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Von der Dunkelheit zum Licht
Adam Keller, 1.
Februar 2011
Es geschieht immer wieder im Laufe der
Geschichte, und jedes Mal kommt es überraschend. Die Menschen
ertragen Jahrzehnte lang, manchmal Jahrhunderte lang schwere
Unterdrückung und sehen keinen Ausweg außer der Resignation. Mit
der herrschenden Macht stößt jeder zusammen, der es wagt, zu
protestieren oder sich aufzulehnen. Und plötzlich, ohne dass es
jemand erwartet oder voraussagt, löst ein Funke einen großen
Brand aus. Die Unterdrückten wachen auf und vereinigen sich,
rebellieren und entdecken, wie viel Macht sie haben. Plötzlich
brechen die Ketten und der Unterdrückungsapparat zerfällt in
fallende Stücke ; und jene, die gestern unterdrückt wurden,
atmen die berauschende Luft der Emanzipation.
So muss es 1789 in Paris gewesen sein, als
die Menge die grauenhafte Festung und das Gefängnis, die
Bastille, stürmte. Oder in Berlin als 1989 Tausende begeisterter
junge Leute auf der Mauer feierten, wo nur wenige Tage zuvor
jeder, der sich der Mauer näherte, mit Erschießen bedroht wurde.
Einer der ersten bekannten Fälle in der
menschlichen Geschichte war in Ägypten vor Tausenden von Jahren,
als ein Umstürzler mit Namen Moses ein versklavtes Volk
anführte, um einem der größten Herrscher der damaligen Zeit
gegenüber zu treten und aus der Sklaverei in die Freiheit zu
kommen, von der Unterdrückung zur Erlösung, aus der Trauer zum
Feiern, aus der Dunkelheit in ein großes Licht – so wie wir uns
an Pessach daran erinnern. Und noch einmal zurück zu dem Tag am
Tahrirplatz, dem Freiheitsplatz, mitten in Kairo, wo die
Millionen sich versammelten, um die Herrschaft der Tyrannei
abzuschütteln.
Wer kann gegen die Forderung und die Hoffnung
der ägyptischen Massen sein – von Jungen und Alten, Männern und
Frauen, Säkularen und Religiösen, Muslimen und Christen – um ihr
Leben zu ändern und mit allen Grundrechten in einer Demokratie
zu leben. Wer kann dagegen sein, dass sie dieselben Rechte wie
die Bürger in Israel haben: das Recht der freien Äußerung, sich
politisch organisieren, wie es ihnen gefällt, ihre eigene
Regierung und ihr Parlament in freien und demokratischen Wahlen
wählen?
Wer kann dagegen sein? In Israel können dies
viele, eine Menge Politiker und Journalisten, Kommentatoren und
Experten konnten sich bis vor einer Woche nicht vorstellen, was
auf ihrem Arbeitsfeld geschieht. Alle drücken ihre Besorgnis
und Befürchtung über das aus, was im Nahen Osten herumgeistert
– das Gespenst der Demokratie, der wilde Sturm, der durch die
Straßen Kairos und Alexandria und Suez und anderer Städte
Ägyptens bläst. Eine Demokratie? In Ägypten? In einem arabischen
Land – eine Katastrophe, was für ein Alptraum, ein wirklicher
Alptraum!
Wer kann sagen, was sich tatsächlich
abspielen wird, wenn im Land am Nil freie Wahlen abgehalten
werden? Wirklich freie Wahlen, wahre demokratische, bei denen
sich alle Kandidaten selbst präsentieren und alle Parteien in
Wettbewerb treten können – in einem Land von 80 Millionen
Bürgern. Wer kann etwas dazu sagen? Das ist das Problem bei
freien Wahlen. Man kann über das Ergebnis erst sicher sein, wenn
alle Stimmen ausgezählt worden sind.
Es gibt keine Sicherheit und keine Garantie,
dass bei freien und demokratischen Wahlen – in Ägypten oder in
einem anderen Land - es immer gute und würdige Kandidaten
gibt, die gewählt werden. Hier in unserm Staat Israel, der sich
bis jetzt rühmte, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein,
kann man an einem lebendigen Beispiel sehen, wie religiöse
Nationalisten ins politische System dringen und Macht und
Einfluss gewinnen können , weit über ihre Zahl hinaus. Es gibt
auch ein sehr konkretes Beispiel, wie ein rassistischer Demagoge
eine politische Partei aufbauen und eine Kampagne purer Hetze
führen und sogar die Rolle des Außenministers unmittelbar nach
den Wahlen gewinnen kann. An demselben Tag sahen wir in der
Knesset in Jerusalem, wie Parlamentarier vorschriftsmäßig bei
demokratischen Wahlen sich an einer Hexenjagd beteiligen und
versuchen, Menschenrechtsorganisationen mundtot zu machen und
das demokratische System, in das sie gewählt wurden, zu
unterminieren.
Winston Churchill sagte einmal über die
Demokratie: „Es ist die schlechteste Regierungsform außer all
den anderen Formen, die schon versucht worden sind.“
Herzliche Glückwünsche demokratisches
Ägypten, das heute geboren wurde. Glückwünsche von ganzem
Herzen!
Aber wie steht es mit dem Frieden?
„Nur Hosni Mubarak und die mit ihm eng
verbunden waren, sind wirklich mit Frieden zwischen Ägypten und
Israel engagiert. Wenn die Macht diesen Kreis verlässt, wird der
Frieden in großer Gefahr sein, schrieb einer der Experten in
Yediot Aharonot. Sie sind ganz verwirrt und wussten in der
letzten Woche nicht mehr weiter.
Tatsächlich ist der Frieden zwischen Israel
und Ägypten schon seit Jahren ein kalter Frieden, ein Frieden
ohne Seele mit dem Regime, aber nicht mit dem ägyptischen Volk.
Und dies aus einem klaren und eindeutigen Grund – die
fortgesetzte Besatzung und Unterdrückung des palästinensischen
Volkes durch Israel. In seiner historischen Rede in der Knesset
rief der ägyptische Präsident Anwar Sadat vor 33 Jahren zu einer
Beendigung der Besatzung auf und zu einem Frieden zwischen
Israel und den Palästinensern; er versuchte, die psychologischen
Mauern, die beide Völker trennten, zu stürzen. Doch die auf
einander folgenden israelischen Regierungen stattdessen
bestanden auf der Unterdrückung der Palästinenser. Vom Sabra und
Shatila-Massaker nur wenige Monate nachdem der
israelisch-ägyptischen Friedensvertrag geschlossen wurde, bis
zum Bombardement und Massaker in Gaza während der Cast
Lead-Operation – die Ägypter waren über ihre Fernsehschirme
Zeugen des Horrors, der sie den Frieden ihres Landes mit
Israel zu einem widerlichen Phänomen werden ließ.
In diesem Augenblick richtet sich der Kampf,
der in den Straßen der ägyptischen Städte weitergeht, nach
innen und hat einen großen Wandel des Regimes und der
Gesellschaft zum Ziel, und Beziehungen mit Israel spielen nur
eine marginale Rolle . Nur wenn endlich die Besatzung beendet
ist und mit den Palästinensern Frieden geschlossen wurde, kann
Israel mit Ägypten den Frieden bewahren und sogar stärken – egal
welche Regierung und welches Regime aus dem augenblicklichen
Volkskampf auftauchen wird.
(dt. Ellen Rohlfs)
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