Nahost-Kommission von pax christi Deutsche Sektion
25. Januar 2014
Stellungnahme zum Bereich Nahostpolitik im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 27. November
2013
Wir begrüßen
ausdrücklich, dass die Regierungskoalition in ihrem Vertrag
vom 27. November 2013 erklärt:
„…Die
Glaubwürdigkeit der Europäischen Union in ihrem
internationalen Einsatz für Menschenrechte hängt maßgeblich
davon ab, wie konsequent sie ihre Werte lebt und deren
Verletzung im Innern ahndet…“ und
und sich
ihrer internationalen Verantwortung stellt:
„…Dabei
lassen wir uns von den Interessen und Werten unseres Landes
leiten. Deutschland setzt sich weltweit für Frieden,
Freiheit und Sicherheit, für eine gerechte Weltordnung, die
Durchsetzung der Menschenrechte und die Geltung des
Völkerrechts sowie für nachhaltige Entwicklung und
Armutsbekämpfung ein…“ und speziell zum Schutz und zur
Förderung der Menschenrechte erklärt:
„…
Menschenrechte sind unteilbar und universell gültig. Wir
setzen uns für ihren Schutz und ihre Förderung ein, sowohl
innerstaatlich als auch in den auswärtigen Beziehungen…Unser
Ziel ist eine menschenrechtlich konsequente und kohärente
Politik. Die Basis bilden das Grundgesetz, die europäischen
und internationalen Menschenrechtskonventionen sowie das
humanitäre Völkerrecht…Die Bundesregierung wird sich aktiv
an der Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts
beteiligen…Wir werden darauf dringen, dass transnationale
Unternehmen soziale, ökologische und menschenrechtliche
Standards einhalten. Die ILO-Erklärung über multinationale
Unternehmen und Sozialpolitik, die OECD-Leitsätze und die
UN-Leitprinzipien über Wirtschaft und Menschenrechte stecken
hierfür den Rahmen ab…“
Daran muss
sich die künftige Regierungspolitik messen lassen.
Zu
Israel/Palästina:
Aus
historischer Verantwortung setzt sich Deutschland für die
sichere Zukunft von Jüdinnen und Juden weltweit und für das
Existenzrechts des Staates Israel in den Grenzen von 1949
ein. Genauso hat auch das palästinensische Volk ein Recht
auf sichere Existenz in einem souveränen, lebensfähigen
Staat. Der im Jahre 2012 von den Vereinten Nationen
eingeräumte Beobachterstatus der Palästinensischen
Autonomiebehörde ist ein Beitrag dazu. Für einen
palästinensischen Staat muss wie für den israelischen Staat
die Notwendigkeit und Forderung nach „anerkannten und
dauerhaft sicheren Grenzen“ gelten, wie es im
Koalitionsvertrag bislang nur für den Staat Israel steht.
Die
systematische Siedlungs-, Abriegelungs- und
Separationspolitik im Westjordanland, die tägliche
stattfindende Verdrängung von PalästinenserInnen aus
Ostjerusalem, die Hauszerstörungen und die Blockade des
Gazastreifens entziehen einem möglichen palästinensischen
Staat jedoch die Lebensgrundlagen und lähmen viele Aspekte
des Alltags- und Wirtschaftslebens. In der Westbank und in
Ostjerusalem sind bereits über eine halbe Million
jüdisch-israelische Menschen entgegen dem Völkerrecht
angesiedelt worden, in Siedlungen, die inzwischen z.T.
Städte mit einigen Zehntausend EinwohnerInnen sind, obwohl
das Völkerrecht klar untersagt, die eigene Bevölkerung in
einem besetzten Land anzusiedeln. PalästinenserInnen in der
Zone C erhalten seit Jahren - im Gegensatz zu der
jüdisch-israelischen Bevölkerung - keine Baugenehmigung.
In den
vergangenen Jahren hat es die Europäische Union bei der
Umsetzung von EU-Abkommen mit dem Staat Israel an Sorgfalt
mangeln lassen. Dadurch konnten Unternehmen, Institutionen
und Privatpersonen in den völkerrechtswidrigen israelischen
Siedlungen von verschiedenen Vergünstigungen und
Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen der EU-Mittelmeer- und
Nachbarschaftspolitik wie auch von Kooperationen mit
internationalen, auch deutschen Firmen profitieren. Die
Missionschefs der EU in der Region empfahlen 2012 dem
Ministerrat der EU, finanzielle Transaktionen von Akteuren
der Mitgliedsstaaten zur Unterstützung von
Siedlungsaktivitäten zu verhindern.
Die
Unterstützung für eine Zweistaatenlösung erfordert nicht nur
entwicklungspolitisches Engagement, sondern auch politisches
Einwirken, damit die Möglichkeit einer Zweistaatenlösung
nicht durch völkerrechtswidrige Besatzungsmaßnahmen
unmöglich gemacht wird.
