Inschalla
Uri Avnery, 17.3.07
NICHT NUR die Palästinenser sollten nach der
Vereidigung der palästinensischen nationalen
Einheitsregierung einen tiefen Seufzer der Erleichterung
von sich geben – die Israelis haben allen Grund, dies
auch zu tun.
Dieses Ereignis ist ein großer Segen – nicht nur für
sie, sondern auch für uns, falls wir an Frieden
interessiert sind, der dem historischen Konflikt ein
Ende setzen wird.
FÜR DIE Palästinenser wirkt sich dieses Ereignis sofort
aus: die Drohung der Gefahr eines Bürgerkrieges ist so
gebannt worden.
Das war nicht nur ein Alptraum, es war auch absurd.
Palästinensische Kämpfer schossen in den Straßen Gazas
auf einander und erfreuten so die Besatzungsbehörden.
Wie in der Arena des antiken Rom töteten die Gladiatoren
einander zum Vergnügen der Zuschauer. Leute, die vorher
zusammengelebt und jahrelang gemeinsam in Israels
Gefängnissen gesessen hatten, handelten auf einmal wie
erbitterte Feinde.
Es war noch kein Bürgerkrieg. Aber die blutigen Vorfälle
hätten dorthin führen können. Viele Palästinenser waren
sehr besorgt: wenn die Zusammenstöße nicht sofort zu
einem Ende gekommen wären, dann wäre tatsächlich ein
richtig gehender Bruderkrieg ausgebrochen. Das war
natürlich auch die große Hoffnung der israelischen
Regierung, dass Hamas und Fatah einander vernichten –
ohne dass Israelis einen Finger rühren mussten. Die
israelischen Nachrichtendienste hatten dies tatsächlich
schon vorausgesagt.
Ich machte mir keine Sorgen. Meiner Ansicht nach ist
ein palästinensischer Bürgerkrieg ausgeschlossen.
Zunächst einmal, weil die grundsätzlichen Bedingungen
für einen Bürgerkrieg nicht gegeben sind. Das
palästinensische Volk ist in seiner ethnischen,
kulturellen und historischen Zusammensetzung
einheitlich. Palästina ist nicht wie der Irak, in dem
drei Völker leben, die ethnisch (Araber und Kurden),
religiös (Schiiten und Sunniten) und geographisch
(Norden, Mitte und Süden) sich sehr unterscheiden. Es
ähnelt auch nicht Irland, wo die Protestanten,
Nachkommen von Siedlern, gegen die katholischen
Nachkommen der ursprünglichen Bevölkerung kämpfen. Es
ähnelt auch nicht afrikanischen Ländern, deren Grenzen
ohne Rücksicht auf Stammesgrenzen von den
Kolonialherren festgelegt worden waren. Es ist auch
keinem revolutionären gesellschaftlichen Umbruch
gefolgt wie dem, der die großen Bürgerkriege in England,
Frankreich und Russland verursachte, noch einem so
enormen Teilungsgrund wie die Sklaverei in den USA.
Die blutigen Auseinandersetzungen, die im Gazastreifen
ausbrachen, waren Kämpfe zwischen Partei-Milizen, die
durch Fehden zwischen Großfamilien (Hamulah) verstärkt
wurden. Fast in allen Befreiungsbewegungen gab es solche
Kämpfe. Nach dem 1. Weltkrieg, als z.B. die B z.B.
gezwungen waren, den Iren die Home Rule ( Autonomie) zu
gewähren, brach sofort ein blutiger Kampf zwischen den
Freiheitskämpfern aus: irische Katholiken töteten
irische Katholiken.
Während des Kampfes der jüdischen Gemeinschaft in
Palästina gegen das britische Kolonialregime („das
Mandat“) wurde ein Bürgerkrieg nur dank einer Person
verhindert: Menachem Begin, des Kommandeurs des Irgun.
Er war entschlossen, unter allen Umständen einen
Bruderkrieg zu verhindern. David Ben Gurion wollte den
Irgun eliminieren, der seine Führung ablehnte und seine
Politik unterminierte. In der sog. „Saison“ befahl er
seiner ihm loyalen Haganah-Organisation, Irgunmitglieder
zu kidnappen und sie der britischen Polizei
auszuliefern, die sie folterte und in ein Gefängnis ins
Ausland brachte. Aber Begin verbot seinen Leuten, ihre
Waffen gegen Juden zu richten..
