – zu der auch Israelis gehören – fühlt sich dem Staat Israel Zeit seines Bestehens eng verbunden, viele haben berufliche Verbindungen, Familie, und Freunde in diesem Land, die seit vielen Wochen auf der Straße für den Erhalt der Demokratie kämpfen. Wir können und wollen nicht tatenlos zuschauen, während Netanjahus Regierung im Eiltempo die Demokratie zerstört und die Gewalt zwischen Israelis und Palästinenser:innen anheizt. Stattdessen müssen wir jetzt an der Seite der Zivilgesellschaft in Israel stehen und mit ihnen und der Mehrheit jüdischer Gemeinschaften weltweit unsere Stimmen erheben für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, gegen die Besatzung und für gleiche Rechte für alle Bürger:innen Israels.


Unterzeichner:innen:

Prof. Michal Bodemann
Prof. Dr. Micha Brumlik
Noam Brusilovsky, theater and radio maker
Esther Dischereit
Tomer Dotan-Dreyfus, Autor, Übersetzer und Journalist.
Alex G. Elsohn
Allex. Fassberg, Theaterautor*in
Assaf Gruber, Künstler
Myriam Halberstam
Shai Hoffmann
Marion Kollbach, Filmemacherin und Jüdischer Salon
Cilly Kugelmann
Shelly Kupferberg
Prof. Dr. Elad Lapidot, Universität Lille
Boaz Levin, Autor und Kurator
Dr. Hanno Loewy, Jüdisches Museum Hohenems
Nitzan Menagem, Hashomer Hatzair Deutschland
Eva Menasse
Prof. Meron Mendel, Bildungsstätte Anne Frank
Prof. Susan Neiman, Einstein Foru
Katharina Palm, Schauspielerin
Dr. David Ranan
Prof. Miriam Rürup
Dr. Deborah Schnabel, Direktorin Bildungsstätte Anne Frank
Shahak Shapira
Or Shemesh, composer
Mati Shemoelof, writer
Maya Shenfeld, Komponistin
Sonia Simmenauer, h. Prof. Musikhochschule Hamburg, Inhaberin und Geschäftsführerin Impresariat Simmenauer Gmbh, Präsidentin des BDKV (Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft)
Dr. Amir Theilhaber, New Israel Fund (NIF) Deutschland
Dr. Ofer Waldman
Albert Wiederspiel, Festivalleiter, Filmfest Hamburg

Pressekontakt - Maja Sojref presse@nif-deutschland.de - Neuer Israel Fonds e.V. Mahlower Straße 24 - 12049 Berlin

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Eine israelische Frau protestiert am 9. März 2023 in Haifa gegen den umstrittenen Gesetzentwurf der Regierung zur Justizreform

Israelische Demonstranten gehen auf die Straße, um die Demokratie der Herrenrasse zu schützen

Joseph Massad - 14. März 2023

Die Rechte, die diese Demonstranten zu verlieren fürchten, beruhen auf der Unterdrückung der Palästinenser und entlarven diese Bewegung als eine, die rassische Privilegien bewahren will

Die liberalen israelischen Juden und ihre internationalen Unterstützer haben es wieder getan. Sie wurden plötzlich hellhörig, als die neue Regierung unter Benjamin Netanjahu ihre Pläne für eine Justizreform ankündigte - ein Schritt, der die siedler-kolonialen Freiheiten der israelischen Juden als rassisch und kolonial privilegierte Bürger des jüdischen Staates beeinträchtigen würde.

Die anhaltenden Massaker und Pogrome, die von der Regierung und den Siedlern gegen das palästinensische Volk verübt werden, sind nicht einmal auf ihrem Radarschirm zu sehen.

Sie marschieren wöchentlich zu Tausenden und fordern von der Regierung, ihren Krieg gegen die Justiz zu beenden. In ihren Reihen befinden sich Armeegeneräle, Kampfpiloten und sogar ehemalige Premierminister.

Die anhaltenden Massaker und Pogrome, die die Regierung und die Siedler an der palästinensischen Bevölkerung verüben, haben sie nicht einmal auf dem Radarschirm.

Zu den internationalen Unterstützern der israelischen Proteste gehören jüdische Politiker und Akademiker in den USA und Großbritannien. Der ehemalige Bürgermeister von New York City, der Milliardär Michael Bloomberg, warnte in einem Artikel für die New York Times, dass die neue israelische Regierung "eine Katastrophe heraufbeschwört" und "die Demokratie, auf der das Land aufgebaut wurde", in Gefahr bringt.

Der israelfreundliche britisch-jüdische Akademiker Simon Schama warnte, Israel entwickle sich zu einer "nationalistischen Theokratie", ein schreckliches Schicksal für ein Land, das sich seiner Meinung nach zuvor für "gleiche Bürgerrechte für alle religiösen und ethnischen Gruppen" eingesetzt hatte.

Margaret Hodge, Labour-Abgeordnete und parlamentarische Vorsitzende der jüdischen Arbeitsbewegung, bezeichnete das Vorgehen der Netanjahu-Regierung ebenfalls als "Angriff auf die Demokratie".

Nicht das erste Mal

Es ist nicht das erste Mal, dass israelisch-jüdische und insbesondere aschkenasische Liberale gegen das vorgehen, was sie als eine gefährliche politische Übernahme Israels ansehen, die ihre Rechte beschneiden würde.

Sie taten dies schon früher und mit gleichem Nachdruck, nämlich als der in Polen geborene Menachem Begin und seine Likud-Koalition 1977 und erneut 1981 gewählt wurden, sowie nach Begins Einmarsch in den Libanon 1982.

Nach der Wahl Begins traten die aschkenasischen liberalen Akademiker in Aktion und machten die primitiven, orientalischen (meist arabischen) Juden für den Abstieg ihres Landes in den Rechtspopulismus verantwortlich. Da die Mehrheit der orientalischen Juden für den aschkenasischen Likud gestimmt hatte, um gegen die aschkenasische Arbeitskoalition zu protestieren, die Israel seit 1948 regiert und die orientalischen Juden rassistisch diskriminiert hatte, konnten die aschkenasischen Liberalen nicht aufgehalten werden.

