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Politics for the People_02.02.2016

 

Die Logik der hungerstreikenden Palästinenser:
Wenn das Verhungern eine Waffe ist


Ramsy Baroud

Am Freitag, den 29. Januar befand sich der palästinensische Journalist Mohammed al-Qeq 66 Tage im Hungerstreik in israelischen Gefängnissen. Einen Tag, bevor er in sein drittes Koma fiel, sandte er durch seine Anwälte eine schriftliche Noitz für die Öffentlichkeit: Freiheit oder Tod.

Al-Qeq ist 33 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Fotos von ihm, die online zirkulieren und in den Strassen (zu sehen) sind, zeigen das Gesicht eines gut aussehenden Mannes mit Brille. Die Realität ist aber anders. "Er ist in einer sehr schlechten Verfassung. In den letzten Tagen ist er in sein drittes Koma gefallen, er wiegt nur noch 30 kg", teilte Ashraf Abu Sneina, einer von Al-Qeqs Anwälten Al Jazeera mit. Al-Qeq wurde nach einem israelischen Gesetz inhaftiert, dem berüchtigten Gesetz für Administrativhaft.

Tagelang gab es vage Vorhersagen über seinen unmittelbar bevorstehenden Tod, aber noch ist kein Ende seiner sich hinziehenden Feuerprobe in Sicht. Unglücklicherweise für einen Mann, der glaubt, das einzige Mittel zur Verteidigung und zum Protest, das er gegen die israelische Apartheid hat, sei sein Körper, haben das Rote Kreuz und andere internationale Gruppen viele Tage gebraucht, nur um den neuen Fall dieses Journalisten zur Kenntnis zu nehmen, der seit dem 24. November 2015 Nahrung und Medikamente verweigert.

Al-Qeq, der für das Saudi-Arabische Netzwerk Almajd TV arbeitet, wurde am 21. November in seinem Haus in Ramallah festgenommen. Das Internationale Rote Kreuz bezeichnete in seiner Erklärung mehr als 60 Tage nachdem Al-Qeq in Hungerstreik getreten ist, seine Situation als "kritisch", und stellte unmißverständlich fest, dass sein "Leben in Gefahr sei". Am 27. Januar äußerte sich auch die Europäische Union als "besonders besorgt" wegen der Verschlechterung des Gesundheitszustands von Al-Qeq.

Nach dem Gesetz für Administrativhaft hält Israel praktisch seit der Staatsgründung 1948 Palästinenser und Araber in Haft, ohne ihnen die Gründe für ihre Inhaftierung zu nennen. Es heißt, dass dieses Gesetz, das sich im wesentlichen auf "geheime Beweise" stützt, auf die Notstandsverordnungen der Britischen Mandats-Regierung zurückgeht.
Nachdem Israel 1967 die Westbank, Gaza und Ost-Jerusalem besetzt hatte, griff es in seinen verzweifelten Bemühungen, irgendeine legale Rechtfertigung für eine Haft ohne Gerichtsverfahren zu finden, nach jedem Strohhalm. Diese Bemühungen wurden schließlich 1979 im israelischen Gesetz über Autoritäten im Ausnahmezustand artikuliert.

Dieses Gesetz war eine Art Kompromiss zwischen dem internen Geheimdienst (Shin Bet), dem Staat und dem Gerichtssystem, bei dem es letztlich um eine Fassade und eine scheinbare legale Deckung für etwas ging, was nach dem internationalen Recht und den Gesetzen der meisten Staaten als rechtswidrig gilt. Dem Shin Bet wurde erlaubt welche Zwangsmaßnahmen auch immer anzuwenden – einschließlich physischer und psycholgischer Folter – um aus palästinensischen Gefangenen "erzwungene Geständnisse" herauszuholen, (und zwar) über einen Zeitraum von sechs Monaten, der von einem Gericht ohne Gerichtsverfahren oder Anklage erneuert werden kann.

Khader Adnan aus Jenin wurde Jahre lang unter dem Gesetz für Administrativhaft festgehalten. Der israelische Geheimdienst hatte keine Beweise, um ihn trotz der Beschuldigung, er sei ein geschätztes Mitglied der Organisation des Islamischen Dschihad, in irgendeiner Sache anzuklagen. Er wurde am 12. Juli 2015 freigelassen. Dies geschah aber erst, nachdem er mehrmals zum Hungerstreik gegriffen hatte, zwei Mal zu einem besonders langen: 2012 für 66 Tage und im Mai 2015 für 56 Tage.

Jedes Mal erreichte Adnan einen Punkt, an dem der Tod, wie im Fall von Al-Qeq, zur einer realen Möglichkeit wurde. Als wir ihn fragten, was ihn dazu gebracht habe, zwei Mal diesen gefährlichen Weg einzuschlagen, war seine Antwort prompt: "Wiederholte Inhaftierungen, die Brutalität, mit der ich verhaftet wurde, die Brutalität der Verhöre und schließlich die lange Administrativhaft" – ohne Gerichtsverfahren.

Administrativhaft ist rechtlich gesehen wie ein schwarzes Loch. Es bietet den Gefangenen keinen Ausweg und keinerlei Rechte, die Verhörenden gewinnen aber damit Zeit, den Geist des Gefangenen zu brechen und ihn/sie zu zwingen sich zu ergeben oder sogar - unter Folter – Dinge zu gestehen, die er/sie niemals begangen hat. "Es ist unsere letzte und einzige Chance", sagt der 33-j. Mohammed Allan aus Nablus, der so lange im Hungerstreik war, dass er einen Hirnschaden davongetragen und es ihn fast das Leben gekostet hat.

