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Weihnachten in Gaza
Vera Macht
Dies sollte ein Artikel über
Weihnachten in Gaza werden, ein Artikel über den Irrsinn des
Lebens in Gaza, der auch vor Heilig Abend nicht halt macht,
warum sollte er auch. Es ist ein Tag in Gazas Terror wie jeder
andere. Ein Zeitungsartikel sollte es werden, nur konnte ich ihn
nicht schreiben. Ich saß vor meinem Laptop und konnte nicht
schreiben und wusste nicht warum. Bis mir klar wurde, dass ich
es deshalb nicht kann, weil ich in einem Zeitungsartikel nur die
Fakten auflisten würde, sachlich, nüchtern und objektiv. In
einem Zeitungsartikel kommt ein 'ich' nicht vor. Da wäre kein
Platz für meine Verzweiflung, meine Hilf- und Machtlosigkeit,
die ich vielleicht, und das hat den Tag doch anders gemacht, an
Weihnachten ganz besonders fühle. In einem Zeitungsartikel wäre
kein Platz für meine Besorgnis angesichts der spürbar
eskalierenden Situation, der Vielzahl der Bomben in den letzten
Nächten, dem Lärm der Kampfflugzeuge und Apache über mir. Ein
neuer Krieg, das ist undenkbar. Die Menschen hier haben den
letzten noch kaum verarbeitet, den Verlust ihrer Angehörigen,
die Wunden sind noch kaum verheilt, weder die physischen noch
die psychischen. Ein neuer Krieg, nein, das ist undenkbar.
In einem Zeitungsartikel würde ich
auch nüchtern die Zahl der Steinesammler und Bauern auflisten,
die im letzten Monat angeschossen wurden, 32 waren es. 88 seit
März diesen Jahres, 9 Menschen starben. Unter ihnen waren auch
viele Kinder und Jugendliche. Oft wurden sogenannte
Dumdum-Kugeln benutzt, die im Inneren des Körpers explodieren
und so einen größtmöglichen Schaden hinterlassen. Sie
zerschmettern die Knochen, sodass Getroffene oft für Monate
nicht laufen können. Laut Genfer Konvention verboten.
All diese Menschen wurden im
Grenzgebiet zu Israel angeschossen, Sperrgebiet nennt es das
israelische Militär, ihr zu Hause nennen es die Menschen, die
dort leben, deren Häuser und Felder dort sind, in den drei- bis
fünfhundert Metern hinter der israelischen Grenze, wobei die
Gefahrenzone sich in Wirklichkeit auf eineinhalb Kilometer
erstreckt. 32 Menschen in einem Monat, die in diesem Gebiet
Steine sammeln, die später zu Zement verarbeitet werden (die
Einfuhr von Zement ist unter der israelischen Blockade seit 2007
verboten), oder die dort als Bauern arbeiten, ernten, oder
Schafe hüten. Diese Menschen arbeiten dort, weil sie keine
andere Wahl haben, weil sie ihre Familien nicht anders ernähren
können, weil sie keine andere Arbeit finden, in der desaströsen
Wirtschaftslage Gazas, wo die Arbeitslosenquote seit der
Blockade bei über 45% liegt. Also arbeiten sie dort, und werden
von israelischen Soldaten, die in ihren Wachtürmen entlang der
Mauer sitzen, niedergeschossen wie Tiere. Vielleicht weil es
langweilig ist, dort den ganzen Tag zu sitzen, oder vielleicht
auch weil es ein bisschen wie Playstation spielen ist, man sitzt
dort und zielt, und hunderte Meter weiter fällt jemand um. Aber
das würde ich nie schreiben, in einem Zeitungsartikel, ich würde
schreiben, dass die israelischen Soldaten potentielle
Terroristen abwehren müssen, dass selbst ein Schäfer inmitten
seiner Schafe, der dort jeden Tag ist, unglücklicherweise
wahrscheinlich für einen Terroristen gehalten wurde. Und wenn
ich nur die Zahl schreiben würde, 32 angeschossene Arbeiter in
einem Monat, dann würde dies nichts über mein steigendes Gefühl
der Hilflosigkeit sagen, meine Ohnmacht angesichts dieser
Situation. Denn ich habe sie kennen gelernt, all diese 32
Menschen, in diesem einen Monat. Sie sind weit mehr als eine
Zahl, eine Statistik, für mich. Denn jedes Mal wenn jemand
angeschossen wird, dann fahre ich zum Krankenhaus, wie fast
jeden Tag, mache Fotos und schreibe darüber, wie fast jeden Tag,
und sehe die Menschen mit ihren zertrümmerten Beinen, in ihrem
Blut und ihren Schmerzen, wie fast jeden Tag, und frage sie, was
sie machen wollen, wenn, oder falls, sie wieder laufen können,
nach Monaten. Und sie sagen, wir gehen zurück zu unserer Arbeit
natürlich, wie jeden Tag, wir haben doch keine andere Wahl.
