Buchvorstellung: "Antisemitismus und Islamophobie – ein Vergleich"
Arne Hoffmann
In
der Debatte um die Vergleichbarkeit
des Judenhasses mit der
Feindseligkeit gegenüber Muslimen
legen Dr. Sabine Schiffer, Leiterin
des Instituts für
Medienverantwortung, sowie der
Soziologe und
Religionswissenschaftler Constantin
Wagner mit ihrem Buch
Antisemitismus und Islamophobie
(HWK-Verlag) eine tiefschürfende
Analyse vor.
Dabei weisen sie von
Anfang an darauf hin, dass es
natürlich um keine Gleichsetzung der
Diskriminierung von Juden während
des Dritten Reiches und der
Diskriminierung von Muslimen im
Deutschland der Gegenwart gehen
kann, wie immer wieder vor allem von
jenen unterstellt wird, die eine
Debatte offenbar von Anfang an
unterbinden möchten. Stattdessen hat
ein jahrhundertealter,
wegbereitender Diskurs das Denken
überhaupt erst möglich gemacht, auf
dem die Greuel des
Nationalsozialismus entstehen
konnten. "Die Behauptung, dass Juden
absolut schädlich seien, war von
Theologen, Spinnern, Philosophen und
Demagogen so oft wiederholt worden,
dass sie schließlich von
Revolutionären internalisiert worden
war, die entschlossen waren,
entsprechend zu handeln" zitieren
die Autoren hierzu ein
Werk des Sozialhistorikers
Jacob Katz.
In Schiffers und Wagners Darlegungen
wird schnell klar, dass die
verschiedenen Gewalttaten, die in
der Geschichte gegen andere Menschen
begangen wurden (ob Kreuzzüge,
Kolonialismus, Sklaverei oder
Völkermord) grundsätzlich mit zwei
Strategien rechtfertigt wurden. Die
eine ist die Vorstellung von einer
Minderwertigkeit des Gegenübers, dem
man "helfen" müsse, seine Interessen
wahrzunehmen – wobei man als
Überlegener natürlich besser weiß,
wo diese Interessen gefälligst
liegen sollten als der Betroffene
selbst. Historisch wird man hier an
"the white man's burden" des
Kolonialismus denken, etwa nach dem
Motto: Wir armen Weißen müssen
leider die Last schultern, die
unselbständigen Schwarzen zu
ordentlichen Menschen zu erziehen.
Was Islamophobie angeht, findet sich
diese Strategie vor allem bei der
extremen Linken von den
Antideutschen (konkret, Lizas Welt
etc.) bis zum
Alice-Schwarzer-Feminismus ("auch
wenn du dummes Ding meinst,
freiwillig ein Kopftuch zu tragen,
wirst du dadurch in Wirklichkeit
unterdrückt"). Die zweite Strategie
entwächst aus dem
Verteidigungsmythos. Hier richtet
man seine Aggressionen gegen den
anderen, weil man sich vor ihm
vermeintlich schützen muss – ein
Denken, das viele Kriege ebenso
möglich machte wie den Holocaust.
Diese Strategie wird gegenwärtig vor
allem von rechts vertreten: also
etwa von Henryk Broder und seiner
"Achse des Guten", der Jungen
Freiheit, Pro Köln, Politically
Incorrect und so weiter. Natürlich
lässt sich inzwischen sehr darüber
streiten, ob man auch "konkret",
Lizas Welt, Alice Schwarzer und Co.
noch als links bezeichnen kann.
(Diese Unterteilung wurde im übrigen
vom Rezensenten vorgenommen und
findet sich nicht in
Schiffers/Wagners Buch selbst.)
Hieran schließt Schiffers Analyse
des antisemitischen Denkens an,
deren Vertreter sich tatsächlich als
defensive Bewegung sahen (und
sehen), ähnlich wie die Islamophoben
heute. So wurde unter anderem 1883
im Chemnitzer Aufruf vor der
"Jüdischen Gefahr" gewarnt, und
Chamberlain legitimierte die
rechtliche Schlechterstellung der
Juden damit, dass man sich vor ihnen
"schützen" müsse. Vermeintliche
Beweise gab es genug: "Hatten nicht
mehrheitlich jüdische Attentäter
1881 Zar Alexander ermordet? War der
Mörder des US-Präsidenten McKinley
1898 nicht ein jüdischer Anarchist?