In den späten 1980er Jahren versuchten aschkenasische Akademiker und Intellektuelle, die Unterstützung der orientalischen Juden für den Likud zu erklären. Die Gründe reichten von ihrem angeblichen Hass auf alles Arabische (im Gegensatz zu den angeblich aufgeklärten und arabienliebenden Aschkenasim) bis hin zu ihrem mangelnden sozialistischen Bewusstsein und ihrer Unterstützung autoritärer Herrschaftsstrukturen, vor allem aufgrund ihrer arabischen Herkunft und ihres Aufwachsens in einer "autokratischen" arabischen Kultur.

Orientalische Juden, die in den 1980er Jahren in Mizrahim (d.h. Orientalen) umbenannt wurden, gaben ihre eigenen Gründe an. Mizrachi-Intellektuelle entgegneten, dass die arabischen Juden, die in der arabischen Welt aufgewachsen und zwischen 1948 und 1956 nach Israel gekommen waren, bis 1977 durchweg für die Arbeitspartei gestimmt hatten und dass es ihre Kinder, die in Israel geboren und aufgewachsen waren, waren, die für den Likud stimmten. Daher hätten sie gelernt, die rechte Autokratie in Israel und nicht in der arabischen Welt zu unterstützen.

Aschkenasische Liberale würden auch darauf bestehen, dass die Arbeitsregierungen, die den Krieg von 1967 begonnen hatten, nicht die arabischen Gebiete, die sie besetzt hatten, kolonisieren wollten, sondern sie als Verhandlungsmasse für den "Frieden" benutzten.

Sie behaupteten, dass sich ihre Absichten von denen der rechten Likud-Regierung unterschieden, die die Golanhöhen, das Westjordanland, Ostjerusalem, den Gazastreifen und den Sinai kolonisiert und die Chancen für den "Frieden" vertan habe. Die Behauptungen der Liberalen waren natürlich glatte Lügen.

Freundlicher" Kolonialismus

1977 waren bereits 50.000 jüdische Siedler in die in Ost-Jerusalem errichteten jüdischen Kolonien gezogen.

Zehn Jahre nach Israels territorialer Eroberung hatten die aufeinanderfolgenden israelischen Arbeitsregierungen Ostjerusalem de facto annektiert und allein im Westjordanland 30 jüdische Siedlerkolonien und vier im Gazastreifen errichtet, 15 weitere waren geplant und im Bau.

Dieses Siedlungsprojekt, das als Allon-Plan bekannt ist, wurde 1967 von Yigal Allon entwickelt, dem Leiter des Ministerausschusses für Siedlungen der Arbeitsregierung.

Beispiele für den "sanften" Kolonialismus der Arbeitspartei waren die Zerstörung des Magharibah-Viertels (marokkanisches Viertel) in Ost-Jerusalem und die Vertreibung seiner Bewohner, sobald die Eroberung der Stadt abgeschlossen war, um Platz für jüdisch-israelische Kolonialmassen zu schaffen, die in die eroberte Stadt strömten.

Yamit

Die verlassene Synagoge und der abgerissene Marktplatz der ehemaligen israelischen Siedlung Yamit, die 1982 nach dem Friedensvertrag von Camp David 1979 geräumt wurde, am 12. August 2005 (AFP)
Es waren auch israelische Laboriten, die 1972 10.000 Ägypter vertrieben, nachdem sie 1969 ihr Land konfisziert hatten. Anschließend zerstörten sie mit Bulldozern ihre Häuser, Ernten, Moscheen und Schulen, um sechs Kibbuzim, neun ländliche jüdische Siedlungen und die jüdische Stadtkolonie Yamit im besetzten Sinai zu errichten, die mit 50 meist russischen jüdischen Kolonisten begann.

Die Pläne zur Entwicklung von Yamit, einschließlich des Baus eines Hafens, waren für eine erwartete Bevölkerung von 200.000 jüdischen Kolonisten ausgelegt (insgesamt wurden auf dem Sinai 18 jüdische Kolonien errichtet, die 1979 nach der Unterzeichnung des Abkommens von Camp David aufgelöst werden mussten).

Auf den Golanhöhen wurde die erste jüdische Kolonie im Juli 1967 als Kibbutz Golan gegründet. Als der in der Ukraine geborene israelische Ministerpräsident Levi Eshkol (geb. Shkolnik) unmittelbar nach dem Krieg von 1967 zum ersten Mal die besetzten Golanhöhen besuchte, wurde er von der Nostalgie für seinen Geburtsort überwältigt: "Genau wie in der Ukraine!", rief er freudig aus.

Die Mehrheit der ideologischen Kolonialsiedler in den besetzten Gebieten waren in dieser Zeit aschkenasische Juden, während orientalische Juden vor allem aus wirtschaftlichen Gründen in die Siedlungen zogen.

Liberale" Heuchelei

Als Begins Regierung 1982 in den Libanon einmarschierte und rund 18 000 libanesische und palästinensische Zivilisten ermordete und mit den faschistischen libanesischen Phalangisten ein Komplott schmiedete, um die palästinensische Bevölkerung in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila zu massakrieren, waren die aschkenasischen Liberalen entsetzt, dass Begin und der Likud ihr einstiges schönes Israel "beschmutzt" hätten.

Wenn dies wie der vertraute, allgegenwärtige Refrain der gegenwärtigen liberalen und aschkenasischen Anti-Netanjahu-Demonstrationen in Israel und im Pro-Israel-Chor in Großbritannien und den Vereinigten Staaten klingt, dann deshalb, weil es in der Tat genau dieselbe Formel ist.

Nach der israelischen Invasion und den Massakern im Libanon schrieben amerikanisch-jüdische Akademiker und Apologeten Israels, darunter Daniel Bell, Irving Howe, Seymour Martin Lipset und Michael Walzer, einen Brief an die New York Times, in dem sie erklärten: "Wir alle müssen der Regierung Begin-Scharon jetzt sagen: 'Sie fügen dem Namen Israels, der lange Zeit mit Demokratie, Versöhnung und Frieden assoziiert wurde, schweren Schaden zu'."