Solch ein Kampf unter Palästinensern wird nicht zu einem
Bürgerkrieg werden, weil das ganze palästinensische Volk
absolut dagegen ist. Jeder denkt an die „Arabische
Rebellion“ von 1936, als der damalige palästinensische
Führer, der Großmufti Hadj Amin al-Husseini, seine
palästinensischen Rivalen umbringen ließ. Während der
drei Jahre der Rebellion (die in der zionistischen
Terminologie „Ereignisse“ genannt wurden), töteten die
Palästinenser unter einander viel mehr, als sie
britische und jüdische Gegner töteten.
Die Folge davon: als das palästinensische Volk im Krieg
von 1948 seinen Test, der seine gesamte Existenz betraf,
durchlebte, war es zersplittert und gespalten; es fehlte
ihnen eine vereinigte Führung, und es war abhängig von
der Gnade der arabischen Regierungen, die gegen
einander intrigierten. Sie waren nicht in der Lage,
gegen die viel kleinere gut organisierte jüdische
Gemeinschaft aufzustehen, die sofort eine vereinigte und
effiziente Armee aufstellte. Die Folge war die „Nakba“,
die schreckliche historische Tragödie des
palästinensischen Volkes. Was 1936 geschah, berührt das
Leben jedes einzelnen Palästinensers bis zum heutigen
Tag.
Es ist schwierig, einen Bürgerkrieg zu beginnen, wenn
das ganze Volk dagegen ist. Selbst Provokationen von
außerhalb – und ich vermute, dass es davon genug gegeben
hat – können ihn nicht auslösen.
Deshalb habe ich keinen Augenblick daran gezweifelt,
dass es am Ende zu einer Einheitsregierung kommen wird –
und ich bin sehr froh, das dies nun geschehen ist.
WARUM IST dies gut für Israel? Ich will etwas sagen,
was viele Israelis und ihre Freunde in der Welt
schockieren wird:
Wenn es die Hamas nicht geben würde, dann müsste sie
erfunden werden.
Wenn eine palästinensische Regierung ohne Hamas gebildet
worden wäre, hätten wir sie solange boykottieren müssen,
bis die Hamas mit eingeschlossen worden wäre.
Und wenn wir durch Verhandlungen ein historisches
Abkommen mit der palästinensischen Führung erreichen
sollen, sollten wir es unter einer Bedingung machen:
dass Hamas mit unterzeichnet.
Klingt das verrückt? Natürlich. Aber das ist die
Lektion, die uns die Geschichte aus Erfahrungen anderer
Befreiungskriege lehrt.
Die palästinensische Bevölkerung in den besetzten
Gebieten ist fast gleich zwischen der Fatah und der
Hamas geteilt. Es macht überhaupt keinen Sinn, ein
Abkommen nur mit der Hälfte der Bevölkerung zu
unterzeichnen und einen Krieg gegen die andere Hälfte zu
führen. Auf jeden Fall werden wir ernsthafte
Konzessionen machen – wie den Rückzug zu enger
gezogenen Grenzen, Rückgabe von Ost-Jerusalem an seine
Besitzer. Sollen wir dies für ein Abkommen tun, das von
der Hälfte des palästinensischen Volkes nicht
akzeptiert wird und dem sie nicht verpflichtet ist? Für
mich wäre das der Gipfel der Torheit.
Ich will noch weitergehen: Hamas und Fatah vertreten nur
einen Teil des palästinensischen Volkes, das in der
Westbank, im Gazastreifen und in Ost-Jerusalem lebt.
Millionen palästinensischer Flüchtlinge ( keiner kennt
die genaue Zahl) leben außerhalb des Gebietes von
Palästina und Israel.
Wenn wir tatsächlich für ein vollständiges Ende des
historischen Konfliktes kämpfen, müssen wir uns um eine
Lösung bemühen, die sie mit einschließt. Deshalb
hinterfrage ich sehr die Weisheit Zipi Livnis und ihrer
Kollegen, die verlangen, dass die Saudis von ihrem
Friedensplan jede Erwähnung der Flüchtlinge fallen
lassen sollen. Schlicht gesagt: es wäre stupide.
Der gesunde Menschenverstand würde das genaue Gegenteil
raten: verlangen, dass die Saudi Friedensinitiative, die
zu einem offiziellen pan-arabischen Friedensplan
geworden ist, die Flüchtlingsfrage mit einschließt,
damit das Endabkommen auch eine Lösung für das
Flüchtlingsproblem darstellt.
