Wehe dem Sieger!
Felicia Langer
47 Jahre nach dem so genannten „Sechstage-Krieg“, 5.
Juni 1967
Anbei Ausschnitte aus dem Vorwort zu
meinem ersten Buch über die israelische Besatzung.
„Mit eigenen Augen“, 1974. Eine grausame koloniale
Besatzung, die längste des Jahrhunderts. Ich habe
sie in meinen Büchern geschildert. Bis zum heutigen
Tag.
«Manche nennen ihn den
Sechstagekrieg, entsprechend der offiziellen Zählung
der Kampftage an allen Fronten. Es begann in den
ersten heißen Junitagen, als die Parole „Rote Decke“
in sämtlichen Kriegsgebieten zu hören war.
In den Hauptquartieren atmete man
vielerorts ersichtlich auf, denn lange genug hatte
man nun schon auf den Augenblick gewartet, an dem
die Truppen endlich ungehindert in Bewegung gesetzt
werden konnten. Israels längster Krieg hatte
begonnen.
Ägyptische Soldaten irrten durch die
glühende Sinaiwüste. Es war befohlen worden, keine
Gefangenen zu machen. Rabbi Goren blies den Schoffar
(das Bockshorn) an der Westmauer, die Soldaten
sangen „Jerusalem, die Goldene“. Doch hier, in der
Wüste, bedeckte der Sand die Leichen der
Verdursteten. Derselbe Sand sollte eine
Touristenattraktion werden.»
«Aufregende Kriegsgeschichten und
Siegesalben waren die große Mode, die Lust an der
Zerstörung zeigt sich in jedem Winkel, schrie aus
allen Zeitungen, strömte über den Äther. Die
Luftwaffe platzte fast vor Stolz über ihr eigenes
„Pearl Harbour“. Die Betonung der ästhetischen Seite
der Bombardements bekam einen Ehrenplatz in den
Kriegsgeschichten. Luftwaffenoberst Ezer Weizmann
(damals noch Oberstleutnant) prägte den Ausspruch:
„Sinai glich einem auf den Kopf gestellten,
angebrannten Geburtstagskuchen.“»
«Zum Schluß des Sechstagekriegs war
das kleine Israel ein Imperium geworden: das
Westufer des Jordans, der arabische Teil Jerusalems,
die Golanhöhen, der Gazastreifen und Sinai!
„Welch wunderbare Mitgift!“
frohlockten die Führer. Aber eine einzig betrübliche
Sache war die Braut, die mit ihr gekommen war – die
dort lebenden Araber. Denn Israel wünschte sich, wie
schon Golda Meir erwähnt hatte, ein Maximum an Land
mit einem Minimum an Bevölkerung. Ein hübscher
Gedanke!
Manch einer dachte mit Wehmut an 1948
zurück, als die Palästinenser flüchten mußten.
Unsere Herrscher hegten Tagträume von unbewohntem
Brachland. Was für Möglichkeiten würde das bieten!
Ihre Erwartungen erfüllten sich
tatsächlich in den eroberten Golanhöhen: an die
hundertfünfzigtausend Menschen flohen in Angst und
Schrecken, vom Westrufer flüchteten ebenfalls
Tausende, etliche von ihnen vertrieb man. Aber das
sollte für die Veränderung der Demographie der
besetzten Gebiete noch nicht ausreichen. Die Vision
von 1948 (…) war noch nicht verwirklicht.
Zwar gab es diesmal keinen Deir Yasin,
aber man konnte dem Eroberer auch nicht zum Vorwurf
machen, er täte nicht sein Bestes, um die Region zu
„säubern“. Im Gebiet von Latrun, an der Strecke nach
Jerusalem, hatte es einst freie Dörfer gegeben: Yalu,
Beit Nuba und Amwas. Israelische Soldaten zerstörten
sie nach den Kämpfen. Es hatte dort nicht die Spur
irgendwelcher Militäranlagen gegeben. Ihre Bewohner
verbannte man, ohne daß sie ihre Habe mitnehmen
konnten. Qalqilya sollte dasselbe Schicksal
erleiden. Mit seiner Zerstörung hatte man schon
begonnen, doch dank der öffentlichen Meinung wurde
sie wieder eingestellt. Kein Stein war auf dem
anderen geblieben in den Dörfern der Gegend in
Latrun. Nachdem ich das eingeebnete Land gesehen
hatte, wo einst Häuser gestanden hatten, verstand
ich zum erstenmal diesen Ausdruck.