Aus der
Sicht der Nahost-Kommission von pax christi ist es
erforderlich, dass sich die Bundesregierung und die sie
bildenden Parteien wie auch die Oppositionsparteien dafür
einsetzen, dass
> die
Besatzung, solange sie noch durch den Staat Israel besteht,
an klare Rechtspflichten gekoppelt ist und die legitimen
Sicherheitsanliegen des israelischen Staates ausschließlich
im Rahmen von Menschenrechten und Völkerrecht verfolgt
werden dürfen. Eine weitere Missachtung dieser allgemein
anerkannten Grundsätze durch die israelische Regierung darf
in Zukunft nicht mehr ohne Folge bleiben;
> bei der
Beurteilung völkerrechtswidriger Akte (etwa Angriffe auf
Zivilpersonen und zivile Gebäude) gleiche Maßstäbe an beide
Konfliktparteien angelegt werden;
>
rechtswidrige Besatzungsmaßnahmen – wie durch das
Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs 2004
festgestellt – gestoppt und rückgängig gemacht werden und
dort, wo der ursprüngliche Zustand nicht wieder herstellbar
ist, ein Anspruch auf Kompensation unterstützt wird; als
erste – vertrauensbildende - Maßnahmen sollten kein
Siedlungsbau und keine Erweiterung irgendwelcher Art in den
Siedlungen stattfinden sowie der Bau der Mauer/Sperranlage
sofort gestoppt werden;
> die
Europäische Union israelische Siedlungen auf
palästinensischem Gebiet, die einen Verstoß gegen die Vierte
Genfer Konvention darstellen, aus dem Anwendungsbereich
internationaler Verträge konsequent ausschließt. Ein erster
wichtiger und begrüßenswerter Schritt in diese Richtung sind
die Leitlinien vom 19. Juli 2013 „über die Förderfähigkeit
israelischer Einrichtungen und ihrer Tätigkeiten in den von
Israel seit Juni 1967 besetzten Gebieten im Hinblick auf von
der EU finanzierte Zuschüsse, Preisgelder und
Finanzinstrumente ab 2014“ sowie das diese Leitlinien
erläuternde Statement der EU-Außenbeauftragten Lady Ashton
vom 19. Juli 2013. Diese Leitlinien der EU basieren auf den
Beschlüssen und Vorgaben des EU-Ministerrates vom 10.
Dezember 2012. Mit diesen Leitlinien will die Europäische
Union – im völligen Einklang mit dem Völkerrecht –
gewährleisten, dass ihre Standpunkte und Verpflichtungen
bezogen auf die Nichtanerkennung von Israels Souveränität
über die von Israel seit Juni 1967 besetzten Gebiete
(Westjordanland, Golanhöhen, Ostjerusalem und Gaza-Streifen)
beachtet werden. Und sie kann dadurch verhindern, dass die
illegalen israelischen Siedlungen z.B. im Westjordanland und
in Ostjerusalem unterstützt werden.
Ein weiterer
notwendiger Schritt sollte die Kennzeichnung von Produkten
aus den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen in der
Westbank und in Ostjerusalem in Deutschland und in allen
EU-Staaten sein, wie es bereits in Großbritannien und
Dänemark oder z.B. bei Migros in der Schweiz praktiziert
wird;
> die
PalästinenserInnen in der Zone C (also in Gebieten, die
vollständig unter israelischer militärischer und ziviler
Kontrolle stehen und ca. 60 % des Gebiets der Westbank
ausmachen) sowie in Ostjerusalem wieder (ausreichend)
Baugenehmigungen bzw. Genehmigungen für Bauveränderungen
erhalten;
> der
einstimmige Beschluss des Deutschen Bundestages vom 1. Juli
2010 „Lage der Menschen in Gaza verbessern“ seine Umsetzung
in der israelischen Politik findet, d.h. , dass die Blockade
kontraproduktiv ist und den politischen und
Sicherheitsinteressen des Staates Israel letztendlich nicht
dient (Punkt 8), deshalb also "die Forderung der
Europäischen Union nach einer sofortigen Aufhebung der
Gaza-Blockade mit Nachdruck zu unterstützen..."
> angesichts
staatlicher Entwicklungshilfe für den Aufbau der
palästinensischen Wirtschaft von der Besatzungsmacht
verlangt wird, dass der Waren- und Dienstleistungsverkehr
innerhalb der durch Mauern, Zäune, Sperranlagen,
Kontrollpunkte und Straßensperren zerstückelten
Palästinensergebiete ungehindert möglich wird;
> Israel und
Palästina sich gegenseitig als Staaten in den Grenzen von
1949 anerkennen;
> die
Waffenlieferungen in den Nahen Osten, darunter auch
Kriegsschiffe nach Israel, beendet werden.
Wir möchten zudem zu bedenken
geben, dass die Aussage im Koalitionsvertrag zu „Israel als
jüdischem und demokratischen Staat…“ problematisch ist.
Denn ein Staat Israel, der sich als „jüdischer“ Staat
versteht, kann kein Staat sein, in dem alle Bürgerinnen und
Bürger die gleichen Rechte haben. Er kann somit nicht
demokratisch sein und macht die nichtjüdischen BürgerInnen
Israels, deren Bevölkerungsanteil immerhin 20 % beträgt, zu
BürgerInnen zweiter Klasse. Im Übrigen hält selbst der
israelische Präsident Peres (laut Ha´aretz vom 22. Januar
2014) es für nicht nötig, dass die palästinensische
Verhandlungsseite bei den derzeitigen Friedensverhandlungen
Israel als „jüdischen Staat“ anerkennt.