Das wird sicher nicht einfach sein. Das
Flüchtlingsproblem hat psychologische Wurzeln, die den
eigentlichen Kern des palästinensisch-zionistischen
Konfliktes berühren, und es betrifft das Schicksal von
Millionen von Menschen. Aber wenn der arabische
Friedensplan besagt, dass die Lösung eine in
Übereinstimmung sein muss – also in „Übereinstimmung“
mit Israel – dann wird sie aus dem Reich unvereinbarer
Ideologien in die Realität, in die Welt der Abkommen und
Kompromisse gesetzt. Ich habe dies viele Male mit
arabischen Persönlichkeiten diskutiert, und ich bin
davon überzeugt, dass ein Abkommen möglich ist.
DIE NEUE palästinensische Regierung gründet sich auf das
„Mekka-Abkommen“. Es scheint, als sei es nicht ohne die
energische Intervention von König Abdullah von Saudi
Arabien zustande gekommen.
Der internationale Hintergrund muss auch berücksichtigt
werden. Der Präsident der USA ist dabei, sein
Irakabenteuer mit verzweifelten Bemühungen zu einem Ende
zu bringen, damit es in die Geschichte nicht als totale
Katastrophe eingeht. Zu diesem Zweck versucht er, eine
sunnitische Front zusammen zu bringen, die den Iran
blockiert und hilft, die sunnitische Gewalt im Irak zu
beenden.
Das ist natürlich eine stark vereinfachende Idee. Sie
berücksichtigt die große Komplexität der Realitäten
dieser Region nicht. Bush hat im Irak eine Regierung
eingesetzt, die von den Schiiten dominiert wird. Er hat
versucht, das sunnitische Syrien zu isolieren. Und Hamas
ist natürlich eine fromme sunnitische Organisation.
Aber das amerikanische Staatsschiff fängt an, sich zu
drehen. Als riesiges Schiff kann es dies nur sehr
langsam. Unter amerikanischem Druck willigte der
saudische König – vielleicht widerwillig – darin ein,
die Führung der arabischen Welt auf sich zu nehmen,
nachdem Ägypten diese Aufgabe nicht erfüllt hatte. Der
König hat Bush überzeugt, dass er mit Syrien reden
müsse. Nun versucht er, ihn davon zu überzeugen, dass
er Hamas akzeptieren muss.
In diesem Bild ist Israel ein Hindernis. Vor ein paar
Tagen flog Ehud Olmert nach Amerika, um der Konferenz
der jüdischen Lobby, AIPAC, mitzuteilen, dass ein
Rückzug aus dem Irak eine Katastrophe wäre – übrigens im
Gegensatz zur Meinung von mehr als 80% der
amerikanischen Juden, die einen baldigen Rückzug
befürworten. In der letzten Woche gab der US-Botschafter
in Tel-Aviv zu verstehen, dass es der israelischen
Regierung nun erlaubt sei, Verhandlungen mit Syrien zu
führen – man kann vermuten, dass dieser Wink sich bald
in eine Order verwandeln wird. Vorläufig ist in den
Positionen der israelischen Regierung keine
Veränderung zu bemerken.
LEIDER WIRD gerade jetzt, wo eine palästinensische
Regierung die Chance hat, stark und stabil zu werden,
die israelische Regierung immer schwächer.
Die Unterstützungsquote für Olmert nähert sich den
Umfragen nach auf Null zu. Die Prozente können an den
Fingern einer Hand gezählt werden. Praktisch jeder
spricht über seinen politischen Abgang innerhalb weniger
Wochen, vielleicht nach der Veröffentlichung der
zeitweiligen Untersuchungsergebnisse der
Winigrad-Kommission über den zweiten Libanonkrieg. Aber
selbst wenn es Olmert gelingen sollte, politisch zu
überleben, dann würde es eine Lahme-Enten-Regierung
sein, die nicht in der Lage wäre, irgendetwas Neues zu
starten - und sicher keine mutige Initiative gegenüber
der neuen palästinensischen Regierung.
Doch wenn Bush uns auf der einen und der saudische
König uns von der anderen Seite unterstützen würde,
vielleicht könnten wir dann doch ein paar Schritte
vorwärts gehen.
In unserer Gegend sagt man: In scha Allah, wenn Gott
will.
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
|