Wem gehört
Jerusalem?
Lösungswege für den nahöstlichen Kernkonflikt
Von Dr. Mohammed Khallouk
Exklusivität oder Miteinander der Religionen?
Aufgrund ihrer besonders herausragenden Stellung für alle drei
monotheistischen Weltreligionen ist der gegenwärtige Konflikt um
Jerusalem nicht nur für die Beziehungen zwischen Israelis und
Palästinensern bedeutend, sondern mindestens genauso für das
Verhältnis der drei abrahamitischen Religionen, Judentum, Islam
und Christentum zueinander und wird deshalb zu einer Kernfrage
in diesem Konflikt, deren Lösung in einem nahöstlichen
Friedensprozess zum elementaren Bestandteil gehört. Das
religiöse Moment dieses Konfliktes ergibt sich vor allem daraus,
dass sowohl das Judentum, als auch das Christentum und der Islam
für sich besondere, aus ihrer Geschichte sich ergebene Rechte
bezüglich Jerusalem ableiten und es daher die Aufgabe einer
Friedenslösung sein muss, die jeweiligen Rechte allen dreien zu
gewährleisten, ohne dass eine Seite sich benachteiligt fühlt.
Hierbei scheint es nicht entscheidend zu sein, zu welcher
historischen Zeitepoche, welche Religion hier welche Rechte
gehabt haben soll. Auch soll hier nicht auf archäologische und
theologische Diskussionen eingegangen werden. Vielmehr gilt es
auf die aus der jeweiligen religiösen Stellung der Stadt und
ihrer Heiligtümern sich ergebenden politischen Forderungen aller
drei Religionen, besonders aber aus aktuellen Anlass des Islam
und des Judentums hervorzuheben und die Bedeutung des Streits um
Jerusalem für die Beziehung zwischen diesen beiden Religionen,
aber darüber hinaus zwischen Westen und Orient insgesamt
aufzuzeigen.
Da der gegenwärtige
Konflikt um Jerusalem wie der gesamte Nahostkonflikt nicht
ursächlich als religiöser, sondern als Territorialkonflikt
anzusehen ist, gilt es aufzuzeigen, dass Jerusalem über seine
gesamte Historie hinweg die Stadt für das Nebeneinander dieser
drei Religionen war und ist, lediglich in Geschichte und
Gegenwart von den Extremisten dieser Religionen, die eine
Minderheit darstellen, benutzt wurde, um ihre Vorstellung eines
nur einer Seite zustehenden Jerusalems zu rechtfertigen. So
sieht auch ein großer Teil der Juden wie Muslime heute noch das
Miteinander beider Seiten als ausdrücklich erwünscht an, wie
dies für die Juden der in Jerusalem lebende Schalom Ben Chorin
(*1913) verdeutlicht, für den Jerusalem die Hauptstadt Israels
ist, er dies aber in einem größeren Sinne verstanden zu wissen
beansprucht. Jerusalem betrachtet er als die Hauptstadt des
Staates Israel, aber gleichermaßen des geistlichen Israels, das
alle Kinder Abrahams umfasse. Im Islam war dieses Verständnis
eines Jerusalems des Miteinander der drei Weltreligionen ebenso
schon seit je her die vorherrschende Sichtweise, welche der
Praxis der Mehrheit der hier residierenden muslimischen
Herrscher entsprach. Diese Toleranz und Achtung der
Andersgläubigen zeigte sich bereits beim ersten muslimischen
Herrscher in Jerusalem im Jahre 638, Kalif Omar, der nach der
militärischen Einnahme ganz bewusst von einer Zerstörung der
bestehenden jüdischen wie auch christlichen Heiligtümer absah.
Er sicherte vielmehr dem christlichen Patriarchen seiner Zeit,
Sophronius, bereits vor Einnahme der Stadt zu, dass das Leben
der dortigen Juden und Christen ebenso wie ihre Heiligtümer
geschützt werde. Es wird von einer gemeinsamen Besichtigungstour
von Kalif und Patriarch berichtet, an deren Ende die Gebetszeit
für die Muslime angebrochen war und der Patriarch ihn gefragt
habe, ob er an dem Ort, an welchem sie sich momentan befänden,
beten wolle, worauf der Kalif im Bewusstsein der Nähe des
Kreuzigungsfelsens, erwiderte, dass er sich einen anderen Ort
aussuchen wolle, damit keiner seiner Nachfolger mit dem
Argument, Omar habe bereits hier gebetet, einmal Anspruch auf
diesen Platz und die darauf sich befindende Kirche erheben
könne. Hier zeigt sich das urislamische Verständnis der freien
Religionsausübung, welches der Islam nicht nur für sich
beansprucht, sondern den beiden anderen Buchreligionen
gleichermaßen zugesteht mit Jerusalem als Symbol der gemeinsamen
Wurzel und den jeweiligen ihn zustehenden Gebetsstätten. Diese
Ablehnung der Exklusivität bedeutet, dass es weder ein rein
christliches, noch ein rein jüdisches oder muslimisches
Jerusalem geben dürfe. Alle Versuche, dies anzustreben,
widersprechen dem Geist der jeweils eigenen Religion.
