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Mag sein, dass ich
bau in der Luft meine Schlösser.
Mag sein, dass mein
Gott ist im ganzen nicht da.
Im Traum ist mir
heller, im Traum ist mir besser,
im Traum ist der
Himmel noch blauer als blau.
Mag sein, dass ich
werd’ mein Ziel nicht erreichen.
Mag sein, dass mein
Schiff wird nicht kommen zum Steg.
S’geht mir nicht
darum, ich soll was erreichen.
S’geht mir um den
Gang auf einem sonnigen Weg.
Josef Papiernikoff, 1924
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Reuven Moskovitz,
An alle
Abgeordneten des Deutschen Bundestages!
Sehr
geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter,
mein Name
ist Reuven Moskovitz, ich bin 1928 geboren, ein
Überlebender der schrecklichen nationalsozialistischen
Verfolgung. Es mag Ihnen ungewohnt vorkommen, dass ich aus
meinem Leiden andere Schlussfolgerungen gezogen habe als
die meisten Überlebenden. Für mich gilt nicht die Devise
„Nie vergessen – nie verzeihen“. Denn in einer Welt, in der
Menschen einander nicht verzeihen, können wir nicht leben.
Ich
schreibe diesen Brief aus Anlass des Gedenkens an den
Sechstagkrieg, der vor 41 Jahren begann. Nach meiner Meinung
und der vieler Historiker war dieser Krieg k e i n
Verteidigungskrieg. Er endete mit dem „überwältigenden Sieg“
Israels, dieser erwies sich aber zunehmend als bitterer
Pyrrhussieg, als Ursache der „Krankheit der Friedlosigkeit“
und endloser Gewalt.
Als ich vor
30 Jahren nach Deutschland ging um zu studieren, wie ein
Volk von Dichtern und Denkern zu einem Volk von Richtern und
Henkern werden konnte, waren mir die Deutschen zunächst
begreiflicherweise verhasst. Durch die persönliche
Begegnung aber mit vielen deutschen Menschen, kann ich nun
von einem Deutschland sprechen, das ich liebe. Für mich
stellen die vergangenen 60 Jahre deutscher und europäischer
Geschichte das Wunder der Beendigung erbitterter nationaler
Feindschaften dar und der eindeutigen Absage an den Krieg .
Die Bundesrepublik hat die richtigen Konsequenzen aus ihrer
jüngsten Vergangenheit gezogen und einen überzeugenden
Beitrag zu einem friedlichen Europa geleistet.
Israel
hingegen, das jetzt seinen 60. Geburtstag mit Pathos
feiert, ist beherrscht von erschreckender Gewalt. Mein
jüdisches Volk, einst Opfer von Willkür, Gewalt und Hass -
hat sich mit seiner Politik leider selbst zu einem Volk von
unerbittlichen Tätern gemacht. Die Staatsgründung 1948
erfolgte ohne Rücksicht auf die dort lebenden
Palästinenser, so, als gäbe es sie gar nicht.
Der Staat
Israel mit seinen phantastischen Errungenschaften ist für
uns ein Wunder, die Verwirklichung eines Jahrtausende alten
Traumes, für den der gläubige Jude dreimal am Tag betet. Für
die Palästinenser war und ist die Staatsgründung die
Katastrophe (Naqba). Hunderttausende wurden enteignet,
vertrieben und umgebracht - und das schon vor dem Krieg
mit den arabischen Staaten. Die im Lande Gebliebenen wurden
einem Besatzungsstatus und Staatsterrorismus ausgesetzt,
obwohl ihnen eindeutig Gleichberechtigung versprochen wurde.
Sie werden bis heute diskriminiert.
Ist es so
schwer einzusehen, dass die palästinensischen Terrorakte vor
allem eine Folge dieser Situation sind?
Die
Hoffnung der ersten jüdischen Einwanderer – zu denen ich
auch gehöre –, mit der staatlichen auch eine geistige und
kulturelle Wiedergeburt zu erleben, hat sich bei kritischer
Betrachtung nicht erfüllt. Erschreckenderweise hat sich in
der Seele der meisten meiner Mitbürger durch erinnerte und
indoktrinierte Angst die Überzeugung festgesetzt, die
Bürger und die Errungenschaften des jüdischen Staates seien
nur durch Gewalt in Sicherheit zu halten.
Im Zuge von
Kriegen und Pyrrhussiegen hat Israel in den 60 Jahren seines
Bestehens Dutzende Friedenschancen nicht genützt, ja bewusst
hintertrieben! Über Frieden muss man nicht – wie jetzt
wieder – reden, man muss ihn zuallererst wollen
und dazu die Palästinenser als Nachbarn und ihre Rechte
endlich zur Kenntnis nehmen!
Deshalb appelliere ich an Sie
als demokratische Abgeordnete, die deutsch-israelische
Freundschaft nicht als ein Schweigegebot angesichts einer
menschen- und völkerrechtswidrigen Politik zu verstehen,
sondern gerade im Interesse Israels die gebotene
freundschaftliche Kritik zu üben und Gewalt und
Unterdrückung anzuprangern. Die militärische Unterstützung
mag zu einer gewissen Zeit richtig gewesen sein. Heutzutage
ist Israel reich und die stärkste Militärmacht im Nahen
Osten. Es braucht keine U-Boote und Panzer, es braucht
dringend die Einsicht, dass es sich mit seinen Nachbarn,
insbesondere den Palästinensern, aussöhnen muss, um in
friedlicher Koexistenz zu bestehen.
Es ist
bitteres Unrecht, die Palästinenser für das büßen zu lassen,
was den Juden in Europa angetan wurde, sie sind nicht die
Ursache für dieses Leid. Deshalb sind die Deutschen geradezu
verpflichtet, alles zu tun, dass diesem Unrecht Einhalt
geboten wird. Ohne die Hilfe der Staatengemeinschaft,
insbesondere Europas und nicht zuletzt Deutschlands, treiben
uns Gewalt und Hass in einen erneuten Untergang und
gefährden auch die Stabilität Europas.
Ich bitte
daher Sie, die Sie dieses Deutschland vertreten, das ich
liebe und das mir als ein Hoffnungsmodell für mein Land
vorkam, die in der offiziellen deutschen Politik übliche
„blinde“ Unterstützung der Politik Israels kritisch zu
hinterfragen und in nur Ihrem Gewissen verantworteter
Entscheidung auch für die Rechte des palästinensischen
Volkes einzutreten.
Die einzig
richtige Solidarität mit Israel ist, uns zu helfen, aus dem
Wirbel der Gewalt auszusteigen. Solidarisieren Sie sich mit
meinem Land Israel, aber nicht mit seinem Unrecht!
Reuven
Moskovitz Jerusalem, im Mai 2008-05-20
Reuven
Moskovitz ist Historiker und Mitbegründer des Friedensdorfes
Neve
Shalom/Wahat Salam in Israel, eine Siedlung in der
israelische Juden und Palästinenser zusammenleben. Er war
Sekretär der Bewegung für Frieden und Sicherheit in Israel.
Seit mehreren Jahrzehnten ist er aktiv in der
Friedensbewegung und um die Verständigung und Aussöhnung
zwischen Palästinensern und Israeli, aber auch um die
deutsch-israelische Versöhnung bemüht. Er ist Preisträger
des Mount Sion Award 2001 und Preisträger des
internationalen Aachener Friedenspreises 2003. Von seinem
Buch "Der lange Weg zum Frieden" gibt es die fünfte Auflage
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