Einige der Flüchtlinge wollten nach
dem Ende der Kämpfe in ihre Häuser zurückkehren. Sie
mußten mit ihrem Leben bezahlen. Ihr Blut rötete die
Wasser des Jordan.
Wehe den Besiegten!
Zum Imperium gehörten auch
Flüchtlingslager, gleichsam als lebende Monumente
der fortdauernden Tragödie des
arabisch-palästinensischen Volkes. In Bethlehem,
Ramallah, Gaza, El-Arish, Rafah sowie Khan Younis
und den umliegenden Gebieten konnte sich jeder
beliebige Israeli jene Menschen anschauen, die seit
1948 in Armut und Mangel lebten: die ehemaligen
Bewohner von Ramleh, Lydda, Jaffa, Majdal und
Masmiyyah. Einige der Flüchtlinge wagten, ihre
Häuser zu besuchen, sie tranken sogar eine Tasse
Kaffee mit den neuen Eigentümern. Nachdem sie in
ihre elenden Behausungen zurückgekehrt waren,
erzählten sie ihren Angehörigen und Freunden, welche
Veränderungen die neuen Besitzer dort vorgenommen
hatten und wie der Laden von nebenan aussah.
Manchmal, auf dem Weg zu ihrer Arbeit
als Lohnempfänger, konnten sie auch ihre Äcker
sehen. Manchmal nahmen sie auch ihre Kinder mit,
damit sie selbst erkennen konnten, daß das Leben
nicht dort in der Deprivation des Lagers begonnen
hatte.
Eine Welle von Exkursionen zu den
bedeutendsten Schlachtfeldern wurde organisiert,
damit das Volk die Größe des Sieges schätzen lernte.
Als die Israelis durch den Gazastreifen, Jerusalem
und Nablus streiften, bekamen sie die haßerfüllten
Blicke zu spüren, fühlten sie den verletzten Stolz.
„Wir wollen euch hier nicht!“ schrien die Augen,
bevor schließlich die Hände sich absandten, um nach
Granaten zu greifen. Der Eroberer verstand nun, daß
trotz der Großartigkeit des Sieges die Braut ihn
nicht mochte.
Die Araber, ein unbeugsames Volk,
wollten diese glitzernde, fortgeschrittene,
organisierte und überlegene Macht nicht hinnehmen.
Ohne jeden Sinn für Realität – wie der Eroberer es
nennen würde – starben sie zu Hunderten mit Gewehren
in ihren Händen, als die israelische Armee die
Flüchtlingslager im Gazastreifen, seine Straßen, die
Wildnis des Wadi Arabah und die Jordanufer
durchkämmte. Die Araber waren eher bereit, ins
Gefängnis zu gehen, als die Segnungen entgegen zu
nehmen, mit denen der Eroberer sie locken wollte. Er
zerstörte ihre Häuser in der Hoffnung, sie würden
alles verlassen, doch sie kehrten zurück zu ihren
Ruinen. Er verbannte die Söhne, doch die Eltern
weigerten sich zu gehen. „Wir sind hier geboren, und
hier wollen wir auch sterben…“
Ein Volk, das die Sprache der Macht
nicht versteht.
Die vielen Jahre der Unterwerfung
haben den Sieger fett gemacht. Er hat sich einen
Wanst angefressen und ist reich geworden. Aber wir
reden freilich nicht von den einfachen Menschen, die
immer nur mit ihrem Blut zu zahlen haben…
Das Imperium wurde zu einem recht
ansehnlichen Reservoir billiger Arbeitskräfte, ein
Markt für israelische Produkte, sein Land wurde zum
Siedlungsgebiet.
Der Widerstand gegen die Besetzung
dauert zwar ungebrochen an, doch äußerliche
Anzeichen von Ruhe und Lächeln hier und da haben den
Sieger besänftigt. Er hat das Brodeln des Vulkans
unter seinen Füßen nicht gehört.»
