Der unmögliche Traum vom Meer
Nach einem Bericht der israelischen
Tageszeitung Ha’aretz von Ulrike Vestring.
Es klingt ganz einfach, eine gute Idee: fünfzig Kinder aus
der palästinensischen Großstadt Nablus verbringen einen unbeschwerten Tag am
Meer.
Eingeladen werden sie von ein paar israelischen Frauen, die
der Organisation CheckpointWatch angehören. Tag für Tag stehen diese Frauen an
den Kontrollposten der israelischen Armee im besetzten Westjordanland und
beobachten. Manchmal können sie die schlimmsten Übergriffe verhindern. Die
Frauen kennen viele der Palästinenser, die diese Checkpoints täglich passieren
müssen, auf dem Weg zur Arbeit, zum Krankenhaus, zur Schule. Und sie wissen, was
palästinensische Familien sich wünschen, zum Beispiel einen Urlaub am Meer. Das
Meer liegt kaum eine Stunde von Nablus entfernt und ist doch unerreichbar. Denn
die Mittelmeerstrände gehören dem Nachbarstaat Israel, und nach Israel kommt
kaum ein Palästinenser hinein.
Die Frauen stellen einen Antrag bei der israelischen
Zivilbehörde, dem verlängerten Arm der Militärbesatzung: Einreiseerlaubnis für
50 namentlich aufgeführte Kinder, für einen einzigen Tag. Der Antrag wird
genehmigt. Aber die Genehmigung enthält nur 49 Namen. Es fehlt der Name Ahmad
Samir Said Najjar.
Der fünfzehnjährige Ahmad Samir arbeitet als
Limonadenverkäufer am Checkpoint Huwarra bei Nablus. Seine Familie kämpft wie
so viele im besetzten Palästina ums Überleben. Seit Kindertagen hat Ahmad Samir
einen Traum: er möchte das Meer sehen. Und jetzt: abgelehnt, aus der Traum.
Die israelischen Friedensfrauen sind ratlos. Ahmad Samir,
sagen sie, ist ein anständiger Junge, zuverlässig und garantiert harmlos. Noch
nie hat er gegen die Besatzungsmacht auch nur einen Stein geworfen. Aber alles
Bitten und Flehen hilft nicht: die Behörde bleibt bei ihrem Nein. Als sich
schließlich auch zwei bekannte Schauspieler für den Jungen einsetzen, geben die
vorgesetzten Generäle zu verstehen: Ahmad Samir ist ein Sicherheitsrisiko.
Ein fünfzehnjähriger mittelloser Junge als Sicherheitsrisiko
für ein Land, das über die viertgrößte Militärmacht der Welt verfügt? Mit einer
Armee, die selbst großen Wert auf ihr menschliches Image legt?
Schon wieder ein junger Palästinenser, dem sein Zukunftstraum
zerstört, der enttäuscht und gedemütigt wird. Könnte ja sein, dass so einer
eines Tages zu einem Sicherheitsrisiko wird. Aber dann, meinen die Frauen von
CheckpointWatch, kann niemand sagen, man hätte es nicht wissen können.
Nach einem Bericht der israelischen Tageszeitung Ha’aretz
vom 21. Juli 2009 übersetzt und zusammengefasst von Ulrike Vestring.
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