Der liberale zionistische Redakteur der Village Voice (der sich übrigens später an der rechtsgerichteten Pro-Israel-Kampagne 2004-2005 beteiligte, um mich von der Columbia University feuern zu lassen), Nat Hentoff, beklagte, dass Begins israelische Armee mörderisch geworden sei: "Seit den Anfängen des jüdischen Staates gibt es in den israelischen Streitkräften tatsächlich eine Tradition, tohar haneshek ("Reinheit der Waffen" oder "Moral der Waffen"). Bis jetzt mussten israelische Soldaten sehr, sehr vorsichtig sein, wenn es darum ging, Zivilisten zu verletzen, geschweige denn zu töten."

Die zahllosen Massaker, die das israelische Militär seit 1948 verübt hat, sind ein klarer Beweis für diese "Moral".

Demokratie als Herrenrasse

Sogar der Architekt und Begründer des israelischen Atomwaffenprogramms und spätere Schlächter von Qana, Shimon Peres, beklagte in seiner Rede vor der Knesset den Verlust des Erbes von David Ben Gurion. Er betonte, dass das Schicksal Israels "von seiner Stärke und seiner Rechtschaffenheit abhängt. Rechtschaffenheit, nicht nur Stärke, muss unsere Taten leiten".

Die Heuchelei dieser Worte aus dem Jahr 1982 ist in keiner Weise ungeheuerlicher als die gegenwärtige Heuchelei der jüdischen Liberalen Israels und ihres internationalen Chors von Unterstützern.

Die Demonstranten versuchen, ein Israel zu beschönigen, das schon immer nichts anderes war als eine räuberische Siedlerkolonie, die jüdischen Kolonisten rassische Privilegien gewährt

Beide Gruppen von Apologeten versuchen, Israel zu beschönigen und behaupten fälschlicherweise, Israel sei vor Netanjahu demokratisch gewesen, obwohl es in Wirklichkeit immer nur eine räuberische Siedlerkolonie war, die auf Gesetzen beruht, die jüdischen Kolonisten, die in einer Herrenrassen-Demokratie leben, rassische und koloniale Privilegien gewähren.

Tatsächlich setzen sich beide Gruppen von Demonstranten weiterhin uneingeschränkt für die Erhaltung Israels als jüdischen Staat ein, auch wenn die Demonstranten von 1982 durch Israels mörderische Kriege und Massaker an den Palästinensern in Verlegenheit gebracht wurden.

Natürlich sind die heutigen Kriege Israels, die den Palästinensern schreckliche Gewalt antun, den heutigen Demonstranten nicht peinlich genug.

Die Tatsache, dass die Rechte, die diese Demonstranten genießen und deren Verlust sie fürchten, immer auf der Enteignung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes beruhten, entlarvt ihre Protestbewegung als eine, die entschieden nicht die Demokratie, sondern die Herrenrassen-Demokratie erhalten will. Quelle



 

Was Meron Mendel bei der israelischen Armee erlebte:
Lehren aus Hebron

Konfliktgebiet: Hebron im Westjordanland.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel lässt kaum jemanden kalt. Wie hitzig und oft aggressiv hierzulande darüber diskutiert wird, erlebt der bei Tel Aviv geborene Meron Mendel, seit er vor 20 Jahren nach Deutschland kam. In seinem neuen Buch beschreibt er den Nahostkonflikt, die Politik und die Debatten darüber. Ein Auszug.

Meron Mendel - 04.03.2023

Hannover. 1995 wurde ich zur Grundausbildung ins besetzte Westjordanland geschickt. Wir waren in Hebron stationiert. In dieser Stadt mit etwa 200.000 Einwohnern war es unsere Aufgabe, 500 jüdische Siedler zu verteidigen. Bei meinem Wehrdienst habe ich immer wieder versucht, mein Schularabisch alltagstauglich zu machen – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Und seit ich in Deutschland lebe, wird mein rudimentäres Arabisch immer schlechter. Doch auch falls ich es irgendwann ganz verlernen sollte, werde ich einen Satz niemals vergessen: „Iftach el bab!“ („Tür auf!“) Oft genug musste ich ihn während meines Militärdienstes verwenden, denn zum Alltag der Besatzung gehörte damals die Schikanierung der arabischen Zivilbevölkerung durch nächtliche Hausdurchsuchungen – zu denen die durch viele Kontrollposten eingeschränkte Bewegungsfreiheit und die allmähliche Verdrängung aus dem eigenen Land durch den Ausbau der jüdischen Siedlungen kam. Besatzung bedeutet Gewalt und Angst.

Während meines Wehrdienstes brachen im September 1996 heftige Unruhen in den Palästinensergebieten aus. Auslöser war die Öffnung eines antiken Tunnels unter der Westmauer der Al-Aksa-Moschee, um den Israelis und Palästinenser schon ewig rangen. Der damalige und heutige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte für den Zugang zu der archäologischen Passage grünes Licht gegeben, was von palästinensischer Seite als Provokation und Eingriff ins arabische Ostjerusalem aufgefasst wurde. Die eigentliche Ursache war aber, dass kurz nach dem Osloer Abkommen alle Friedenshoffnungen verflogen waren. Die neue rechte Regierung war nicht bereit, den Friedensvertrag umzusetzen, und setzte auf eine Kombination aus Hinhaltetaktik und weiterer Besiedlung der besetzten Gebiete.

Meron Mendel: Über Israel reden, BuchIn Israel droht nach Ansicht von Ex-Regierungschef Ehud Olmert aufgrund der aktuellen Regierungspolitik ein erneuter Aufstand der Palästinenser.

