Rezept für ein
Desaster
Lily
Galili, Haaretz. 3.5. 08
Es
gibt nichts Fröhliches oder Positives zum 30. Geburtstag von Peace
Now zu berichten. Allein die Tatsache, dass es diese Gruppe noch
immer gibt, ist ein Beweis, dass es noch immer keinen Frieden gibt.
Ähnlich ist es mit den Ärzten für Menschenrechten , den PHR. Es gibt
keinen Grund, den 20. Jahrestag zu feiern. Ihr Erfolg sollte daran
gemessen werden, dass sie weniger benötigt werden.
Statt durch andere erfolgreiche Gesundheitsdienste an den Rand
gedrückt zu werden, gewinnen die PHR an Schwung und finden neue
Aufgaben und Gemeinden – und nicht nur jene jenseits der Grünen
Linie. Die Organisation scheint jetzt nötiger zu sein als vorher.
Ein angenehmes Getöse umgibt die Menschenrechtsgruppe in dieser
Woche, als sie mitten in Jaffa in ein neues Büro umzog. Aber die
vorläufigen Hinweisschilder, die in den verschiedenen Räumen
angebracht wurden, sind beängstigend: „besetzte Gebiete“, „Abteilung
israelischer Bewohner“, „Abt. für Gefangene“, Abt. für
Migranten/Gastarbeiter“, „Leute ohne Papiere“ - jede Abteilung
spricht von Tausenden verschiedener Tragödien.
Vor 20 Jahren schienen die Dinge noch anders. Dr. Ruchama Marton und
ihre Kollegen besuchten das Shifa-Krankenhaus im Gazastreifen. Sie
waren geschockt von dem, was sie dort sahen. Sie entschieden damals,
dass so lange die Besatzung dauert, die medizinische Versorgung in
der Westbank und im Gazastreifen verbessert und schließlich den
israelischen Standards angeglichen werden muss.
An
dem einen friedlichen Tag der letzten Dekade, als - mit der Ankunft
Arafats im Gazastreifen - die medizinische Versorgung in den
besetzten Gebieten der palästinensischen Kontrolle übergeben wurde,
starb der 1. Dialysepatient, weil es an einem Dialysegerät fehlte.
Es war klar, dass der Prozess, die paläst. medizinische Versorgung
zu verbessern, nicht einfach sein wird, auch wenn niemand damit
gerechnet hat, dass es so kompliziert werden würde.
20
Jahre später leitet Frau Dr. Marton noch immer die PHR, die
Besatzung besteht noch immer, der medizinische Standard hat sich
nicht genügend verbessert. Der Wunsch nach dem Hilfsdienst der
Gruppe wird größer und dramatische Veränderungen in der isr.
Gesellschaft haben der Menschenrechtsgruppe neue Aufgaben vor die
Türe gelegt.
Israelis wissen wenig über die PHR, die aus israelischen ( und isr.
arabischen) Ärzten besteht, die in die besetzten Gebiete gehen und
dort Palästinenser behandeln. Manche sind mit solchen Aktivitäten
sehr einverstanden, andere denken: man sollte zuerst den armen
Leuten in der eigenen Stadt helfen, und andere behaupten, sie würden
dem Feind helfen.
Auf jeden Fall ist die Organisation in den besetzten Gebieten
bestens bekannt. Die Ärzte pflegten einmal im Monat - am Shabbat -
in die besetzten Gebiete zu fahren. Seit 2000 fährt die
PHR-Ambulanz-Mobilklinik jeden Samstag dorthin. Aber es genügt noch
nicht. 55% des organisierten Budget ( der größte Teil davon kommt
von Spendern aus Israel und dem Ausland und ist für die Aktivitäten
in den besetzten Gebieten bestimmt, einschließlich Medikamenten.)
Von den 17 626 Personen, die 2007 die Dienste der PHR in Anspruch
nahmen, wurden 11 288 von der Mobilklinik behandelt, d.h. also, sie
waren Palästinenser.
