Kairos Palestine:
Gewalt im Namen Gottes?
Botschaft der Tagung in Hofgeismar,
23. bis 27. Februar 2012
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„Ich und mein Haus,
wir wollen Gott dienen!“ (Josua 24)
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Die Welt ist voll von Gewalt. Zu oft
werden die Erzählungen in der Bibel
mehr zur Ausweitung als zur
Begrenzung weltlicher Gewalt
benutzt. Darum sollen wir die Gewalt
in biblischen Texten erkennen und
durch sie auf eine Welt des Frieden
hin arbeiten. Als Christen wollen
wir Schmerz durch Hingabe ersetzen
und versuchen, auch jene zu lieben
und zu respektieren, die unsere
Feinde sein würden.
In
der Evang. Theologischen Universität
Hofgeismar, Deutschland, kamen im
Februar 2012 Menschen aus aller Welt
zusammen und folgten damit der
Einladung des Weltkirchenrates
(PIEF), der Evang. Kirche
Deutschlands (EKD) und der Evang.
Landeskirche Kurhessen-Waldeck.
Tägliches Feiern und Beten öffneten
für die TeilnehmerInnen die
spirituellen Dimensionen der Texte,
aus denen in der Konferenz die
theologischen Aspekte des Konflikts
zwischen Israel und Palästina
herausgearbeitet werden sollten.
Nach früheren Konferenzen in Amman,
Bern und Balamand machte die
ökumenische Zusammensetzung die
vielfältigen
Interpretationsmöglichkeiten
biblischer Texte klar erkennbar. Das
Buch Josua wurde als Grundlage der
Tagung wegen der offensichtlichen
Hinweise auf Landkonflikte, den
Zusammenhang von Religion und Gewalt
und den häufigen Gebrauch von
gewissen jüdischen und christlichen
Bewegungen zur Rechtfertigung von
Besetzungs- und Siedlungspolitik im
modernen Staat Israel gewählt.
In
Bern kamen wir überein, dass
„die Bibel nicht benutzt werden
dürfe, um Unterdrückung und
simplifizierte Kommentare auf
gegenwärtige Zustände zu
rechtfertigen, und so den I.-P.
Konflikt als Sakrileg ohne die
sozialpolitischen, wirtschaftlichen
und historischen Dimensionen zu
identifizieren“. Das Buch Josua mit
seinen mythischen Beschreibungen von
beabsichtigtem Genocid, Massenmord,
ethnischer Säuberung, erzwungener
Knechtschaft und ethnischer Trennung
ist ein sehr provokativer Text.
Verschiedene Lesungen des Buches –
besonders jene, die den Text als
Rezept benutzen – können zu
gefährlichen Schlussfolgerungen
führen. In diesem Bewusstsein
gründete sich die Struktur der
Tagung auf Ziel gerichtete
Bibelarbeit im Plenum und in
Arbeitsgruppen, sowie in Vorträgen
über exegetische, historische
und zeitgemäße Aspekte des Buches
Josua und auf Gewaltdarstellungen in
anderen biblischen Narrativen.
Das Treffen war gesegnet durch die
Teilnahme und die Ansichten aus
verschiedenen Teilen der Welt.
Frühere Konferenzen waren gezeichnet
durch die kontextuellen Perspektiven
der palästinensische Christen
einerseits und westlicher Christen
andererseits, die westliche Formen
des christlich-jüdischen Dialogs
praktizieren. In der Versammlung in
Hofgeismar wurde die
Konversationsebene durch die
Einladung jüdischer Mitdenker und
globaler Perspektiven verbreitert.
Situationen vom Mittleren Osten bis
zum globalen Norden wurden
vorgestellt durch ReferentInnen aus
Lateinamerika, Afrika, Ostasien.
Unsere gemeinsam verbrachte Zeit
zeigte uns, dass eine offene
Diskussion zwischen Menschen mit
sehr unterschiedlichem Hintergrund
möglich und fruchtbar ist,
besonders, wenn die Lesungen aus der
Schrift im Plenum erfolgt waren. Es
wurde festgestellt, dass nicht
nur im Mittleren Osten sondern
weltweit Ähnliches passieren konnte.
Der große Unterschied der
TeilnehmerInnen in Hofgeismar
brachte auch eine Fülle
verschiedener Perspektiven. Während
der Versammlung wurde klar, dass
viele Interpretationen biblischer
Texte möglich sind, und dass jede/r
TeilnehmerIn aus seinem/ihrem
eigenen Kontext an die Bibel
herangeht. Innerhalb der
christlichen Gemeinden ist es
hilfreich, sowohl christologische
Lesungen des A.T. vorzulegen wie
auch Lesungen, in denen das A.T.
sich selbst interpretiert. In beiden
Zugängen wird das A.T. als ein
wichtiger Teil unserer gelebten
christlichen Bibel bestätigt
Es
gibt viele problematische Wege, sich
dem biblischen Zeugnis zu nähern. Im
Mainstream westlicher Kirchen sind
viele Beispiele zu finden, bei denen
Pastoren und Gelehrte gute Exegese
produzieren, aber die Konsequenzen
ihrer Interpretation für heute
lebende Menschen nicht wahrhaben.
Andererseits sind vom Buchstaben
abhängige flache Darstellungen nicht
respektvoll gegenüber dem Text
selbst und können zu noch
schädlicheren Folgerungen für
Menschenwürde und Leben werden.
Im
Verlauf des Buches Josua kommt es
bei einigen Christen und Juden zur
Aufforderung zu Gewalt. Da die
Vielfalt hermeneutischer Zugänge und
die Möglichkeit einer Vielfalt
zwingender Interpretationen
vorhanden ist, gibt es verschiedene
Wege, sich dem Text zu nähern. Wir
haben uns auf einen hermeneutischen
Schlüssel zur Gerechtigkeit
geeinigt. Gerechtigkeit enthält eine
breite Vielfalt anderer Themen:
Ethik, Menschenrecht,
sozioökonomische Realitäten, z.B.