Mitten in dieser neuen arabischen Protestwelle wurde ich mit meiner Einheit nach Ramallah versetzt. Im Norden der Stadt bezogen wir Posten auf dem Dach einer schönen Villa. Einen Monat lang lebten wir praktisch über einer palästinensischen Familie – einem Arzt, seiner Frau und den drei Kindern. Wir Soldaten nutzten nicht nur das Dach, sondern auch die Toiletten und die Küche der Familie. Unsere surreale Koexistenz zeigte mir deutlich, was Besatzung bedeutet. Wir versuchten, freundlich zur Familie zu sein, und die Hausbewohner versuchten, ihren Alltag normal fortzusetzen, soweit das möglich ist, wenn plötzlich bewaffnete junge Männer in der Küche stehen. Mich beschlich bald das Gefühl, auf der falschen Seite zu sein. Und ich konnte es nicht mehr loswerden. Die Rede von der „humanen Besatzung“ – so die Rhetorik der israelischen Politiker meiner Jugendzeit – gehört bis heute zur großen Lebenslüge vieler Israelis. Die Erfahrung in Ramallah zeigte mir, dass  mehr >>>

 

VIDEO - "Palästina durch die Augen ihrer Töchter"
ein Kurzfilm der Dar al-Kalima Universität Bethlehem

26.02.2023

Dieser berührende Film entstammt der Fakultät Visual and Performing Arts, gedreht von Frauen für Frauen.

Im Mittelpunkt stehen vier ganz normale Frauen, aus einem ganz normalen Leben. Sie sind unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher geografischer Zuordnung, unterschiedlich in ihrer Betätigung und Religionszugehörigkeit.

Einig sind sie darin, dass sie sich der Besatzung nicht unterwerfen wollen, sondern ihr Leben frei gestalten möchten, jede mit ihren eigenen Talenten, Fähigkeiten und Träumen. Sie bringen dies nicht etwa mit Verbitterung oder gar Wut zum Ausdruck, sondern senden ein Strahlen in die Welt, sanft und doch selbstbewusst, geprägt von einer unerschütterlichen Liebe zu ihrem Land, trotz aller Einschränkungen. Mit Lebensfreude machen sich die Frauen auf den Weg der Sehnsucht nach positiver Veränderung in ihrer Heimat, nach einem Dasein in Würde. Generationen übergreifend haben sie eine Vorbildwirkung, bestimmt nicht nur in Palästina, sondern ermutigen auch uns. Quelle

 

Die israelische Strafvollzugsbehörde verzögert die lebensrettende medizinische Behandlung von Abdul-Razeq Farraj

Die Behandlung von Abdul-Razeq Farraj wegen eines bösartigen Tumors wird von der israelischen Strafvollzugsbehörde verzögert. Dies ist Teil einer breit angelegten systematischen israelischen Politik der medizinischen Vernachlässigung palästinensischer Gefangener.


Khlaled Farraj - 14. 3. 2023 - Übersetzt mit DeepL

Mein Bruder Abdul-Razeq Farraj, der in israelischen Gefängnissen inhaftiert ist, bemerkte vor drei Monaten erstmals schwarze Wunden auf der linken Seite seiner Nase. Er informierte den Gefängnisarzt, und nach einem Screening ordnete die Gefängnisbehörde an, ihn für weitere Untersuchungen in ein ziviles Krankenhaus zu verlegen. Es stellte sich heraus, dass es sich bei diesem Geschwür um einen bösartigen Tumor handelte, der in einer Operation entfernt werden musste.

Ich bin kein Arzt, aber ein einfacher Vergleich zwischen einem Foto des Tumors, das ich vor drei Monaten gesehen habe, und einem anderen Foto, das der Anwalt in diesem Monat machen durfte, zeigt sichtbare Veränderungen in Bezug auf seine Größe. In der Tat ist der Tumor auf der linken Seite der Nase meines Bruders schnell gewachsen.

Ein Freund, der Chirurg ist, hatte mich zunächst darüber informiert, dass der Fall nicht gefährlich sei und der Tumor mit einem einfachen Eingriff entfernt werden könne. Dies war der Fall, als er das erste Foto vor drei Monaten sah. In diesem Monat jedoch, nachdem er das jüngste Foto gesehen und sich mit anderen Ärzten beraten hatte, stellte mein Freund fest, dass eine dringende Operation erforderlich ist und dass sich der Tumor vertikal und nicht nur horizontal ausbreitet. Jede Verzögerung der Operation würde zu einer Vergrößerung des Tumors führen, warnte er. In der Tat handelt es sich hier um einen Krebstumor, der nicht ignoriert werden darf. Die Gefängnisbehörde von Ofer, wo mein Bruder inhaftiert ist, hat die Aushändigung seines medizinischen Berichts an seinen Anwalt und an einen Vertreter von Physicians for Human Rights verzögert. Der Bericht wurde schließlich an den Anwalt geschickt, aber er ist nicht mehr als ein verfahrensrechtlicher Bericht ohne jegliche Substanz.

Mein Freund, der Chirurg, und seine Kollegen im Vereinigten Königreich waren überrascht, als sie von dieser absichtlichen Verzögerung der dringend notwendigen Operation meines Bruders erfuhren. In der Tat war die Operation und die Entfernung des Tumors seit Dezember 2022, d.h. seit er die Diagnose erhielt, dringend geboten. Diese Art der Verzögerung durch die israelischen Strafvollzugsbehörden bei der Bereitstellung dringend benötigter medizinischer Versorgung für palästinensische Gefangene ist eindeutig vorsätzlich.

Mein Bruder Abdul-Razeq ist seit über dreieinhalb Jahren inhaftiert. Bei seiner letzten Verhaftung im Jahr 2019 wurde er in israelischen Verhörzentren brutal gefoltert und wartet derzeit auf seinen Prozess vor einem israelischen Militärgericht.

Dies ist jedoch nicht die erste Inhaftierung meines Bruders. Er hat zwischen 1995 und 2018 mehr als zehn Jahre seines Lebens im Rahmen der willkürlichen Politik der Verwaltungshaft verbracht. Außerdem verbüßte er zwischen 1985 und 1991 eine sechsjährige Haftstrafe. Diese Verhaftungen und seine jüngste Verhaftung im Jahr 2019 summieren sich auf insgesamt zwanzig Jahre, die er bereits in israelischen Gefängnissen verbracht hat. Bemerkenswert ist, dass die israelischen Militärgerichte in ihren Anklagelisten gegen meinen Bruder immer wieder denselben Vorwurf der "Gefährdung der regionalen Sicherheit und der Sicherheit der Öffentlichkeit" erheben, ebenso wie in ihren Verwaltungshaftanordnungen, die auf "geheimen Akten" beruhen, zu denen weder Rechtsanwälte noch ihre Mandanten Zugang haben.