Maximalforderungen schaden der Lösungssuche
Angesichts der Instrumentalisierung der für die palästinensische
Bevölkerung unerträglichen Situation in der von Israel besetzten
Altstadt durch friedensfeindlich gesinnte Extremisten zur
Anpreisung und Durchsetzung ihrer Maximallösungen, ist es vor
allem aus palästinensischer Sicht notwendig, dass Jerusalem in
die Friedensgespräche an vorderster Stelle miteinbezogen wird
und die repressive israelische Politik, die auch nach Oslo
fortgesetzt wurde, beendet wird. Eine Lösung sollte nicht weiter
vor sich hergeschoben werden, denn der Ostteil muss mit dem
Westjordanland, aus dem viele Menschen tagtäglich in die Stadt
kommen, als Einheit betrachtet werden. Edward W. Said erachtete
bereits die Ausklammerung Jerusalems in den ersten
Verhandlungsrunden in Madrid als kaum wieder gutzumachenden
Fehler. In jedem nächsten Abkommen muss eine Lösung der
Jerusalemfrage auf jeden Fall mit enthalten sein, da sie weit
mehr als jede andere von extremistischen Gruppen für ihre
friedensfeindlichen Ziele missbraucht wird. Hierzu ist es
zwingend, dass bereits als Voraussetzung für ein gutes
Verhandlungsklima Israel die gegen die palästinensische
Zivilbevölkerung gerichtete Politik beendet, damit bei dieser
ein Vertrauensvorschuss entsteht, welcher den Heilspredigern der
radikalen Islamisten die Möglichkeit nimmt, diese mehrheitlich
an friedlichem Zusammenleben interessierte Bevölkerung für sich
zu gewinnen und eine Kompromisslösung auf Palästinenserseite
innenpolitisch durchzusetzen erleichtert. Ebenso gilt es eine
eindeutige Trennung zwischen dem „religiösen Jerusalem“ und dem
„weltlichen Jerusalem“ vorzunehmen, die in beiden Seiten die
Akzeptanz erreicht, dass in dieser Stadt mehrere Völker
unterschiedlichen Glaubens nebeneinander existieren, ohne einen
Herrschaftsanspruch gegenüber dem jeweils anderen. Zudem ist
eine Einigung über den Status dieser aller drei monotheistischen
Religionen Heiligen Stadt geboten, wobei eine Autorität gefunden
werden muss, die Friedensbedingungen formuliert, die beiderseits
akzeptiert werden.
Unbestreitbar ist, daß
alle bisherigen internationalen Lösungsversuche seit Gründung
der Vereinten Nationen gescheitert sind. Der erste im Jahre 1947
sah für die Stadt einen internationalen Status vor, doch konnte
man damit weder Israelis noch Palästinenser und Araber
überzeugen. Die im Anschluss an den Palästinakrieg (1948)
getroffene Zweistaaten- Regelung zwischen Israel und Jordanien
wurde ebenfalls weder in der Region noch von der internationalen
Staatengemeinschaft als Dauerlösung akzeptiert, so dass mit
Israel 1967 erneut eine Konfliktpartei sich berechtigt wähnte,
mittels Eroberung des Ostteils den Konflikt zu Lasten der
anderen Seite zu entscheiden. Wurden diese „Kriegslösungen“
international nie anerkannt, so hat es von den örtlichen
Konfliktparteien bislang noch keinen ernsthaften Versuch einer
auf Gegenseitigkeit basierenden Einigung gegeben. Als
Voraussetzung hierfür beanspruchen die Muslime nicht nur, den
arabischen bzw. islamischen Charakter der Stadt zu bewahren,
sondern darüber hinaus, die arabisch-islamische Souveränität
über Jerusalem wiederherzustellen. Ähnlich argumentiert auch die
israelische Seite, da Israel sich als dezidiert „jüdischer
Staat“ versteht und somit Jerusalem als „Hauptstadt der Juden“
vollständig für sich beansprucht. Jede Seite beansprucht die
Stadt mit Ost- und Westteil nicht in erster Linie politisch,
sondern ebenso kulturell für sich und ist nicht zu akzeptieren
bereit, ihr „kulturelles Zentrum“ von einer anderen Seite
beherrschen zu lassen. Aufgrund dieser Unvereinbarkeiten ist
eine Lösung in der Jerusalemfrage nur möglich, wenn beide Seiten
bereit sind, die religiös begründeten Ansprüche von den
territorial-politischen zu trennen.
In einer künftigen
Lösung sollte gewährleistet sein, dass alle drei hier ansässigen
Weltreligionen die Hoheit über ihre jeweiligen Heiligen Stätten
erhalten und auf jegliche Ansprüche auf die Stätten der anderen
Religionen verzichten. Konkret heißt dies, jedem Juden den
freien Zugang zur Klagemauer zu garantieren, ebenso wie jedem
Christ aus der Stadt und von außerhalb ohne fremde Störungen ein
Pilgern zur Grabeskirche und den Muslimen die alleinige Hoheit
über den Heiligen Felsen mit Al-Aqsa-Moschee und Felsendom
zuzugestehen. Ohne diese gegenseitige Zusicherung kann es keinen
dauerhaften Frieden innerhalb und außerhalb Jerusalems geben und
das Miteinander wird gestört bleiben. Diese Voraussetzungen
legen den Schluss nahe, dass die vollständige staatliche
Trennung des arabischen Ostteils als Teil Palästinas vom jüdisch
dominierten Westteil als Teil Israels die einfachste Lösung
darstellt, wobei die schriftliche Garantie eines freien Zugangs
zu den Heiligen Stätten durch eine Instanz von außen, am
geeignetsten die UNO, mit abzusichern ist, um zu verhindern,
dass sich ein Machthaber in der Altstadt, in welcher sich die
besonderen Heiligtümer der drei Religionen dicht beieinander
befinden, nach Abzug der israelischen Truppen über diese
Vereinbarungen hinwegsetzen kann. Es bleibt noch darauf
hinzuweisen, dass jegliche Vereinbarung nur den Weg zum Frieden
weisen kann, wenn auf beiden Seiten der Wille zum Ausgleich mit
der jeweils anderen Seite vorhanden ist und man sich gegenseitig
sowohl politisch als auch religiös als gleichberechtigte
Stadtbewohner betrachtet.