Die kommenden Jahre bis an die
Gegenwart waren die Jahre der Unterdrückung, der
Besiedlung der Gebiete, mit bis zu ca. 600.000
Siedlern. Die Siedlungen sind durch Apartheidstraßen
verbunden… alle völkerrechtswidrig. Über 24.000
Häuser wurden zerstört, und man zerstört weiter.
40% der Palästinenser waren
irgendwann in israelischen Gefängnissen, es gibt
jetzt ca. 5.000 Gefangene. Die Administrativhaft,
ohne Gerichtsverfahren, ist eine echte Schande! 100
palästinensische Gefangene waren jetzt in
Hungerstreik für über 30 Tage, gegen diese
willkürliche Haft.
Es gibt auch Wasserapartheid: 80% des
Wassers ist für Israel, 83% des Wassers unter
israelischer Kontrolle. Diese monströse Mauer, tief
in den palästinensischen Gebieten gebaut,
zerstückelt die Gebiete. Am 9. Juli 2004 erließ der
Internationale Gerichtshof in den Haag einen
„juristischen Rat“. Demnach sei der Bau der
israelischen Mauer in den Palästinensischen Gebieten
völkerrechtswidrig. 9% palästinensischen Bodens
wurde von Israel zusätzlich durch die Mauer
genommen, für die illegalen Siedlungen.
Die Palästinenser müssen eine
Erlaubnis bekommen, damit sie ihr durch die Mauer
abgetrenntes Land bearbeiten dürfen…
Es waren auch die Jahre der ersten
und zweiten Intifada.
Das war auch eine Zeit, in der Izchak
Rabin einen Befehl and die Armee gegeben hat, die
Hände und die Beine der gegen die Besatzung
demonstrierenden Palästinenser zu brechen. Ich habe
die Verletzten, Opfer des Befehls, schwer verwundet,
in den Krankenhäusern von Nablus und Ost-Jerusalem
gesehen. Unter ihnen lag auch ein Vater, der die
Schreie seines geschlagenen Sohnes zu hören bekommen
hat… Der Besatzer hat die palästinensischen Kinder
nicht geschont. Sie wurden massiv verhaftet und
gefoltert, ähnlich wie ihre Väter, deren Wunden von
Folterungen ich gesehen habe. Ich habe sie und ihre
Mütter getröstet und meinem Sohn Michael ein Mal
gesagt, dass die palästinensischen Kinder mich mehr
brauchen als er… Ich werde sein Verständnis nie
vergessen. Heutzutage lese ich über die Verhafteten
und misshandelten palästinensischen Kinder, über die
getöteten, und denke, wie die Täter die Seele
verlieren. Ein Hoffnungsschimmer sind die
israelischen Menschen mit Gewissen, wie die
Organisation der Ex-Soldaten „Breaking The Silence“,
„Frauen in Schwarz“, „Machsom Watch“, die
Ex-Soldaten von „Breaking The Silence“ erzählen über
die herrschende Sprache, wie: „Tod den Arabern“,
„Schlag ihn“, „Wirf ihn in die Abwassergrube“…!
Ich werde auch Gaza nicht vergessen,
365 km2 groß, am
dichtesten besiedelt in der Welt, mit 1,8 Millionen
Einwohnern, die Hälfte davon Kinder; die Mehrheit
sind Flüchtlinge. Gaza, unter Blockade seit 2007.
Der UN-Beauftragter John Dugard
sagte, dass Gaza ein
Gefängnis ist, und Israel die Schlüssel ins Meer
geworfen hat. Das israelische Massaker in Gaza unter
dem Namen „Gegossenes Blei“ (2008-2009) hat 1434
Menschen in Gaza das Leben gekostet, 437 von ihnen
waren Kinder und mehr als die Hälfte Zivilisten.
„Was Israel dem Gazastreifen angetan hat, ist
Zerstörung jenseits jeder Beschreibung“, sagte der
US-Kongressabgeordnete Keith Ellison, der Gaza
besucht hat.