Abdul-Razeq, der kürzlich sechzig Jahre alt geworden ist, hat ein Drittel seines Lebens fern von seiner Familie verbracht. Sein Sohn Basil hat sein Doktoratsstudium in Genf (Schweiz) abgeschlossen und vor einigen Monaten eine Lehrtätigkeit an der Universität Birzeit aufgenommen. Sein jüngerer Sohn, Wadea, schloss sein Ingenieurstudium ab und trat in das Berufsleben ein, während der Vater weg war. Seine Lebensgefährtin Lamis hat die Hälfte ihres Ehelebens damit verbracht, zwischen Gefängnissen und israelischen Militärgerichten hin- und herzureisen, um eine Art vorübergehende familiäre Stabilität zu finden.

Ja, Abdul-Razeq wurde im wahrsten Sinne des Wortes mehr als einmal bestraft - vor dem gleichen Gericht und unter der gleichen Anschuldigung. Nach seiner Haftentlassung arbeitete Abdul-Razeq viele Jahre lang im Journalismus und in der landwirtschaftlichen Entwicklung im Rahmen seiner Tätigkeit in der Union der landwirtschaftlichen Arbeitskomitees. Während seiner ersten Tätigkeit widmete er seine Zeit der Aufdeckung israelischer Verbrechen gegen Palästinenser, während er sich in seiner zweiten Tätigkeit für die Stärkung der Widerstandskraft palästinensischer Landwirte gegen die israelische Siedlerpolitik auf ihrem Land einsetzte. Abdul-Razeq hat einen Teil seiner Zeit und Energie dafür eingesetzt, diese Besatzung loszuwerden; für die Freiheit seines Volkes; für Gerechtigkeit und Menschenrechte.

Die Sorge, die ich dieses Mal um meinen Bruder habe, ist nicht vergleichbar mit den vergangenen Jahren, als er in Verwaltungshaft gehalten wurde. Meine Mutter - möge ihre Seele in Frieden ruhen -, seine Geschwister, seine Frau und seine Söhne wurden in der Regel durch eine erneute Verlängerung der Haft zum zweiten, dritten, vierten oder sogar zehnten Mal enttäuscht.

Dieses Mal ist es anders. Mein Bruder Abdul-Razeq ist nicht mehr jung, und er hat auch nicht mehr die Kraft, die er einst hatte. Zweitens handelt es sich bei seinem Fall um eine Krankheit, die sich schnell ausbreitet. Drittens hat sich unsere Besorgnis mit dem Aufstieg der israelischen Rechtsextremen verstärkt, da sie eine wichtige Rolle bei der Führung des Siedlerkolonialstaates spielen, zumal dem verurteilten Kriminellen und extremistischen Siedler Itamar Ben-Gvir im Rahmen seines kürzlich eingerichteten Ressorts als Minister für nationale Sicherheit die Zuständigkeit für den israelischen Strafvollzug übertragen wurde. Viertens: Die israelische Politik der medizinischen Vernachlässigung unserer Gefangenen ist weit verbreitet, und unsere Gefangenen werden ihrem Schicksal allein überlassen.

Die medizinische Versorgung der Gefangenen ist eines der unveräußerlichsten Rechte, zu dem sie Zugang haben sollten. Es ist bekannt, dass die israelische Besatzung eine lange Geschichte der medizinischen Vernachlässigung arabischer und palästinensischer Gefangener hat, die durch Namen und Zeugenaussagen von Gefangenen belegt ist.

Menschenrechts- und medizinische Organisationen müssen gemeinsam Druck auf die israelische Besatzungsmacht ausüben, damit diese allen kranken Gefangenen die erforderliche medizinische Behandlung zukommen lässt. Dies ist ihre rechtliche und "moralische" Verantwortung. Letztendlich fordern wir die Freiheit und das Recht auf medizinische Behandlung für Abdul-Razeq und seine Kameraden in den israelischen Kolonialgefängnissen.  Quelle

Lidia Averbukh - 13 März 2023

Israels Staatsumbau

Eine historische Kontextualisierung der israelischen Justizreformen

Israels neue rechtsreligiöse Regierung unter Benjamin Netanyahu arbeitet an einer Justizreform, die hunderttausende Demonstranten auf die Straße treibt und in der Kritik steht, den israelischen Rechtsstaat zu zerstören. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass es bei den Protesten nicht nur um die Reform selbst, sondern auch um grundlegende Fragen nach dem Charakter des jüdischen Staates und seiner Identität geht. Das israelische Rechtssystem steht schon immer stellvertretend für den Staat selbst. Die gespaltene israelische Gesellschaft streitet um das Verständnis von Demokratie, das Verhältnis von Religion und Staat und um die zukünftige Machtposition einzelner Gesellschaftsgruppen.

Recht als Mosaik
Das israelische Rechtssystem ist ein Mosaik aus verschiedenen Rechtstraditionen. Es besteht aus Bruchstücken des Osmanischen Rechts und des britischen Mandatsrechts. Nach der Staatsgründung im Jahr 1948 wurde es nach dem britischen Vorbild eines reaktiven Case Law-Systems aufgebaut. Es hat keine Verfassung, aber ein Verfassungsgericht. In dem gerade 75 Jahre alten Einwanderungsland, dessen heterogene Bevölkerung divergierende Ideen von Recht und Staat mitgebracht hat, kann man kaum von einer eigenen gefestigten Rechtstradition sprechen.

Mehrmalige Versuche, eine Verfassung zu verabschieden, welche die entgegengesetzten Staatsverständnisse in der israelischen Gesellschaft auf einen gemeinsamen Nenner bringen sollte, scheiterten. Stattdessen traten 14 einzelne so genannte Grundgesetze, die aufgrund des schwer herzustellenden Konsenses nur Fragmente einer benötigten Verfassung liefern konnten und stark vom jeweiligen politischen Zeitgeschehen geprägt waren. Ein Beispiel ist das Grundgesetz „Jerusalem, die (ungeteilte) Hauptstadt“ (1980), dessen Verabschiedung erst mit dem Machtwechsel von der Arbeitspartei Awoda zum konservativen Likud in 1977 möglich wurde.1)

Das Fehlen einer Verfassung beförderte zudem eine sehr dynamische Rechtsprechung, die im Wege freizügiger Rechtsinterpretationen versucht, radikal unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu vereinen. Insbesondere in den Urteilsbegründungen der Richter des Obersten Gerichts kann man diesen Spagat sehen, der ihnen den Ruf einbrachte, politisiert zu entscheiden.