Steckten nicht vielleicht doch
hinter weiteren Terrorakten, die die
Welt in dieser Zeit in regelmäßigen
Abständen erschütterten, jüdische
Täter, etwa beim Mord an der
österreichischen Kaiserin 1898 oder
am italienischen König 1900?"
Ritualmordvorwürfe sorgten ebenso
für Aufsehen wie die Dreyfus-Affäre,
der Rauschgifthandel war angeblich
vor allem in jüdischer Hand und
etliche Ideengeber der
Umbruchstimmung (Marx, Lassalle
etc.) waren Juden. Hätte es damals
schon das Internet gegeben, man
hätte die schönsten Hassblogs mit
solchen Halbwahrheiten und als
Tatsachen präsentierten
Spekulationen füllen können. Von
etlichen TV-Talkshows ganz zu
schweigen.
In der Wahrnehmung der
Mehrheitsbevölkerung fanden
juristische Auseinandersetzungen zur
damaligen Jahrhundertwende vor allem
zwischen Juden und Nichtuden statt,
während die Juden selbst
zusammenzuhalten schienen, wie das
bei Minderheiten nun einmal häufig
vorkommt. Das führte indes zu
Vorwürfen wie jenem, die Juden
würden einen "Staat im Staate"
bilden – heute würde man mit dem
Blick auf Muslime von
"Parallelgesellschaften" sprechen.
Und schon damals konnte es die
religiöse Minderheit der Mehrheit
nicht recht machen: Versuchten ihre
Mitglieder, ihre Kultur zu bewahren,
wurden sie als
integrationsverweigernd dargestellt,
wollten sie sich hingegen
assimilieren, beschuldigte man sie
der Verstellung und des
Parasitentums. Ähnlich wie heute den
Muslimen warf man schon damals dem
Judentum eine Unvereinbarkeit mit
der Moderne vor. Das Religiöse wurde
als grundsätzlich verdächtig und als
Bedrohung einer liberalen
Gesellschaft gesehen – in einer
"aufgeklärten" Welt schien es dafür
keinen Platz mehr zu geben. Und
obwohl der Anteil der Juden an der
Gesamtbevölkerung damals ebenso im
niedrigen einstelligen
Prozentbereich rangierte, wie dies
heute bei den Muslimen der Fall ist,
galten sie als gefährliche
Fremdkörper, die die Mehrheit
bedrohten. Begierig wurden Passagen
aus der Heiligen Schrift der Juden
gerissen ("Die Fremden magst du
überwuchern, deinesgleichen nicht"),
um damit die Gefahr zu belegen, die
angeblich von dieser Minderheit
ausging. Einzelne Autoren
spezialisierten sich geradewegs
darauf, das Alte Testament, die
Gesetzeswerke Hachalot sowie
philosophische Bücher und
Morallehren des Judentums selektiv
nach Zitaten auszuschlachten, mit
denen man den Juden irgendwas ans
Zeug flicken konnte. Dasselbe Spiel
spielt man heute mit Zitaten aus dem
Koran. Und schließlich äußerte sich
das allgemeine Misstrauen in
Forderungen nach einer Untersuchung
der Torahschulen und deren
Lehrbücher sowie nach Predigten in
deutscher Sprache. Von der
Mehrheitsgesellschaft gerne gehört
wurden indes jene, die persönlichen
Nutzen daraus zogen, als (ehemalige)
Juden das "Jüdische" abzulehnen.
Auch hier liegen die Parallelen zu
den Medienlieblingen der Gegenwart
auf der Hand. Der "Zentralrat der
Ex-Muslime" etwa konnte sich eines
begeisterten journalistischen
Interesses sicher sein, wie es einem
"Zentralrat der Ex-Christen" niemals
gegolten hätte.