Der Direktor dieser Mobilklinik Dr.Sahal Haj Yalya sagt, die
Gesundheitssituation sei wegen des Trennungszauns und der
zahllosen Straßensperren schlechter geworden.
Nach dem aktuellen Dienstplan der ca. 1500 freiwilligen Ärzte
behandeln 20-30 von ihnen jeden Samstag ca. 300-500 Patienten. Die
Palästinenser versuchen, bessere medizinische Lösungen zu finden.
Täglich gibt es z.B. um 2 Uhr 45 im Westbank-Radio eine Sendung für
schwangere Frauen, um sich auf Schwierigkeiten, das Krankenhaus
rechtzeitig zu erreichen, vorzubereiten. Man schlägt ihnen vor, bei
Verwandten zu bleiben, die in der Nähe von medizinischen Zentren
wohnen. Es werden auch Ratschläge an Familienmitglieder und
weibliche Nachbarn gegeben, die dann ad-hoc Hebammen werden. Das
Programm wird von Charitas-Organisatoren des World-Medical-Relief
finanziert.
Wir sind nicht die „Ärzte ohne Grenzen“, wir sind an den
Verletzungen ( der Menschenrechte) mit beteiligt, für die Israel
verantwortlich ist, sagt der PHR-Vorstand Dr. Danny Filk. Als Filk
2004 als Arzt in den Reservedienst gerufen wurde, wurde er ins
Gefängnis gesteckt, weil er sich weigerte, in den (besetzten)
Gebieten Dienst zu tun. Zwei Jahre vorher hatte er von der Armee
eine Auszeichnung erhalten. Im nächsten Jahr – gerade 45 – machte er
noch seinen Reservedienst. Filk, der als Vorstand in den letzten
Jahren gedient hatte, bringt eine besondere soziale Doktrin und
Weltansicht in die PHR.
„Wir sind keine philanthropische Organisation, und wir machen keine
ärztlichen Dienste anstelle des Staates,“ erklärt er. „Wir bieten
die Dienste einer Bevölkerung an, für die der Staat von Anfang an
bestimmt hat, keine Rechte zu haben und aus der israelischen
Gesellschaft ausgeschlossen worden zu sein.“
Vor ein paar Monaten schloss die Organisation ihre alte Klinik. Das
Team schaffte die Flut der Flüchtlinge nicht mehr und überdachte die
Situation neu. Sie dachten sogar daran, die Verantwortung wieder dem
Staat zuzuschieben. Das Dilemma löste sich fast von selbst, als der
Eigentümer des neuen Büros sagte, er wolle keine „Afrikaner mit
exotischen Krankheiten“ hier. Der Hausbesitzer in Jaffa dagegen war
toleranter, und dort wird die PHR-Klinik bald eröffnet werden.
Trotzdem ist es für Flüchtlinge und Fremdarbeiter schwieriger, nach
Jaffa zu kommen als nach Tel Aviv. Die Fahrt auf einer Extrastrecke
vergrößert das Risiko illegaler Bewohner, von den Behörden
geschnappt zu werden,
Israelischer als
ich
Die Patienten der Klinik machen deutlich, dass es in der
israelischen Gesellschaft eine Veränderung gibt. Die häufigsten
Besucher sind Fremdarbeiter und Flüchtlinge. Filk sagte, dass er
besonders bewegt war, als er es mit einem 10jährigen Jungen zu tun
hatte, der ein Sohn eines Fremdarbeiters aus Columbien war. Seine
Versicherungsgesellschaft wollte ihn nicht anerkennen und seine
Unkosten für seine Erkrankung nicht übernehmen. Woche um Woche
stellte Filk eine Verschlechterung der Gesundheit des Jungen fest.
Sein Humpeln wurde immer schlimmer und Fußball konnte er auch nicht
mehr spielen – bis die Familie gezwungen wurde, das Land zu
verlassen. „Wenn es nach seinem fließenden Hebräisch gegangen wäre,
dann ist er israelischer als ich,“ sagte Filk mit einem schweren
argentinischen Akzent.