Hinzu kommt der fragile Gesetzgebungsprozess. Alle israelischen Gesetze, einschließlich der Grundgesetze, können mit einer relativen oder einfachen Mehrheit verabschiedet werden. Das bedeutet im Grunde, dass jede Regierungskoalition, die 61 von 120 Abgeordnetensitze auf sich vereint, theoretisch die Möglichkeit hat, das Recht grundlegend zu verändern. Die Legislative besteht nur aus einer Kammer, der Knesset, wodurch die Verschränkung zwischen Legislative und Exekutive besonders ausgeprägt ist. Die Mehrheit der Abgeordneten gehört nicht nur der Regierungskoalition an, sondern stellt ebenfalls die Minister, die bei einem aufgeblähten Kabinett über ein Viertel der Knesset ausfüllen.

Seit der Staatsgründung stehen die Judikative und die mit der Exekutive verschränkte Legislative immer wieder in Konflikt. Mehrere Gerichtsurteile führten sogar indirekt zur Auflösung der Regierung. Rückblickend betrachtet interagierten sie jedoch über lange  mehr >>>


 


 

Rezension: Netanjahus Autobiografie als Wahlprogramm

In „Bibi. My Story“ schreibt Benjamin Netanjahu über sich selbst, erzählt dabei aber mehr über die gegenwärtige israelische Regierung und deren rechtsnationale Agenda.

Lidia Averbukh - 15.02.2023

Am 1. November 2022 wurde Benjamin Netanjahu, weithin bekannt als Bibi, erneut in das Amt des israelischen Premierministers gewählt. Seine Autobiografie, die den Titel „Bibi. My Story“ trägt, sollte ursprünglich im November erscheinen. Nachdem allerdings die bisherige israelische Regierung ihre Mehrheit verlor und die Knesset Neuwahlen zu Anfang November bekanntgab, wurde das Erscheinungsdatum des Buches in den Oktober, also vor die Wahl verlegt. Das Buch ähnelt einem Wahlprogramm, das die Ideologie Netanjahus darlegt und klar rechtsnationale Politik proklamiert.

Es wirkt, als greife es der politischen Realität voraus: Vor dem Hintergrund der Lektüre erscheint Netanjahus Entscheidung, eine Koalition mit den rechtsextremen und ultrareligiösen Parteien einzugehen und die rechteste israelische Regierung aller Zeiten zu bilden, nur plausibel. Der Hauptzweck der Autobiografie scheint zu sein, Netanjahus Lebensweg unter Berücksichtigung der aktuellen politischen Realität Israels darzustellen und Netanjahu selbst darin die passende Rolle zuzuschreiben.

Formal betrachtet erzählt das Buch Kapitel für Kapitel Netanjahus Biografie nach. Hier liefert das Werk kaum neue Erkenntnisse – Bibis politischer Lebensweg ist weitestgehend bekannt. Auch sein Privatleben, das von den Beziehungen zu Vater Benzion, einem einflussreichen konservativen Historiker, seinem Bruder Yoni, dem jung verstorbenen israelischen Nationalhelden und seiner dritten Ehefrau Sara geprägt ist, ist seit Jahren Gegenstand der öffentlichen Debatte und bereits bestehender Biografien.

„Bibi’s Story“: ein politisches Narrativ

Bei der Beschreibung seiner politischen wie privaten Story geht es ihm nicht darum, über seine Herkunft aufzuklären, sondern um die Darstellung eines bestimmten Narrativs. Es ist genau diese Selbstpräsentation Bibis, die das Buch vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage Israels – innenpolitisch wie in der Welt – so spannend macht.

Bibi beschreibt seinen Werdegang auf selbstbewussten 724 Seiten. Das Buch ist eingängig und humorvoll geschrieben – Netanjahu entpuppt sich als talentierter Witzeerzähler – und gleichzeitig absolut durchdrungen von Eigeninteresse und der Überzeugung, schon immer alles richtig gemacht zu haben. Eine prägnante Zusammenfassung seines Lebensweges liefert er selbst: „Als Soldat kämpfte ich, um Israel auf dem Schlachtfeld zu verteidigen. Als Diplomat wehrte ich Attacken in internationalen Arenen ab, die auf Israels Legitimität abzielten. Als Finanz- und Premierminister bemühte ich mich, Israels wirtschaftliche und politische Macht gegenüber anderen Nationen zu vermehrfachen.“ [übersetzt v.d. Redaktion] . Über die Zeit in der Opposition von 2021 bis 2022 macht er klar, dass sie nur eine Unterbrechung seiner eigentlichen Berufung war – israelischer Premierminister zu sein.

Das Werben um rechte Koalitionspartner und deren Wähler:innen

Durch das gesamte Werk hindurch zieht sich Netanjahus Bemühung, seine früheren Amtshandlungen zu erklären. Besonders ausführlich behandelt und rechtfertigt er Entscheidungen, die Kritik aus dem rechten politischen Lager nach sich zogen. Umfangreich beschreibt er beispielsweise die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Shalit im Jahr 2011, der seit 2006 von der Hamas im Gazastreifen in Gefangenschaft gehalten wurde. Im Gegenzug ließ Israel damals mehr als tausend palästinensische Häftlinge frei, darunter namhafte Terrorist:innen. In Teilen der Gesellschaft und im eigenen Kabinett wurde Netanjahu damals vorgeworfen, sich den Forderungen der Hamas gebeugt zu haben.

Retrospektiv erklärt Bibi seine Entscheidung als strategisch: Mit der gesteigerten Popularität, die ihm die Freilassung einbrachte, habe er erhofft, härteres Vorgehen gegen den Iran sowohl im eigenen Sicherheitsapparat als auch vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama erwirken zu können, wie er an mehreren Stellen des Buches verdeutlicht. Bei der Lektüre wird nochmals deutlich: Um Shalit selbst ging es ihm kaum.