Ein
Mädchen, dessen Schule im Grenzgebiet liegt, und der auf ihrem
Schulweg ihr Knie von einer israelischen Kugel zertrümmert
wurde, schaute mich an und sagte, du schreibst jetzt darüber,
und dann hört das auf, ja? Dann haben wir hier keine Probleme
mehr? Manchmal tue ich in solchen Situationen einfach so, als
würde ich kein arabisch verstehen, und schaue zu Boden, weil ich
nicht weiß was ich sagen soll. Aber ich verstehe es sehr wohl,
nur eine Antwort habe ich keine. Und so schreibe ich und
schreibe, Pressemitteilungen und Artikel, und denke, wenn es
etwas Gutes in dieser Welt gibt, und nur genügend Menschen davon
wissen, dann wird das aufhören. Aufhören müssen. Doch als ich am
23.12. zum Krankenhaus kam, wie fast jeden Tag, da war ich ein
paar Minuten zu spät. Der Schäfer Salama Abu Hashish, war 20
Jahre alt, und hütete gerade seine Schafe und Ziegen in Beit
Lahya, in Nordgaza, als er ohne Warnschuss von einem
israelischen Soldaten niedergeschossen wurde. Die Kugel traf ihn
im Rücken und ging mitten durch eine seiner Nieren. Er wurde
operiert und kam auf die Intensivstation, doch er erlag seiner
Verletzung, um 17.30 Uhr, kurz bevor ich eintraf. Er war nur
einer von vier Menschen die an diesem Tage angeschossen wurden,
doch für ihn endete es tödlich. Und so begann mein Heiligabend,
mein Weihnachten in Gaza, mit einer Beerdigung. Salamas Sohn
Ghassan war zu diesem Zeitpunkt zwei Tage alt, Salama hat ihn
nie gesehen. Ghassan wird ohne ihn aufwachsen. Ob das nicht
verboten ist, wurde ich von seiner Familie gefragt. Sowas muss
doch verboten sein. Oh ja, das ist es. Und so schreibe ich
weiter, in allen Sprachen die ich spreche, in der Hoffnung, dass
es so etwas wie Gerechtigkeit doch gibt.
Und noch während ich bei der Familie
bin höre ich den nächsten Schuss.
Am Ende dieses Tages schließlich, in
der Nacht des Heiligen Abends, fliegen die F-16. Vier Bomben
fallen, zwei Menschen werden verletzt. Eine der Bomben trifft
ein Elektrizitätskraftwerk, den Rest der Nacht liegt Gaza im
Dunkeln.
Manchmal, vielleicht gerade an Weihnachten, am
Fest des Friedens und der Liebe, an einem Ort voller Gewalt und
Blut, da fehlt mir die sachliche Nüchternheit. Und vielleicht,
an einem Tag wie Weihnachten, da darf man verzweifelt sein. Vera
Macht, Gaza. Kontakt:
vera.macht@uni-jena.de
Militär überfällt Krankenhaus in der Nähe Bethlehems -
Die Bethlehemer arabische
Reha-Klinik wurde – wie berichtet – am Sonntag von israelischen
Soldaten zunächst mit bewaffneten Fahrzeugen und Jeeps umstellt,
dann die Unfallstation (ER) überfallen und mit den Waffen auf
die Patienten gezielt.
Dann verlangten die Soldaten in
grober Weise vom ER-Stab die Einlieferungsberichte der letzten
48 Stunden, wie der Direktor des Krankenhauses Edmund Shehadeh
sagte. Sie drohten damit, einen Computer zu konfiszieren, der
medizinische Berichte enthielt. Schließlich verließen sie das
Krankenhaus mit leeren Händen.
Überfälle auf Krankenhäuser sind in
der israelisch besetzten Westbank und im Gazastreifen Routine,
trotz der Tatsache, dass Krankenhäuser unter besonderem Schutz
der Vierten Genfer Konvention stehen und nicht von
Militärkräften überfallen werden sollten.
Die israelisch-militärischen Kräfte
verletzten routinemäßig ihre Verpflichtungen als Besatzungsmacht
nach der Vierten Genfer Konvention , besonders wo es um den
Schutz der zivilen Bevölkerung. Selbst Schulen und Krankenhäuser
werden angegriffen.
Einige Patienten in
palästinensischen Krankenhäusern sind zivile Opfer von
israelischen Militärangriffen, und die Invasionen in
Krankenhäuser sind für diese Patienten besonders traumatisch,
wie Psychologen berichten, die mit Palästinensern unter
israelischer Besatzung leben. (dt. Ellen Rohlfs)
Quelle