Ran Cohen, der die Abteilung der Migranten und Obdachlosen leitet,
hat das Problem, das schreckliche Schicksal von drei jungen Männern
aus Guinea zu akzeptieren. Er erinnert sich an den Tag, als er sie
das erste Mal in der Klinik traf, nachdem sie mehrere Wochen
gewandert waren – und eine Woche ohne etwas zu essen. Sie dachten,
sie seien legal hierher gekommen, um dann herauszufinden, dass sie
Schwindlern zu Hause aufgesessen waren – und der Polizei in Israel.
Cohen hat auch die Frau von den Philippinen nicht vergessen, die
eine Schlüsselkette mit einem Foto ihres Sohnes trug, den sie seit
15 Jahren nicht gesehen hatte. Sie hatte Krebs und wird ihren Sohn
wohl nicht mehr sehen.
„Eine Zeit lang befasste sich diese Abteilung nur mit
Gastarbeitern,“ sagte PHR-Direktorin Hadas Ziv.
Heute sind es auch Flüchtlinge, Asylanten, nicht anerkannte Paare,
Juden und Kollaborateure, die anscheinend nicht genug geholfen
haben.,“ sagte sie zynisch. „In den letzten Jahren kamen Gefangene,
besonders Sicherheitsgefangene zu diesem menschlichen Arsenal hinzu,
auch israelische Kriminelle, denen das Recht der notwendigen
medizinischen Versorgung versagt wird. Manchmal ist es individuelle
Behandlung, manchmal wird es zu einem Kampf, um die Politik zu
ändern. Wir erfahren etwas über Politik über die Forderungen, die
man an uns stellt. Und dann greifen wir ein und gehen bis zum
Obersten Gerichtshof.
Eine der letzten von den PHR erstellten Petitionen beim Obersten
Gerichtshof betraf das Schicksal eines Beduinenmädchens in einem der
nicht anerkannten Dörfer im Negev, die eine Klimaanlage brauchte, um
ihr Leiden zu mildern und auch einen Kühlschrank für die
Medikamente. D.h. hier wäre Strom nötig – aber diese Dörfer sind
nicht an das Stromnetz angeschlossen. Im besten Fall erhalten sie
Strom durch einen Generator, der aber nur ein paar Stunden am Tag
funktioniert. Der Oberste Gerichtshof gab den Eltern die Schuld,
weil sie in einem nicht anerkannten Dorf leben würden. Die Richter
sagten, sie würden für die Gesundheit des Mädchens beten. Bassim
Abbas, der für die PHR-Abteilung der nicht anerkannten Dörfer
zuständig ist, hatte in dieser Woche noch einen Fall: ein Mädchen,
das ein Beatmungsgerät benötigt. Bis jetzt wurde noch keine Lösung
gefunden.
Die Klinik der HR-Gruppe war bis jetzt für die gedacht, die vom
Staat keine Gesundheitsversorgung erhalten. Doch die letzten Daten
belegen, dass 30% der Leute im untersten Fünftel sich die Medizin,
die sie brauchen, nicht leisten können.
Sie sind keine Palästinenser, sie sind keine Gefangenen, sie sind
keine Flüchtlinge und auch keine Migranten, sie sind auch keine
Beduinen aus nicht anerkannten Dörfern. Sie sind Juden und noch
nicht einmal die Ärmsten der Armen. Es sind einfach Leute, die es
nicht schaffen. Die neueste Aufgabe von PHR ist es, sicher zu
stellen, dass der Zugang zur Gesundheitsfürsorge nicht vom
finanziellen Status einer Person abhängt.
Die Vision der Organisation, den Laden wegen mangelndem
öffentlichen Interesse zu schließen, scheint, in sehr große Ferne
gerückt zu sein.
(Dt. Ellen Rohlfs)
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