Ein anderer Versuch, die Kritik von rechts im Nachhinein zu entkräften, zeigt sich in Netanjahus Darstellungen zum „Jahrhundertdeal“ des US-Präsidenten Donald Trump. Dieser legte 2020 einen Friedensplan vor, der alle israelischen Bedingungen berücksichtigte, darunter ein ungeteiltes Jerusalem, die Hoheit über die Sicherheit im Westjordanland sowie die Legalisierung der – auch nach israelischem Recht – illegalen Siedlungen. Doch allein schon die Einwilligung Netanjahus, mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu verhandeln, zog massive Vorwürfe von nationalreligiösen Parteien nach sich: Er würde das biblische Land aufteilen wollen.

Geheime Vereinbarungen mit Trump

In „Bibi. My Story“ erzählt Netanjahu nun von einer inoffiziellen Vereinbarung mit Trump, von der er seine Einwilligung abhängig gemacht haben soll. Dabei sollen sich die beiden darauf verständigt haben, dass Netanjahu die israelische Souveränität auf das Territorium hätte ausweiten dürfen, das im Deal als zukünftig israelisch vorgesehen wurde. Ganze 30 Prozent der West Bank hätten demnach mit Billigung der USA annektiert werden sollen, und zwar unabhängig von Verhandlungen und ihrem Ausgang. Doch entweder ein Missverständnis oder der Einfluss „antiisraelischer“ Berater:innen auf Trump führten laut Bibi dazu, dass das Weiße Haus diese Vereinbarung doch nicht einhielt.

Hätte Netanjahu die Biografie nicht selbst verfasst, könnte man als Leser:in denken, dem Autor sei daran gelegen, Bibi als möglichst abgebrüht und radikal darzustellen. Dass Netanjahu ein solches Selbstbild wählt, macht umso deutlicher, wie aggressiv er meint auftreten zu müssen, um die Stimmung seiner möglichen Koalitionspartner und deren Wähler:innen rhetorisch einzufangen.

Palästinensische Araber:innen kommen im Buch nicht vor

Passend zur antiarabischen Stimmung des diesjährigen Wahlkampfs kommen israelische Araber:innen im Buch nicht vor. Auffällig ist die Leerstelle insbesondere deswegen, da Netanjahu alias Abu Yair (arabisch für „Vater von Yair“, ein Verweis auf seinen ältesten Sohn), wie er sich selbst nannte, sie noch im Wahlkampf des Jahres 2021 als Wähler:innen umwarb und eine Koalition mit der islamistischen arabischen Partei Ra'am anstrebte. Eineinhalb Jahre später verliert Netanjahu kein Wort mehr über seine ehemaligen Avancen und empört sich stattdessen über die sogenannte Koalition des Wandels, der Ra'am vom Juli 2021 bis November 2022 angehörte. Ra'am sei eine antizionistische Partei, die dem jüdischen Staat das Existenzrecht aberkenne, so Bibi.

Verschiebungen im Israeldiskurs

Statt Enthüllungen über Netanjahus Vergangenheit zu liefern, eignet sich „Bibi. My story“ auch dafür, Verschiebungen aufzeigen, die international im Diskurs über Israel in den letzten Jahren beobachtet werden konnten. Für diese Verschiebungen ist nicht zuletzt Netanjahu selbst verantwortlich, wie er an mehreren Stellen des Buches stolz deutlich macht.

So greift Netanjahu beispielsweise die Abkehr von der im internationalen Kontext ehemals weitverbreiteten Annahme auf, dass Frieden in der WANA-Region nur über die friedliche Beilegung des Nahostkonflikts möglich sei. Netanjahu nennt dies die „centrality of the Palestinian issue“. Unaufhörlich habe er diese, insbesondere von den Europäer:innen lieb gewonnene Sichtweise, zu zerpflücken versucht, beispielsweise gegenüber Angela Merkel. Mit den Abraham Abkommen des Jahres 2020 zwischen Israel und den Golfstaaten sowie der Normalisierung mit Mokkaro und dem Sudan sei es ihm gelungen, den ultimativen Beweis zu liefern: Niemand in der Region würde mehr auf die Lösung des Konflikts mit den Palästinenser:innen warten.

Eine andere aus seiner Sicht erfolgreiche Diskursverschiebung resultiert aus den von Netanjahu eingeführten Vorbedingungen für jede Art von Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde. Unter anderem müsse diese „Israel als jüdischen Staat“ anerkennen. Ironischerweise machte die Einführung dieser Vorbedingung von vornherein jegliche Verhandlungen unmöglich, wie Ron Dermer – heute Minister für strategische Angelegenheiten – zitiert wird. Die Bedingung zeigt zudem die voranschreitende Transformation eines ehemals territorialen Konflikts hin zu einem Konflikt über Religion und nationale Identitäten.

Dekontextualisierung: ein beliebtes Stilmittel im Israel-Palästina-Konflikt

Ein weiteres, auch international beliebtes Stilmittel in der Auseinandersetzung um Narrative im Israel-Palästina-Konflikt, dessen sich auch Netanjahu bedient, ist Dekontextualisierung. So wirft Netanjahu der Palästinensischen Autonomiebehörde Rassismus vor, weil diese mit ihrer Ablehnung israelischer Siedlungen in der West Bank ein „judenfreies“ Territorium herstellen wolle. Dabei ignoriert er willentlich sowohl die Geschichte des Konflikts als auch das internationale Recht.

Netanjahus Autobiografie zeigt exemplarisch, wie sich durch zahlreiche öffentliche Auftritte und Interviews solche und vergleichbare Aussagen in der öffentlichen Wahrnehmung nachhaltig verankern und als Narrative etablieren lassen. Er beschreibt, wie er bereits als junger Mann erkannt habe, dass sich mit der Beeinflussung der öffentlichen Meinung und dem Druck, den sie ausüben kann, Politik machen lasse. Hasbara, also die Darstellung der israelischen Politik in der (internationalen) Öffentlichkeit, wird von seinen ersten Ämtern an zu einem der wichtigsten Instrumente seines politischen Handelns.