"Wenn du das Gefühl hast, dass alle Türen verschlossen sind und du gedemütigt und allein dastehst und weißt, dass das Gerichtssystem eine Farce ist, bleibt dir keine andere Option als der Hungerstreik", sagt er.

"Erst habe ich meine Absicht erklärt, indem ich drei Mahlzeiten nacheinander zurückgewiesen und durch den Dover (hebräische Bezeichnung für den Sprecher der Gefangenen in der Gefängnisabteilung) eine schriftliche Botschaft geschickt habe. Dann beginnt die Bestrafung. Es ist wie ein psychologischer Krieg zwischen der Gefängnisverwaltung, dem Staat und den Apparaten des Rechtssystems gegen ein einzelnes Inidividuum", der laut Allan 50 bis 60 Tage dauert.

"Meistens wird der Hungerstreikende sofort in eine Isolationszelle geworfen und werden ihm Matratze, Leintuch und andere grundlegende Notwendigkeiten versagt. Erst nach sechs Wochen oder so stimmen die Gefängnisbehörden einem Gespräch mit  den Anwälten zu, die den Gefangenen vertreten, um verschiedene Vorschläge zu diskutieren. Aber in der Zeit vorher hat der Gefangene keinerlei Hilfe, er ist von den anderen Gefangenen getrennt und ist einer ununterbrochenen Kampagne von Einschüchterungen und Drohungen ausgesetzt. Psychische Folter ist viel schlimmer als Hunger", sagt Allan.

"Du kannst nicht einmal mehr allein auf die Toilette gehen, du kannst nicht mehr stehen; du bist sogar zu schwach, um das Erbrochene, das sich unwillkürlich aus deinem Mund auf deinen Bart und deine Brust ergießt, wegzuwischen."
Allan ist im Gefängnis beinahe gestorben, und trotz einer gerichtlichen Anordnung, die der Gefängnisverwaltung erlaubte, ihn zwangs zu ernähren, weigerten sich die Ärzte im Soroka-Krankenhaus danach zu handeln. Mitte August 2015, als Allan das Bewußtsein verlor, wurden lebenserhaltende Maßnahmen eingesetzt. Die schwere Mangel- und Unterernärung hatte einen Hirnschaden zur Folge.

Ein dritter Hngerstreikender, Ayman Sharawneh ursprünglich aus Dura bei Hebron, aber nach Gaza deportiert, bezeichnet den Hungerstreik als "die letzte Kugel" in einem Kampf um die Freiheit, der mit dem Tod enden kann. Sharawneh, Adnan und andere, mit denen wir gesprocen haben, waren verbittert über den Mangel an adaequater Hilfe, als sie im Gefängnis mit dem Tod rangen.

"Alle Organisationen, palästinensische und internationale, machen für gewöhnlich kaum etwas", sagt er. "Sie springen erst in Aktion, wenn der Gefangene durch viele Tage Folter gegangen ist."
Er sagt, dass er zwei Jahre und acht Monate nach seiner Deportation nach Gaza starke Schmerzen im ganzen Körper, besonders in den Nieren habe.

Während dem langen Hungerstreik "begann ich meine Haare zu verlieren, litt unter ständiger Übelkeit, schneidenden Schmerzen in den Gedärmen, erst ein Auswurf von einer gelben Flüssigkeit, dann einer dunklen, und dann konnte ich kaum noch sehen. Ich hatte schreckliche Kopfschmerzen und bekam Risse in der ganzen Haut und den Körper."

Er stimmt mit Adnan überein, dass ein "individueller Hungerstreik" nicht als ich-bezogener Akt gesehen werden sollte.

"Mohammed Al-Qeq streikt nicht für sich selbst", sagt Adnan. "Er streikt für alle poltischen Gefangenen", deren Zahl von Addameer, einer Gruppe für die Rechte der Gefangenen, auf fast 7.000 geschätzt wird.

Laut Adnan, sollte der Hungerstreik nicht als Kampf innerhalb der israelischen Gefängnisse gesehen werden, sondern als Teil des Kampfes des palästinensischen Volkes gegen die militärische Besatzung.

Drei Gefangene erklärten sich solidarisch mit Al-Qeq und riefen damit zu einer viel größeren Unterstützung für den hungerstreikenden Journalisten und tausende gleich ihm auf, von denen sich viele in unbegrenzter Administrativhaft befinden.

Die Liste der bekannten hungerstreikenden Palästinenser geht über Al-Qeq, Adnan, Allan und Sharawneh hinaus, und umfasst viele andere, nicht zu vergessen Samir Issawi, Hana Shalabi, Thaer Halahleh und Bilal Thiab. Was all diese früheren Hungerstreikenden gemeinsam haben, ist, dass sie darauf bestanden, dass es bei ihrem Kampf nie nur um die Freiheit des Einzelnen geht, sondern für die ganze Gruppe verzweifelter, unterdrückter und unter Gewalt leidender Menschen.

Quelle: www.ramsybaroud.net/the-logic-of-hunger-striking-palestinians-when-starvation-is-a-weapon/

Übersetzung: K. Nebauer

 

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