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Gaza – Besuch in einem Land, das es nicht gibt
Von Rupert Neudeck -  23.3.08

Wenn man aus dem wirtschaftlich und militärisch voranschreitenden Israel in Richtung Gaza durch die einzige Zugangsstelle für Personenverkehr, den Grenzpunkt Erez herauskommt, fällt man auf der anderen Seite nicht in die Hände eines Staates. Man fällt nicht einmal in die Koordinaten eines ‚Gebildes’ oder ‚Phänomens’, wie es die DDR einst war. Als ich den einen Kilometer durch einen oberirdischen Tunnel bis zu dem Boden dessen ging, den wir geopolitisch den Gaza Strip nennen, dachte ich an den Ex-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, der von der DDR immer anzüglich von einem „Gebilde“, manchmal auch von einem „Phänomen“ sprach.

Doch selbst das sind nicht Begriffe, die nicht auf die einmalige Realität passen, die wir hier vor uns haben. Gaza ist eine Weltraumkapsel, eine von Menschen überfüllte politische Wüste, ein Volk ohne Land, eineinhalb Millionen Menschen ohne Land, es ist kaum beschreibbar. Nicht mal das afrikanische Somalia ist vergleichbar, ebenfalls ein Volk, das keinen Staat hat, ihn aber immerhin mal gehabt hat. Kein Völkerrechtlicher kann den Gazastrip klassifizieren, keine UNO, kein Haager Gerichtshof keine EU kann das tun.

 

Die Gaza Regierung, die sog. hat das Problem noch eine Schraube höher gedreht. Denn zum ersten Mal in der Geschichte eines Befreiungskampfes kämpfen die politischen Kräfte des besetzten und unterdrückten Volkes nicht mehr gegen den Besatzer, sondern auch noch untereinander. Hamas gegen Fatah. Dazu hilft jetzt weder eine Erklärung noch eine Entschuldigung: Die Palästinenser Eliten müssen sich wieder einmal sagen lassen, dass sie der Popularität ihrer gerechten Sache doch sehr im Wege stehen. Die Hamas hat den Gaza Strip erobert und fühlt sich als legitime Regierung, die Fatah gibt die Regierung in Ramallah für die Westbank. Nicht nur Israel zerhackt das schon an sich kleine Gebilde des möglichen Gebietes von Palästinas auch die politischen Kräfte der Palästinenser tun das.

 

Israel ist froh, dass es durch die Aktion des ex-Präsidenten Ariel Scharon den Gaza Streifen losgeworden ist. Damit muss es wenigstens nicht die 1,5 Mio Palästinenser in sein Staatsgebiet aufnehmen, die im Gaza Streifen überleben. Die 8000 Siedler sind weg. Israel erweist sich einmal mehr als Experiment Station der Welt, es versucht etwas Neues, nie Dagewesenes: Eine Okkupation ohne Okkupanten. Deutsch: Eine Besatzung ohne Besetzer. Ein Land bleibt aber auch besetzt, ohne dass es Besetzer im Innern hat. Dadurch, dass es eine hermetische Kontrolle dieses Stückes Erde an allen Grenzen zu Lande, zu Wasser und in der Luft hat, ist das Gebiet weiter der besetzte Gaza Steifen. Auch das Auswärtige Amt spricht weiter von einem „besetzten Gaza Streifen“, in dem Israel noch lange nicht das getan hat, was nach Ende einer Besetzung geschehen muss.

 

Man kommt in diesen Gaza Strip nur herein, wenn man eine Sondergenehmigung oder eine Registrierung hat in Israel. Und dann auch nur über Erez. Erez ist der einzige Zugang, an dem ich mich gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Prof. Norman Paech, dem deutschen Palästinenser und Ex-Deutsche Welle Redakteur Hakam Abdelhadi begeben hatte, um dort gemeinsam einzureisen. Aber der MdB Norman Paech bekam den Zugang nicht, obwohl ihm dieser von der Botschaft Israels in Berlin versprochen worden war. Mir wurde die Erlaubnis gegeben, weil ich sie humanitär über die Anglikanische Kirche versucht hatte, die in Gaza Stadt ein Krankenhaus betreibt.

Das Nadelör Erez entpuppt sich als gewaltiger Immigations- und Grenzpalast. So als ob man sich auf den Durchgang von Tausenden von Palästinensern nach Israel oder auch hunderten von Touristen vorbereite. Ein gewaltig großes Abfertigungsgebäude steht da plötzlich vor einem mit acht Abfertigungsschaltern und noch mal acht, so als ob jetzt schon ein lebhafter Tourismus und Handel hier toben würde.

