Der Gerichtshof zeigt keine Sympathie
Nurit
Peled Elhanan, 14.Oktober 2009
Bild: Abir Aramin and Smadar Elhanan
Am
Mittwoch trafen wir uns – Mitglieder von ‚Kämpfern für den Frieden’,
Frauen von Machsom Watch, Forum der trauernden Familien und der
Schriftsteller David Grossman – um an einer Anhörung im Obersten
Gerichtshof teilzunehmen, bei der es auf Grund von fehlenden
Beweisen bei der Untersuchungsakte zur Tötung der 10jährigen Abir
Aramin vor drei Jahren ging.
Die Anhörung sollte zunächst um 11 Uhr beginnen, wurde dann auf 9
Uhr verlegt, schließlich auf 10 bzw. auf 1 Uhr und begann um zwei
Uhr. Journalisten rannten im Korridor hin und her. (Wer starb? Ein
kleines Mädchen? Wirklich? Entschuldigen Sie Herr .., starb Ihre
kleine Tochter? Ja! Dann sind sie Bassam Aramin? Nein, Ich bin Rani
Elhanan. Oh Entschuldigung! Wo ist dann dieser Aramin? Und wer sind
Sie? Wir kommen von Machsom Watch. Von welchem Checkpoint? Was tun
Sie dann hier? Und wer sind Sie? Ich bin ein Freund. Von diesen
Palästinensern? Ja. Wie kommt das? Wie kann das sein? Darf ich Sie
interviewen? Hatten sie eine Tochter , die starb? Wirklich? Wann?
Wie? Wie heißt die? Und nach all dem sind Sie auf ihrer Seite?
Doch am Ende des Tages gab es in keiner israelischen Zeitung ein
Bericht über das, was geschehen war.
Salva und Bassam Aramin sind keine Juden und auch keine Israelis.
Sie leben unter der grausamen Besatzung, und sie haben alles darin
erlebt, was sie anbietet: Exil, Gefangenschaft und den Mord an ihrer
kleinen Tochter durch eine Gummigeschosskugel, die angeblich aus
einem Gewehr der Grenzpolizei, die in einem gepanzerten Jeep saß,
abgeschossen wurde. Das Gewehr steckte in einer Öffnung und zielte
angeblich auf den Kopf des Mädchens, das mit seiner Schwester in der
Schulpause an einem Kiosk stand, um etwas Süßes zu kaufen. Das
Projektil wurde aus dem Körper des Mädchens entfernt und den
Behörden übergeben. Die Augenzeugen genau wie die Soldaten
bezeugten, es hätte keine Schießerei gegeben und es habe keine
Gefahr für das Leben der Soldaten bestanden, also das Schießen –
falls es stattgefunden habe – gegen die Vorschriften war. Zwei
Pathologen bezeugten, dass der Bruch in Abirs kleinem Kopf
wahrscheinlich durch eine Gummistahlkugel verursacht wurde. Das
Video einer Rekonstruktion des Vorfalles wurde der Verteidigung oder
dem Gericht nicht gegeben, weil die Soldaten, die angeblich das
Schießen ausgeführt haben … auf der Aufzeichnung zu erkennen sind.
Die Staatsanwältin stand stotternd, unvorbereitet und ungepflegt wie
ein Gruppenkommandeur vor neuen Rekruten mit dem Rücken zum
Publikum und wies die Behauptungen zurück: „Es wurde also ein
Projektil gefunden, na und? sie ( diese Araber) sagen allerlei,
macht sie das zu Zeugen? Keiner hat an dieser Stelle also Steine
geworfen , na und? auf einer Straße in der Nähe wurden Steine
geworfen. Wenn sie an meiner Stelle wären – sagte sie lachend zu
Michael Sfard, Aramins Anwalt, würden sie jetzt kleine Stücke aus
ihnen gemacht haben.
Die Richterin Beinish erinnert Sfard – zweimal – dass es solche
Vorfälle in der Vergangenheit schon mehrfach gegeben hätte und dass
Soldaten selten vor Gericht gebracht oder gar verurteilt werden.
Also wäre es das Beste, dies zu vergessen. Die Staatsanwältin sagt
lachend: ich hatte das Vergnügen, an solchen Gerichtsverhandlungen
teilzunehmen.
Aber Salwa und Bassam Aramin haben keine andere Wahl, als
Gerechtigkeit vor einem israelischen Gericht zu suchen. Sie
verlangen, dass die Wahrheit in einem Gericht des Besatzers, der
Mörder, ans Licht kommt. „Damit ich ruhig schlafen kann und Abir
auch,“ sagt Salwa den Journalisten.
Das perfekte Verbrechen, schrieb Jean-Francois einmal, ist nicht
das Morden, sondern die Unterdrückung der Zeugenaussage und das
Zum-Schweigen-bringen der Stimmen der Opfer. Und die größte
Ungerechtigkeit ist die, wenn man die Opfer zwingt, Gerechtigkeit
vor dem Gericht ihrer Peiniger zu suchen.
Da
die Richterin Beinish in ihren Kommentaren gegenüber Sfard
implizierte, das Blut von Palästinensern sei in diesem Land billig,
sei für das Töten von Palästinensern – Kindern, Erwachsenen,
Neugeborene, alte Leute - keiner bestraft worden. Die jüdischen
Mörder laufen frei und glücklich unter uns herum.
Diejenigen, die unsere israelischen Kinder ermordet haben, die
palästinensischen Selbstmordattentäter haben wenigstens gesagt:
„Lasst mich mit den Philistern sterben!“ (Richter 16,30) und
schonten uns mit irgendeiner Frage über ihre Gegenwart in der Welt.
Der Mörder von Abir Aramin verbringt diesen Abend sicher in einer
Bar ( ‚Shit! Was für ein schrecklicher Tag! Ein kleines Mädchen
rannte mir direkt vor mein Fadenkreuz’, mag er sagen) und er wird
noch viele Abende in vielen Bars verbringen, während Abis Eltern
Gerechtigkeit von den Besatzern, von den Unterdrückern suchen.
Mein 17jähriger Sohn Yigal saß den ganzen Tag geschockt mit im
Gerichtssaal. Am Abend fuhr er mit seinen Klassenkameraden nach
Auschwitz.
Um
seinetwillen hoffte ich, betete ich, bat ich inständig – ja ich
schrie fast nach den verschlafenen Richtern Beinish, Arbel,
Frocaccia – um einen Funken Menschlichkeit, ein mütterliches Gefühl
in ihnen zu finden, dass sie in die Augen von Salwa schauen mögen,
die nie zu weinen aufhörte, und in Bassams aschfahles Gesicht , dass
sie doch sagen möchten: Der Oberste Gerichtshof empfindet mit euch
und ist mit euch traurig über den Tod der kleinen Abir. Nichts
davon geschah.
Aus dem Hebr. übersetzt George Malent; dt.: Ellen Rohlfs)
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