TRANSLATE
Das
okkupierte Ost-Jerusalem und die
israelischen Kriegstreiber
Felicia Langer
ZDF
und ARD berichten über den Anschlag auf die Synagoge in Jerusalem. Nicole
Diekmann, die ZDF-Korrespondentin in Tel Aviv berichtet analytisch über den
Anschlag: „Das ist eine neue Dimension, kaltblütig, martialisch, bewaffnet in
eine Synagoge gehen, wo Unschuldige beten, nichts ahnend, das ist schon eine
neue Qualität.“ (Junge
Welt, R.Rupp, 19.11.14)
Bei Netanjahu ist das noch
deutlicher: „Die Täter sind Tiere in
Menschengestalt.“
Ein derartiger Anschlag auf
Zivilisten ist durch nichts zu rechfertigen und muss
verurteilt werden, was ich auch tue. Aber die
mittlerweile hochexplosive Lage im okkupierten
Ost-Jerusalem geht zweifelsohne auf das Konto der
kriegstreiberischen Regierung Netanjahu, die tötet,
kidnappt und verhaftet, enteignet, die die
ursprünglich palästinensischen Stadtviertel
besiedelt, Häuser zerstört und die Bewohner
vertreibt – kurzum, die das Völkerrecht mit Füßen
tritt. Jeden Tropfen Blut, der in dem Konflikt
vergossen wird, haben letztendlich die israelischen
Kriegstreiber auf dem Gewissen; z.B. Außenminister
Liebermann, ein Erzrassist, der neulich bekannt gab,
natürlich werde Israel Ost-Jerusalem weiter
besiedeln, ungeachtet aller internationaler
Proteste. In jüngster Vergangenheit wurden in den
palästinensischen Vierteln zahlreiche Häuser besetzt
oder enteignet oder zerstört, die Zahl der geplanten
jüdischen Wohneinheiten geht in die Tausende. – Noch
ein bisschen Öl ins Feuer.
Trifft es wirklich zu, dass der
mörderische Anschlag in der Jerusalemer Synagoge auf
nichtsahnende Betende eine „neue Qualität“ bzw. eine
„neue Dimension“ darstellt?
Erstaunlich, wie lückenhaft das
politische Gedächtnis wird, wenn es um jüdische
Täter aus Israel geht. Ich habe mich eingehend mit
dem Massaker beschäftigt, das der Arzt Dr. Baruch
Goldstein, ein israelischer Siedler in
Armee-Uniform, am 25.2.1994 in der Al Ibrahimi
Moschee in Hebron verübte: 29 nichtsahnende Betende
wurden kaltblütig massakriert, zahlreiche verletzt.
Der Täter lebte in der benachbarten Siedlung
Kirjat Arba, die während der
Regierungszeit der Arbeiterpartei mit deren
Billigung und Segen in den Jahren 1968 bis 1970
gebaut wurde und sich selbst „Mutter der Siedlungen“
nennt. Mit einem Maschinengewehr und etlichen
Magazinen Munition bewaffnet, drang er in die
Moschee ein und eröffnete das Feuer. Unter den Toten
waren auch Kinder im Alter von 10,11,12 und 13
Jahren. Der jüngste war Maraqa, 10 Jahre alt. Ich
habe seine Familie im Oktober 1994 besucht und auch
die Überlebenden und ihre Familien getroffen. Einer
der Augenzeugen berichtete, dass Goldstein aus
nächster Nähe systematisch von der letzten Reihe vor
ihm, Reihe für Reihe, bis zur entferntesten
kaltblütig beschossen hat. Die vor Ort anwesenden
israelischen Soldaten haben nicht eingegriffen. Der
Mörder wurde schließlich von den aufgebrachten
Gläubigen getötet. – Von vielen jüdischen Israelis
wurde und wird Goldstein seither als Held verehrt;
sein Grab und das darauf errichtete Gedenkmal ist
zum Wallfahrtsort geworden…
Ich habe meine Recherchen vor Ort in
einem Buch zusammengefasst, das den Titel trägt „Wo
Hass keine Grenzen kennt“. Ich habe es den Opfern
gewidmet. Auf jüdischer Seite beruht der Hass auf
einer rassistischen Ideologie, auf palästinensischer
Seite hat er sich durch die nunmehr 47 Jahre
währende Besatzung entwickelt, deren Folgen man als
schleichende ethnische Säuberung bezeichnen kann.
Machen wir ihnen das Leben
unerträglich, dann gehen sie von selbst.
Es gibt tatsächlich eine „neue
Qualität“ in der Beziehung zwischen Israel und den
Palästinensern: Die Palästinenser in den besetzten
Gebieten leiden unter immer stärker forcierter
Enteignung, Kolonisierung und Strangulierung, die
die Aussicht auf einen lebensfähigen eigenen Staat
zunichte machen, und die Palästinenser im Kernland
unter dem zunehmenden offenen Rassismus und ihrer
Marginalisierung in dem Staat, der sich immer mehr
als Staat nur für Juden versteht. – Die derzeitige
Regierung unter Netanjahu ist offensichtlich
friedensresistent und stellt sowohl für den Staat
Israel, der nach eigenem Lippenbekenntnis
demokratisch sein will, wie für die Region eine
Gefahr dar.
Jeder friedliebende Mensch sollte die
derzeitige israelische Politik ächten und
verurteilen, und zwar nicht stillschweigend, sondern
in Wort und Tat. Das wäre eine zwingend notwendige
„neue Dimension“.