Gier. Gerechtigkeit selbst ist eine
anfechtbare Kategorie, empfänglich
für einen breiten Raum von
zwischen-christlichem und
interreligiösem Engagement. Zentral
für eine gerechtigkeitsorientierte
Interpretation der Bibel wird die
Natur der Verantwortlichkeit sein.
Vor Gott und unseren Gemeinschaften
tragen wir Verantwortung
gegenüber den Juden für den
historischen und bestehenden
Antisemitismus, den Palästinensern
seit der Nakba, den muslimischen
Nachbarn für Islamophobie, und unter
anderen auch gegenüber leicht
verletzbaren Menschen, und Opfern
kolonialer Überfälle.
Während der Konferenz wurde mehrmals
hingewiesen, wie extrem schädlich
das Buch Josua und ähnliche
biblische Texte dort sein können, wo
sie politische und militärische
Macht sanktionieren.
Palästinensische Christen hoben
hervor, was solche Anwendungen im
politischen wie in ihrem
Glaubensleben für Auswirkungen
haben. Einige Narrativen im AT,
besonders im Buch Josua werden von
mächtigen Gruppen benutzt, um die
fortgesetzte Besetzung
palästinensischen Gebiets und
die Siedlungspolitik des Staates
Israel zu rechtfertigen. Ein
Resultat dieser politischen
Realitäten ist, dass
palästinensische Christen nicht nur
aus ihrem Land geworfen, sondern
auch einem großen Teil ihres
christlichen Kanons entfremdet
werden. Wir hörten, dass
palästinensische Christen die
Lesungen aus dem AT. zu reklamieren
suchen, indem sie den vollständigen
Kanon akzeptieren, jedoch die
historischen und politischen
Prozesse nicht sanktionieren, die zu
ihrem Leiden führten.
Der Text des Buches Josua strotzt
von Gewalt, und solche findet sich
in der ganzen Bibel. In der Bibel
und in unserer Welt heute ist Töten
nicht die einzige Form, Gewalt
auszuüben. Unterwerfung und
Vertreibung, einschließlich
ungleicher Rechtssysteme und
Privilegien sind Formen
systematischer Gewalt. Genderanalyse
ist ein Instrument voll von
Einsichten für die Interpretation
sowohl biblischer Texte wie
auch politischer Realitäten.
Gleichzeitig erkennen wir, dass
kreative friedliche Mittel des
Widerstandes gegen Gewalt und
Unterdrückung unterstützt und zu
solchem ermutigt werden soll. In
Erinnerung gerufen wurde der
deutsche Theologe Dietrich
Bonhoeffer mit seiner hart
errungenen Einsicht, die Bibel „von
unten“ zu lesen. Die biblischen
Narrativen ermächtigen die, welche
unterdrückt sind, aktiv an ihrer
eigenen Emanzipation zu arbeiten.
Im
Buch Josua geht es um
Meinungsbildung. Es eignet sich gut
für den Bau nationaler Erinnerung.
Wir erkennen, dass es ein Akt der
Gewalt sein kann, anderen
Gemeinschaften die Erinnerung
abzustreiten; absichtliches
Streichen aus dem Gedächtnis
kann das Vorspiel zur Verweigerung
des Existenzrechts für
Gemeinschaften sein.
Das Buch Josua war eine Quelle für
die Rechtfertigung der Kolonisation
in Afrika, Lateinamerika,
Nordamerika, Australien und im
Mittleren Osten selbst. Diese
Geschichte hat ein Erbe der Gewalt
in allen früher kolonisierten
Gebieten hinterlassen. Wo diese
Ideologien als religiöse
Verpflichtung weitergegeben wurden,
hat die Kirche einiges zu tun. Wenn
religiös motivierte Gewalt von der
Kirche verdammt wird, dürfen wir
nicht vergessen, dass diese
Empfindsamkeit nur in Zeiten
entwickelt wird, wenn die eigene
Macht der Kirche am zurückgehen ist,
wie wir auch erkennen, dass es in
allen Epochen der Kirche
prophetische Stimmen gegeben hat.
Bis vor relativ kurzer Zeit war
religiöse Gewalt ein Charakterzug im
europäischen Leben. Eine Lektion aus
den Religionskriegen ist, dass
politische Rahmenbedingungen für die
Gesellschaft wünschenswert sind, die
religiöse Vielfalt zulassen,
wodurch alle unter einem Zivilgesetz
gleich behandelt werden.
Selbstkritische Perspektiven zu
westlichen oder nördlichen
Zusammenhängen können sehr hilfreich
sein, wenn wir die laufenden
Ideologien, Strukturen und
Machtsysteme betrachten, die im
israelisch-palästinensischen
Konflikt und in anderen
Zusammenhängen am Werk sind.
Daher: Keine
Gewalt im Namen
Gottes !
Gesegnet sind die
trauern, sie sollen getröstet
werden.
Gesegnet sind die
Sanftmütigen, sie werden die Erde
besitzen.
Gesegnet sind, die
hungern und dürsten nach
Gerechtigkeit, sie sollen satt
werden.
Gesegnet sind die
Barmherzigen, sie werden
Barmherzigkeit erlangen.
Gesegnet sind, die
reinen Herzens sind, sie werden Gott
sehen.
Gesegnet sind die
Friedensstifter, sie werden Gottes
Kinder genannt werden. (Math.5)
Zusammengefasst von
Konferenzteilnehmern am 27. Februar
2012
(Übers.: Gerhilde
Merz) |