Freund und Feind

Netanjahu ist mittlerweile 73 Jahre alt und derzeit ältester Politiker der Knesset. Die Liste seiner Gegner:innen und ehemaliger Weggefährt:innen, die ihn enttäuscht haben, ist sehr lang. Er nutzt seine Autobiografie auch, um mit jedem und jeder von ihnen nochmals abzurechnen – namentlich. Bei Avigdor Lieberman, ehemals israelischer Verteidungsminister, erinnert er an die Ermittlungsverfahren in dessen Umfeld wegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern. Naftali Bennet, kurzzeitiger Ministerpräsident von 2021 bis 2022, nennt er einen Lügner, der nichts anderes sei als eine „empty pose“. Tzipi Livni, ehemalige israelische Außen- und Justizministerin, bezeichnet er als naiv. Yair Lapid, den derzeitigen Oppositionsführer und seinen aktuell wohl größten politischen Konkurrenten, verhöhnt er als Besserwisser.

Ausführlich behandelt Netanjahu seine persönliche Fehde mit der israelischen Justiz und den Medien, die von „den Linken“ besetzt seien, welche ihn auf parlamentarischem Wege nicht loswerden könnten. Ihr Versuch, ihn abzusetzen, sei die eigentliche Motivation hinter den drei laufenden Gerichtsverfahren gegen ihn sowie hinter der negativen Berichterstattung der israelischen Presse. Hier wird nochmal deutlich, wie sehr Netanjahu auch selbst hinter den aktuellen Reformen der neuen Regierung steht, die auf die Schwächung des Rechtsstaats abzielen und den öffentlichen Rundfunk privatisieren wollen. Unfreiwillig komisch ist an dieser Stelle sein Vergleich zwischen Lady Di und Sara Netanjahu, die angeblich einer ähnlichen medialen Hetze ausgesetzt sei, wie die britische Prinzessin ihrerzeit.

Bei Bibis klarer Aufteilung in Freund und Feind sticht im internationalen Raum seine offenkundige Sympathie für Wladimir Putin ins Auge. Das Buch erschien über ein halbes Jahr nach dem völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf die Ukraine. Der Krieg kommt aber an keiner Stelle vor. Erstaunlich ist, dass Putin in Netanjahus Erzählung ausgerechnet als ein Korrektiv zu Obama fungiert, zu dem Bibi zwar ein schwieriges Verhältnis hatte, der aber dennoch der Präsident des wichtigsten israelischen Verbündeten, der USA, war.

Ein politisches Programm, das dabei ist, umgesetzt zu werden

In den letzten Monaten seiner Amtszeit habe Obama noch eine Resolution zur israelischen Besatzung im UN-Sicherheitsrat vorbereitet, die sich aber nicht manifestiert hätte, so Bibi. Es soll ausgerechnet Putin gewesen sein, der sich auf direkte Bitte Netanjahus gegen die Resolution einsetzte und diese von der Agenda nahm. Gelesen als Wahlprogramm bedeutet das, dass die neue israelische Regierung unter Netanjahu auch weiterhin versuchen wird, eine konfrontative Positionierung gegen Russland zu vermeiden und sich Gesprächskanäle nach Moskau offenzuhalten.

Am Ende der Lektüre weiß man, dass man nicht am Ende der Geschichte von Benjamin Netanjahu angelagt ist. Ohne Zweifel ist Bibi ein wichtiger Staatsmann, der eine ganze Ära israelischer Politik geprägt hat und weiterhin prägt. Seine Biografie zeigt sein Denken auf und gibt Einsicht in seine politische Agenda. Diese Einsicht ist aufschlussreich und allen zu empfehlen, die sich mit der derzeitigen Politik und Gesellschaft Israels auseinandersetzen möchten. Dabei ist gleichzeitig klar, dass es sich bei Netanjahus Buch nicht um Memoiren handelt, sondern um ein extremes politisches Programm gegen die israelische Linke, die Medien, die Justiz, die Palästinenser:innen und israelischen Araber:innen. Dieses Programm wird gerade in Echtzeit umgesetzt.   Quelle

Hazem Musleh in Gaza - 15. 15. 3. 2023

Trotz Schmerz, Unterdrückung, Belagerung und Leid

Der Gazastreifen bereitet sich auf den Monat der Barmherzigkeit und des Segens vor, den heiligen Monat Ramadan

Beiträge geben nicht unbedingt und in allen Aussagen  die Meinung der Redaktion wieder.

 

Eine kleine Auswahl weiterer Nachrichten und  Texte,  in meist englischer Sprache

AUCH WENN OFT JEDEN TAG SICH DIE MELDUNGEN ÄHNELN - ES SIND JEDEN TAG AKTELLE NEUE MELDUNGEN
TAG FÜR DIE GLEICHEN VERBRECHEN AM ANDEREN ODER GLEICHEN ORT UND GLEICH DIE ABSICHTEN DAHINTER:

Israeli Army Demolishes Two Palestinian Homes In Jerusalem (imemc.org)

Israeli soldiers invade Homes Near Jenin (imemc.org)

WAFA: “Israeli Court Extends Detainee’s Isolation For Six Months Despite Critical Mental Condition” (imemc.org)

In Preparation For Annexing Them, Israeli Colonizers Plant Saplings In Palestinian Lands Near Bethlehem (imemc.org)

Israeli Soldiers Abduct Thirteen Palestinians In West Bank (imemc.org)

Minister Assaf briefs Egyptian MPs, writers, media figures on latest developments in Palestine

Prime Minister: Israeli governments’ political agenda based on extremism against Palestinians

Israeli Soldiers Demolish A Brick Factory In Jerusalem (imemc.org)

Israeli Soldiers Injure Several Palestinians Near Hebron (imemc.org)

Bulldozers of the Israeli municipality of West Jerusalem tear down a two-apartment Palestinian-owned building

Foreign Ministry says world should prevent return of Israelis to evacuated West Bank settlements

WAFA: “Israeli Army Abducts 18 Palestinians In West Bank” (imemc.org)

Army Abducts Two Palestinians Near Nablus, Confiscates Car Near Jenin (imemc.org)

Newspapers Review: Release of eldest Palestinian freedom fighter from Israeli jails focus of dailies


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