Wie Schiffer/Wagner in einem eigenen
Kapitel (und an anderen Stellen des
Buches) zutreffend ausführen, ist
der Antisemitismus auch gegenwärtig
noch nicht völlig überwunden. Als
erstes Beispiel führen die Autoren
hier jene Form von Israelkritik an,
die weniger mit Interesse an den
Menschenrechten der Palästinenser zu
tun hat als mit bedenklichen Motiven
– etwa wenn Praktiken in Israel
fahrlässig und augenscheinlich vor
allem zur Entlastung der eigenen
Geschichte mit Praktiken im Dritten
Reich verglichen werden. In diesem
Zusammenhang räumen die Autoren aber
auch ein, dass die Debatte etwas arg
irre wird, wenn etwa ein Henryk
Broder solche Vergleiche einerseits
tabuisieren möchte, weil sie eine
Verharmlosung des
Nationalsozialismus darstellten,
andererseits aber beständig selbst
mit Nazi-Vergleichen um sich schlägt
- egal ob er diese gegen einzelne
Autoren richtet oder gegen Staaten
wie den Iran: "Gerade Protagonisten
wie Broder verlangen nichts anderes,
als Israel zur einzigen Ausnahme in
der Welt zu erklären: Israel wäre
demnach das einzige Land, auf den
ein Nazi-Vergleich nicht angewandt
werden darf." Mit dieser Markierung
durch eine Sonderstellung werde
antisemitischem Denken ebenfalls
Vorschub geleistet.
Als zweites Beispiel für
antisemitische Versatzstücke in der
Gegenwart führen Schiffer und Wagner
Udo Ulfkottes Reißer
"Gencode J" an: "In diesem Roman
konstruiert der Autor eine als
Fiktion getarnte antisemitische
Verschwörungstheorie ohnegleichen.
Er beschreibt Machenschaften des
Mossad sowohl in Nahost als auch in
Europa, die nahe legen, dass die
wirkliche Politik hinter den
Kulissen der öffentlich werdenden
Debatten gemacht wird – nämlich in
Israel. Während der Mossad-Agent
Abraham Meir sowohl innerhalb des
Dienstes als auch nach seiner
unehrenhaften Entlassung die Fäden
einer Verschwörung zieht, wird diese
gezielt Osama bin Laden und einem
islamistischen Netzwerk in die
Schuhe geschoben. Die
Weltöffentlichkeit glaubts. Und
während sie sich durch falsch
gestreute 'Informationen' hinters
Licht führen lässt, verfolgt Meir –
seinem religiösen Wahn vom heiligen
jüdischen Land erlegen – die
Verseuchung der Erde mit
Pesterregern, die in israelischen
Labors gentechnisch so manipuliert
worden seien, dass sie die
Mitglieder des jüdischen
Priestergeschlechts Kohanim
verschonen sollen."
Schiffer und Wagner merken hier zu
Recht an, dass Personen und Gruppen,
die sonst auch vor den
verstiegensten Unterstellungen von
Antisemitismus nicht zurückschrecken
(Henryk Broder und seine "Achse des
Guten", Lizas Welt und die
Lobbygruppe Honestly Concerned wären
hier beispielhaft zu nennen),
Ulfkottes Machwerk in trauter
Einigkeit übergehen. Der Gedanke
liegt nahe, dass dies nicht zuletzt
daran liegt, dass Ulfkotte in seinen
neueren, nicht weniger reißerischen
"Sachbüchern" dieselbe Gruppe als
Zielscheibe wählt, die auch von
Broder und Co. ins Kreuzfeuer
genommen werden: die Muslime.
War in den bisherigen Kapiteln die
Islamophobie der Gegenwart nur
implizit und gespiegelt im
Antisemitismus der Vergangenheit
Thema, kommen Schiffer und Wagner
nun direkt darauf zu sprechen. So
wie damals die Ängste vor den Juden
vor dem Hintergrund politischer und
wirtschaftlicher Unsicherheiten
entstanden, ist es heute offenbar
die Globalisierung, die zu ähnlich
bizarren Befürchtungen führt.