 

Man muss viele Fragen beim Passchalter im israelischen Erez beantworten, bekommt einen Ausreisestempel und nach der Wiederrückkehr nach Israel wieder einen Einreisestempel. Aber der Besucher fällt in ein juristisches Niemandsland, für das Israel weiter verantwortlich ist. Israel kann die Besatzungserantwortung nicht einfach an andere abtreten, solange es dem Gebilde Gaza nicht zur Kraft einer eigenen wirtschaftlichen Existenz verhilft. Aber daran dass es dieses nicht tut, ist schon der James D. Wolfensohn (der ehemalige Präsident der Weltbank) gescheitert, den die US-Regierung ja zur Ankurbelung von Wirtschaftsaufbau im Gaza Streifen eingesetzt hatte. Da es da gar nichts anzukurbeln gab, hat sich James D. Wolfensohn dann irgendwann einfach hier wegbewegt,

 

Aber der Durchführung dieser eigenen Existenz auf dem Gaza Streifen und dem Ende der Besatzung steht noch viel im Wege. Israel hat z.B. noch die Hand auf dem Personenstandsregister der Gaza Bevölkerung. Will ein Deutscher eine palästinensische Frau hier in Gaza heiraten, muss er diesen Vorsatz in Israel wahrmachen.

Die Besatzung besteht weiter, sie hat sich nicht in Luft auflöst. Sie wird jetzt auf Grund der verbrecherisch en Raketen, die da immer wieder nach Sederot hineinknallen, noch verschärft. Es wird jetzt alles an den Grenzen blockiert. Ein Papierhersteller erzählt uns in Gaza: Dass seine 20 Container mit Materialien für die Papierbetriebe an der Grenze stehen. Sie kommen nicht nur nicht herein, obwohl die Ware bezahlt ist, er muss auch noch für Stand- und Lagergebühren vor der Grenze zahlen.

 

Wir fahren in Gaza Stadt zu dem Al-Shifa Krankenhaus und daneben zu dem Prinz Najef Onkologie Zentrum. Dort werden wir von Dr. Raed Aljazzar zu mehreren funkelnagelneuen Computertomographen geführt, die aber alle nicht arbeiten können, weil die notwendigen Materialien nicht eingeführt werden können. Dr. Raed entpuppt sich als ein Arzt, der seine ganze Ausbildung in Deutschland gemacht hat und gut deutsch spricht. Ähnlich wie der Gesundheitsminister Dr. Basim Naim, der uns in einer Gesprächspause im Krankenhaus für Fragen zur Verfügung steht.

Das Schlimme ist, ganz unabhängig von den Spaltungen, die der Sache der Palästinenser so sehr schaden.  Dieses Gebiet  wird so stranguliert, dass es kaum noch Betriebe und kaum noch Arbeitsplätze gibt: Von ca 4000 Werkstätten und Handwerksbetrieben mussten 3900 ihren Laden einfach zumachen – es fehlt an allen Materialien.

 

Aber: Man wird hier niemanden verhungern lassen, aber es wird sonst kein ziviles Leben stattfinden. Die UNRWA, die UNO-Spezialorganisation für die Palästina Flüchtlinge wird immer genug Grundnahrungsmittel nach Gaza bringen können, es wird hier kein Sterben wegen Hungers geben.

In der Westbank ist es die Fatah, die eine so korrupte Führung hat, dass man auch da die Lösung herbeisehnen möchte, dass sich die internationale Gemeinschaft der Lösung des Problems annehmen möge. Es gibt ja keine Regierung, und keinen Präsidenten, dass sind ja alles nur Kinotitel und Kinovorhänge, die nichts bedeuten. Israel arbeitet seit den Oslo Verträgen mit seiner Art von Privilegien für Palästinenser-Funktionäre. Der Parlamentspräsident hat z. B. das Privileg, dass er mit seinem eigenen Auto immer hin und herfahren kann nach Jordanien. Jetzt wurde dieser Präsident dabei erwischt, dass er 3000 Handys in seinem Auto über die jordanische Grenze geschmuggelt hat. Die Fatah hat allen Einfluss und alle Popularität zu Recht verloren.

All das ist das Ergebnis der Entwicklung, die Israel auch dadurch mitverursacht hat, dass es mit der Verführbarkeit dieser politischen Klasse gespielt hat.