Es sind Kriegsverbrecher, die man
bestrafen soll. Die Sprache der israelischen Armee
war, unter anderem: „Es gibt keine Unschuldigen in
Gaza“, „macht sie nieder“, oder „dass die Einwohner
verinnerlichen müssen, dass sie besiegt sind.“
Dies ist nur ein Teil der
schrecklichen Wirklichkeit, die ich hier geschildert
habe. man muss auch betonen, dass während dieser 47
Jahre Israel alle Friedensinitiativen abgelehnt hat
und sich total als friedensresistent erwiesen hat.
Der sogenannte „Friedensprozess“ war
ein Prozess ohne Frieden, ein israelischer Betrug.
Israel hat noch schneller die Gebiete besiedelt,
weiter Ostjerusalem judaisiert, weiter Häuser
zerstört… Alles mit dem Wissen, dass das US-Veto im
Weltsicherheitsrat und das Schweigen der Anderen
immer parat ist. Das wichtigste ist garantiert: das
Geld der USA für Israel…
Israel agiert auch als Richter: es
bestraft die Palästinenser, weil sie sich an die UNO
wenden, oder sie Einheit mit der Hamas erzielen
möchten, der Politik „teile und herrsche“ zum Trotz.
Israel, die vierte Militärmacht der Welt, eine
atomare Macht, stilisiert sich als das ewige Opfer,
und instrumentalisiert unsere Toten, die des
Holocaust.
Aber es ändert sich doch was in der
Welt. Die israelische Arroganz und ihre
Kriegstreiberei stoßen auf Kritik und mehr.
Ausdauerkraft der Palästinenser fängt an, Früchte zu
tragen. „Haaretz“ (24. 5.) schrieb, dass die
amerikanischen Juden erwachen aus dem Roman mit der
israelischen Rechten, dass junge Amerikaner nicht
mehr spenden wollen für den Besatzer. Rabbiner in
den USA sagen, dass sich die Juden in der Welt von
Israel entfernen, so „Haaretz“. Es gibt auch klare
Zeichen von verschiedenen Formen von Boykott und
Stornierung von Investitionen in Israel.
Papst Franziskus spricht in diesen
Tagen (25. 5.) in Jordanien, die Ablehnung von
Gerechtigkeit für die Palästinenser, Hass und Angst
würden Zerstörung verursachen. Er sprach auch klar
über den Staat Palästina. (Haaretz)
Ich möchte hier die Presseinfo von
Annette Groth (MdB) „Papst in Palästina“ zitieren.
Sie ist die Menschenrechtssprecherin der Partei die
Linke, und war an Bord der „Mavi Marmara“ auf ihrer
Fahrt zur Solidarität mit Gaza, die man nicht
vergessen darf:
«Besonders bewegt hat mich der
ungeplante Zwischenstopp des Papstes an der 759
Kilometer langen völkerrechtswidrigen Mauer, die die
palästinensischen Gebiete voneinander und von Israel
trennt und zu etwa 80% auf palästinensischem Land
verläuft. Anders als die meisten westlichen
PolitikerInnen, die völlig verharmlosend von
„Sperranlage“ sprechen, hat Franziskus das Wort
„Mauer“ gewählt und es war ihm anzusehen, dass ihm
das Leid, das durch diese Mauer tagtäglich
verursacht wird, absolut bewusst war.
Der Papst hat mehrfach vom „Staat
Palästina“ gesprochen und damit noch einmal ganz
explizit bekundet, dass der Vatikan Palästina seit
dessen Anerkennung durch die UNO-Vollversammlung
ebenfalls als Staat anerkennt. Franziskus hat zudem
deutlich gemacht, dass er die Beziehungen zwischen
dem Staat Palästina und dem Vatikan weiter
auszubauen gedenkt.»
Ich möchte noch darauf hinweisen,
dass diese „Mauervisite“ des Papstes die israelische
Regierung geärgert hat. Und mehr…
So, anstatt „Wehe den Besiegten“ – „Vae
victis“ sagen wir jetzt: „Wehe dem Sieger“. Er ist
schon jetzt ein Verlierer! Das ist ein gutes Omen
für den Frieden!
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