Schiffer liefert einen groben Abriss
der islamophoben Szene zwischen
Internetportalen, obskuren
Bürgerinitiativen und
antimuslismischen Karikaturen wie
etwa jenen Götz Wiedenroths. Es gibt
wohl nichts Neues unter der Sonne:
Webblogs wie Politically Incorrect
und die von Udo Ulfkotte betriebene
Website akte-islam.de erinnern die
Autoren in ihren endlosen
Auflistungen von muslimischen Taten
an die Sammlung "jüdischen
Vergehens", die Hans Diebow 1938 für
die Ausstellung "Der ewige Jude"
herausgab und die auf über 100
Seiten die
Weltverschwörungsabsichten der Juden
beweisen sollte – natürlich jeweils
garniert mit Zitaten aus der Torah:
"Aus jeder Zeit und von jedem Ort
der Welt wird alles, was Juden
diffamieren könnte, in einem
Sammelsurium zusammengestellt. Dabei
wird eie direkte Linie zwischen
Beobachtungen aus dem Ghetto im
Osten, jüdischen Viehändlern in
Deutschland bis hin zu
Geschäftsleuten aus den USA
gezogen." Das ist natürlich dasselbe
Prinzip, nach dem sich Politically
Incorrect, Akte-Islam und ihre
vielen Epigonen tätig sind.
Nicht nur die sprachlichen
Parallelen sind offensichtlich – so
wie heute die "Musel" verspottet
werden, machte man sich damals über
die "Wollschädel" lustig – auch die
eifernden Prediger fanden sich schon
damals: "Der Gott Jehowa (= Jahwe)
hat mit der deutschen
Religionsauffassung nicht das
mindeste zu tun. Jahwe ist der
Stammesgott der Juden und sonst
nichts. Alle anderen Völker will er
ausrotten oder wenigstens
schädigen." Man lese im
Kommentarbereich von Politically
Incorrect die geradezu geifernden
Beiträge gegen den "armseligen
Wüstendämon Allah" und findet dort
dieselben Zeichen religiösen Wahns,
der sich an dem Motto "Mein Gott ist
viel stärker als deiner" orientiert.
Auch zu der von Ulfkotte & Co.
gestreuten Behauptung, Muslime
würden in Metzgereien auf das
angebotene Schweinefleisch spucken,
findet sich eine Parallele aus dem
Jahr 2001 – nur dass es damals hieß,
Schweinefleisch sei von Juden mit
Urin beschmutzt worden. Und wenn auf
"Akte Islam" verbreitet werde, dass
ein Moslem dazu aufgerufen habe,
"das Blut der Ungläubigen zu
trinken", erinnere das an
Ritualmordvorwürfe, die in früheren
Zeiten gegen die Juden gerichtet
wurden.
Gründlich analysieren Schiffer und
Wagner die Sprache, die auf Websites
wie Politically Incorrect gang und
gäbe ist und mit welcher der Islam
im Zusammenhang mit Wörtern wie
"Krebsgeschwür" und
"Ansteckungsgefahr" genannt wird,
geradezu inflationär aber auch mit
dem Nationalsozialismus und dem
Faschismus gleichgesetzt wird.
Beides sorge dafür, dass dem Islam
und den Muslimen jegliche
Existenzberechtigung abgesprochen
werde. Und wenn früher Saddam
Hussein und heute Ahmadinedschad der
"neue Hitler" sei, ermögliche diese
Dämonisierung offenbar die
Propaganda für einen Angriffskrieg
und damit die diskursive
Ausschaltung des Völkerrechts. Wo
bei Diffamierungen anderer Gruppen
(Antisemitismus, phänotypischer
Rassismus) beherzt eingegriffen
wird, gilt die kollektive
Diffamierung von Muslimen als "freie
Meinungsäußerung". Inzwischen müssen
sich die Verteidiger der
Minderheiten für ihr
"Gutmenschentum" rechtfertigen.
Eine besonders unrühmliche Rolle
spielt bei solchen Manövern – hier
ist den Autoren klar zuzustimmen –
einmal mehr Henryk Broder. Wenn
dessen Warnungen vor einer
"Islamisierung" und der "Lust am
Einknicken" sowie seine
Kriegspropaganda berauschte
Würdigungen von Journalisten
erhalten, dann wirft dies, wie
Wagner und Schiffer ausführen, in
der Tat ein bezeichnendes Licht auf
den intellektuellen Zustand der
Republik – oder zumindest auf den
Zustand unserer Medien: Die Republik
insgesamt dürfte von Broders
Verstiegenheiten eher entnervt sein,
während vor allem seine Kollegen
ganz ergriffen von seinem Gegifte
auf den Knieen liegen. Schiffer
führt zu dieser irritierenden
Reaktion auf Broders Hetze aus:
"Auch die Übernahme antisemitischer
Motive und Topoi in den
antiislamischen Diskurs sowie seine
Nazi-Verbalia werden damit für
legitim und mehrheitsfähig erklärt.