 

In Ramallah ist das alles mit Händen zu greifen. Da sind die deutschen Politischen Stiftungen vertreten, die diplomatischen Vertretungen, die alle das Kinostück des zweiten autonomen Staates weiterspielen. In derselben Zeit baut Israel wie verrückt an seiner Mauer und baut die Siedlungen aus, die es in dem Bush Brief versprochen bekommen hat. Der Premierminister Olmert hat in diesen Tagen vor Ostern gesagt: Nein, man würde keine neue Siedlung beginnen, man würde die nur weiter ausbauen, die sowieso bei Israel bleiben.

Dieser Brief von G.W. Bush an den damaligen Israel Ministerpräsidenten Ariel Scharon entpuppt sich immer mehr wie eine zweite Balfour Doktrin. Alles, was vorher illegal war, wird dann legalisiert. Die Siedlungen bleiben. Die Palästinenser werden aus dem Land herausgeekelt, die die bleiben, werden sich in eingemauerten ‚Bantustans’ niederlassen und damit begnügen.

Ein guter Freund, der die gute Beit Sahour Medical Klinik aufgebaut hat, Dr. Majed Nassar, gibt die Stimmung gut wieder, die wir in der Bevölkerung angetroffen haben: „Wir haben drei Regierungen. Die eine von Fatah hier in Ramallah, die zweite in Gaza von der Hamas. Die dritte sitzt in Israels Gefängnis, zumal der legendäre Volksheld Marwan Barghouti. Wenn diese drei Regierungen sich heute entschließen würden zu sagen, dass sie keine Regierung sein können in einem nicht existierenden Land mit nicht existierenden Grenzen, in das die Armee des Nachbarlandes jeden Tag hineinmarschiert, wann immer sie will!“

Und wenn die drei erklären würden, dass sie die Verantwortung an die UNO wieder zurückgeben und an die internationale Staatengemeinschaft, dann würde endlich Druck entstehen.

An dem Tag des Gaza Besuches fahren wir zur Grenze Israels, die auch bei Erez von einem riesigen Trümmerfeld umgeben ist. Das sollten sich die Deutschen Abgeordneten mal alle ansehen, bevor sie sich entschließen, einen Industriepark bei Jenin für 10 Mio Euro zu bewilligen. Denn Israels Luftwaffe hat diesen Industriepark in den Erdboden bombardiert.

Wir halten erst einmal bei der Registrierungsstelle der Gaza Verwaltung. Dann machen wir uns auf den ein Kilometer weiten Weg zurück zum verwirrendsten Grenzkontrollpunkt, den ich in meinem Leben je erlebt habe: Selbst die nordkoreanische Grenzabfertigung ist dagegen eine reine Spielwiese. Es sind mehrere schwerste metallische Gittertüren, durch die wir gehen müssen. Dann kommt der rein israelische Teil, der durch eine Kamera geleitet wird, eine  metallische Tür geht dann plötzlich auf. Dann müssen die Besucher ihr Gepäck schon mal auf einen Tisch legen und öffnen, dann muss man durch eine weitere metallische Tür, immer alles nur einzeln, die Tür kann man nur öffnen, in dem man auf ein grünes Lichtsignal reagiert. Dann wird das Gepäck in großen Wannen weggeführt und ohne unser Dabei-sein gefilzt.

Dann kommt der Höhepunkt dieser demütigenden Prozedur. Nach einer weiteren Tür kommt eine klösterliche Zelle, also von außen und von oben einsehbar, in die man bei automatisch sich öffnenden Türen gefangen ist wie in einem geschlossenen Käfig. Man muss seine eigenen Füße auf zwei markierte gelbe Fußsohlen stellen und die Arme weit nach oben strecken, dann bewegen sich zwei bis drei mal metallische Rundkörper um einen kurz hintereinander, von denen man nicht weiß, ob sie Röntgengeräte sind oder etwas anderes. Dann geht die Tür auf. Ich werde aus der vor mir liegenden ersten Etage mit sieben Kontrollbeamten mit dem Telefon und Lautsprecher sehr imperativisch zurückzugehen befohlen, um meine Füße noch einmal genau auf die gelben Fußsohlen zu stellen. Wenn man die Stimme des Beamten schlecht versteht, gilt man für die Kontrolleure als renitent. Ich sage denen, was ich in meinem Leben bisher noch nie gesagt habe. Ich sei ein alter Mann und verstehe das elektronische Gemurmel schlecht. Nach der dritten Wiederholung begreife ich. Ich soll noch mal diese Affenübung machen, soll dann noch aus meiner Hemdtasche die Visitenkarten herausholen, die man auf irgendwelchen Monitoren gesehen hat. Dann erst kommt das Kontrollhäuschen für die Passkontrolle. Es ist 17.30 Uhr. Deo Gratias kann man da nur sagen.

 


Rupert Neudeck

 

 

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