So auch anlässlich des siebzigsten
Jahrestages der Reichspogromnacht am
9. November 2008 in Nürnberg, wo er
stehende Ovationen dafür erhält,
dass er es den Menschen erlaubt,
wieder jemanden zu hassen". Während
der Antisemitismus heute im
Bildungsbürgertum verpönt ist, war
er das im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts keineswegs, sondern
erhielt von Ingenieuren, Lehrern und
anderen Akademikern ebenso starken
Aufwind, wie dies heute bei der
Islamophobie geschieht. Gegenwärtig
vereint die Anti-Islam-Haltung die
widersprüchlichsten politischen
Ausrichtungen: so etwa Neoliberale,
Feministinnen, christliche
Fundamentalisten, Humanisten,
Rechtsextreme und Antideutsche.
Nirgends ist man sich so einig wie
im gemeinsam ausgemachten Feind.
Mit einem Kapitel über die
Darstellung des Islams in den Medien
baut Sabine Schiffer auf ihrem sehr
gelungenen
Buch über speziell dieses Thema
auf. Dabei fällt auf, wie
manipulativ Journalisten wieder und
wieder Terrorakte und Religion
insbesondere auf Bildebene
miteinander verknüpfen, so als sei
beides wechselseitig bedingt. Als
eines von vielen Beispielen
analysieren die Autoren eine
suggestive Reportage Esther
Schapiras über den Mord an Theo van
Gogh: "Der Beitrag (…) beginnt mit
einer Koranrezitation, dem Blick in
eine Moschee und auf ein Wandbild
von Mekka. (…) Damit wird der Mord
nicht mehr dem einzelnen Täter, der
Muslim ist, sondern allen Muslimen
zugeordnet." Wir als Zuschauer sind
an solche Collagen auch aus
Zeitschriften bereits so gewöhnt,
dass wir sie kaum noch hinterfragen.
Um unsere Wahrnehmung zu schärfen
und uns aufzurütteln, entwirft
Schiffer eine Analogie: "Wir stellen
uns vor, ein Bericht über den
Einsatz israelischen Militärs im
Gaza-Streifen begänne mit dem Blick
auf eine Synagoge – vielleicht einen
Einblick in einen Gottesdienst – und
schweift dann über die Menorah einer
Schabbat-Feier hinweg hinüber zu
einem Kippa-tragenden Vorbeter mit
Gebetsschal und Schläfenlocken.
Diese Praxis würde die Aktivitäten
israelischer Militärs als 'jüdisch'
markieren" – und wäre als
antisemitische Propaganda sofort
erkennbar. Eine vergleichbare
Darstellung des Islams wird von den
meisten Rezipienten nicht einmal
mehr hinterfragt.
Insofern, so die Autoren, bilde "der
antiislamische Propaganda-Film FITNA
von Geert Wilders (…) nur einen
kleinen Höhepunkt in der langen
Tradition des Zusammenschnitts".
Fast sei es zu bedauern, dass der
NS-Propagandafilm "Der ewige Jude"
für die Öffentlichkeit unter
Verschluss liege, da hier die
Parallelen zu FITNA deutlich zu
erkennen seien. Dementsprechend wies
die niederländische Gruppe "Eine
andere jüdische Stimme" um Harry de
Winter zu Recht darauf hin, dass
Wilders Film sofort geächtet würde,
wenn man "Moslem" durch "Jude"
ersetzen würde: Ein Demonstrant, der
das auf einem Plakat umgesetzt
hatte, wurde auch verhaftet. Diese
Gegenprobe zeige das Messen mit
zweierlei Maß in Bezug auf die
Diffamierung von Juden und Muslimen
deutlich – ebenso deutlich wie etwa
Henryk Broder, wenn er einerseits
nach dem Schema "Antisemitismus
ankreiden und überall wittern"
verfahre und daraufhin eben mit den
angeprangerten Mitteln der
Diffamierung über Muslime und den
Islam herziehe. Und auch ein Ralph
Giordano spiele inzwischen "eine
fast tragische Rolle, weil er gegen
den Moscheenbau mit ähnlichen
Argumenten zu Felde zieht, wie 100
Jahre zuvor die Judenhasser gegen
den Synagogenbau". Wobei unsere
Medien es selbstverständlich sofort
zur Schlagzeile machen, wenn
Giordano von Muslimen oder wem auch
immer Morddrohungen erhält, aber
Morddrohungen aus dem Umfeld von
Giordanos Verbündeten, dem Blog
Politically Incorrect, etwa gegen
politischkorrekt.info (inzwischen
Politblogger) keine Schlagzeile
wert sind. Morddrohungen scheinen
nur dann medial interessant zu sein,
wenn derjenige, der sie äußert,
behauptet, Moslem zu sein.
Hier gelangt die Analyse Wagners und
Schiffers an einen besonders
interessanten Punkt. Es fällt schon
auf, dass Broder und Giordano beides
Juden sind. Interessant ist hierbei,
dass die deutschen Medien aus der
gesamten Menge an "Islamkritikern"
aktuell eben nicht Raddatz, Ulfkotte
oder irgendjemand anderen immer
wieder als Kronzeugen für die
Islamisierungsgefahr herausgegriffen
und so zu Stars gemacht haben,
sondern eben Broder und Giordano.
Naheliegend ist es, dahinter den
zynischen Wunsch vieler Journalisten
zu vermuten, politisch korrekt und
fremdenfeindlich zugleich sein zu
können, etwa nach dem Motto: "Hey
Leute, die Juden haben gesagt, wir
dürfen jetzt wieder auf Minderheiten
losgehen!" Schiffer und Wagner
hingegen sehen in dieser Besetzung
(und anscheinend auch durch das
Platzieren von Themen wie
"muslimischer Antisemitismus") den
Versuch, Juden und Muslime medial
gegeneinander aufzuwiegeln und im
Zuschauer hier das Bild einer
unausweichlichen Konfrontation zu
verankern. Schiffer und Wagner
zufolge "arbeitet die
Konfrontationsstellung zwischen
Juden und Muslimen bestimmten
geostrategischen Interessen zu.
Einigen Betroffenen ist es gelungen,
dies zu durchschauen und zu
durchbrechen."
Im folgenden Kapitel präsentieren
Schiffer und Wagner genau diese
Gruppen, Projekte und
Einzelpersonen, die die anscheinend
gewollte Konfrontationsstellung
bewusst durchbrechen und
infolgedessen in den Medien, wenn
sie überhaupt erwähnt werden, sehr
viel weniger Aufmerksamkeit erhalten
als Broder und Giordano. Dabei
handelt es sich beispielsweise um
Organisationen wie Schalom 5767, die
Jüdische Stimme für gerechten
Frieden in Nahost, die European Jews
for a Just Peace, der Berliner
Arbeitskreis Nahost, die
jüdisch-palästinensische
Dialoggruppe, das Projekt Opfer
treffen Opfer, die Jewish Voice for
Peace, die Jüdisch-Islamische
Gesellschaft in Deutschland, das
Abrahamische Forum Deutschland, das
Jugendtheater Grenzenlos, der
Türkisch-Jüdische Runde Tisch, der
jüdisch-muslimische Seniorenkreis,
die Sarah-Hagar-Initiative, die
Kreuzberger Initiative gegen
Antisemitismus, die Jewish
Contribution to an Inclusive Europe
– man könnte damit eine ganze
Blogroll füllen. Und gleich danach
könnte man weitermachen mit all den
Einzelpersonen, die sich gegen den
ständig heraufbeschworenen "Kampf
der Kulturen" engagieren, so etwa
Alfred Grosser, John Bunzl, Norman
Finkelstein, Shraga Elam, Ian
Kershaw, Micha Brumlik, Rolf
Verleger, Evelyn Hecht-Galinski und
viele mehr – mit anderen Worten die
gesamte Hassliste von Henryk Broder
und Co. In die Schlagzeilen und die
Talkshows schaffen es hingegen
polarisierende Themen und Personen
wie etwa Hendryk Broder auf der
einen und die palästinensische Hamas
auf der anderen Seite. Wird
ausnahmsweise einmal über die
Gründung einer Gruppe wie der
Jüdisch-Islamischen Gesellschaft im
März 2008 berichtet, die von
jüdischen, muslimischen und
christlichen Vertretern viel Lob
erhielt, wobei es aber mit dem
Leiter einer Israelitischen
Kultusgemeinde in Süddeutschland
eine einzige Gegenstimme gab,
titelte die "Süddeutsche Zeitung"
prompt "Juden gegen Islam-Projekt".
Wagner und Schiffer indes machen
klar, dass sie in eben solchen
Projekten die Hoffnung sehen, BEIDES
zu überwinden: den Antisemitismus
und die Islamophobie. So habe die
Erklärung des Jüdischen
Kulturvereins Berlin "Wider die
Islamophobie" im Jahre 2004 eine
Erklärung der Deutschen Muslimliga
nach sich gezogen, in der sich diese
gegen jede Form von Antisemitismus
und weitere Diskriminierungen
aussprach. Anlässlich der
OSZE-Antisemitismuskonferenz 2004
ließ der Zentralrat der Muslime
verlauten, dass "die Bekämpfung
rassistischer und totalitärer
Ideologien, wie des Antisemitismus,
ein Anliegen eines jeden Muslims
sein muss". 2006 forderte die Schura
Hamburg in einer Pressemitteilung
zum Holocaust-Gedenktag, dass jeder
Versuch von Holocaust-Leugnung oder
-Relativierung zu verurteilen und zu
unterlassen und nicht mit dem Islam
vereinbar sei. Man könnte weitere
von Schiffer und Wagner genannte
Beispiele aufführen, die wunderbar
geeignet wären, die von vielen
Journalisten offenbar gewünschte
Polarisierung zu überwinden.
Vermutlich liegt hier auch
tatsächlich die Zukunft der Debatte
um Antisemitismus und Islamophobie.
Abschließend: Das Buch von Sabine
Schiffer und Constantin Wagner lässt
sich von seinem Anspruch sehr gut
mit der Dokumentation
Islamfeindschaft und ihr Kontext
des Zentrums für
Antisemitismusforschung vergleichen.
Alles Behauptete wird bestens
belegt, es gibt im Anhang des Buches
sogar ein ausführliches Glossar
sowohl zu Fachausdrücken als auch zu
konnotativ-semantisch gelandenen
Schlagworten wie "Dhimmitude",
"Islamkritik", "Islamophilie" und "Taqiya".
Das Buch ist für die Islamdebatte
ein großer Gewinn, da seine Autoren
den Blick dafür freiräumen, welche
zu Recht eigentlich längst
diskreditierten Methoden hier
zugunsten eines neuen Feindbilds
wieder aufgegriffen werden. So wie
der Antisemitismus wenig bis nichts
über die Juden, aber viel über die
Antisemiten aussagt, verrät uns auch
die Islamophobie vor allem etwas
über die moralische und mentale
Verfasstheit der Islamophoben.
Insofern dürfte es gegen die Analyse
von Schiffer und Wagner von
denjenigen, die vor allem an einer
Vertiefung der Gräben interessiert
sind, dieselben
Anpöbelungen geben, wie sie noch
vor wenigen Wochen gegen die
ZfA-Dokumentation geäußert wurden.
Die Aufmerksamkeit der Medien (vom
SPIEGEL bis zum "Perlentaucher") und
damit natürlich auch das schnelle
Geld dürfte weiterhin vor allem den
Pöblern und Demagogen sicher sein,
was von hohem Idealismus Sabine
Schiffers und Constantin Wagners
zeugt, die Debatte trotzdem wieder
auf seriöse Pfade zurückführen zu
wollen. Man kann ihnen dafür nur
danken, ihnen alles Gute wünschen
und die eigene Unterstützung
anbieten.